Norm
ABGB §774Kopf
SZ 45/36
Spruch
Der Pflichtteilsberechtigte, dem der Erblasser den Pflichtteil ausdrücklich als Vermächtnis zugedacht hat, ist als Legatar anzusehen; als solchem steht ihm gegen den Nachlaß ein Forderungsrecht auf jene Geldsumme zu, die dem durch gerichtliche Schätzung des Nachlasses zu ermittelnden Wert seines Pflichtteils entspricht. Wie jedes andere bereits angefallene Legat, ist der Pflichtteilsanspruch in diesem Fall abtretbar und vererblich
OGH 28. 3. 1972, 5 Ob 43/72 (OLG Innsbruck 2 R 236/71; LG Innsbruck 7 Cg 402/70)
Text
Mit der vorliegenden Klage begehren die vier Kläger von der Beklagten die Bezahlung eines Betrages von je S 33.190.85 (zusammen S 132.763.40) samt 4% Zinsen seit dem Klagstag (10. 7. 1970) mit der Begründung, daß ihnen als Erben ihrer Mutter Anna S deren als Legat vermachter Pflichtteilsanspruch nach ihrem Sohn Josef S, einem Bruder der Kläger, zustehe, der Beklagten aber der Nachlaß des Josef S eingeantwortet worden sei. Anna S habe an der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem Sohn Josef S teilgenommen, seine letztwilligen Verfügungen als formell richtig anerkannt und auf ihren Pflichtteilsanspruch nicht verzichtet. Dieser betrage ein Sechstel des Nachlaßwertes. Ausgehend von dem im Verlassenschaftsverfahren nach Josef S festgestellten Reinnachlaß ergebe sich der zu je einem Viertel von den Klägern beanspruchte Betrag.
Die Beklagte gab als richtig zu, von ihrem Gatten Josef S zur Universalerbin eingesetzt worden zu sein; der Erblasser habe auch tatsächlich verfügt, daß seine Mutter Anna S den Elternpflichtteil zu erhalten habe. Im Verlassenschaftsverfahren nach Josef S habe eine Gläubigerkonvokation stattgefunden, Anna S habe jedoch ihren Anspruch vor ihrem Tod nicht geltend gemacht. Ihr Pflichtteilsanspruch sei daher nicht auf die Kläger übergegangen. Außerdem habe der Erstkläger im eigenen Namen und als Bevollmächtigter der übrigen Kläger ausdrücklich erklärt, an die Beklagte aus der Verlassenschaft keine Ansprüche zu stellen, und damit auf den Pflichtteilsanspruch seiner Mutter verzichtet. Überdies wendete die Beklagte den Mangel ihrer (Passiv-)Legitimation ein: Sie habe zum Nachlaß ihres Gatten nur eine bedingte Erberklärung abgegeben, der Nachlaß sei bei Berücksichtigung des für Friederike E ausgesetzten Legats überschuldet, Friederike E habe deshalb auch die Bezahlung der noch offenen Nachlaßverbindlichkeiten übernommen. Schließlich werde, so behauptet die Beklagte, in der Klage der Pflichtteilsanspruch der Anna S sowohl anteils- auch betragsmäßig unrichtig berechnet.
Die Beklagte verkundete Friederike E den Streit, worauf diese als Nebenintervenientin auf der Seite der Beklagten in den Rechtsstreit eintrat.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei unbestritten, daß Josef S in seinen letztwilligen Verfügungen die Beklagte zur Universalerbin einsetzte, seine Mutter Anna S aber auf den Pflichtteil setzte. Anna S habe den Todestag des Erblassers erlebt. Auf Grund der Verlassenschaftsakten nach Josef S und des übrigen Beweisverfahrens stehe fest, daß Anna S sich persönlich an der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem Sohn nicht beteiligte, bei der ersten Verlassenschaftsabhandlung am 5. 12. 1967 sei jedoch der Erstkläger als Vertreter seiner Mutter anwesend gewesen. Damals seien die letztwilligen Verfügungen des Erblassers verlesen und von den Angehörigen als formell gültig anerkannt worden. Hugo S habe keinen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch seiner Mutter ausgesprochen. Es werde jedoch von den Klägern nicht einmal behauptet, daß Anna S ihren Pflichtteil gefordert habe. Die Anmeldung oder Geltendmachung einer solchen Forderung ergebe sich aus dem Beweisverfahren nicht. Die Meinung des Klägers, daß sich aus dem mangelnden Verzicht auf den Pflichtteil seine Geltendmachung durch Anna S bzw den Erstkläger als Vertreter seiner Mutter ergebe, sei unrichtig. Der Pflichtteilsanspruch sei ein höchstpersönlicher Anspruch des Berechtigten, er sei daher nicht vererblich. Da Anna S ihren Pflichtteilsanspruch zu ihren Lebzeiten nicht geltend gemacht habe, stehe der in der Klage erhobene Anspruch den Klägern nicht zu. Der Meinung der Kläger, daß der Erblasser seiner Mutter den Pflichtteil als Legat hinterlassen habe, weil er im Testament ausdrücklich angeführt sei, könne nicht gefolgt werden.
