TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/12 2004/01/0290

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2005
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG 1991 §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der SM in F, vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 27, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. März 2004, Zl. 225.050/5-IV/11/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, stammt aus dem Kosovo (Prizren), gehört der serbischen Volksgruppe an und reiste gemäß ihren Angaben am 27. Juli 2001 in das Bundesgebiet ein. Ihren in der Folge gestellten Asylantrag begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie den Kosovo im Juni 1999 aus Furcht vor den Albanern verlassen habe. Dabei sei sie von ihren Eltern getrennt worden, weshalb sie sich mit einem Nachbarn nach Budva, Montenegro, begeben habe. Dort habe sie bei einer alten Frau wohnen können und eine Arbeit als Kellnerin gefunden. Probleme mit dem Arbeitgeber und der Umstand, dass sie keine andere Arbeit gefunden habe, hätten sie schließlich 2001 bewogen, ihre Heimat zu verlassen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. März 2004 wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.). Außerdem stellte die belangte Behörde gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Serbien und Montenegro mit Ausnahme des Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Diesem Bescheid legte die belangte Behörde das oben wiedergegebene Vorbringen der Beschwerdeführerin - dahingehend ergänzt, dass sie über den Aufenthalt ihrer Familienangehörigen nicht Bescheid wisse - zugrunde. Außerdem traf die belangte Behörde Feststellungen zur "wirtschaftlichen Lage Serbiens und Montenegros", wobei sie u.a. ausführte, dass "das Instrument der Sozialhilfe" bestehe und dass noch zahlreiche Lager/Zentren bestünden, in denen Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und Mazedonien sowie Vertriebene aus dem Kosovo untergebracht seien. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass sich die Beschwerdeführerin zwei Jahre in Montenegro niedergelassen habe, wobei es ihr möglich gewesen sei, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Da kein Anhaltspunkt bestehe, dass sie dort aus asylrelevanten Gründen irgendeine Verfolgung zu gewärtigen gehabt habe bzw. dass ihr im Falle einer Rückkehr eine derartige Verfolgung drohe, sei ihr kein Asyl zu gewähren. Angesichts der besagten Umstände komme auch eine "Schutzgewährung im Sinne des § 57 FrG" nicht in Betracht; auf Grund der prekären Situation der serbischen Minderheit im Kosovo sei jedoch im Ausspruch nach § 8 AsylG der Kosovo auszunehmen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Feststellungen der belangten Behörde zur wirtschaftlichen Lage in Serbien und Montenegro gründen sich ausdrücklich auf den Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003. Die dort enthaltenen Ausführungen zur "wirtschaftlichen Lage" werden im bekämpften Bescheid auszugsweise wörtlich übernommen. Im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Passagen bleiben indes ausgeklammert, wie etwa die Einschätzung, dass die Sozialhilfe oft nur unregelmäßig ausgezahlt werde und dass - dies im Zusammenhang mit den Ausführungen zu Lagern/Zentren, in denen ua. Vertriebene aus dem Kosovo untergebracht seien - lokale Behörden über die Aufnahme in diese Lager entscheiden und dass Rückkehrer aus Deutschland in der Regel in diese Lager nicht aufgenommen würden.

Dass diese Aspekte vor dem Hintergrund der Frage, welche Situation die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Serbien und Montenegro (ohne den Kosovo) vorfinden würde, von Bedeutung sind, versteht sich von selbst. Die belangte Behörde bleibt hingegen jegliche Begründung schuldig, warum die entsprechenden Berichtsteile nicht ebenfalls - gleich den übrigen Ausführungen des Auswärtigen Amtes zur "wirtschaftlichen Lage" - zugrunde zu legen waren.

Davon abgesehen hätte sich die belangte Behörde insgesamt detaillierter mit der spezifischen Lage der Beschwerdeführerin auseinander setzen müssen. Diese Lage ist dadurch gekennzeichnet, dass sie festgestelltermaßen über keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen verfügt und mithin als allein stehende Frau, die aus dem Kosovo flüchten musste und daher als "intern Vertriebene" gilt, zu betrachten ist. Diese spezifische Situation hat die belangte Behörde nicht ausreichend in den Blick genommen. Das zeigt die Beschwerde im Ergebnis zutreffend auf, wenn sie auf das "Update zur sozialen und medizinischen Lage der intern Vertriebenen" in Serbien und Montenegro der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 1. März 2004 verweist, in dem unter anderem "Haushalte von allein stehenden Frauen" als "besonders verletzlich" bezeichnet werden und in dem generell ausgeführt wird, dass UNHCR unverändert der Auffassung sei, dass die Umstände, unter denen Binnenvertriebene aus dem Kosovo in Serbien und Montenegro leben müssten, keine angemessene und zumutbare Alternative zum internationalen Schutz bieten würden (Seiten 5 bzw. 18). Davon ausgehend kann auch an der Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels kein Zweifel bestehen, der sich aus den im hg. Erkenntnis vom 9. November 2004, Zl. 2003/01/0534, dargelegten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, nicht nur auf den Ausspruch nach § 8 AsylG, sondern auch auf die Frage der Asylgewährung erstreckt. Dass sich die Beschwerdeführerin - wie von der belangten Behörde betont - zwischen 1999 und 2001 in Montenegro aufgehalten hat und dort ihren Lebensunterhalt sichern konnte, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, weil nicht feststeht, dass sie nunmehr, bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung knapp drei Jahre später, an ihre seinerzeitigen Kontakte anknüpfen könne. Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 12. April 2005

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004010290.X00

Im RIS seit

25.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten