Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Greissinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Winkelmann, Dr. Marold, Dr. Scheiderbauer und Dr. Friedl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Landesstelle Wien, Wien 9., Rossauer Lände 3, vertreten durch Dr. Hans Rabl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl. Kfm. Norbert D*****, als Masseverwalter in den Konkursen der Fa. H***** KG (S 85/71 des Handelsgerichtes Wien) und des Dkfm. Peter S***** (S 86/71 des Handelsgerichtes Wien), *****, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung einer Konkursforderung (Streitwert 1,032.245,-- S, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 9. Februar 1973, GZ 1 R 21/73-9, womit der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 7. Dezember 1972, GZ 19 Cg 161/72-6, teilweise abgeändert wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs des Beklagten wird nicht Folge gegeben. Der Beklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Nach der Behauptung der Klägerin ereignete sich am 29. 11. 1967 auf einer Baustelle in Baden bei Wien ein Gerüsteinsturz, bei dem der Schlossergeselle Martin S***** und der Arbeiter Alois J***** schwere Verletzungen, der Hilfsarbeiter Viktor M***** aber tödliche Verletzungen erlitten. Alle 3 Arbeiter waren Dienstnehmer der Firma Karl B*****. Das Gerüst war von der Firma Ing. Franz S***** KG unter Verantwortung des Dipl. Kfm. Peter S***** aufgestellt worden. Über das Vermögen der Firma Ing. Franz S***** KG und ihres persönlich haftenden Gesellschafters Dipl. Kfm. Peter S***** wurde in der Folge zu S 85/71 und S 86/71 des Handelsgerichtes Wien der Konkurs eröffnet. In diesen Verfahren meldete die Klägerin eine Forderung von zusammen 1,054.518,60 S in der dritten Klasse der Konkursgläubiger mit der Behauptung an, für die 3 verunglückten Arbeiter bzw für die Hinterbliebenen des Viktor M***** Leistungen erbracht zu haben, bzw zu erbringen. Die entsprechende Regressforderung der Klägerin stütze sich auf die gesetzliche Legalzession nach § 332 ASVG. Der Masseverwalter bestritt die angemeldete Forderung. Mit der vorliegenden, am 6. 9. 1972 eingebrachten Klage begehrt nun die Klägerin die Feststellung, dass ihre aus Anlass des Arbeitsunfalles vom 29. 11. 1967 angemeldete Regressforderung an gesetzlichen Pflichtleistungen für die Hinterbliebenen des Viktor M***** mit einem Betrag von 514.413,40 S, an Martin S***** wegen unfallbedingter Invalidität mit einem Betrag von 483.106,80 S und an Alois J***** wegen unfallbedingter Invalidität mit einem Betrag von 34.724,80 S zusammen: 1,032.245,-- S als Konkursforderungen in der dritten Klasse im Konkurs der reg. Firma H***** (S 85/71) und des Dipl. Kfm. Peter S***** als persönlich haftender Gesellschafter dieser Firma (S 86/71) zu Recht bestehe.
Der beklagte Masseverwalter wendete ua Streitanhängigkeit mit der Begründung ein, dass die Klägerin gegen die Gemeinschuldner beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu 26 Cg 288/70 wegen der von ihr an die Hinterbliebenen des Viktor M***** und die beiden anderen verunglückten Arbeiter erbrachten Rentenleistungen einen Feststellungsprozess angestrengt habe. Soferne dieser Prozess keine Streitanhängigkeit begründe, sei die Klagsforderung verjährt, da die Regressforderung erst nach Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit im Konkurs angemeldet worden sei.
