TE OGH 1974/4/25 7Ob50/74

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Veröffentlicht am 25.04.1974
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Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 1967 Art12 Abs4
Versicherungsvertragsgesetz §70 Abs2
Versicherungsvertragsgesetz §158h

Kopf

SZ 47/56

Spruch

Die Frist des § 70 Abs. 2 zweiter Halbsatz VersvG wird mangels bestehender Erkündigungspflicht des Erwerbers durch die bloße Wahrscheinlichkeit, daß bei irgendeinen, namentlich nicht bekannten Versicherer eine Haftpflichtversicherung für das gekaufte Kraftfahrzeug bestehe, nicht in Gang gesetzt

OGH 25. April 1974, 7 Ob 50/74 (LG Eisenstadt R 184/73; BG Mattersburg C 159/72)

Text

Die Klagerin begehrt die Zahlung von Versicherungsprämien für einen vom Beklagten am 14. Juli 1971 gekauften PKW, weil die von ihm am 15. Oktober 1971 vorgenommene Kündigung wegen Fristversäumung nicht rechtswirksam geworden sei.

Der Erstrichter gab der Klage statt. Er stellte fest, daß die Verkäuferin Anna S dem Beklagten vor der Übergabe des PKW mitgeteilt habe, daß dieser bei der Klägerin haftpflichtversichert sei, und hielt deshalb die außerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 2. VersVG erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages für unwirksam.

Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es ging dabei nach Wiederholung des Beweisverfahrens von folgenden Feststellungen aus:

Der Beklagte war vor dem Kauf des PKW aushilfsweise als Kraftfahrer beim Ehemann der nachmaligen Verkäuferin beschäftigt und fuhr im März 1971 einige Male mit dem Wagen. Im Mai 1971 erfuhr er von den Verkaufsabsichten der Eigentümerin und vereinbarte den Kauf des PKW, sobald einige Reparaturen vorgenommen seien. Zu diesem Zweck wurde der PKW zur Firma A gebracht, Karl S meldete das Fahrzeug bei der Bezirkshauptmannschaft am 25. Juni 1971 ab. Nach Durchführung der Reparatur brachte der Beklagte am 14. Juli 1971 Anna S den Kaufpreis. Er erwähnte bei dieser Gelegenheit, daß er das Fahrzeug neu anmelden und bei seiner Versicherung haftpflichtversichern lassen werde. Wenn der Wagen noch versichert sei, möge Anna S das mit ihrer Versicherung regeln. Die Verkäuferin nahm dies zur Kenntnis, nannte aber die eigene Versicherungsanstalt nicht. Dem Beklagten war bekannt, daß der PKW zu diesem Zeitpunkt kein polizeiliches Kennzeichen hatte, weil er schon vorher ersucht hatte, den PKW abzuholen. Er überführte das Fahrzeug unzulässigerweise mit einem Kennzeichen eines anderen Fahrzeuges in seinen Heimatort. Bei der Beschaffung einer Versicherungsbestätigung zur Anmeldung des PKW fragte ihn der Vertreter seiner Versicherung, K, wo das Fahrzeug bisher versichert gewesen sei. Der Beklagte konnte diese Frage nicht beantworten. K riet dem Beklagten, auf ein Schreiben der bisherigen Versicherungsanstalt zu warten und ihm dieses dann zu bringen, so daß er allenfalls eine Kündigung vornehmen könne. Mit der Verkäuferin oder ihrem Gatten sprach der Beklagte nach Übergabe des PKW nicht mehr über die Versicherung. Einen am 28. Juli 1971 von der Klägerin an den Beklagten übersendeten Brief übernahm der damals I4jährige Gerhard M, der nicht einmal Hausgenosse des Beklagten war. Der Beklagte hat diesen Brief nicht erhalten. Erst durch ein Schreiben der Klägerin vom 1. Oktober 1971 erfuhr der Beklagte vom Bestand der dort bestehenden Haftpflichtversicherung. Bis dahin war ihm nicht bekannt, daß der gekaufte PKW über den Tag der Zurücklegung des der Verkäuferin zugeteilt gewesenen Kennzeichens hinaus bei der Klägerin haftpflichtversichert war. Am 15. Oktober 1971 kundigte der Beklagte den bei der Klägerin bestandenen Versicherungsvertrag.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist dem Beklagten der Nachweis gelungen, daß er erst durch das Schreiben vom 1. Oktober 1971 von der bei der Klägerin bestandenen Haftpflichtversicherung auf eine solche Art Kenntnis erlangte, die es ihm möglich machte, eine Kündigung auszusprechen. Die Monatsfrist des § 70 Abs. 2 VersVG laufe in einem solchen Fall erst ab der Kenntnisnahme vom Bestehen der Versicherung und sei somit gewahrt, so daß der Beklagte auch nicht in den Versicherungsvertrag eingetreten und von der Verpflichtung zur Zahlung der Versicherungsprämie frei sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung ist das Berufungsgericht zutreffend von der Bestimmung des § 70 Abs. 2 VersVG ausgegangen, wonach im Falle der Veräußerung der versicherten Sache der Erwerber berechtigt ist, das Versicherungsverhältnis zu kundigen, und daß das Kündigungsrecht, wenn der Erwerber von der Versicherung keine Kenntnis hatte, bis zum Ablaufe eines Monats von dem Zeitpunkt an bestehen bleibt, in welchem der Erwerber von der Versicherung Kenntnis erlangt hat. Die Revisionswerberin hält die Kündigung deshalb für verspätet, weil beim Ankauf eines zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges regelmäßig das Bestehen einer Haftpflichtversicherung vorauszusetzen und es deshalb dem Beklagten ohne weiteres zumutbar gewesen sei, die Frage nach der Adresse des bisherigen Versicherers zu stellen. Er habe auch tatsächlich die Durchführung einer solchen Kündigung der Zeugin S überlassen und müsse es vertreten, daß die Kündigung nicht erfolgte.

