Norm
ABGB §37Kopf
SZ 45/91
Spruch
Die Voraussetzungen der Halterhaftung, der allfällige Ausschluß dieser Haftung im Falle einer "Schwarzfahrt" und auch der Umfang der Haftung sind nach dem Recht des Unfallsortes zu beurteilen
Die Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 6 EKHG kann nicht daraus abgeleitet werden, daß der Tatbestand, an den die inländische Sachnorm den Haftungsausschluß des Halters bzw den Fortbestand seiner Haftung knüpft, im Inlande gesetzt wurde
OGH 5. 9. 1972, 8 Ob 121/72 (LG Klagenfurt 1 R 114/72; BG Klagenfurt 6 C 9/71)
Text
Der Kläger begehrt von der Verlassenschaft nach Josef S den Ersatz
eines Schadens von S 9200.-. Er brachte vor, er sei Eigentümer und
Halter des LKW mit dem italienischen Kennzeichen Go 38... und des
Anhängers Go 1... Die Beklagte sei Halter und Eigentümer des
Kraftfahrzeuges Morris Kombi mit dem Kennzeichen K 8... Am 28. 12.
1967 sei es in V bei Marburg zu einem Verkehrsunfall zwischen den beiden Fahrzeugen gekommen. Das Alleinverschulden an dem Unfall treffe den Lenker des Fahrzeuges der Beklagten, Vekoslav Sv, der trotz Gegenverkehrs überholt und dabei frontal mit dem Fahrzeug des Klägers zusammengestoßen sei. Die Beklagte hafte dem Kläger als Halter des von Vekoslav Sv gelenkten Fahrzeuges.
Die beklagte Partei hat das Klagebegehren bestritten und geltend gemacht, Vekoslav Sv sei bei ihr als Elektriker beschäftigt gewesen. Er habe das Fahrzeug im Rahmen dieser Tätigkeit bei der Arbeit verwendet. Am Abend des 27. 12. 1967 habe er zunächst das Fahrzeug in den Betrieb zurückgebracht. Er hätte die Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere abführen müssen, sei aber dieser Verpflichtung nicht - wie sonst - nachgekommen, sondern habe das Fahrzeug gestohlen und sei damit in das Ausland verschwunden.
Außer Streit steht, daß Vekoslav Sv den Verkehrsunfall am 28. 12. 1967 in V allein verschuldete und daß der Schaden des Klägers aus diesem Unfall S 9200.- beträgt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:
Der verstorbene Josef S war im Zeitpunkt des Unfalles Halter des Morris Kombi mit dem Kennzeichen K 8... Er stellte sechs Wochen vor Weihnachten 1967 in seinem Unternehmen, das die Herstellung und Reparatur von Neonröhrenanlagen zum Gegenstand hat, Vekoslav S als Elektriker und Monteur an. Dieser verwendete bei seiner Tätigkeit außerhalb der Werkstätte den Lieferwagen, in dem verschiedene Werkzeuge, Geräte, Kabel und eine Leiter untergebracht waren. Am 27. und 28. 12. 1967 befand sich Josef S mit seiner Gattin auf Urlaub. Während seiner Abwesenheit erledigte Maria R, die eine Vertrauensstellung innehatte, sämtliche das Büro und die Werkstätte betreffenden Geschäfte. Sie hatte auch einen Universalschlüssel für das Haus, die Werkstätte, das Büro und das Gartentor zur Verfügung. Am Morgen des 27. 12. 1967 übergab Maria R dem Sv die Arbeitsaufträge, Fahrzeugpapiere und Fahrzeugschlüssel. Gegen 17.00 Uhr kehrte Sv mit dem Fahrzeug in den Hof des Betriebes der Beklagten zurück. Als er nach einiger Zeit nicht in das Büro kam, begab sich R in den Hof. Sie sah aber weder Sv noch das Fahrzeug. Da das Garagentor geschlossen war, nahm sie an, das Fahrzeug befinde sich in der Garage und Sv sei schon nach Hause gegangen. Als er am folgenden Tage nicht zur Arbeitsstätte erschien, stellte sie fest, daß das Fahrzeug aus der abgeschlossenen Garage fehlte. Sie ist der Meinung, Sv habe das Fahrzeug aus dem Hof geschoben, weil sie sonst das Motorengeräusch hätte hören müssen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Tathandlung des Sv habe das Verbrechen des Diebstahls iS des § 171 ff StG begrundet. Sv habe das Fahrzeug beim Unfall ohne den Willen des Halters benützt und hafte daher nach § 6 Abs 1 1. Satz EKHG an Stelle des Halters. Die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 EKHG seien nicht gegeben, weil Sv nicht zum Betrieb des Kraftfahrzeuges, sondern als Elektriker angestellt und ihm zur Zeit des Unfalles das Fahrzeug auch nicht anvertraut gewesen sei. Die Frage, ob ihm die Benützung des Fahrzeuges durch das Verschulden der Beklagten oder ihrer Bevollmächtigten ermöglicht worden sei, müsse nach österreichischem Rechte gelöst werden, weil ein Verschulden in dieser Richtung nur in Klagenfurt begangen worden sein könne. Ein solches Verschulden sei zu verneinen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes iS der Klage ab. Es führte aus, zur Beurteilung der Schadenersatzansprüche sei jugoslawisches Recht anzuwenden. Hiebei seien die Bestimmungen der §§ 1295 ff ABGB heranzuziehen, die auch in Jugoslawien Geltung hätten. