Norm
ABGB §142Kopf
SZ 46/88
Spruch
Wurde ein Elternteil wegen Trunksucht beschränkt entmundigt, vereinigt sich die gesamte Erziehungsgewalt in den Händen des anderen Elternteils; eine Entscheidung nach § 142 ABGB kommt dann nicht in Betracht
Auch der Mißbrauch der Erziehungsgewalt durch die Mutter rechtfertigt die Anrufung des Gerichtes nach § 178 ABGB Zieht eine Maßnahme des Gerichtes keine Rechtsfolge nach sich, fehlt für ein Rechtsmittel dagegen jedes Rechtsschutzinteresse; die Erhebung eines unzulässigen Rechtsmittels schiebt die Rechtskraft nicht hinaus
Das Neuerungsrecht des § 10 AußStrG geht nicht so weit, daß im Rekursverfahren auch noch neue Sachanträge gestellt werden können; der Tatbestand muß vielmehr schon in erster Instanz vorgebracht werden
OGH 19. September 1973, 1 Ob 148/73 (LGZ Wien 43 R 525/73; BG Döbling 3 p 294/69)
Text
Die minderjährige Eva C und ihr am 1. Juli 1973 großjährig gewordener Bruder Erich stammen aus der mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19. Juni 1972, 3 Cg 118/72-7, geschiedenen Ehe des Erich C und seiner Frau Maria. Der Vater der Minderjährigen wurde durch Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 31. März 1950, 5 L 32/49-9, wegen Trunksucht beschränkt entmundigt und befand sich nach dem Inhalt des Pflegschaftsaktes 1 P 163/52 (später 3 P 181/67) des Bezirksgerichtes Döbling vielfach im psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien. Mit Beschluß vom 9. November 1970, 3 P 181/67-102, wurde Dr. Erich U zum Beistand des Vaters bestellt.
Nach dem Beschluß des Erstgerichtes vom 5. Dezember 1969 wurde die Mutter Maria C Vormunderin der Minderjährigen. Aus einem Bericht des Bezirksjugendamtes für den 19. Bezirk vom 4. Feber 1971 geht hervor daß die 1924 geborene Mutter zwei Tage abgängig gewesen sei, seit zirka 5 Monaten einen 24jährigen Freund im 20. Bezirk habe, sich in zunehmendem Maß kaum mehr um ihre Familie kümmere und zuletzt schon bis zu einer vollen Woche weggeblieben sei, sie habe ihrer Familie nicht einmal Geld für Lebensmittel zurückgelassen, sondern verbrauche alles mit dem jungen Mann. Die 20jährige Braut des 16jährigen Bruders Erich verrichte Haushaltsarbeiten und unterstütze die Familie finanziell. Die minderjahrige Eva habe unter diesen Verhältnissen besonders gelitten und sei auch ausgesprochen gefährdet gewesen. Sie habe bereits ihre Mutter gehaßt und sei glücklich gewesen, als sie von der Fürsorgerin am 22. Jänner 1971 von der Schule abgeholt und in die Kinderübernahmsstelle gebracht worden sei; die Mutter und Vormunderin sei mit der Überstellung insofern einverstanden gewesen, als sie eine gerichtliche Regelung vermeiden habe wollen. Ladungen des Gerichtes leistete die Mutter nicht Folge.
Nach dem weiteren Bericht des Bezirksjugendamtes vom 27. Juni 1972 wurde die Minderjährige in das Kinderheim P gebracht, wo sie sich gut eingelebt habe, ihre Ausgänge verbringe sie meist bei ihrem Bruder und dessen Lebensgefährtin. Die Mutter halte sich nur zeitweise in der (ehemaligen) Ehewohnung auf, bezahlte aber die Miete und unterstützte den minderjährigen Erich in finanzieller Hinsicht. Ansonsten halte sie sich im 20 Bezirk bei einem Bekannten auf und kümmere sich nur sporadisch um die Kinder.
Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 8. November 1972, 3 Nc 194/72-10, wurde im Verfahren nach der 6 Durchführungsverordnung zum Ehegesetz die Ehewohnung in Wien 19 dem Vater zugewiesen. Dieser Beschluß wurde vom Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht mit Beschluß vom 13. Feber 1973, 43 R 1069/72-16, aufgehoben; es sei zunächst die Vorfrage zu lösen zu welchem der Elternteile die beiden Kinder Erich und Eva in Pflege und Erziehung eingewiesen werden. Hierauf stellte die Mutter am 29. März 1973 beim Pflegschaftsgericht den Antrag, ihre Kinder ihr in Pflege und Erziehung zu übergeben. In einer Stellungnahme vom 9. Mai 1973 erklärte das Bezirksjugendamt, die Minderjährige sei zwar am 22. Jänner 1971 in Gemeindepflege übernommen worden, ihm sei jedoch nicht bekannt, daß die Mutter ihre Kinder hinsichtlich Pflege und Erziehung vernachlässigt hatte. Einer Entlassung der Minderjährigen stunde vom fürsorgerischen Standpunkt nichts im Wege, wenn der Mutter die Ehewohnung zugesprochen würde. Die Mutter habe in einer Art Kurzschlußhandlung nach der Scheidung vorübergehend für einige Tage die Wohnung verlassen, da sie das Verhalten des Gatten nicht mehr ertragen habe; sie halte sich nunmehr wieder in der Ehewohnung auf. Der Vater scheide als Erziehungsperson aus.
Das Erstgericht wies, ohne die Widersprüche in den Stellungnahmen der Bezirksverwaltungsbehörde aufgeklärt oder den Vater oder dessen Beistand gehört zu haben, die ehelichen Kinder Erich und Eva in die Pflege und Erziehung der Mutter ein. Im Verfahren wegen Zuweisung der Ehewohnung habe das Landesgericht für ZRS Wien u. a. darauf hingewiesen, daß vom Pflegschaftsgericht noch zu entscheiden sei, zu welchem der Elternteile die beiden Kinder Pflege und Erziehung eingewiesen werden, was jedoch für die Entscheidung, wem die Ehewohnung zugewiesen werde, ebenfalls von Bedeutung sei. Das Bezirksjugendamt habe zum Ausdruck gebracht, daß gegen eine Einweisung der Minderjährigen in Pflege und Erziehung der Mutter nichts einzuwenden sei. Der Vater sei beschränktentmundigt, ihm könnten die Minderjährigen nicht in Pflege und Erziehung überlassen werden.
In seinem Rekurs führte der durch seinen Beistand vertretene Vater aus, die Mutter stelle eine völlig untaugliche Person zur Pflege und Erziehung besonders eines Mädchens in den Entwicklungsjahren dar, weil sie einen unsittlichen Lebenswandel führe. Seit Jahren ziehe sie mit einem viel jüngeren Freund namens Herbert N herum, wohne größtenteils unangemeldet in dessen Wohnung in Wien 20 und lasse sich von diesem nach seinen Informationen auch andere Männerbekanntschaften vermitteln. Sie komme nur fallweise in die frühere Ehewohnung, aber nicht um ein Wohnbedürfnis zu befriedigen, sondern um sich die Wohnung für die Zukunft zu sichern. Auch das Konkubinat des Bruders spiele sich vor den Augen der minderjährigen Eva ab. Schon zu Silvester 1970 sei die Mutter mehrere Tage verschwunden gewesen, sei mit Freunden herumgezogen und habe die Kinder sich selbst überlassen, weshalb die minderjährige Eva auch in ein Jugendheim gebracht worden sei. Er beantrage die Vernehmung zweier Detektive, durch die die Mutter vor Durchführung des Ehescheidungsverfahrens beobachtet worden sei und durch die ihm die einleitend vorgebrachten Dinge bekanntgeworden seien. An diesen Dingen habe sich bis in die jüngste Zeit nichts geändert. Erst jüngst habe die minderjährige Eva von ihrer Großmutter Geld mit einer Lüge erbettelt, zu der sie, wie sie zugegeben habe, von ihrer Mutter angestiftet worden sei. Das passe zum Charakterbild der Mutter, die 1964 wegen Verbrechens der Verleumdung strafgerichtlich verurteilt worden sei. Der Vater komme zwar für die Pflege und Erziehung nicht in Frage, allenfalls aber die mütterliche Großmutter Cäcilie W oder ein Amtsvormund. Der Rekurswerber beantragte die Beischaffung des Fürsorgeaktes, des Scheidungsaktes, des Strafaktes gegen die Mutter sowie die Vernehmung der Cäcilie W, weiterer zwei Zeugen und seiner Person; der angefochtene Beschluß solle aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung zur Sache nach Durchführung der beantragten Erhebungen aufgetragen werden.
