TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/12 2004/01/0460

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Veröffentlicht am 12.04.2005
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24a Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §24a Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §24a Abs3 Z3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §24a Abs8 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §25 Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §37b Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §37b Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §39a Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §7 idF 2003/I/101;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. September 2004, Zl. 252.008/0-V/13/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Asylgesetzes 1997 (mitbeteiligte Partei: WE in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, eine minderjährige nigerianische Staatsangehörige, reiste gemäß ihren Angaben am 19. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Am 22. Juli 2004 fand in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes die Ersteinvernahme statt, an deren Ende die Mitbeteiligte davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag abzuweisen.

Nach Durchführung einer neuerlichen Einvernahme am 26. Juli 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Mitbeteiligten mit Bescheid vom 2. August 2004 gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten nach Nigeria zulässig sei und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem Bundesgebiet aus. Dieser Bescheid wurde der Rechtsberaterin der Mitbeteiligten am 3. August 2004 ausgehändigt, die in der Folge, einlangend mit 4. August 2004, namens der Mitbeteiligten Berufung erhob.

Mit Bescheid vom 1. September 2004 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurück. Sie begründete dies damit, dass der Mitbeteiligten im Rahmen ihrer Ersteinvernahme am 22. Juli 2004 konkludent (durch Erklärung der Absicht, ihren Asylantrag abzuweisen) mitgeteilt worden sei, dass ihr Asylverfahren zugelassen sei, womit die nur für den Zeitraum des Zulassungsverfahrens bestehende gesetzliche Vertretungsbefugnis des Rechtsberaters in der Erstaufnahmestelle geendet habe. Die Übermittlung des erstinstanzlichen Bescheides an die nicht mehr vertretungsbefugte Rechtsberaterin habe somit keine rechtswirksame Zustellung bewirken können, weshalb dieser Bescheid als nicht erlassen gelte. Die dagegen erhobene Berufung der Rechtsberaterin, die insoweit ohne Vertretungsbefugnis eingeschritten sei, sei daher zurückzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Bundesministerin für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der Mitbeteiligten - erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des AsylG (in der Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) lauten wie folgt:

"Zulassungsverfahren in der Erstaufnahmestelle

§ 24a. (1) Das Bundesasylamt führt in der Erstaufnahmestelle jedenfalls das Zulassungsverfahren, das der Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrages dient. Diese Prüfung ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrages jedenfalls zeitlich vorzuschalten.

(2) Nach Einbringung des Antrags hat binnen 48 - längstens jedoch nach 72 - Stunden in der Erstaufnahmestelle eine Einvernahme (Ersteinvernahme) des Asylwerbers zu seiner Reiseroute und zum sonstigen maßgeblichen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu erfolgen. ...

(3) Nach Abschluss der Ersteinvernahme ist dem Asylwerber mitzuteilen, dass

1.

das Verfahren zulässig ist;

2.

beabsichtigt ist, seinen Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen oder

              3.              beabsichtigt ist, seinen Asylantrag abzuweisen.

(4) Nach Mitteilung gemäß Abs. 3 Z 1 endet der faktische Abschiebeschutz, dem Asylwerber wird die Aufenthaltsberechtigungskarte ausgehändigt und er kann einer Betreuungseinrichtung (§ 37b) zugewiesen werden.

(5) Beabsichtigt das Bundesasylamt gemäß Abs. 3 Z 2 oder 3 vorzugehen, ist dem Asylwerber eine Aktenabschrift auszuhändigen. Es wird ihm eine, 24 Stunden nicht unterschreitende, Frist zur Stellungnahme eingeräumt und er wird unter einem zur neuerlichen Einvernahme nach Verstreichen dieser Frist geladen. In der auf die Ersteinvernahme folgenden Frist hat eine Rechtsberatung (§ 39a) in der Erstaufnahmestelle zu erfolgen; dem Rechtsberater sind unverzüglich die relevanten Aktenbestandteile zugänglich zu machen (§ 36).

(6) ...

(7) ...

(8) Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringung des Antrages, dass der Asylantrag als unzulässig gemäß der §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, ist der Antrag zugelassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 geführt; Abs. 4 gilt. Die Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 oder eine Entscheidung gemäß der §§ 7 oder 10 ersetzt die Entscheidung im Zulassungsverfahren. Satz 1 gilt nicht, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzieht und das Verfahren eingestellt oder als gegenstandslos abgelegt wird.

(9) ...

...

Handlungsfähigkeit

§ 25. (1) ...

(2) Mündige Minderjährige, deren Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, sind berechtigt, Anträge zu stellen und einzubringen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle; nach Zulassung des Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, dessen Betreuungsstelle der Minderjährige zuerst zugewiesen wird.

