Norm
ABGB §871Kopf
SZ 45/38
Spruch
Unterlag nur einer der beiden Vertragspartner einem wesentlichen Irrtum, steht es ihm frei, nur den Anspruch auf angemessene Vergütung zu stellen
OGH 5. 4. 1972, 1 Ob 34/72 (LGZ Graz 1 R 281/71; BGZ Graz 4 C 454/71)
Text
Der Kläger kaufte am 17. 8. 1968 vom Beklagten einen gebrauchten PKW, Type Jaguar E, um den Barbetrag von S 68.000.- und übergab ihm überdies seinen gebrauchten PKW, Type MG-Magnette, um den vereinbarten Kaufpreis von S 10.000.-. Mit der Behauptung, er habe erst am 12. 9. 1969 in den Einzelgenehmigungsbescheid Einsicht nehmen können und sei bis dahin - veranlaßt durch den Beklagten - in Irrtum gewesen, der gekaufte PKW habe das Baujahr 1965, obwohl er tatsächlich das Baujahr 1963 habe, begehrte der Kläger im vorliegenden seit 31. 3. 1971 anhängigen Prozeß eine angemessene Vergütung in der Höhe von S 15.000.-, obwohl es sich bei einem Irrtum über das Baujahr um einen wesentlichen Irrtum handle.
Der Erstrichter hat das Klagebegehren abgewiesen. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: der vom Kläger gekaufte PKW wurde im Jahre 1963 erzeugt. Am 17. 11. 1964 wurde die Einzelgenehmigung erteilt, wobei das Herstellungsjahr mit 1963 eingetragen wurde. Im Frühjahr 1965 wurde das Fahrzeug als fabriksneuer Wagen von der Händlerfirma K an Erich R verkauft. Am 6. 4. 1965 wurde der Wagen erstmals zum Verkehr zugelassen. Im März 1967 wurde der PKW an Johann K verkauft, der ihn schließlich im April 1968 an den Beklagten weiterverkaufte.
Der Kläger war im Sommer 1968 auf der Suche nach einem Auto. Anläßlich eines Service-Besuches bei der Firma F in G kam er mit dem Beklagten ins Gespräch, der ihm seinen Jaguar E zum Kauf anbot. Nachdem der Kläger diesen Wagen gesehen und ihm der Beklagte auf seine Frage mitgeteilt hatte, daß der Wagen das Baujahr 1965 habe, einigte man sich am 17. 8. 1968 dahin, daß der Kläger S 78.000.- für das Fahrzeug zahle, uzw S 68.000.- bar, den Rest durch Eintausch des dem Kläger gehörigen PKW, Marke MG. Der Beklagte fertigte für beide Wagen den schriftlichen Kaufvertrag aus. Im Vertrag über den Jaguar trug er in der Rubrik "Baujahr" den Vermerk "erstm. Zlssg. 1965" ein. In der Annahme, das Baujahr sei mit der erstmaligen Zulassung ident, maß der Kläger diesem Vermerk keine Bedeutung bei. Zu dieser Zeit lag der Einzelgenehmigungsbescheid bei dem Kreditinstitut G, wo der Beklagte für diesen Wagen noch einen Kredit offen hatte. Am 19. 8. 1968 gingen beide Streitteile zu dieser Firma, wo auch der Kläger einen Kredit über S 10.000.- beantragte. Hiebei sah er den Einzelgenehmigungsbescheid nicht ein. Die Anmeldung des Wagens bei der Polizei erfolgte nicht durch den Kläger, sondern durch einen Vertreter des Beklagten. Nach Rückzahlung des Kredites erhielt der Kläger am 4. 8. 1969 den Einzelgenehmigungsbescheid ausgefolgt.
Auf Grund dieses Sachverhaltes erachtete der Erstrichter den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Vergütung nach § 872 ABGB für nicht gegeben. Eine Vertragsaufhebung sei wegen des Unterganges des Kaufgegenstandes unmöglich. Wenn auch bei Vorliegen eines wesentlichen Irrtums dem Kläger das Wahlrecht zustehe, ob er den Vertrag aufheben oder ob er den wesentlichen Irrtum als unwesentlich deklarieren und eine entsprechende Vergütung verlangen wolle, habe es der Kläger gegenständlich unterlassen, diesen wesentlichen Irrtum als unwesentlich hinzustellen. Er bestehe vielmehr darauf, daß es sich um einen wesentlichen Irrtum handelte, daher könne er keine Vergütung verlangen.
