TE OGH 1971/12/22 8Ob224/71

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Veröffentlicht am 22.12.1971
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Norm

ABGB §93
Außerstreitgesetz §1
Einführungsgesetz zur Exekutionsordnung ArtXXVII
EO §382 Z8

Kopf

SZ 44/193

Spruch

Ein im Verfahren außer Streitsachen gestellter Antrag auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes ohne Beziehung auf ein einzuleitendes oder bereits eingeleitetes Ehescheidungsverfahren ist als unzulässig zurückzuweisen; ein dennoch durchgeführtes Außerstreitverfahren ist nichtig

OGH 22. 12. 1971, 8 Ob 224/71 (LGZ Wien 43 R 275/71; BG Favoriten 2 Nc 201/71)

Text

Die Antragstellerin beantragte beim Erstgericht "als Außerstreitgericht" die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes (in der qualifizierten Form der Verweisung des Antragsgegners aus der ehelichen Wohnung) ohne eine zeitliche oder sonstige Beschränkung. Sie erklärte hiezu - zwar nicht im Antrag, aber anläßlich ihrer gerichtlichen Vernehmung -, mit einer Scheidungsklage vorderhand noch zuzuwarten, also derzeit die Einbringung einer Scheidungsklage nicht zu beabsichtigen.

Das Erstgericht führte auf Grund dieses Antrages im Verfahren außer Streitsachen entsprechende Erhebungen durch und gab ihm sodann mit seinem ausdrücklich als "Außerstreitsache" benannten, Beschluß im wesentlichen statt; allerdings bezeichnete es seinen Beschluß als "einstweilige Verfügung", die nur für die Dauer des inzwischen vom Antragsgegner eingeleiteten Rechtsstreites wegen Ehescheidung bis zu dessen rechtskräftiger Entscheidung gelte. Gleichzeitig wies das Erstgericht einen vom Antragsgegner im Zuge des Verfahrens gestellten Antrag ab, der Antragstellerin die Zurückversetzung des Türschlosses der ehelichen Wohnung in den ursprünglichen Zustand aufzutragen.

Das Rekursgericht hob aus Anlaß des vom Antragsgegner gegen den Beschluß des Erstgerichtes erhobenen Rekurses den Beschluß des Erstgerichtes und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf (Abs 1) und trug dem Erstgericht unter Rechtskraftvorbehalt die neuerliche Entscheidung auf (Abs 2 und 3). Das Rekursgericht, welches die gegenständliche Sache als "Exekutionssache" bezeichnete, vertrat die Auffassung, daß jeder Antrag auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes nur als Teil oder als Vorbereitung eines als bürgerliche Rechtsstreitigkeit zu qualifizierenden Ehescheidungsverfahrens anzusehen sei und über einen derartigen Antrag daher ausschließlich in dem nach den Bestimmungen der Exekutionsordnung vorgesehenen Verfahren entschieden werden könne. Demzufolge habe im vorliegenden Fall ein nach der Geschäftsverteilung des Erstgerichtes zur Entscheidung nicht berufener Richter entschieden, was einen Nichtigkeitsgrund darstelle.

Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlaß des Revisionsrekurses der Antragstellerin den Beschluß des Rekursgerichtes, dessen erster Satz unverändert aufrecht bleibt, in den Absätzen 2 und 3 dahin abgeändert, daß die von den Parteien im Außerstreitverfahren gestellten Anträge zurückgewiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes kommt allerdings der Frage, ob die Entscheidung eines nach der Geschäftsverteilung hiezu nicht berufenen Richters nichtig ist oder nicht (vgl hiezu Fasching IV 116 f und die dort angeführte Literatur, JBl 1966, 616, SZ 40/5 ua), im vorliegenden Fall keinerlei Bedeutung zu. Falls nämlich im Sinne der bisher weitaus überwiegenden Judikatur (vgl insbesondere RZ 1965, 98, EFSlg 7774 und aus letzter Zeit EvBl 1971/293, aA etwa JBl 1959, 136) die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes auch ohne Erhebung oder Ankündigung einer Ehescheidungsklage sowie ohne Bestimmung einer Frist für die Einbringung einer derartigen Klage - uzw in einem solchen Fall im Verfahren außer Streitsachen - zulässig ist, dann hat hier ohnedies der nach der Geschäftsverteilung des Erstgerichtes berufene Richter entschieden. Falls man hingegen der Auffassung des Rekursgerichtes beitritt, daß jede Bewilligung des abgesonderten Wohnortes im Verfahren außer Streitsachen unzulässig ist, so hat dies schon nach dem Vorbringen der Antragstellerin (vgl hiezu MietSlg 15.021, 17.056 ua) die Nichtigkeit des hier durchgeführten Verfahrens und der Sachentscheidung des Erstgerichtes zur Folge (ebenso Fasching IV 112 Anm 20 unter b 3, SZ 42/69, EvBl 1967/289, 970/113 ua; die Entscheidung eines zur Sachentscheidung nicht berufenen Richters ist in diesem Fall nur eine Folge der Durchführung eines unzulässigen Verfahrens).

