TE OGH 1972/9/7 6Ob176/72

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Veröffentlicht am 07.09.1972
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Norm

Ehegesetz §50
Ehegesetz §51
Ehegesetz §52
Ehegesetz §54

Kopf

SZ 45/93

Spruch

Die Bestimmung des § 54 EheG ist viel mehr als eine bloße Härteklausel, als welche sie häufig, jedoch zu eng, gesehen wird. In Wahrheit handelt es sich um einen allgemeinen Vorbehalt, wonach einer auf die §§ 50 bis 52 EheG gestützten Klage nur dann stattgegeben werden kann, wenn das Scheidungsbegehren sittlich gerechtfertigt ist. Der Härtefall ist nichts anderes als ein im Gesetz besonders geregelter Anwendungsfall des allgemeinen Vorbehaltes, wie er im ersten Satz der Gesetzesstelle angeordnet ist

OGH 7. 9. 1972, 6 Ob 176/72 (OLG Wien 5 R 122/72; LGZ Wien 6 Cg 20/69)

Text

Die Parteien haben am 9. 7. 1955 vor dem Standesamt Wien Brigittenau die beiderseits erste Ehe geschlossen, aus welcher das am 23. 10. 1963 geborene Kind Susanne hervorgegangen ist. Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger, der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war Wien.

Ursprünglich begehrte der Kläger Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten gemäß § 49 EheG, doch wurde dieses Hauptbegehren schon im ersten Rechtsgang rechtskräftig abgewiesen. Ein Eventualbegehren, die Ehe aus dem Gründe des § 50 EheG zu scheiden, wurde im zweiten Rechtsgang rechtskräftig abgewiesen. Diese beiden Begehren bedürfen daher keiner Darstellung mehr.

Das vorliegende Rekursverfahren bezieht sich auf ein weiteres Eventualbegehren, die Ehe aus dem Gründe des § 51 EheG zu scheiden.

Diesem Eventualbegehren gab das Erstgericht statt und stellte fest:

Die Ehe der Parteien verlief bis zum Jahre 1967 unauffällig. Im Frühjahr 1967 begann die Beklagte ein verstörtes und gereiztes Wesen an den Tag zu legen. Sie unternahm damals ihren ersten Selbstmordversuch, indem sie in der Wohnung die Gashähne öffnete. Es besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, daß sie etwa den Kläger mit in den Tod nehmen wollte. Im Juni 1967 litt die Beklagte neuerdings unter starken Depressionen und sie unternahm einen zweiten Selbstmordversuch in F, wo die Mutter des Klägers wohnte. Damals stürzte sie sich aus einem Mansardenfenster und wurde daraufhin einige Wochen lang in einer geschlossenen Anstalt angehalten, aus welcher sie gegen einen Revers des Klägers entlassen wurde. Im August 1968 unternahm die Beklagte einen dritten Selbstmordversuch. Sie drehte in der Ehewohnung die Gashähne in der Absicht auf, sich mit Leuchtgas zu vergiften. Im Anschluß an diesen letzten Selbstmordversuch wurde die Beklagte durch etwa drei Monate, also bis November 1968, wieder in einer geschlossenen Anstalt angehalten. Nach ihrer Entlassung kehrte sie zum Kläger zurück, um die Ehe mit ihm fortzusetzen, doch nahm sie der Kläger nicht bei sich auf. Verschiedene Versuche, den Kläger umzustimmen, scheiterten an seiner Ablehnung. Er verwies die Beklagte an ihre Mutter, bei welcher sie wohnte. Seit dem Ableben der Mutter im Juli 1969 lebt die Beklagte allein. Der Kläger konnte sich zur Fortsetzung der Ehegemeinschaft nicht mehr entschließen.

