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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AHG 1949 §11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über den Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 3. Jänner 2005, Zl. 32 Cg 8/01h-18, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Spruchpunkt I. des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Oktober 2000, Zl. 217.597/0-XI/38/00, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in einer Asylsache (weitere Parteien: 1. P in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, und 2. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1010 Wien, Singerstraße 17- 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass Spruchpunkt I. des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Oktober 2000, Zl. 217.597/0-XI/38/00, rechtswidrig ist.
Begründung
Die erstgenannte weitere Partei (im Folgenden: E) beantragte am 24. November 1999 die Gewährung von Asyl und wurde durch das Bundesasylamt zu diesem Antrag am 25. November 1999 sowie am 31. Jänner 2000 einvernommen. Im Zuge der zweiten Einvernahme legte E verschiedene Dokumente vor, die das Bundesasylamt einer kriminaltechnischen Überprüfung unterziehen ließ; der Untersuchungsbericht der Kriminaltechnischen Zentralstelle beim Bundesministerium für Inneres vom 31. März 2000, demzufolge es sich bei den von E vorgelegten Dokumenten um Nachahmungen handle, langte nach dem Inhalt der Verwaltungsakten am 4. April 2000 beim Bundesasylamt ein.
In der Folge wurde mit Erledigung des Bundesasylamtes vom 27. April 2000 der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des E nach Kamerun (in den von ihm genannten Herkunftsstaat) gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Das Bundesasylamt ordnete hinsichtlich dieser Erledigung eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch beim Wohnsitzpostamt des E an, der von dieser "Zustellung" erst aus Anlass einer Akteneinsicht vom 28. Juni 2000 Kenntnis erlangte und hierauf mit 1. Juli 2000 einen beim unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) am 3. Juli 2000 einlangenden Devolutionsantrag stellte.
Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 3. Oktober 2000 wies der UBAS den Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG ab. Zwar liege - die offensichtlich auf einem Versehen beruhende Anordnung der Zustellung der Erledigung vom 27. April 2000 durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch habe keine rechtliche Basis gehabt und demzufolge nicht zu einer rechtswirksamen Bescheiderlassung geführt - Säumnis des Bundesasylamtes vor, doch könne nicht von einem ausschließlichen Verschulden dieser Behörde gesprochen werden. Einerseits hätte die zweite Einvernahme des E bereits am 16. Dezember 1999 erfolgen sollen und sei nur deshalb, weil er an diesem Tag die Ambulanz des AKH Wien hätte aufsuchen müssen, auf den 31. Jänner 2000 verlegt worden. Andererseits habe E bei seiner Einvernahme am 31. Jänner 2000 Dokumente zwecks Bescheinigung seiner Identität vorgelegt, über die er am 25. November 1999 gemäß seinen Angaben noch nicht verfügt habe und die einer Untersuchung - siehe dazu eingangs - hätten unterzogen werden müssen. Somit sei das Ermittlungsverfahren jedenfalls um drei Monate durch Umstände, welche der Sphäre des E zuzuordnen seien (Erkrankung, Vorlage zweifelhafter Dokumente, welche einer Untersuchung hätten unterzogen werden müssen und welche sich in der Folge als Nachahmungen herausgestellt hätten) verzögert worden. Zwar könne aus dem bloßen Umstand der Durchführung von Ermittlungsschritten nicht bereits das ausschließliche Verschulden einer Behörde iS des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG ausgeschlossen werden; würden diese Ermittlungsschritte jedoch durch Umstände, die der Sphäre des Antragstellers zuzurechnen seien, erforderlich und ausgelöst, so könne dies der Behörde nicht zum Nachteil gereichen und sei dieser nicht zuzurechnen.
Mit der Behauptung, die Abweisung des Devolutionsantrages seitens des UBAS sei rechtswidrig gewesen, was einen näher bezifferten Schaden zur Folge gehabt habe, erhob E gegen die Republik Österreich Amtshaftungsklage. Das Prozessgericht (Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien) hat nunmehr gemäß § 11 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz den Antrag gestellt, es möge festgestellt werden, dass der Bescheid des UBAS vom 3. Oktober 2000 (zu ergänzen: dessen Spruchpunkt I.) rechtswidrig sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Einlangen von Stellungnahmen des UBAS und der Finanzprokuratur - erwogen:
Eingangs ist klarzustellen, dass dem Verwaltungsgerichtshof keine Überprüfungsbefugnis dahingehend zukommt, ob die Frage, die Entscheidung des Amtshaftungsprozesses sei von der Rechtswidrigkeit des zu überprüfenden Bescheides abhängig, vom Amtshaftungsgericht richtig oder unrichtig beurteilt wurde (vgl. den hg. Beschluss vom 9. November 2004, Zl. 2004/01/0418, mwN.). Auf die Überlegungen des UBAS zum Ausschluss des Ersatzanspruches des E nach § 2 Abs. 2 Amtshaftungsgesetz - diesbezüglich liegt, wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei, bereits eine bindende (vgl. § 499 Abs. 2 ZPO) Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Wien vor - kann daher nicht näher eingegangen werden.