Der Berechtigung des Rechtsmittels der Antragstellerin hängt daher in erster Linie von der Beantwortung der Frage ab, ob, abgesehen von der jedenfalls zulässigen Antragstellung iS der §§ 382 Z 8, 387 und 391 EO, also einer ausschließlich nach den Bestimmungen der Exekutionsordnung zu beurteilenden und nicht im Verfahren außer Streitsachen zu behandelnden echten einstweiligen Verfügung, auch ohne die durch die §§ 387 und 391 EO notwendigerweise herzustellende Beziehung auf einen anhängigen oder einzuleitenden Prozeß die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes auch ohne Erhebung oder Ankündigung einer Ehescheidungsklage sowie ohne die Bestimmung einer Frist für die Einbringung einer derartigen Klage zulässig ist oder nicht, im Falle ihrer Zulässigkeit, ob eine derartige Anordnung als "Sicherungsmaßregel" bzw "Sicherstellungshandlung" iS des Art XXVII EGEO abzusehen und in welchem Verfahren über ein diesbezügliches Begehren abzusprechen ist.

Die bereits angeführte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur vorgenannten Frage wurde vor allem von Pichler (JBl 1968, 445 ff) einer Kritik unterzogen. Auch zu der vom Thema her verwandten Frage, ob ein Begehren auf Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft (§ 93 ABGB) oder auf Verpflichtung der Ehefrau zur Wohnsitzfolge (§ 92 ABGB) zulässig bzw in welchem Verfahren und mit welchen Rechtswirkungen darüber zu entscheiden ist, blieb die - übrigens früher nicht einheitliche - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht unwidersprochen (vgl zB Weinzierl, JBl 1960, 426 ff und Heller - Berger - Stix in Neumann - Lichtblau EO[4] I 79).

Die von einem verstärkten Senat am 29. 11. 1971 zu 6 Ob 132/71 getroffene Entscheidung enthält zusammengefaßt folgende Rechtssätze, welche von der bisherigen Judikatur zum Teil erheblich abweichen (die Abweichungen werden nachstehend ausdrücklich hervorgehoben).