Das Erstgericht erklärte mit Beschluss ONr 6 das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Der klagenden Partei wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Das Erstgericht stellte fest, dass die Klägerin im Verfahren zu 26 Cg 288/70 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien die beiden Gemeinschuldner, über deren Vermögen damals das Konkursverfahren noch nicht eröffnet worden war, auf die Feststellung geklagt habe, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand verpflichtet, der Klägerin im Rahmen des Forderungsüberganges nach § 332 ASVG alle Pflichtleistungen zu ersetzen, welche die Klägerin auf Grund der jeweils geltenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen aus Anlass des Arbeitsunfalles vom 29. 11. 1967 den Hinterbliebenen des Viktor M***** und dem Martin S***** zu erbringen habe und welche die genannten Personen ohne den Rechtsübergang nach § 332 ASVG von den Beklagten zu fordern hätten. Im Zuge dieses Verfahrens habe die Klägerin noch für den Fall, dass den Beklagten das Haftungsprivileg zugutekomme, das Eventualbegehren gestellt, es werde festgestellt, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand verpflichtet seien, der Klägerin alle gesetzlichen Pflichtleistungen zu ersetzen, welche diese aus Anlass des Arbeitsunfalles vom 29. 11. 1967 den Hinterbliebenen nach Viktor M***** und dem Martin S***** zu erbringen habe. Das Feststellungsbegehren der Klägerin in diesem noch anhängigen Rechtsstreit stütze sich auf das gleiche Tatsachenvorbringen wie das Begehren im vorliegenden Prüfungsprozess, zumal auch in dem Vorprozess vorgebracht wurde, dass bei dem Arbeitsunfall auch Alois J***** verletzt worden sei und von der Klägerin Leistungen erhalten habe. In beiden Prozessen sei auch die Parteienidentität gegeben, da "durch die Konkurseröffnung über das Vermögen der im Vorprozess Beklagten, deren Identität keine Änderung erfahren habe". Das Begehren im Prüfungsprozess sei ebenso wie jenes im Vorprozess ein Feststellungsbegehren. Der Unterschied im Inhalt der begehrten Feststellungen sei rechtlich nicht bedeutsam, da die Begehren trotz ihrer äußeren Verschiedenheit nach ihrem Inhalt in einem solchen Verhältnis zueinander stehen "dass die Sachentscheidung über die vorliegende zweite Klage die erschöpfende Lösung der gesamten Rechtsfrage des bereits anhängigen Vorprozesses zwingend zur Folge habe". Durch die Einführung weiterer Individualisierungsmomente in das Tatsachenvorbringen und Urteilsbegehren werden die Identität des geltend gemachten Anspruches nicht ausgeschlossen. Der Umstand, dass in dem vor dem Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien anhängigen Verfahren Ruhen eingetreten sei, berühre die Streitanhängigkeit nicht.
Über Rekurs der Klägerin bestätigte das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes, soweit sich das Klagebegehren auf die Feststellung der Konkursforderungen von 514.413,40 S (Leistungen der Klägerin an die Hinterbliebenen des Viktor M*****) und von 481.106,80 S (Leistungen der Klägerin an Martin S*****) bezieht. Hinsichtlich des Klagebegehrens auf Feststellung der Konkursforderung der Klägerin von 34.724,80 S (Leistungen der Klägerin an Alois J*****) wurde der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen wurde. Die Kostenentscheidung des Erstgerichtes wurde aufgehoben und der Entscheidung vorbehalten. Das Rekursgericht legte aber dem Beklagten einen Teil der Rekurskosten auf.
Aus den Gründen dieser Entscheidung ergibt sich, dass das Rekursgericht die Auffassung der ersten Instanz über die Identität der Parteien in beiden Prozessen und darüber billigte, dass das Ruhen des Verfahrens über die beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachten Klage die Wirkung der Streitanhängigkeit nicht berühre. Das Erstgericht habe, so führte das Rekursgericht weiter aus, auch richtig erkannt, dass der anspruchsbegründende Sachverhalt in beiden Prozessen der selbe sei. Ein Unterschied bestehe lediglich insofern, als in der beim Konkursgericht anhängig gemachten Klage zusätzlich die mit der Konkurseröffnung zusammenhängenden Umstände und die Berechnung der drei im Konkurs angemeldeten Forderungen dargelegt wurden. Dieses zusätzliche Vorbringen habe seine Ursache in der Konkurseröffnung und begründe daher keine Klagsänderung, da es selbst in der Rechtsmittelinstanz neu vorgebracht werden könnte. Es sei auch nicht richtig, dass Gegenstand des Vorprozesses ein Feststellungsanspruch, im nunmehrigen Verfahren aber ein Rechtsgestaltungsanspruch sei, wie dies die Klägerin meine. In beiden Fällen würden vielmehr Feststellungen begehrt. Wenn bei Konkurseröffnung eine Zahlungsklage gegen den Gemeinschuldner anhängig sei, dürfe auch keine neue Prüfungsklage angebracht werden, sondern sei das Verfahren nach Anpassung des Klagebegehrens fortzusetzen. Es komme daher für die Beurteilung der Streitanhängigkeit nicht auf das vor Konkurseröffnung gestellte Klagebegehren, sondern nur darauf an, ob bei Fortsetzung der ersten Klage ein anderes Begehren aufrecht erhalten oder gestellt werden konnte. Da im vorliegenden Fall das Verfahren über die zunächst eingebrachte Klage nach der Konkurseröffnung nur mit einem (angepassten) Klagebegehren im Sinne der Prüfungsklage fortgesetzt werden könnte, habe das Erstgericht die Streitanhängigkeit, soweit die Regressforderungen der Klägerin für an die Hinterbliebenen des Viktor M***** und an Martin S***** erbrachten Leistungen Gegenstand der zweiten Klage sind, mit Recht bejaht. Dagegen sei die Regressforderung der Klägerin für die an Alois J***** erbrachten Leistungen in der ersten Klage noch nicht Klagsgegenstand gewesen. Soweit die zweite Klage diese Forderung betreffe, sei daher keine Streitanhängigkeit gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichtes wurde zunächst von beiden Parteien insoweit angefochten, als das Rekursgericht ihrem Standpunkt in Bezug auf die Frage der Streitanhängigkeit nicht voll Rechnung trug. Die Klägerin zog ihr Rechtsmittel jedoch zurück. Der Beklagte beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Rekurs der Klägerin gegen den erstgerichtlichen Beschluss auch hinsichtlich der Regressforderung der Klägerin für die an Alois J***** erbrachten Leistungen keine Folge gegeben werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Beklagten ist unbegründet.
