Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sobalik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Thoma und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois S*****, vertreten durch Dr. Franz Huber, Rechtsanwalt in Traun, wider die beklagte Partei Marcel René H*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Kos, Rechtsanwalt in Linz, wegen Schadenersatzes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. Februar 1973, GZ 3 R 81/72-20, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 9. Oktober 1972, GZ 6 Cg 230/71-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.053,12 S (darin die Barauslagen von 120 S und die Umsatzsteuer von 69,12 S) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes unter Anrechnung eines Eigenverschuldens im Ausmaße von 1/4 die Bezahlung eines Betrages von 15.172,50 S sA, wobei er seinem Anspruch einen Sachschaden von 230 S und Schmerzengeld von 20.000 S zugrundelegt. Nach Zahlung von 1.307,50 S schränkte er das Klagebegehren um diesen Betrag auf 13.865 S sA ein.
Der Beklagte wendete ein, dass den Kläger das überwiegende Verschulden und zwar zu 3/4, am Unfall treffe, weil er das Gefahrenzeichen „Baustelle" und die Absperrung übersehen und überdies kurz vor dem Unfall nach rückwärts geblickt habe. Der Beklagte erachtete ein Schmerzengeld von lediglich 5.000 S in erster Instanz für angemessen, anerkannte demgemäß das Klagebegehren nur hinsichtlich eines Betrages von 1.307,50 S und verlangte im weiteren Umfange dessen Abweisung.
Das Erstgericht entschied auf der Grundlage einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 und hielt das begehrte Schmerzengeld der Höhe nach für angemessen. Es sprach daher dem Kläger den Betrag von 8.807,50 S zu, wies das Mehrbegehren ab und verfällte den Beklagten in den Ersatz von Prozesskosten in der Höhe von 3.030,48 S. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Teile teilweise Folge.
Es erachtete eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zugunsten des Klägers und ein Schmerzengeld der Höhe nach im Betrage von 15.000 S für gerechtfertigt. Es änderte daher das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es der klagenden Partei den Betrag von 8.845,82 S samt 4 % Zinsen seit 16. 5. 1971 sowie an Prozesskosten den Betrag von S 7.152,80 zusprach, das Mehrbegehren von S 5.019,18 samt 4 % Zinsen seit 16. 5. 1971 jedoch abwies. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben. Die zweite Instanz legte ihrer
Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte war im Juli 1970 als Bauleiter der Firma Ing. Erich H***** bei der Errichtung einer Tankstelle in Neubau bei Hörsching tätig. Im Zuge dieser Bauarbeiten wurde zum Teil auch die Fahrbahn der Bundesstraße Nr. 1 in Anspruch genommen. Die Baustelle war durch rund 1 m hohe, 50 cm vom Fahrbahnrand entfernt in Abständen von 5 - 8 m in die Fahrbahn getriebene Eisenstangen abgesichert. Die Eisenstäbe waren mit am oberen Ende befestigten Schnüren verbunden, an denen rot-weiße, nicht reflektierende Plastikplättchen hingen. 30 bis 40 m vor der Baustelle war am Fahrbahnrand das Gefahrenzeichen „Baustelle" angebracht. Der Beklagte unterließ es am 24. 7. 1970, auch für eine Beleuchtung der Baustelle zu sorgen. An diesem Tage gegen 02.00 Uhr früh fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h und Abblendlicht mit seinem Moped durch Neubau. Wenige Meter vor der Baustelle blickte er nach rechts rückwärts, da er sich überzeugen wollte, ob in dem rechts der Straße gelegenen Wirtshaus P***** noch Licht brenne. In dem Augenblick, als er seine Aufmerksamkeit wieder der Fahrbahn vor sich zuwendete, stieß er gegen eine Eisenstange der Baustellenbegrenzung und kam dadurch zum Sturz. Das Gefahrenzeichen „Baustelle" sowie die mit den rot-weißen Plastikplättchen versehene Absperrlinie hatte er nicht wahrgenommen. Zur Unfallszeit war es im Bereiche der Unfallstelle dunkel, in unmittelbarer Nähe befand sich keine Straßenbeleuchtung.
Wegen dieses Unfalles wurde der Beklagte mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 13. 5. 1971, GZ 3 U 1018/70-29, der Übertretung nach § 335 StG schuldig erkannt. Es wurde ihm vom Strafgericht als Verschulden zur Last gelegt, dass er bei der Absicherung der Baustelle die Anordnung der Beleuchtung unterlassen habe.
Bei dem Unfall erlitt der Kläger einen Bruch des linken Schlüsselbeines. Er bekam einen Achter- bzw Tornisterverband, der mehrmals nachgezogen werden musste und den er bis 9. 9. 1970 zu tragen hatte. Bis dahin befand er sich in ambulanter Krankenhausbehandlung und im Krankenstand. Der Schlüsselbeinbruch heilte gut ab und verursacht lediglich bei längerem Tragen und Heben noch gelegentliche Restbeschwerden. Das Schlüsselbein ist um 1/2 cm verkürzt. Der Kläger hatte einen Tag starke, eine Woche mittelstarke und einschließlich der Restbeschwerden fünf bis sechs Wochen leichte Schmerzen zu erdulden. Das Tragen des Achterverbandes bewirkte eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit und wurde unangenehm empfunden. Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes erwog das Berufungsgericht hinsichtlich des Verschuldens der beiden Parteien am Unfall, dass das Verhalten des Beklagten einen schwerwiegenden Verstoß gegen die StVO darstelle und auch unfallsauslösend gewesen sei, während dem Kläger bloß ein wenn auch ins Gewicht fallender Aufmerksamkeitsfehler anzulasten sei. Das Verschulden des Beklagten sei gemäß § 268 ZPO für das Zivilgericht bindend festgestellt, die 50 cm in die Fahrbahn hineinragende, nicht beleuchtete Absperrung hätte zur Nachtzeit eine eminente Gefahr für den Straßenverkehr, insbesondere für die Lenker einspuriger Fahrzeuge, die möglichst nahe am Straßenrande zu fahren haben, dargestellt. Demgegenüber trete das Verschulden des Klägers, der trotz der für ihn bestehenden Möglichkeit des rechtzeitigen Erkennens des Verkehrshindernisses an dieses anfuhr und somit die im Straßenverkehr erforderliche Vorsicht und Aufmerksamkeit außer Acht gelassen habe, zurück. Das Übersehen des 30 bis 40 m vor der Unfallstelle am Fahrbahnrand befindlichen Gefahrenzeichens „Baustelle" dürfe nicht überbewertet werden, weil es nur Arbeiten auf oder neben der Straße anzeige, die ohne Beleuchtung bei Nacht üblicherweise nicht vorgenommen werden. Die durch die Arbeiten hervorgerufenen Verkehrshindernisse seien aber auf andere Weise abzusichern. Es könne dem Kläger zusätzlich zu der ihm zur Last fallenden Unaufmerksamkeit nicht im Besonderen noch der Umstand zur Last gelegt werden, dass er wenige Meter vor der Baustelle nach rechts rückwärts blickte, weil auch dies offensichtlich nur Mitursache für das Übersehen der Absperrung gewesen sei. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von der beklagten Partei fristgerecht mit Revision hinsichtlich eines Betrages von 6.076,66 S samt 4 % Zinsen seit 16. 5. 1971 angefochten. Der Beklagte macht Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung als Revisionsgründe geltend und beantragt Abänderung der berufungsgerichtlichen Entscheidung dahin, dass dem Kläger lediglich ein Betrag von 2.769,16 S samt 4 % Zinsen seit 16. 5. 1971 zugesprochen, das Mehrbegehren hingegen kostenpflichtig abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei, die eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht begründet.
Aktenwidrig soll die im angefochtenen Urteil enthaltene Feststellung sein, dass es der Beklagte am 24. 7. 1970 unterließ, auch für eine Beleuchtung der Baustelle zu sorgen. Demgegenüber sei sowohl im Urteil erster Instanz, als auch im Strafverfahren „lediglich" festgestellt worden, dass der Beklagte „bei der Absicherung einer Baustelle die Anordnung der Beleuchtung unterlassen hatte (S 3 des Ersturteiles)" und „dass er bei der Absicherung einer Baustelle ..... nicht die Anordnung zur Beleuchtung der Absperrung gab (Strafverfahren)". Für die Beurteilung des Verschuldens des Beklagten mache es einen wesentlichen Unterschied, ob ihm vorgeworfen werde, die Baustelle selbst unbeleuchtet gelassen oder lediglich die Vorschrift des § 89 Abs 1 StVO nicht befolgt zu haben. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Abgesehen davon, dass der Revisionswerber selbst den Akteninhalt unrichtig wiedergibt (weil die von ihm zitierte „Feststellung" auf S 3 des Ersturteiles bloß die Wiedergabe der strafgerichtlichen Urteilsfeststellung, nicht aber eine vom Erstgericht selbst unmittelbar getroffene Feststellung darstellt), ist der vermeintliche Widerspruch in Bezug auf das dem Beklagten zur Last gelegte schuldhafte Verhalten gar nicht gegeben. Die als aktenwidrig gerügte Feststellung im angefochtenen Urteil (der Beklagte unterließ es am 24. 7. 1970, auch für eine Beleuchtung der Baustelle zu sorgen) entspricht der vom Erstgericht wiedergegebenen bindenden Feststellung des Strafurteiles, dass der Beklagte „bei der Absicherung einer Baustelle die Beleuchtung unterlassen hatte" (S 71 unten). Die Schlussfolgerung des Revisionswerbers, aus den zitierten Feststellungen gehe nicht hervor, ob dem Beklagten vorgeworfen werde, die Baustelle „selbst unbeleuchtet gelassen" oder „lediglich die Vorschrift des § 89 Abs 1 StVO nicht befolgt" zu haben, ist daher unverständlich und der vermeintliche Widerspruch entbehrt jeder aktenmäßigen Grundlage.