Die demnach gegenständlich allein vorzunehmende Prüfung, ob die Abweisung des Devolutionsantrages vom 1. Juli 2000 durch den UBAS rechtmäßig oder rechtswidrig war, hat auf Basis des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG zu erfolgen. Dieser Satz hat seit dem Inkrafttreten der AVG-Novelle 1998 (1. Jänner 1999) folgenden Wortlaut:
"Er (Devolutionsantrag) ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."
Der UBAS hat in seinem Bescheid vom 3. Oktober 2000 einleitend § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG zwar richtig in der seit 1. Jänner 1999 gültigen - und daher im vorliegenden Fall maßgeblichen - Fassung wiedergegeben. Im Zuge seiner Erwägungen stellte er jedoch nicht darauf ab, ob die Verzögerung an der Entscheidung auf ein "überwiegendes Verschulden" des Bundesasylamtes zurückzuführen sei, sondern darauf, ob "ausschließliches Verschulden" der Behörde vorgelegen habe. Damit griff er der Sache nach - verfehlter Weise - auf die bis 31. Dezember 1998 geltende Rechtslage zurück, wonach ein Devolutionsantrag abzuweisen war, "wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist".
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes war die Verzögerung der Entscheidung dann ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen, wenn sie weder durch ein Verschulden der Partei noch durch unüberwindliche Hindernisse verursacht worden war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. November 1999, Zl. 97/19/1738). Das Fehlverhalten einer Partei konnte jedoch nur dann zu einer Abweisung des Devolutionsantrages führen, wenn es für die Verzögerung iS des § 73 Abs. 2 AVG kausal war, was ua. voraussetzte, dass die Behörde ohne das Fehlverhalten der Partei fristgerecht entschieden hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 95/19/0926).
Die Materialien zur AVG-Novelle 1998 führen zur Neufassung des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG aus, dass im Interesse der Verfahrensbeschleunigung der Übergang der Entscheidungszuständigkeit auf die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) bereits dann endgültig sein soll, wenn die Säumnis auf ein überwiegendes Verschulden der (Unter-)Behörde zurückzuführen ist; bei Prüfung des Verschuldens werde insbesondere darauf Bedacht zu nehmen sein, ob es die (Unter-)Behörde rechtswidrigerweise unterlassen hat, unverzüglich einen Mängelbehebungsauftrag zu erteilen (1167 BlgNR 20. GP 39). Damit wird - was schon der geänderte Gesetzeswortlaut nahe legt - unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass durch die Novellierung des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG die Möglichkeit der Abweisung eines Devolutionsantrages eingeschränkt werden sollte (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovelle 1998 (1999) 130). Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass das Verfahrensverzögerungen bewirkende Fehlverhalten einer Partei auch nach der hier zu beachtenden Rechtslage nach der AVG-Novelle 1998 nur dann von Bedeutung sein kann, wenn es für die Verzögerung iS des § 73 Abs. 2 AVG kausal war, das heißt, wenn die Behörde ohne dieses Fehlverhalten fristgerecht entschieden hätte.
Im gegenständlichen Fall mag ein Fehlverhalten des E - seine Erkrankung zum ursprünglich vorgesehenen zweiten Einvernahmetermin am 16. Dezember 1999 kommt hiefür allerdings nicht in Betracht - vorgelegen haben. Kausalität dieses Fehlverhaltens im dargestellten Sinn kann jedoch schon deshalb nicht angenommen werden, weil die Erlassung eines fristgerechten Bescheides durch das Bundesasylamt letztlich nur an einem unstrittig fehlerhaften Zustellvorgang (Anordnung der Zustellung der Erledigung vom 27. April 2000 durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch beim Wohnsitzpostamt des E, ohne dass die Voraussetzungen für diese Vorgangsweise gegeben gewesen wären) scheiterte. Überlegungen dahingehend, das Bundesasylamt hätte ohne jegliches Verfahrensverzögerungen bewirkende Fehlverhalten des E - unter Einhaltung der Zustellvorschriften - rechtzeitig binnen sechs Monaten ab Antragstellung einen erstinstanzlichen Bescheid erlassen, sind rein spekulativer Natur und können der Beurteilung daher nicht zugrunde gelegt werden.
Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof der im Wesentlichen gleich begründeten Auffassung des antragstellenden Gerichtes, die Abweisung des Devolutionsantrages des E durch den UBAS mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 3. Oktober 2000 sei rechtswidrig gewesen, beipflichtet, was gemäß § 67 VwGG spruchgemäß festzustellen war.
Wien, am 12. April 2005
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Verschulden der Behörde §73 Abs2 letzter Satz AVGEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005010003.X00Im RIS seit
25.05.2005