Die Beklagte leidet an rezidivierenden Depressionen. Die bei ihr auftretenden geistigen Störungen sind von dauernder Art, sodaß künftig eine Wiederholung angenommen werden muß. Während der krankhaften Perioden ist vom medizinischen Standpunkt ein aufeinander abgestimmtes Denken, Fühlen und Wollen der Parteien nicht zu erwarten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß die Beklagte an einer Geisteskrankheit leide. Es sei nicht von Bedeutung, daß die Depressionszustände mit Perioden abwechselten, in denen die Beklagte geistig normal sei. Auch sei es unerheblich, ob die Perioden geistiger Störung gegenüber den Perioden der Gesundheit überwiegen bzw ob erstere nur kurzfristig in Erscheinung träten und außerdem bei medikamentöser Behandlung stark abgeschwächt werden könnten und schließlich, ob die Beklagte in den letzten Jahren keine krankhaften Perioden geistiger Störungen durchgemacht habe und dem Kläger das Zusammenleben deshalb zumutbar sei. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel nach § 54 EheG lägen nicht vor.

Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe nach § 51 EheG unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht führte aus: Es könne kein Zweifel daran bestehen, daß die Beklagte geisteskrank sei. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich einwandfrei, daß die Beklagte an rezidivierenden endogenen, dh anlagebedingten, Depressionen leide, die sich im fallweisen auftreten von Perioden depressiver Stimmungslage äußerten, ohne daß damit Störungen des Intellekts verbunden seien. In diesen Krankheitszuständen habe die Beklagte insgesamt dreimal versucht, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, nämlich im Frühjahr 1967, ferner im Juni 1967 und schließlich im August 1968, und sei wegen ihrer Krankheit schon einige Male in einer geschlossenen Anstalt behandelt worden. Im Gutachten des Sachverständigen werde ausdrücklich darauf verwiesen, daß die Krankheitsperioden der Beklagten jeweils einige Wochen bis Monate anhielten, durch zielgerichtete, fachärztliche Behandlung zwar nicht verhindert, aber doch hinsichtlich der Intensität der Symptomatik abgeschwächt werden könnten, sodaß vielfach sogar eine Spitalsbehandlung vermieden werden könne. Selbst dann, wenn sich eine solche als notwendig erweise, könne damit gerechnet werden, daß die jeweilige Periode abklinge und die Beklagte wieder ihre normale psychische Gesundheit erreiche. Abschließend werde im Befund und Gutachten des Sachverständigen noch ausgeführt, daß einerseits während der Krankheitsperioden von der Beklagten ein auf die Gemeinschaft der Ehegatten, also aufeinander abgestimmtes Denken, Fühlen und Wollen, nicht erwartet werden könne, anderseits, daß die Beklagte in der zwischen den einzelnen Krankheitsperioden liegenden Zeit als vollkommen gesund anzusehen sei. Mit Recht wende sich die Berufung gegen die Ansicht des Erstgerichtes, daß die vorgenannten Umstände ohne Bedeutung seien. Bei der Entscheidung darüber, ob eine Ehe gemäß § 51 EheG zu scheiden sei, komme es weder auf die Art der geistigen Störungen noch auf ihren Grund noch darauf an, wie lange die Krankheit bereits bestehe und worauf sie zurückzuführen sei, sondern einzig und allein auf ihre Wirkung auf die geistige Gemeinschaft der Ehegatten. Diese sei dann aufgehoben, wenn der kranke Ehegatte unfähig sei, an dem Lebens- und Gedankenkreis des anderen teilzunehmen. Wechselten daher Perioden, in welchen die Beklagte als unfähig angesehen werden müsse, an dem Lebens- und Gedankenkreis des Klägers teilzunehmen, mit solchen Phasen ab, während welcher ihr diese Fähigkeit nicht abgesprochen werden könne, dann werde eine Aufhebung der geistigen Gemeinschaft dann nicht angenommen werden können, wenn die Krankheitsperioden nur von kurzer Dauer seien und nicht rasch aufeinanderfolgten, sondern immer wieder durch längere Perioden geistiger Gesundheit unterbrochen würden. Die Frage einer Aufhebung der geistigen Gemeinschaft der Ehegatten hänge somit von der Dauer der einzelnen Krankheitszustände und ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge ab, also von der Dauer der Zwischenzeiten, während welcher die Beklagte als gesund angesehen werden müsse und darüber hinaus von dem mutmaßlichen weiteren Verlauf der Krankheit. Solche Krankheitszustände, die durch lichte Zwischenräume durchbrochen würden, müßte aber nicht unbedingt die Aufhebung der geistigen Gemeinschaft der Ehegatten zur Folge haben. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes seien daher gerade die von diesem als unerheblich angesehenen Umstände für die rechtliche Beurteilung des noch vorliegenden Scheidungsbegehrens von ausschlaggebender Bedeutung. Das Erstgericht habe sich, von seiner gegenteiligen Auffassung ausgehend, mit dem Vorbringen der Beklagten nicht näher befaßt und keine Feststellungen getroffen. Sei aber noch nicht klargestellt, ob die bei der Beklagten bestehende Krankheit den Tatbestand des § 51 EheG erfülle, dann erübrige sich die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel iS des § 54 EheG vorlägen oder nicht. Es sei lediglich bemerkt, daß bei der Beurteilung, ob die Scheidung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffe, auch das gesamte Verhalten beider Eheleute in seinen Wechselwirkungen zueinander zu berücksichtigen sei. Auch darüber würden Feststellungen zu treffen sein.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht noch nicht für genügend klargestellt beurteilt, so kann der Oberste Gerichtshof dem nicht entgegentreten, falls das Berufungsgericht bei Erteilung der Aufträge an das Erstgericht - wie hier - von einer richtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ausgegangen ist.