(3) ...

(4) ...

...

Betreuungseinrichtungen, Betreuungsstellen

§ 37b. (1) Betreuungseinrichtungen sind

a)

Betreuungsstellen (Abs. 2) und

b)

die Erstaufnahmestellen, soweit in diesen die Versorgung der Grundbedürfnisse von Asylwerbern, in deren Verfahren noch keine Zulassungsentscheidung getroffen wurde, faktisch gewährleistet wird.

(2) Betreuungsstelle ist jede außerhalb der Erstaufnahmestelle gelegene Unterbringung, in der die Versorgung der Grundbedürfnisse eines Asylwerbers faktisch gewährleistet wird. ...

(3) ...

...

Rechtsberatung in der Erstaufnahmestelle

§ 39a. (1) ...

(2) ...

(3) Bei unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern hat der Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Zulassungsverfahren sowohl bei der Ersteinvernahme als auch bei jeder weiteren Einvernahme in der Erstaufnahmestelle teilzunehmen.

(4) ...

(5) ..."

Der Ansicht der belangten Behörde, das Zulassungsverfahren (und damit die Befugnis der Rechtsberaterin zur Vertretung der minderjährigen Mitbeteiligten) habe bereits mit der Mitteilung nach § 24a Abs. 3 Z 3 AsylG geendet, kann schon im Hinblick auf § 24a Abs. 8 zweiter Satz leg. cit. nicht beigepflichtet werden. Im Übrigen hat sich mit der gegenständlichen Problematik - gesetzliche Vertretung des unbegleiteten Minderjährigen nach einer die Entscheidung im Zulassungsverfahren ersetzenden Abweisung des Asylantrages nach § 7 AsylG - bereits der Verfassungsgerichtshof beschäftigt. In seinen Erkenntnissen je vom 9. März 2005, B 1290/04-10 und B 1477/04-11, hat er ausgeführt:

"Der gesetzliche Vertreter eines mündigen Minderjährigen, dessen Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können (unbegleitete Minderjährige), ist ab Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater. Seine Vertretungsbefugnis endet, wie der zweite Halbsatz des zweiten Satzes des § 25 Abs. 2 AsylG zeigt, sobald zwei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass erstens das Zulassungsverfahren zu Ende ist und dass zweitens der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Solange eines der beiden Kriterien nicht erfüllt ist, ist der Rechtsberater weiterhin der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen.

Wenngleich der Gesetzestext an Klarheit zu wünschen übrig lässt, ist dem Gesetzgeber nicht zusinnbar, zwischen Beendigung des Zulassungsverfahrens (§ 24a Abs. 8 AsylG) und Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung eine zeitliche Lücke zu schaffen, in der der Minderjährige ohne gesetzliche Vertretung ist, sodass nicht gewährleistet ist, dass für den minderjährigen Asylwerber rechtzeitig Berufung erhoben werden kann. Auch kann dem Gesetz nicht unterstellt werden, dass der Minderjährige in der Zeit zwischen der Beendigung des Zulassungsverfahrens und der Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung, die unter Umständen nur wenige Tage dauern kann, vom Jugendwohlfahrtsträger des Aufenthaltsortes (§§ 211 ff. ABGB) vertreten wird, sodass der Minderjährige innerhalb kurzer Zeit drei unterschiedliche gesetzliche Vertreter hätte."

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes an. Da auch im gegenständlichen Fall, wie in den den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zugrunde liegenden Fällen, davon auszugehen ist, dass die Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Berufungserhebung durch die Rechtsberaterin an die belangte Behörde (noch) keiner Betreuungsstelle zugewiesen war - nach dem Inhalt der Verwaltungsakten befand sich die Mitbeteiligte weiterhin in der Erstaufnahmestelle, die gemäß § 37b Abs. 2 erster Satz AsylG keine "Betreuungsstelle" ist; zur Zuweisung an eine Betreuungsstelle siehe im Übrigen § 6 Bundesbetreuungsgesetz in der allerdings erst am 1. Jänner 2005 in Kraft getretenen Fassung des Artikels II der Novelle BGBl. I Nr. 32/2004 -, kam der Rechtsberaterin der Mitbeteiligten nach wie vor Vertretungsmacht zu, weshalb sich der angefochtene Zurückweisungsbescheid entgegen der in der Gegenschrift der Mitbeteiligten vertretenen Ansicht auch nicht im Ergebnis als richtig erweist.

Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 12. April 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004010460.X00

Im RIS seit

25.05.2005

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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