Die im § 92 ABGB normierte Verpflichtung der Ehefrau, dem Ehemann an dessen Wohnsitz zu folgen, ist ebenso wie die Verpflichtung beider Gattenteile, die eheliche Gemeinschaft nicht eigenmächtig aufzuheben (§ 93 ABGB), eine Verpflichtung, bei deren Verletzung der andere Gattenteil berechtigt ist, eine gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel herbeizuführen, noch vor einem allenfalls endgültigen Scheitern der Ehe klarzustellen, welcher Gattenteil unrichtig handelte. Über ein derartiges Begehren auf Regelung familienrechtlicher Beziehungen ist - aus den bereits in der bisherigen Judikatur ausführlich dargelegten Gründen - im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Allerdings handelt es sich bei einer diesbezüglichen Entscheidung um keine einstweilige Verfügung oder Sicherungsmaßregel iS des Art XXVII EGEO, es kommen daher ausschließlich die Bestimmungen des Verfahrens außer Streitsachen (vom verstärkten Senat wurde insbesondere die Bestimmung des § 10 AußStrG zitiert), nicht aber die Bestimmungen der Exekutionsordnung zur Anwendung (völlige Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung - vgl EvBl 1971/293 uva -, vor allem bedeutsam für die Frage bloßer Glaubhaftmachung, für die Rechtsmittelfrist, den Rechtsmittelausschluß gemäß § 528 ZPO usw). Bei der Entscheidung sind auch die vom Antragsgegner behaupteten Weigerungsgrunde zu prüfen und bei Vorliegen triftiger Gründe ist eine Antragsabweisung zulässig (dies bedeutet jedenfalls eine Klarstellung gegenüber jenen Entscheidungen - etwa SZ 21/126, EvBl 1964/421 -, welche diese Prüfung als unzulässig ansahen, im Sinne der schon bisher überwiegenden Judikatur, etwa SZ 24/308, 28/189, RZ 1966, 122 ua). Die Entscheidung hat auch die im § 18 AußStrG umschriebenen Rechtswirkungen (auch insoweit abweichend von der bisherigen Rechtsprechung, vgl JBl 1955, 97, EvBl 1964/421 ua), sie ist allerdings nicht vollstreckbar, zumal zur zwangsweisen Durchsetzung (der Wohnsitzfolge bzw Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft oder der Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft) "angemessene Zwangsmittel" iS des § 19 Abs 1 AußStrG nicht bestehen (ebenso JBl 1956, 562, 1960, 97, EFSlg 7772 ua).

Wendet man diese Grundsätze, denen sich der erkennende Senat vollinhaltlich anschließt, auf den hier zu erörternden Fall des Antrages auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes ohne Beziehung auf ein einzuleitendes oder bereits eingeleitetes Scheidungsverfahren an, so ergibt sich aus diesen Grundsätzen zunächst jedenfalls, daß ein Antrag auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes ohne Erhebung oder Ankündigung einer Scheidungsklage und ohne daß nach dem Antrag eine Frist iS des § 391 Abs 2 EO bestimmt werden soll, falls er überhaupt zulässig wäre, genau so wie ein Antrag auf der Rechtsgrundlage des § 92 oder § 93 ABGB (6 Ob 132/71) als Antrag auf "Regelung familienrechtlicher Verhältnisse" angesehen werden müßte (in diesem Sinne auch die bisherige Rechtsprechung, vgl RZ 1965, 98, EFSlg 7774, EvBl 1971/293 ua). Von der Entscheidung über einen derartigen Antrag, insbesondere im Sinne einer Bewilligung des abgesonderten Wohnortes ohne Festsetzung einer Frist gemäß § 391 Abs 2 EO - der Umstand, daß hier im Zuge des im Verfahren außer Streitsachen eingeleiteten Verfahrens vom Antragsgegner eine Scheidungsklage eingebracht wurde, ist mehr oder weniger zufälliger tatsächlicher Natur, ihm kommt daher für die Losung der gegenständlichen Streitfrage keine rechtliche Bedeutung zu -, könnte daher ebensowenig wie bei einem Auftrag zur Rückkehr in die Ehegemeinschaft gesagt werden, daß sie eine einstweilige Verfügung oder eine Sicherungsmaßregel iS des Art XXVII EGEO darstelle, denn die genannte Bestimmung hat jene Anordnungen im Auge, welche im Verfahren außer Streitsachen im Zusammenhang mit einer anhängigen, im Verfahren außer Streitsachen zu erledigenden Causa getroffen werden. Es wäre daher unter sinngemäßer Heranziehung der vom verstärkten Senat zu 6 Ob 132/71 entwickelten Grundsätze für einen Antrag der hier gestellten Art die Anwendung von verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Exekutionsordnung entgegen der bisherigen Judikatur (EvBl 1971/293 uva) abzulehnen.