Das Rekursgericht wies den Rekurs, soweit er den inzwischen großjährig gewordenen Erich betraf, rechtskräftig zurück bringen nicht Folge. Maßgebend für die Entwicklung nach § 142 ABGB sei die jetzige Eignung der Mutter zur Pflege und Erziehung der Minderjährigen. Begebenheiten, die schon lange zurücklägen und in die Zeit des Scheidungsverfahrens fielen, könnten zur Beurteilung des gegenwärtigen Standes der Dinge nichts beitragen. Die Bekanntschaft der Mutter mit einem jüngeren Mann sei ohne Einfluß auf deren Eignung zur Pflege und Erziehung. Auch der Rekursneuerung, daß die Minderjährige ihrer Großmutter mit einer Lüge Geld entlockt habe, komme keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Dieser einmalige Vorfall wäre nicht geeignet, die durchaus positive Stellungnahme des Bezirksjugendamtes, wonach die Mutter jetzt brav und fleißig und gegen Erziehung der Minderjährigen durch sie nichts einzuwenden sei, zu entkräften. Pflege durch Dritten finde nur bei Erziehungsnotstand statt; für die Annahme, daß ein solcher bei der Mutter vorliege, bestunden keine Anhaltspunkte. Auf das Vorbringen, die Mutter führe einen unsittlichen Lebenswandel, ging das Rekursgericht nicht ein.
Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs des ehelichen Vaters zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Aus dem Wortlaut des § 139 ABGB und dessen Überschrift ergibt sich, daß die Eltern die gemeinschaftliche Verbindlichkeit haben, ihre ehelichen Kinder zu pflegen und zu erziehen, wenn § 141 ABGB dann auch einen Teil dieser Pflichten, nämlich die Sorge für den Unterhalt, vorzüglich dem Vater und die körperliche und gesundheitliche Pflege hauptsächlich der Mutter zuweist. Die Bestimmung des § 142 ABGB, wonach bei Scheidung der Ehe der Eltern letztlich das Gericht darüber zu entscheiden hat, welchem Elternteil sodann die Pflege und Erziehung der Kinder zu überlassen ist, kann nur im Zusammenhang mit den vorerwähnten gesetzlichen Bestimmungen verstanden werden; da mit der Scheidung der Ehe es unmöglich wird, daß die Eltern weiterhin gemeinsam für Pflege und Erziehung ihrer Kinder sorgen, sind sodann diese Verpflichtung und die damit zusammenhängende Rechte einem Elternteil zu übertragen. Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 142 ABGB ist aber, daß zuvor, also bis zur Scheidung, überhaupt beiden Elternteilen die Pflege und Erziehung ihrer Kinder oblag. Der Vater wurde nun aber im vorliegenden Falle bereits im Jahre 1950, also zehn Jahre vor der Geburt der Minderjährigen, wegen Trunksucht beschränkt entmundigt. Gemäß § 6 Abs. 2 EntmO war auf den Vater u. a. die Bestimmung des § 176 ABGB anzuwenden. Nach dieser hatte der Vater nie die väterliche Gewalt erworben gehabt, sondern war ein Vormund zu bestellen gewesen. Der Vormund hatte dann die Verbindlichkeit und das Recht, für die Erziehung der Minderjährigen - und zwar, geht man vom Sinngehalt des § 176 ABGB aus, für eine anderweitige Pflege und Erziehung als durch den wegen Trunksucht beschränkt entmundigten Vater - Sorge zu tragen (§ 216 ABGB).