Über Berufung der Kläger hob das Berufungsgericht dieses Urteil auf; die Sache wurde unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht ließ es mit Rücksicht auf die Kontroverse in Lehre und Praxis dahingestellt, ob der nicht entsprechend hinterlassene Pflichtteil vom Berechtigten selbst geltend gemacht werden müsse. Wenn jedoch der Pflichtteil ausdrücklich letztwillig hinterlassen werde, gehe er ohne Rücksicht darauf, ob der Bedachte seinen Anspruch geltend gemacht habe, auf dessen Erben über. Diesfalls habe der Erblasser letztwillig verfügt, daß seine Mutter den Elternpflichtteil erhalte. Diese Verfügung entspreche der Vorschrift des § 774 ABGB. Es sei daher unwichtig, ob Anna S zu Lebzeiten ihren Pflichtteil gefordert habe. Wohl sei es aber im Hinblick auf die übrigen Einwendungen der Beklagten zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch der Kläger notwendig, den Sachverhalt hinsichtlich des behaupteten Verzichtes der Kläger und in bezug auf die Höhe der Klageforderung festzustellen. Außerdem sei noch zu prüfen, wie weit der allfällige Verzicht der Klägerin gegen die Legatarin E wirke, zumal diese zur Entrichtung des Pflichtteiles beizutragen haben werde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten gegen diesen Aufhebungsbeschluß nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gemäß §§ 762 ff ABGB heißt Pflichtteil jener Erbteil, welchen die Personen (Noterben) zu fordern berechtigt sind, die der Erblasser in seiner letztwilligen Anordnung mit einem Erbteil bedenken muß. Diese Personen sind die Kinder des Erblassers und in deren Ermangelung seine Eltern. Nach § 774 ABGB kann der Pflichtteil in Gestalt eines Erbteiles oder Vermächtnisses auch ohne ausdrückliche Benennung als Pflichtteil hinterlassen werden. Wird der Pflichtteil dem Noterben in Gestalt eines Vermächtnisses hinterlassen, dh wird dem Noterben eine seinem Pflichtteil im Wert entsprechende Sache oder Geldsumme vermacht, dann erhält der Noterbe seinen Pflichtteil kraft erblasserischen Willens, er ist Legatar und ist als solcher von den Erben zu befriedigen. Sein Anspruch auf den "Pflichtteil" entsteht daher ohne Rücksicht darauf, ob er diesen Anspruch geltend machte, ihn forderte. Darüber hinaus unterscheidet sich der Pflichtteil von anderen Erbteilen dadurch, daß er grundsätzlich eine Forderung auf einen verhältnismäßigen Teil des Nachlaßwertes, jedoch kein Anspruch auf einen aliquoten Teil des Nachlasses ist (EFSlg 1482). Er ist eine Schuld des Nachlasses, daher nur gegen die Erben, nicht aber gegen die Legatare geltend zu machen (SZ 11/71). Die Pflichtteilsansprüche können nicht im Außerstreitverfahren, sondern nur im Prozeßweg geltend gemacht werden (EFSlg 4564). Es besteht daher trotz der von Weiss in Klang[2] III 859 vorgetragenen Bedenken kein Anlaß, von der in der Rechtsprechung (SZ 21/102) vertretenen Auffassung abzugehen, daß der Pflichtteilsberechtigte, dem der Erblasser ausdrücklich den Pflichtteil als Vermächtnis zugedacht hat, als Legatar anzusehen ist, dem ein Forderungsrecht gegen den Nachlaß auf jene Geldsumme zusteht, die dem durch die gerichtliche Schätzung des Nachlasses ermittelten Wert seines Erbteiles (Anm: gemeint offenbar "Pflichtteiles") entspricht. In einem solchen Fall ist der Pflichtteilsanspruch wie jedes andere bereits angefallene Legat vererblich und abtretbar.
Es kann nun dahingestellt bleiben, ob und in welcher Form ein Erblasser, der seinen Noterben im Testament "auf den Pflichtteil setzte", diesem Noterben den ihm nach dem Gesetz gebührenden Anteil an der Verlassenschaft hinterließ, denn es besteht kein Zweifel, daß eine letztwillige Verfügung, in der angeordnet wird, daß dem Noterben der Pflichtteil zuzukommen habe, als Legat eines dem Wert des Pflichtteils entsprechenden Geldbetrages anzusehen ist.
Im vorliegenden Fall hat nun nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Inhalt der Verlassenschaftsakten nach Josef S dieser letztwillig verfügt, daß seine Mutter den Elternpflichtteil erhalte. Diese Anordnung ließ somit als Legat den Anspruch der Bedachten ohne Rücksicht auf seine Geltendmachung mit dem Tod des Erblassers (Anfallstag) entstehen (zur Fälligkeit eines solchen Legates vgl GlUNF 7205). Der ohne Willen des Bedachten erworbene Pflichtteilsanspruch (vgl Ehrenzweig[2] II/2, 539) konnte somit beim Tod der Noterbin auch auf deren Rechtsnachfolger übergehen.
Da das Erstgericht, von einer gegenteiligen Auffassung ausgehend, weitere Feststellungen über den strittigen Sachverhalt unterließ, hat das Berufungsgericht das Urteil der ersten Instanz mit Recht aufgehoben.
Anmerkung
Z45036Schlagworte
Abtretbarkeit, Pflichtteilberechtigter als Legatar, Legat, Pflichtteil, Legatar, Pflichtteilsberechtigter, Pflichtteilsberechtigter, Legatar, Pflichtteilsberechtigter, Vermächtnisnehmer, Pflichtteil, Abtretbarkeit, Pflichtteil, Legat, Pflichtteil, Vererblichkeit, Pflichtteil, Vermächtnis, Vererblichkeit, Pflichtteilsberechtigter als Legatar, Vermächtnis, Pflichtteil, Vermächtnisnehmer, PflichtteilsberechtigterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1972:0050OB00043.72.0328.000Dokumentnummer
JJT_19720328_OGH0002_0050OB00043_7200000_000