Das Berufungsgericht erachtete, daß dem Kläger ein Anspruch auf angemessene Vergütung zustehe. Aus der vom Erstrichter getroffenen Feststellung, daß der Beklagte dem Kläger kurz vor Abschluß des Kaufvertrages über dessen Frage mitteilte, das Fahrzeug habe das Baujahr 1965, worauf er in dem schriftlichen Vertrag unter der Rubrik "Baujahr" den Vermerk "erstmalige Zulassung 1965" eintrug, und aus der weiteren Feststellung, daß der Kläger damals annahm, das Baujahr sei mit dem Jahre der erstmaligen Zulassung ident, könne nur der rechtliche Schluß gezogen werden, daß der Kläger bei Kaufabschluß irrtümlich der Meinung war, das gekaufte Fahrzeug stamme aus dem Baujahr 1965, und daß dieser Irrtum vom Beklagten iS des § 871 ABGB veranlaßt wurde. Daß es sich dabei um einen wesentlichen Irrtum handelte, sei vom Erstrichter zutreffend erkannt worden. In diesem Falle könne aber nicht nur neben, sondern auch statt der Aufhebung des Vertrages eine angemessene Vergütung durch den irrenden Vertragsteil gefordert werden. Es schade dem Kläger nicht, daß er in der Klage seinen Irrtum als wesentlichen bezeichnete und ihn nicht ausdrücklich als unwesentlich oder nebensächlich hinstellte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zu prüfen war die Frage, ob der Kläger, der den Umstand, daß das Fahrzeug aus dem Baujahr 1963 und nicht aus dem Baujahr 1965 stammte, als wesentlichen Mangel bezeichnete, dessenungeachtet statt Aufhebung des Vertrages iS des § 871 ABGB eine angemessene Vergütung nach § 872 ABGB begehren kann.
Diese Frage wurde sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Während ein Teil der Lehre die Ansicht vertritt, daß auch bei wesentlichem Irrtum statt der Aufhebung des Vertrages angemessene Vergütung gefordert werden kann (Ehrenzweig[2] System I/1, 235, Anm 38; Swoboda, Das Recht der Schuldverhältnisse[2], 46 f; Michlmayr, Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen, JBl 1956, 139), gestand der Oberste Gerichtshof - ebenso wie andere Rechtslehrer (zB Pfersche,
Die Irrtumslehre des österreichischen Privatrechtes, 174, Pisko in Klang[1] II/2, 141) - zunächst dieses Wahlrecht nicht zu. Er begrundete dies damit, daß § 872 ABGB schon seinem Wortlaut nach nur auf die Fälle des Irrtums über einen Nebenumstand anwendbar sei, und in anderen Fällen nicht herangezogen werden könne (RZ 1934, 155; SZ 18/99). In der jüngeren Judikatur folgte jedoch der Oberste Gerichtshof der Meinung Ehrenzweigs und Swobodas, Ehrenzweig vertritt die Ansicht, es stehe dem Irregeführten frei, seinen Irrtum als nebensächlichen hinzustellen. Swoboda wiederum lehrt, daß das Gesetz dem Irrenden zu Hilfe komme, ihn aber nicht zwingen wolle, gegen seinen Willen den Vertrag zu zerschlagen. Die Bestimmung sei zu seinem Gunsten getroffen worden, sie dürfe also ihrem Zweck nach nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden; auch argumento a maiori ad minus sei demjenigen, dem ein wesentlicher Irrtum unterlaufen sei, die Befugnisse zuzubilligen, statt der Ungültigerklärung des Vertrages nur eine angemessene Vergütung zu verlangen.
Freilich ist die hier besonders bedeutsame Entscheidung SZ 26/71 nicht unwidersprochen geblieben. Gschnitzer, der - Pisko folgend - sowohl in Klang[2] IV/1, 143 als auch in seinem Lehrbuch, Allgemeiner Teil, 184 bei wesentlichem Irrtum ein Wahlrecht des Irrenden zwischen der Bestimmung des § 871 ABGB und der des § 872 ABGB ablehnt, kritisierte diese Entscheidung in JBl 1953, 543. Er trat insbesondere der Ansicht Swobodas mit dem Einwand entgegen, daß dabei die Hilfe für den Irrenden auf Kosten des Partners gehe, dem der Schutz des Gesetzes nicht minder zuteil werden müsse. Seien beide Teile für die Aufrechterhaltung des Vertrages in veränderter Gestalt, so stehe ihnen dies frei, es sei jedoch unrichtig, die Umgestaltung als das minus mit der Aufhebung als maius zu vergleichen; es sei ein aliud und ein nicht minder tiefer, ja sogar der tiefere Eingriff in den Parteiwillen.