Einen Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens erblickt die Revision darin, dass das Berufungsgericht auf den mit der Berufung gerügten Feststellungsmangel, betreffend die Leuchtkraft des Mopedscheinwerfers, welche Feststellung auf Grund der Parteienaussage des Klägers zu treffen gewesen wäre, mit der Begründung nicht eingegangen sei, das bezügliche Vorbringen der Berufung stelle eine unzulässige Neuerung dar.
Richtig ist, dass sich ein aus dem Beweisverfahren ergebender Sachverhalt nach herrschender Lehre (vgl Fasching III, 280 Anm 3 und IV, 163 Anm 5) und Rechtsprechung (vgl ZVR 1971/106; RZ 1967, 105 ua) auch dann berücksichtigt werden kann, wenn keine entsprechenden Prozessbehauptungen vorliegen. Das Gericht ist dazu aber nicht verpflichtet, weshalb es keinen Feststellungsmangel darstellt, wenn Feststellungen nicht getroffen werden, denen eine Behauptungsgrundlage fehlt. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht ohnedies ausgeführt, dass dem Beklagten aus der Unterlassung der angestrebten Feststellung kein Nachteil erwachsen konnte. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten. Von einer Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens kann demnach nicht die Rede sein.
Mit der Rechtsrüge strebt der Beklagte, wie schon mit der Berufung, eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu seinen Gunsten an, wobei er nunmehr ein Schmerzengeld in der Höhe von 12.000 S für angemessen hält. Der Revisionswerber vermeint, dass im Hinblick auf das Gefahrenzeichen „Baustelle" und die Absperrung durch eine Schnur mit rot-weißen Plastikplättchen von der Baustelle keine erhebliche Gefahr ausgegangen sei, dem Verstoß des Beklagten gegen § 89 Abs 1 StVO gegenüber dem Verhalten des Klägers somit nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Der Kläger hingegen habe das Gefahrenzeichen übersehen und sich zudem noch während der Fahrt umgedreht, sodass zu bezweifeln sei, dass er die in § 89 Abs 1 StVO vorgeschriebenen Lampen, falls sie angebracht gewesen wären, überhaupt wahrgenommen hätte. Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen sei somit nicht das Verhalten des Beklagten, sondern die Fahrweise des Klägers als unfallsauslösend anzusehen.
Diese Auffassung ist verfehlt. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Beklagte, welcher als verantwortlicher Bauleiter gemäß § 89 Abs 1 StVO für eine vorschriftsmäßige Beleuchtung der Baustelle hätte sorgen müssen und dies unterlassen hat, aus diesem Grund strafgerichtlich verurteilt wurde. Sein Verschulden ist für das Zivilgericht bindend festgestellt.
Wie vom Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben wurde, fällt dem Beklagten ein schwerwiegender Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, der eine Gefahr für einen größeren Kreis von Verkehrsteilnehmern herbeiführte, zur Last, während dem Kläger nur ein Aufmerksamkeitsfehler vorzuwerfen ist, der bloß mit einer Selbstgefährdung verbunden war. Dass der Kläger - wie der Revisionswerber vermeint - auch im Falle vorschriftsmäßiger Beleuchtung der Baustelle diese nicht wahrgenommen, sich umgedreht und sich solcherart unvorsichtig der Baustelle genähert hätte, ist eine der alltäglichen Erfahrung widersprechende und daher unbegründete Annahme, die übrigens selbst dann, wenn sie begründet wäre, zu keiner geringeren Bemessung des Verschuldens des Beklagten führen könnte.
Das Verhalten des Klägers kann jedenfalls weder gleich hoch wie das Verschulden des Beklagten noch gar höher als letzteres gewertet werden, wie dies der Revisionswerber wünscht. Vielmehr wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung der Sachlage vollauf gerecht.
Gleiches gilt für die Bemessung des Schmerzengeldes. Das Gesamtbild der unfallsbedingten Verletzungen des Klägers, deren Heilungsverlauf sowie die Dauer und Intensität der Schmerzen, die der Kläger zu ertragen hatte, rechtfertigen ein Schmerzengeld von 15.000 S, in welcher Bemessung somit ebenfalls ein Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes nicht erblickt werden kann.
Der Revision war demzufolge ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E77115 2Ob60.73European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1973:0020OB00060.73.0607.000Dokumentnummer
JJT_19730607_OGH0002_0020OB00060_7300000_000