TE OGH 1972/6/15 2Ob197/71

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Veröffentlicht am 15.06.1972
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Norm

ABGB §1310

Kopf

SZ 45/69

Spruch

Der Anspruch aus einer freiwilligen Haftpflichtversicherung stellt ein Vermögen iS des § 1310 ABGB dar, ist bei den Billigkeitserwägungen iS dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigen, schließt aber einen nur teilweisen Ersatz nicht aus

OGH 15. 6. 1972, 2 Ob 197/71 (KG Wels R 119/71; BG Vöcklabruck 2 C 1581/70)

Text

Am 19. 2. 1970 geriet der Kläger mit seinem PKW bei dem Versuch, dem hinter einem geparkten Fahrzeug hervorkommenden Beklagten auszuweichen, ins Schleudern und stieß mit einem abgestellten Fahrzeug zusammen. Hiedurch entstand dem Kläger ein Schaden von S 7475 - (Reparatur- und Mietwagenkosten, Wertminderung, Wechselspesen).

Der Kläger behauptete Alleinverschulden des Beklagten und begehrte von ihm Zahlung von S 8660.60 sA. Eine Einschränkung des Klagebegehrens unterblieb trotz Außerstreitstellung der Schadenshöhe.

Der Beklagte wendete Eigenverschulden des Klägers ein und beantragte, die Klage abzuweisen.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von S 5606.25 sA. Das Mehrbegehren von S 3054.35 sA wurde abgewiesen.

Die Berufung des Klägers, mit der dieser die Zuerkennung weiterer S 1868.75 erreichen wollte, blieb ohne Erfolg. Hingegen gab das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt nur S 3737.50 sA zusprach und das Mehrbegehren von S 4923.10 sA abwies.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Festgestellt ist folgendes:

Der Kläger fuhr am 19. 2. 1970 vor 8 Uhr mit seinem 1.30 m breiten PKW in V auf der geraden und übersichtlichen M-gasse in der durch die Einbahnregelung vorgeschriebenen Fahrtrichtung mit 25 bis 35 km/h zur H-gasse. Die M-gasse ist 3.20 m breit. Beim Haus Nr 7 verbreitert sie sich auf der linken Seite um zirka 6 m. Zur Unfallszeit lag auf der Fahrbahn eine durchgehende, harte Schneedecke. Auf der Verbreiterung stand - in der zulässigen Fahrtrichtung - der Kastenwagen Marke Fiat des Vaters des Beklagten. Dieses Fahrzeug war vom rechten Fahrbahnrand 4.20 bis 4.40 m entfernt. Am rechten Fahrbahnrand war etwa auf gleicher Höhe ein PKW Steyr 500 abgestellt. Die Durchfahrt zwischen den beiden Fahrzeugen war 2.80 bis 3 m breit. Der Seitenabstand des PKW des Klägers von diesen abgestellten Fahrzeugen konnte nicht festgestellt werden. Als er fast auf Höhe des Kastenwagens war, sah der Kläger plötzlich den am 22. 7. 1961 geborenen und etwa 1.40 m großen Beklagten vor der Frontseite des Kastenwagens herauslaufen. Er konnte den Beklagten erst wahrnehmen, als dieser neben dem Kastenwagen war. Da er befürchtete, den Beklagten zu überfahren, bremste der Kläger sofort und lenkte nach rechts. Sein Fahrzeug geriet ins Schleudern und stieß gegen einen geparkten PKW. Der Beklagte ist seit Geburt hörbehindert und besucht deshalb erst die erste Klasse der Volksschule. Er ist aber geistig völlig normal und war zur Unfallszeit bereits verkehrstüchtig. Der Beklagte konnte allein zur Schule gehen und durfte auch allein in der Stadt herumgehen. Zugunsten des Beklagten besteht eine Haftpflichtversicherung.

Das Erstgericht bejahte die Haftung des Beklagten nach den Bestimmungen aller drei Fälle des § 1310 ABGB und billigte dem Kläger den Ersatz von 3/4 seines Schadens zu.

Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß § 1310 ABGB als ein einheitlicher zivilrechtlicher Tatbestand aufgefaßt werden müsse und daher grundsätzlich alle Merkmale klarzustellen seien, wenn sich eine Partei im Ergebnis auf diese Bestimmung berufen. Auf Grund der "Gesamtbeurteilung" erachtete das Berufungsgericht eine Schadensteilung von 1:1 als angemessen. Es berücksichtigte dabei vor allem das Alter und den Grad der Einsicht des Beklagten, sein geringes Verschulden und den Umstand, daß ein sehr vorsichtiger Fahrer unter den gegebenen Umständen seine Geschwindigkeit schon bei Annäherung an die spätere Unfallsstelle herabgesetzt hätte. Das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zugunsten des Beklagten berücksichtigte das Berufungsgericht nur als "Teilmoment" im Rahmen der Gesamtbeurteilung nach § 1310 ABGB.

Mit dem Vorbringen, daß das Berufungsgericht die beiderseitigen Vermögensverhältnisse hätte erheben müssen, macht die Revision keinen Verfahrensmangel sondern Feststellungsmängel geltend, die, wenn sie vorlägen, dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO zu unterstellen wären.

In der Rechtsrüge wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß dem Kläger durch den Bestand einer Haftpflichtversicherung zugunsten des Beklagten kein besonderer Anspruch eingeräumt werde. Die Deckungssumme aus der Haftpflichtversicherung stelle ein zweckgebundenes, ausschließlich der Befriedigung von Schadenersatzansprüchen gegen den Beklagten dienendes Vermögen dar. Der § 1310 ABGB sehe in erster Linie den Ersatz des gesamten Schadens vor. Erst der "letzte Satz" könne "als subsidiär heranzuziehende Schutznorm gegen Härten" verstanden werden, die nach Billigkeitsgrundsätzen zu handhaben sei.

Dieses Vorbringen ist nicht stichhältig. Nach ständiger Rechtsprechung muß das Gericht gegen einen minderjährigen Schädiger, auch wenn diesem ein Verschulden anzulasten ist, nicht mit der ganzen Strenge der §§ 1295 ff ABGB vorgehen; vielmehr ist es in jedem der im § 1310 ABGB angeführten Ausnahmsfälle dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen, das unter Umständen den ganzen Betrag erreichen kann, ihn aber nicht erreichen muß. In allen Fällen kann er Richter mit Rücksicht auf die Umstände auch bloß auf Teilersatz erkennen (EFSlg 4969, 10.145). Im vorliegenden Falle haben die Untergerichte die Haftung des Beklagten schon nach dem ersten Fall des § 1310 ABGB bejaht. Es kommt daher wie sich aus dem Worte "endlich" im § 1310 ABGB ergibt, die subsidiäre Haftung des Beklagten nach § 1310 dritter Fall ABGB nicht in Betracht (Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 180, EFSlg 13.683). Eine Erörterung darüber, ob die Vermögensverhältnisse des Beschädigers zur Zeit der Urteilsfällung (so Ehrenzweig, System[2] II/1 679 f) von Belang sind, kann daher entfallen. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung allein die Gewährung eines Ersatzanspruches nach § 1310 ABGB nicht gerechtfertigt (vgl auch Staudinger, Kommentar zum BGB[10/11] zu § 829, Bem 49). Der Anspruch des Beklagten aus einer Haftpflichtversicherung stellt wohl ein Vermögen iS des § 1310 ABGB dar und ist daher bei den Billigkeitserwägungen iS dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigen (JBl 1969, 503 ff; JBl 1971, 366), schließt aber einen nur teilweisen Ersatz nicht aus. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß das Verschulden des beim Unfall erst 8jährigen Beklagten unter den gegebenen Verhältnissen verhältnismäßig gering zu werten ist, sodaß im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Bestimmung des § 1310 ABGB die Kürzung des Schadens um die Hälfte frei von Rechtsirrtum ist.

Der Revision mußte daher der Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

Z45069

Schlagworte

Billigkeit, Haftpflichtversicherung als Vermögen nach § 1310 ABGB, Billigkeit, minderjähriger Schädiger, Freiwillige Haftpflichtversicherung, Vermögen iS des § 1310 ABGB, Haftpflichtversicherung, Vermögen iS des § 1310 ABGB, Minderjähriger, Haftpflichtversicherung als Vermögen iS des § 1310 ABGB, Minderjähriger Schädiger, Haftpflichtversicherung als Vermögen, Versicherungssumme, Vermögen iS des § 1310 ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1972:0020OB00197.71.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19720615_OGH0002_0020OB00197_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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