Festgestellt ist eine Geisteskrankheit der Beklagten. Doch rechtfertigt dieser Umstand die Scheidung der Ehe nach § 51 EheG erst dann, wenn die Krankheit einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist und eine Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht erwartet werden kann. Entgegen der Meinung des Klägers erfordert dieser Tatbestand sehr wohl eine Prognose für die Zukunft. Im Sinne der diesbezüglich zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes sind tatsächlich lichte Zwischenräume geistiger Gesundheit, deren Häufigkeit der Krankheit für die Aufhebung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten, aber auch für die Frage der tatsächlich eingetretenen Aufhebung der geistigen Gemeinschaft von Bedeutung. Dem Berufungsgericht kann kein Rechtsirrtum vorgeworfen werden, wenn es unter Ablehnung der gegenteiligen Auffassung des Erstgerichtes nähere Feststellungen in diesen Richtungen aufgetragen hat.

Den in Rede stehenden Beweisthemen kommt aber noch eine weitere zusätzliche rechtliche Bedeutung zu, nämlich im Hinblick auf den Vorbehalt des § 54 EheG. Die Bestimmung des § 54 EheG ist viel mehr als eine bloße Härteklausel, als welche sie häufig, jedoch zu eng, gesehen wird. In Wahrheit handelt es sich um einen allgemeinen Vorbehalt, wonach einer auf die §§ 50 bis 52 EheG gestützten Klage nur dann stattgegeben werden darf, wenn das Scheidungsbegehren sittlich gerechtfertigt ist. Der in Satz 2 des § 54 EheG ausgesprochene Grundsatz ist nur eine Ergänzung und Erläuterung des ersten Satzes der Gesetzesstelle und besagt, daß bei außergewöhnlicher Härte für die Beklagte die Scheidung in der Regel sittlich nicht gerechtfertigt ist (Hoffmann - Stephan[2] 526). Unter dem Gesichtspunkt der sittlichen Rechtfertigung eines Scheidungsbegehrens kann aber auch die Frage von rechtlicher Bedeutung sein, ob dem gesunden Ehegatten der Weiterbestand der Ehe mit dem kranken Ehegatten zumutbar ist. In diesem Zusammenhang kann es nicht außer Betracht gelassen werden, ob die Beklagte nur innerhalb einzelner Perioden durch ihre Geisteskrankheit gehindert ist, an dem Lebens- und Gedankenkreis des Klägers teilzunehmen, während sie zu anderen Zeiten diese Fähigkeit durchaus besitzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind daher die vom Berufungsgericht als notwendig beurteilten weiteren Feststellungen zur erschöpfenden rechtlichen Beurteilung der Sache unerläßlich.

Anmerkung

Z45093

Schlagworte

Allgemeiner Vorbehalt, Ehescheidung, Ehescheidung, Geisteskrankheit, Ehescheidung, Härteklausel, Ehescheidung, sittliche Rechtfertigung, Geisteskrankheit, Ehescheidung, Härteklausel, Ehescheidung, Sittliche Rechtfertigung, Ehescheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1972:0060OB00176.72.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19720907_OGH0002_0060OB00176_7200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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