Die Bestimmung des § 176 ABGB spricht allerdings davon, daß nur die "väterliche Gewalt" außer Wirksamkeit trete, von Erziehungsrecht ist nicht die Rede. Erziehungsrecht und väterliche Gewalt sind auch nicht dasselbe, das erstere ist in den Bestimmungen der §§ 139 ff. ABGB, die letztere in den Bestimmungen der §§ 147 ff. ABGB geregelt. Eine Regelung des Erziehungsrechtes nach § 142 ABGB ändert daher auch nichts an der Unterhaltspflicht und der väterlichen Gewalt (EFSlg. 9680; Wentzel - Plessl in Klang[2] 1/2, 56). Das bedeutet aber nur, daß der Vater, der das Erziehungsrecht verliert, noch nichts gleichzeitig auch der väterlichen Gewalt verlustig geht, die in erster Linie wichtige, nicht alltägliche Maßnahmen umfaßt (Berufswahl, Vermögensverwaltung usw.). Der notwendige Größenschluß muß nun aber zum Ergebnis führen, daß umgekehrt derjenige, bei dem sogar die väterliche Gewalt aus einem der im § 176 ABGB oder im § 6 EntmO genannten Gründe ruht, auf keinen Fall noch Erziehungsberechtigter sein kann (in diesem Sinne auch Gschnitzer Familienrecht, 88). Die in den genannten Gesetzesstellen aufgezählten Fälle sind durchwegs solche, die ohne daß es noch einer besonderen Prüfung bedürfte (s. dazu EvBl. 1967/313; SZ 27/83), unter allen Umständen eine Gefährdung des leiblichen, geistigen und sittlichen Wohls des Kindes befürchten lassen (vgl. EvBl 1972/57). Der Oberste Gerichtshof hat daher auch bereits ausgesprochen, daß der Vater, dessen väterliche Gewalt nach § 176 ABGB ruht, nicht nur die Rechte auf Vermögensverwaltung und Vertretung der ehelichen Kinder sondern auch das Recht ihrer Erziehung nicht mehr ausüben kann (SZ 40/10). Ein Vater, der wegen Trunksucht beschränkt entmundigt ist, ist daher auch nicht mehr Erziehungsberechtigter im Sinne des § 39 JWG, § 5 WrJWG; liegen die Voraussetzungen für das Ruhen der elterlichen Gewalt vor, vereinigt sich dann die gesamte Erziehungsgewalt in Händen desjenigen Elternteiles, dessen Erziehungsgewalt durch die gerichtliche Entscheidung nicht betroffen ist, oder sie geht auf den ernannten Vormund über (Ourednik Das Wiener Jugendwohlfahrtsrecht 22; in diesem Sinne auch Fetter - Edlbacher verfahren außer Streitsachen, 484, Anm. 1 lit. a zu § 39
JWG).
Ruht die väterliche Gewalt nach § 176 ABGB und wurde dieser Bestimmung gemaß ein Vormund bestellt, kommt also eine Entscheidung, welchem Elternteil die Pflege und Erziehung von ehelichen Kindern überlassen wird, überhaupt nicht in Betracht. Der Vormund hat vielmehr für die Erziehung Sorge zu tragen, die allerdings, soweit die Mutter hiezu geeignet ist, dieser zu überlassen ist (§ 218 ABGB). Daß eine Überlassung der Pflege und Erziehung der Minderjährigen an ihn selbst nicht in Betracht kommt, anerkennt auch der Vater, der zwar, obwohl es vor einer Entscheidung nach § 142 ABGB unbedingt erforderlich gewesen wäre, vom Erstgericht überhaupt nicht gehört worden war, aber sowohl in seinen Rekurs als auch in seinem Revisionsrekurs die Pflege und Erziehung der minderjährigen Eva gar nicht für sich in Anspruch nimmt. Die Untergerichte haben damit Entscheidungen getroffen, zu deren Fassung sie nach dem Gesetze überhaupt nicht berufen waren.