Trotz dieser Kritik ist der Oberste Gerichtshof, wenn auch gelegentlich unter gewissen Einschränkungen, bei seiner in jüngerer Zeit vertretenen Auffassung geblieben. Erwähnt seien hier die Entscheidungen 1 Ob 576/53, 1 Ob 621/56 und HS 2262/136. Auch die Entscheidung SZ 37/143 folgt der oben wiedergegebenen Lehrmeinung Ehrenzweigs, während die Entscheidung MietSlg 23.072 ausspricht, daß die gegen die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes von Gschnitzer und Koziol erhobenen Einwendungen - auf die Lehre Koziols wird noch zurückzukommen sein - dann jedenfalls nicht zum Tragen kämen, wenn - wie in dem dort zur Entscheidung gestandenen Fall - der Beklagte den wahren Sachverhalt gekannt und dennoch dem Kläger in der Vertragsklausel etwas anderes zugesichert habe. Hervorzuheben ist noch die Entscheidung 5 Ob 10/62, in der der Oberste Gerichtshof unter Bedachtnahme auf die gegenteilige Lehre Gschnitzers und dessen oben erwähnte Kritik daran festgehalten hat, daß bei wesentlichem Irrtum eines der Vertragspartner wahlweise neben dem Anfechtungsanspruch angemessene Vergütung begehrt werden kann.
Zu diesem Fragenkomplex hat schließlich unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidung SZ 37/143 auch Koziol eingehend Stellung genommen ("Zur Anwendbarkeit des § 872 ABGB bei wesentlichem Irrtum", JBl 1967, 64). Er trat im allgemeinen der Ansicht Gschnitzers bei, erachtete aber - etwa iS der Entscheidung 5 Ob 10/62 - den Anspruch auf angemessene Vergütung dann für gerechtfertigt, wenn der wesentliche Irrtum einen Vertragspunkt betrifft, der zwar auf Seite des Irrenden für den Abschluß des Vertrages ausschlaggebend war, nicht hingegen für seinen Vertragspartner; so etwa wenn der Irrende einen Umstand, der - objektiv gesehen - unwesentlich ist und für den Vertragspartner auch keine wesentliche Rolle spielte, seinerseits als für den Vertragsabschluß wesentlichen Umstand angesehen hat. In solchen Fällen sei es - wie Koziol weiter ausführte - möglich, daß der Irrende den nur für ihn zunächst wesentlichen Umstand nachträglich als einen für das Zustandekommen des Vertrages unwesentlichen Umstand hinstellt und nur Vergütung verlangt.
Diese Ausführungen bestärken den Obersten Gerichtshof darin, daß es jedenfalls richtig ist, beim wesentlichen Irrtum nur eines der Vertragspartner diesem den Anspruch auf angemessene Vergütung einzuräumen. In die Parteiautonomie des anderen Vertragspartners wird damit nicht eingegriffen, weil dieser selbst eine Vertragsaufhebung gar nicht verlangen könnte. Unterlag er selbst einem unwesentlichen Irrtum, kann er sich nicht beschwert erachten, wenn der Fall so behandelt wird, als wäre auf beiden Seiten ein unwesentlicher Irrtum unterlaufen. Die Vertragskorrektur iS des § 872 ABGB ist überall dort geboten, wo die Auswirkungen des seinerzeit unterlaufenen Irrtums abgegrenzt und - diese Einschränkung erachtet der Oberste Gerichtshof für geboten - ohne Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Partners eliminiert werden können (vgl Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 183).
Der Irrtum über das Baujahr des Kraftfahrzeuges wird von der Judikatur als wesentlich gewertet (SZ 39/131). Ob dies - objektiv gesehen - schlechthin ausnahmslos zu gelten hat, mag immerhin fraglich sein, wie der vorliegende Fall zeigt, ist doch der Wagen tatsächlich 1965 erstmals zum Verkehr zugelassen worden, war daher bis dorthin praktisch ein fabriksneues Fahrzeug. Auf jeden Fall war es aber nach den Verfahrensergebnissen nur für den Kläger ein wesentlicher Umstand, daß der Wagen aus dem Baujahr 1965 stammte, nicht aber für den Beklagten, für den es ja nur darauf ankam, ihn zu verkaufen. Daß er dabei (unbedingt) einen nicht dem wahren Wert desselben entsprechenden Überpreis hätte erzielen wollen und ihm ansonsten überhaupt nicht verkauft hätte, ist nicht behauptet worden und kann ja nicht unterstellt werden. Wenn nun der Kläger diesen nur für ihn zunächst wesentlichen Umstand nachträglich - hier durch das Klagebegehren deutlich zum Ausdruck gebracht - als einen für das Zustandekommen des Vertrages unwesentlichen Umstand behandelt - werden die Interessen des Beklagten dadurch nicht unbillig beeinträchtigt; auf die Problematik, die sich unter dem Gesichtspunkt einer Vertragsaufhebung infolge der Totalbeschädigung des Wagens ergibt, braucht daher nicht eingegangen zu werden.
Anmerkung
Z45038Schlagworte
Angemessene Vergütung, wesentlicher Irrtum, Irrtum, Anspruch auf angemessene Vergütung, Irrtum, wesentlicher -, Wesentlicher Irrtum, angewiesene VergütungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1972:0010OB00034.72.0405.000Dokumentnummer
JJT_19720405_OGH0002_0010OB00034_7200000_000