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Schwarzfahrt und ein Haftungsausschluß vorliege, sei jedoch österreichisches Recht anzuwenden, weil jeder der im § 6 Abs 1 und 2 EKHG angeführten Tatbestände nur im Inlande gesetzt worden sei. Sv sei für den Betrieb des Fahrzeuges angestellt gewesen, weil ihm das Fahrzeug zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit überlassen worden sei und er es auch zu diesem Zwecke benötigt habe. Die Halterhaftung der Beklagten sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Fahrt, bei der es zum Unfall gekommen sei, ohne Genehmigung des Halters erfolgt und aus dem Rahmen des Dienstauftrages gefallen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile beider Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Revision ist im Ergebnis gerechtfertigt.
Im Vordergrund steht die Frage des anzuwendenden Rechtes. Sie wird zwar von der Revision nicht releviert. Liegt aber eine dem Gesetz entsprechend ausgeführte Rechtsrüge vor, ist bei der Erledigung der Revision auf alle in Betracht kommenden Rechtsfragen, somit auch auf die Frage des anzuwendenden Rechtes, einzugehen (vgl JBl 1950, 140; RZ 1969, 52 ua). Das Erstgericht setzte sich mit dieser Frage nur in bezug auf ein nach § 6 Abs 1, 2. Satz EKHG zu beurteilendes Verschulden des Halters auseinander und erklärte insoweit die Bestimmungen des § 6 EKHG auf den Rechtsfall für anwendbar. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, daß zur Beurteilung der Schadenersatzansprüche jugoslawisches Recht, zur Beurteilung der Frage aber, ob eine Schwarzfahrt und ein Haftungsausschluß des Halters vorliege, die Bestimmungen des § 6 EKHG anzuwenden seien. Zur Lösung der Frage des anzuwendenden Rechtes ist es notwendig, zwischen Kollisionsnorm und Sachnorm zu unterscheiden. Die Kollisionsnormen des internationalen Privatrechtes beantworten die Frage, ob inländisches oder ausländisches Recht anzuwenden ist. Die Sachnormen sind hingegen jene Rechtsnormen, deren Anwendungsgebiet durch die Kollisionsnorm bestimmt wird (vgl Walker, Verdroß - Droßberg, Satter in Klang[2] I/1, 213; Walker, Internationales Privatrecht 22 ff). Der Kläger nimmt die Beklagte als Eigentümerin und Halterin des am Unfall beteiligten Fahrzeuges in Anspruch. Der geltend gemachte Ersatzanspruch grundet sich daher auf die Haftpflicht für Betriebsgefahren von Kraftfahrzeugen. Nach Lehre und Rechtsprechung ist auch für das österreichische Recht - obwohl es an einer ausdrücklichen Bestimmung fehlt - für Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen das Recht des Begehungsortes maßgebend. Dasselbe gilt für alle Verpflichtungen aus deliktsähnlichen Vorgängen, insbesondere für die Haftpflicht für Betriebsgefahr (vgl Walker, Verdroß - Droßberg, Satter aaO 242 und 243; Walker aaO 543 und 544; SZ 29/45; SZ 35/23; JBl 1960, 553; ZfRV 1969, 140). Das Recht des Tatortes ist grundsätzlich maßgebend für alle Voraussetzungen der Haftung und auch für den Umfang der Ersatzpflicht (vgl Walker aaO 527 und 528). Im vorliegenden Falle sind Voraussetzungen und Wirkungen der Haftpflicht für Betriebsgefahr aus einem Verkehrsunfall zu beurteilen, der sich in Jugoslawien ereignet hat. Die inländische Kollisionsnorm verweist daher auf das jugoslawische Recht. Es liegen auch keine Umstände vor, die nach Auffassung eines Teiles der Lehre im Einzelfalle eine Abkehr von der lex loci delicti commissi im konkreten Falle rechtfertigen könnten (vgl Schwimann, JBl 1960, 556 ff, Selb, ZfRV 1969, 142). Bei den Bestimmungen des § 6 EKHG handelt es sich aber um inländische Sachnormen, die die Betriebshaftpflicht bei einer "Schwarzfahrt" in der Weise regeln, daß grundsätzlich an Stelle der Haftung des Halters die Haftung des "Schwarzfahrers" tritt, daneben aber die Haftung des Halters bestehen bleibt, wenn er dem Schwarzfahrer die Benützung des Fahrzeuges durch sein oder der Personen Verschulden ermöglicht hat, die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätig sind, daß es aber bei der alleinigen Gefährdungshaftung des Halters verbleibt, wenn der Benutzer des Fahrzeuges vom Halter für den Betrieb des Fahrzeuges angestellt oder wenn ihm das Fahrzeug vom Halter überlassen war. Diese Sachnormen des inländischen Rechtes könnten aber nur dann angewendet werden, wenn die Kollisionsnorm auf sie verweist. Das ist hier aber nicht der Fall, weil die Kollisionsnorm an das Recht des Unfallsortes anknüpft und damit auf jugoslawisches Recht verweist. Es geht daher nicht an - wie es die Untergerichte getan haben -, die Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 6 EKHG daraus abzuleiten, daß der Tatbestand, an den die inländische Sachnorm den Haftungsausschluß des Halters bzw den Fortbestand seiner Haftung knüpft, im Inlande gesetzt wurde. Die Voraussetzungen der Halterhaftung, der allfällige Ausschluß dieser Haftung im Falle einer "Schwarzfahrt" und auch der Umfang der Haftung sind vielmehr nach jugoslawischem Recht zu beurteilen.
Das Gericht hat die anzuwendenden ausländischen Rechtsnormen von Amts wegen zu ermitteln (vgl ZfRV 1969, 143 ua). Das Berufungsgericht hat zwar darauf verwiesen, daß die Bestimmungen der §§ 1295 ff ABGB auch in Jugoslawien Geltung hätten. Selbst wenn dies richtig wäre, könnte es nichts zur Lösung des vorliegenden Rechtsfalles beitragen, weil der Ersatzanspruch nicht auf die Verschuldenshaftung, sondern auf die Haftpflicht für Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen gegrundet wird. Nach der in der Entscheidung ZfRV 1970, 59 wiedergegebenen Mitteilung des Staatssekretariats für Auswärtige Angelegenheiten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 11. 9. 1958 werden im einzelnen Regionen, so auf dem Gebiete der Sozialistischen Republik Slowenien, wo sich auch der gegenständliche Unfall ereignet hat, hinsichtlich der Verantwortlichkeit für durch Kraftfahrzeuge verursachte Schäden die einzelnen Rechtsvorschriften des österreichischen Kraftfahrzeuggesetzes vom 9. 8. 1908, RGBl 162, angewendet, wobei nach dieser Mitteilung die Gerichtspraxis in solchen Fragen schwankend ist, gewisse Grundsätze, die in diesem Gesetz enthalten sind, als veraltet und überholt gelten und einige Fragen durch positive Vorschriften geregelt wurden. Da diese Mitteilung aus dem Jahre 1958 stammt, ergibt sich die Frage, ob diese Rechtslage nicht inzwischen durch die Rechtsentwicklung allenfalls überholt ist. Im übrigen ist der Wortlaut des Gesetzes allein nicht maßgebend. Das ausländische Recht ist im Inlande so anzuwenden, wie es im betreffenden Auslande angewendet wird, dh so wie es dem herrschenden ausländischen Gerichtsgebrauch entspricht, unter subsidiärer Heranziehung der herrschenden ausländischen Lehre sowie der im betreffenden Auslande geltenden Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze (vgl Schwimann, Die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechtes durch die österreichischen Zivilgerichte, JBl 1968, 127; 2 Ob 17, 18/71). Die Untergerichte haben es unterlassen, die maßgeblichen Normen des jugoslawischen Rechtes nach diesen Gesichtspunkten zu ermitteln. Dies ist ein Verfahrensmangel, der die Aufhebung der Urteile der Untergerichte nach sich zieht (vgl ZfRV 1969, 140; SZ 34/134).
Anmerkung
Z45091Schlagworte
Haftungshöchstsumme, Recht des Unfallortes, Halterhaftung, Recht des Unfallortes, Lex loci delicti commissi, Halterhaftung, Schwarzfahrt, Recht des Unfallsortes, Tatort, Recht des - bei Halterhaftung, Unfallsort, Recht des - bei HalterhaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1972:0080OB00121.72.0905.000Dokumentnummer
JJT_19720905_OGH0002_0080OB00121_7200000_000