Tatsächlich ging es auch um etwas ganz anderes. Die Minderjährige war von einer Bediensteten der Bezirksverwaltungsbehörde am 22. Jänner 1971 aus der Schule abgeholt und sodann im Kinderheim P untergebracht worden. Es handelte sich hiebei um eine Maßnahme der Erziehungshilfe nach § 25 Abs. 1 WrJWG, die auch in der Form einer Unterbringung in einem Heim gewährt werden konnte. Nach § 25 Abs. 4 WrJWG konnte diese Maßnahme nur mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten, im vorliegenden Falle also der Mutter und Vormunderin, durchgeführt werden. Diese Zustimmung wurde als gegeben angesehen. Sie war aber jederzeit widerruflich. Der Widerruf bedurfte ebensowenig der gerichtlichen Mitwirkung wie die Einleitung der Erziehungshilfe. In diesem Fall hatte mangels weiteren Vorliegens der Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 WrJWG die Bezirksverwaltungsbehörde, sollte nicht eine Abs. 4 WrJWG die Bezirksverwaltungsbehörde, sollte nicht eine rechtswidrige Verhaftung vorliegen (VfGH JBl. 1965, 416) entweder die Erziehungshilfe zu beenden oder beim Pflegschaftsgericht einen antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gegen den Willen der Erziehungsberechtigten zu stellen (§ 26 JWG; RZ 1961, 87). Ein amtswegiges Einschreiten des Gerichtes durch Anordnung von Maßnahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe ohne Antrag der Bezirksverwaltungsbehörde war hingegen nicht möglich, aber auch nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 178 ABGB hätte eine inhaltlich ähnliche Maßnahme getroffen werden können (EvBl. 1967/313; Ourednik Jugendwohlfahrtsrecht 116). In beiden Fällen war aber eine Entscheidung des Gerichtes nur erforderlich, wenn eine bestimmte, von der Pflege und Erziehung durch die an sich dazu bestimmte Mutter abweichende Maßnahme für notwendig gehalten wurde. Grundsätzlich ist das Gericht nämlich nicht dazu berufen, die Erziehung im einzelnen zu überwachen und hierüber Beschlüsse zu fassen. Das Gericht hat nur einzuschreiten, wenn ihm Mißbrauch oder Vernachlässigung der Erziehung angezeigt oder amtlich bekannt wird (vgl. Ehrenzweig 11/2, 236 f.). Im vorliegenden Fall hatte die Bezirksverwaltungbehörde - ob zu Recht, sei dahingestellt - keine Absicht, gerichtliche Erziehungshilfe zu beantragen, hatte sie doch nach ihren Äußerungen keine Bedenken dagegen, daß die Mutter als Erziehungsberechtigte (wiederum) selbst von ihrem Erziehungsrecht Gebrauch macht. Auch das Pflegschaftsgericht hatte nicht vor, der gerichtlichen Erziehungshilfe ähnliche Maßnahmen zu treffen, sondern wollte nur jenen Zustand genehmigen, der auch ohne sein Einschreiten herbeizuführen war.
Es bestand dann aber kein Anlaß, eine gerichtliche Entscheidung zu treffen. Andererseits wurden durch die Entscheidungen der Untergerichte aber auch niemandes Rechte beeinträchtigt weil sie nach der Sachlage und den Anträgen, die sie zu beurteilen hatten nur überflüssigerweise die persönliche Übernahme der Pflege und Erziehung der Minderjährigen durch ihre Mutter, die ihr als einziger Erziehungsberechtigten ohne gegenteilige Entscheidung ohnehin zustand, genehmigten. Unter "Verfügung" im Sinne des § 9 AußStrG, die mittels Rechtsmittels angefochten werden kann, ist nun aber nur eine Maßnahme zu verstehen, durch die das Gericht Rechtswirkungen erzeugt (NZ 1954 173); der Zweck eines gegen eine gerichtliche Verfügung erhobenen Rechtsmittels kann nämlich nur die Beseitigung (Abänderung oder Aufhebung) der mit der angefochtenen Verfügung verbundenen Rechtswirkungen sein (8 Ob 141/70; Rintelen Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, 33). Zieht hingegen eine Maßnahme des Gerichtes keine Rechtsfolge nach sich, so daß der Rechtsmittelwerber in seinen Rechten gar nicht beeinträchtigt werden kann, fehlt ihm jedes Rechtsschutzinteresse an der Änderung der bekämpften Entscheidung (Nz 1969, 7 u. a.). Es fehlt dann eine essentielle Voraussetzung für die Anfechtung eines solchen Beschlusses (8 Ob 141/70; Rintelen Grundriß 36). Ein Rekursrecht steht nämlich nur demjenigen zu, dessen rechtlich geschützten Interessen durch den angefochteten Beschluß beeinträchtigt werden (EvBl. 1970/214; SZ 42/176 und 48, EvBl. 1969/187; SZ 40/10 u. v. a.).