Gegenstand der vorliegenden Prüfungsklage ist die Feststellung einer Konkursforderung der Klägerin, die sich aus drei nur insofern gleichartigen Ansprüchen zusammensetzt, als diese aus dem gleichen tatsächlichen und rechtlichen Grund (Arbeitsunfall vom 29. 11. 1967, Legalzession der Schadenersatzansprüche der Verletzten gem § 332 ASVG) gegen die Beklagten erhoben werden.
Die Meinung des Beklagten, dass die Streitanhängigkeit in jedem Falle gegeben sei, wenn sich das Gericht ein zweites Mal mit der gleichen Sach- und Rechtsfrage zu befassen habe, findet im Gesetz keine Deckung. Von Streitanhängigkeit kann vielmehr nur gesprochen werden, wenn zwischen den gleichen Parteien über denselben Anspruch vor dem gleichen oder einem anderen österreichischen Gericht bereits ein Rechtsstreit anhängig ist. Der Grundsatz, dass die Streitanhängigkeit die Identität der Ansprüche voraussetzt, erfährt nur eine scheinbare Ausnahme dann, wenn trotz äußerer Verschiedenheit der Begehren in Wahrheit über denselben Anspruch abgesprochen werden soll. Die Formulierung, dass Streitanhängigkeit auch dann gegeben sei, wenn die Begehren nach ihrem Inhalt in einem solchen Verhältnis zueinander stehen, dass die Sachentscheidung für die weitere Klage die erschöpfende Lösung der gesamten Rechtsfrage des bereits anhängigen Rechtsstreites zwingend zur Folge haben muss (so Fasching Komm III S 93) erscheint zu weitgehend, da in einem solchen Fall während der Anhängigkeit einer Feststellungsklage (zB über das Zurechtbestehen eines Rechtsverhältnisses) keine Leistungsklage angebracht werden könnte, für die die Frage des Zurechtbestehens dieses Rechtsverhältnis präjudiziell ist. Ein solches Ergebnis ist jedoch völlig ausgeschlossen, weil es anderenfalls jene Partei, der eine Leistungsklage droht, in der Hand hätte, durch Anbringung einer entsprechend formulierten Feststellungsklage die Anbringung der Leistungsklage und deren Folge im Sinn des § 1497 ABGB zu verhindern. Im Übrigen bestimmt § 190 ZPO, was geschehen kann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreites ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites ist. Maßgeblich für den Umfang der Streitanhängigkeit ist nicht der ganze der Klage materiell-rechtlich zugrundeliegende Anspruch, sondern nur der tatsächlich durch das Begehren erkennbar eingeklagte Anspruchsteil (ebenso Fasching aaO, JBl 1956 S 236, ebenso 5 Ob 320/63). Daraus folgt aber, dass hinsichtlich eines Anspruchsteiles, der zunächst nicht eingeklagt wurde, im Falle seiner späteren Geltendmachung keinesfalls Streitanhängigkeit begründet ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Ziel der Prüfungsklage ein völlig anderes ist, als jenes der vorausgegangenen Feststellungsklage, obwohl auch die Prüfungsklage ihrer Form nach eine Feststellungsklage ist: Wird im Prüfungsprozess die angemeldete Konkursforderung ganz oder zum Teil als zu Recht bestehend erkannt, hat der Gläubiger damit einen Exekutionstitel gegen die Konkursmasse und nach Aufhebung des Konkurses auch gegen den Schuldner einreicht, während mit dem Urteil im Feststellungsprozess, dass die Haftung des Beklagten für bestimmte Ansprüche des Klägers bestehe, nur die Grundlage für eine weitere Leistungsklage geschaffen würde, der es nach dem Erfolg des Klägers im Prüfungsprozess freilich nicht mehr bedarf. Abgesehen davon war im vorliegenden Fall die Haftung der Beklagten im Vorprozess für die Regressforderung der Klägerin, soweit sich diese auf ihre Leistungen an Alois J***** bezog, nicht einmal Klagsgegenstand. Dass auch von diesen Leistungen der Klägerin in der Klagserzählung die Rede ist, ändert nichts daran, dass in diesem Umfang eine Haftung der Beklagten von der Klägerin gar nicht in Anspruch genommen wurde. Das Rekursgericht hat daher mit Recht die vom Erstgericht angenommene Streitanhängigkeit hinsichtlich des Regressanspruches der Klägerin für ihre Leistungen an Alois J***** verneint.
Dem Revisionsrekurs des Beklagten war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E73534 5Ob94.73European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1973:0050OB00094.73.0627.000Dokumentnummer
JJT_19730627_OGH0002_0050OB00094_7300000_000