Demzufolge könnte die Zulässigkeit des hier gestellten Antrages nur aus den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes abgeleitet werden, also nicht aus der Bestimmung des § 382 Z 8 EO, die schon nach ihrer Einordnung lediglich einstweilige, im Zusammenhang mit einem (anhängigen oder einzuleitenden) Hauptverfahren stehende Anordnungen im Auge hat (vgl hiezu EvBl 1971/221 ua). Im Gegensatz zu der im Verfahren zu 6 Ob 132/71 angestrebten Entscheidung, die tatsächlich ihre Grundlage und Rechtfertigung in den Bestimmungen der §§ 92 und 93 ABGB findet, beantragte die Antragstellerin hier eine Regelung (familienrechtlicher Verhältnisse), welche den genannten Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes widerspricht. Ein Rechtsanspruch auf abgesondertes Wohnen bei aufrechter Ehe kann somit im Gegensatz zum Rechtsanspruch auf Wohnsitzfolge bzw Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft (6 Ob 132/71) aus den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes nicht abgeleitet werden. Mag auch die Erfüllung der sich aus den §§ 92 und 93 ABGB ergebenden Pflichten, ähnlich der Erfüllung der ehelichen Pflicht gemäß § 90 ABGB, im Einzelfall nicht zumutbar sein - mit der logischen Folge, daß auch eine Abweisung von Anträgen von der Art der zu 6 Ob 132/71 gestellten zulässig ist -, so kann aus diesem Umstand kein Anspruch auf Feststellung eines den Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und überdies dem Wesen der Ehe widersprechendem Rechtes abgeleitet werden.

Der Oberste Gerichtshof hat schon bisher mehrfach die Auffassung vertreten, daß für die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes lediglich die Bestimmung des § 382 Z 8 EO als Rechtsgrundlage in Betracht kommt (ebenso EvBl 1961/277, 1968/383, 1969/312 ua). Hält man an dieser nach Ansicht des erkennenden Senates zutreffenden Auffassung fest, und bringt sie mit der nunmehr vom verstärkten Senat des Obersten Gerichtshofes zu 6 Ob 132/71 SZ 44/181 zum Ausdruck gebrachten Erkenntnis in Einklang, daß ein im Verfahren außer Streitsachen zu behandelnder Antrag auf Regelung familienrechtlicher Verhältnisse seine rechtliche Grundlage in den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes haben muß und mit einer Sicherungsmaßregel (Art XXVII EGEO) oder gar einer einstweiligen Verfügung (§§ 378 bis 402 EO) nichts zu tun hat, dann muß dies in logischer Konsequenz aus den beiden vorgenannten Rechtssätzen, allerdings entgegen der bisherigen Rechtsprechung, zum Ergebnis führen, daß der hier von der Antragstellerin im Verfahren außer Streitsachen gestellte Antrag (ebenso wie der Gegenantrag des Antragsgegners) unzulässig ist. Den von der bisherigen Judikatur vornehmlich aus Zweckmäßigkeitsgrunden für die Zulässigkeit eines derartigen Antrages angestellten Überlegungen ist abgesehen von der bereits dargestellten logisch-juristischen Argumentation zusätzlich entgegenzuhalten, daß nach wie vor jedem Ehegatten die Beurteilung frei steht, ob bzw wie weit ihm aus besonderen Gründen des Einzelfalles die Erfüllung der durch §§ 92 und 93 ABGB festgelegten Verpflichtungen zumutbar ist. Namentlich die Ehefrau, auf deren Lage die hier abgelehnten Entscheidungen meist besonders Bedacht nehmen, kann sich in der Regel durch eine Unterhaltsklage (allenfalls in Verbindung mit dem Begehren auf einstweiligen Unterhalt) darüber Klarheit verschaffen, ob sie im Einzelfall von der Erfüllung ihrer grundsätzlichen Verpflichtung zur Wohnsitzfolge bzw zur Aufnahme oder Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft befreit ist oder nicht. Es besteht daher in Wahrheit gar kein so eminentes Bedürfnis, eine Anordnung für zulässig zu erklären, die in ihrem Ergebnis tatsächlich nicht weit von einer "Scheidung von Tisch und Bett auf kaltem Wege" entfernt ist.

Geht man jedoch von der dargestellten Unzulässigkeit des gegenständlichen Antrages aus, so war, wie bereits eingangs ausgeführt, die Nichtigerklärung des gegenständlichen Verfahrens durch das Rekursgericht im Ergebnis gerechtfertigt; die Antragsunzulässigkeit mußte allerdings außerdem zur Antragszurückweisung führen (ebenso EvBl 1967/289, 1970/113 ua).

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Anmerkung

Z44193

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0080OB00224.71.1222.000

Dokumentnummer

JJT_19711222_OGH0002_0080OB00224_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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