War der Vater aber - ebensowenig wie sonst jemand - mangels Beeinträchtigung irgend welcher Rechte und mangels irgend welcher Rechtswirkung zur Anfechtung des erstgerichtlichen Beschlusses nicht berechtigt, wäre auch sein Rekurs vom Rekursgericht als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Der Beschluß des Erstgerichtes war aber trotz der Anfechtung durch den Vater wegen ihrer Unzulässigkeit rechtskräftig geworden. Die Erhebung und Einbringung eines unzulässigen Rechtsmittels schiebt nämlich die Rechtskraft nicht hinaus (vgl. SZ 25/298 u. a.; Fasching III, 691). Wenn das Rekursgericht den unzulässigen Rekurs meritorisch erledigte, verstieß es gegen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses. Ein solcher Verstoß stellt an sich eine Nullität im Sinne des § 16 Abs. 1 AußstrG dar (EvBl. 1964/90; SZ 23/276 u. a.), die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist (7 Ob 189/64). Da jedoch der Beschluß der zweiten Instanz, der den der ersten bestätigte, ebensowenig Rechte des Vaters beeinträchtigen konnte wie der der ersten Instanz,war der Vater auch zur Anfechtung des Beschlusses der zweiten Instanz nicht berechtigt. Auch eine Nullität kann aber nur über ein zulässiges Rechtsmittel wahrgenommen werden. Der Revisionsrekurs ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Damit ist allerdings das auch vom Rekursgericht - von seinem Standpunkt aus zu Unrecht - zum Teil ignorierte Vorbringen des Vaters zu seinem Rekurs nicht bedeutungslos geworden. Der Vater brachte schließlich vor, die Mutter führe einen unsittlichen Lebenswandel und lasse sich von ihrem Freund andere Männerbekanntschaften vermitteln. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes bezog sich der Vater dabei keineswegs nur auf Zustände vor oder während des Ehescheidungsverfahrens, sondern behauptete ausdrücklich, daß sich daran bis in die jüngste Zeit nichts geändert habe. Der Rekurs berief sich auch nicht nur auf die beiden im Ehescheidungsverfahren engagierten Detektive, sondern am Ende seiner Darlegungen auch auf weitere drei Zeugen und die Vernehmung des Rekurswerbers selbst. Dieses Vorbringen ist so wesentlich, daß seine Nichtbeachtung, stunde dem Vater ein Anfechtungsrecht zu, als Verfahrensmangel vom Gewichte einer Nullität angesehen werden müßte (EvBl. 1965/133 u. a.), weil der Rekurs eine konkrete Gefährdung des Wohles der Minderjährigen darlegt. Hafte das Erstgericht nach der von ihm zu beurteilenden Sachlage nun aber überhaupt keinen Beschluß nach § 142 ABGB über die Zuweisung der Minderjährigen in die Pflege und Erziehung der Mutter zu fassen, konnte daran auch durch Rekursdarlegungen welcher Art immer nichts geändert werden. Sicher ist es im Außerstreitverfahren zulässig, auch noch im Rekurs neue Umstände und Beweise anzuführen (§ 10 AußStrG). Die Bestimmung des § 10 AußStrG kann aber nicht so verstanden werden, daß ein sonst unzulässiges Rechtsmittel erst durch wesentliche Neuerungen im Rekurs zulässig werden könnte. Das Neuerungsrecht des § 10 AußStrG geht überhaupt nicht so weit, daß im Rekursverfahren auch noch neue Sachanträge gestellt werden könnten;
der Tatbestand, auf den ein Antrag gestützt werden soll, muß vielmehr schon in erster Instanz vorgebracht werden (8 Ob 332/65;
ZBl. 1938/50). Erst im Rekursverfahren wies der Vater aber darauf hin, die Pflege und Erziehung der Minderjährigen solle der Großmutter oder einem "Amtsvormund" übertragen werden. Der Rekurs wollte damit ein Verfahren einleiten, das auf völlig neuer Basis zu führen ist. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es aber entsprechenden Vorbringens und der Stellung von Anträgen in erster Instanz.
Gemäß § 178 ABGB kann, wenn der Vater seine Gewalt mißbraucht oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, jedermann, der davon Kenntnis hat, besonders aber die nächsten Verwandten, den Beistand des Gerichtes anrufen. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung kann abgeleitet werden, daß sie sich gegen den Mißbrauch des Erziehungsrechtes und die Nichterfüllung der Erziehungspflicht durch jeden Erziehungsberechtigten richtet. Sie ist ungeachtet des engeren Wortlautes in ausdehnender Auslegung dahin zu verstehen, daß auch ein Mißbrauch des Erziehungsrechtes durch die Mutter unter diese Gesetzesstelle fällt (Wentzel - Plessl in 1/2 242; EFSlg. 4476, vgl. auch EFSlg. 21.595). Gemäß § 254 ABGB ist aber auch ein Vormund, von dem eine anständige Erziehung des ihm anvertrauten Minderjährigen nicht mehr zu erwarten ist (§ 191 ABGB), von Amts wegen zu entlassen. Wenn kein Elternteil zur Erziehung geeignet ist, ist sodann die Erziehungsgewalt einer dritten Person oder Stelle zu übertragen und das Kind auf einem geeigneten Erziehungsplatz unterzubringen (EFSlg. 633; EvBl. 1958/301 u. a.). Auch der durch seinen Beistand vertretene beschränkt entmundigte Vater ist nach den dargestellten Grundsätzen selbstverständlich berechtigt, Vorbringen im Sinne des § 178 ABGB zu erstatten, wenn die Pflege und Erziehung seines Kindes von der Mutter ausgeübt wird; es gibt zudem Anlaß zu amtswegigen Erhebungen. Diese werden vor allem im vorliegenden Fall, in dem dem Erstgericht schon ohne das Rekursvorbringen auffallen hätte müssen, daß die letztlich für die Mutter günstige Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde in unaufgeklärtem Gegensatz zu früheren Stellungnahmen stand und die Mutter erst dann daran interessiert war, die Minderjährige zu übernehmen, als die Entscheidung über die Zuweisung der Ehewohnung im Verfahren nach der
6. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz von der tatsächlichen Ausübung der Pflege und Erziehung der ehelichen Mutter abhängig gemacht worden war, notwendig und am Platze sein. Das Vorbringen zum Rekurs kann somit zwar aus den oben dargelegten Gründen keine unmittelbare Änderung der erstgerichtlichen Entscheidung herbeiführen und auch nicht eine Aufhebung der untergerichtlichen Beschlüsse zur Folge haben, wird aber als Antrag des Vaters, zumindest eine Verfügung nach § 178 ABGB zu treffen, aufzufassen und vom Erstgericht entsprechend zu behandeln sein (EFSIg. 4478). Vom Erstgericht werden dabei auch insbesondere die vom Vater beantragten Beweise aufzunehmen sein.
Anmerkung
Z46088Schlagworte
Außerstreitverfahren, Neuerungsrecht, Erziehungsgewalt eines wegen Trunksucht entmundigten Elternteiles, Erziehungsgewalt, Mißbrauch durch die Mutter, Mutter, Mißbrauch der Erziehungsgewalt durch -, Neuerungsrecht, Außerstreitverfahren, Rechtsschutzinteresse, Maßnahme eines Gerichtes ohne Rechtsfolge, Verfügung, Rechtsschutzinteressen, anfechtbare -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1973:0010OB00148.73.0919.000Dokumentnummer
JJT_19730919_OGH0002_0010OB00148_7300000_000