Dieser Rechtsmeinung kann nicht gefolgt werden. Das Erfordernis der Kenntnis des Erwerbers "von der Versicherung" umfaßt zwar nicht den Inhalt des Versicherungsvertrages, wohl aber ist das Wissen erforderlich, daß die gekaufte Sache versichert ist und wer der Versicherer ist. Der Erwerber muß nämlich so viel wissen, daß er imstande ist, sein Kündigungsrecht zu verwirklichen (Bruck - Möller, VVG[8] II, 887; Prölß - Martin, VVG[19], 382). Richtig ist allerdings, daß beim Kauf eines zum Verkehr schon zugelassenen Kraftfahrzeuges regelmäßig das Bestehen einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vorauszusetzen ist (§ 36 lit. d und § 37 Abs. 2 lit. b KFG 1967). Aber damit ist noch nicht der Name des Versicherers bekannt. Die von der Revisionswerberin angeführte Entscheidung VersR 1966, 840 bezieht sich auf das Innenverhältnis zwischen Verkäufer und Erwerber. In bezug auf die Kündigungsfrist des § 70 Abs. 2 VersVG im Außenverhältnis zwischen dem Erwerber und dem Versicherer stellt sich hingegen die Frage, ob der Erwerber, etwa weil es sich um eine Pflichtversicherung handelt, zur Erkündigung über den Namen des Versicherers verpflichtet und ob deshalb das Kennenmüssen der Kenntnis vom Bestehen der konkreten Versicherung gleichzusetzen ist. Diesen Standpunkt vertritt allerdings Bruck - Möller, wobei er jedoch zugesteht, daß er sich im Widerspruch zur herrschenden Meinung befindet (888). Pienitz (AKB[2], 138) hält zwar eine Rückfrage des Erwerbers beim Veräußerer und allenfalls bei der Zulassungsstelle für zumutbar, leitet aber aus ihrer Unterlassung bloß die Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen des Veräußerers gegen den Erwerber ab.

Die herrschende Meinung lehnt eine Erkündigungspflicht des Erwerbers auch in den Fällen einer Pflichtversicherung ab (vgl. besonders Prölß - Martin[19], 382), und dies ist auch der Standpunkt des deutschen Bundesaufsichtsamtes (VA 1958, 271). Der Oberste Gerichtshof folgt dieser herrschenden Ansicht, von der übrigens anscheinend sogar die Klägerin selbst in der vorprozessualen Belehrung ausgegangen ist, die dem Beklagten nicht zukam. Im Versicherungsrecht steht ein bloßes Kennenmüssen im allgemeinen dem positiven Wissen nicht gleich (vgl. Prößl - Martin[19], 45, 184, 198), sondern es wird dem letzteren nur in Ausnahmefällen teils ausdrücklich vom Gesetz und teils von der österreichischen Rechtsprechung dort gleichgesetzt, wo sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis der maßgeblichen Umstände geradezu arglistig (§ 16 Abs. 2 VersVG) oder in Mißachtung der Verkehrsvorschriften (§ 102 KFG) leichtfertig entzogen hat (EvBl. 1970/262 zu § 23 VersVG). Ein ausdehnende Auslegung des § 70 Abs. 2 VersvG nur für die Fälle einer Haftpflichtversicherung ist abzulehnen, weil § 158h hiefür anordnet, daß die Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache (§§ 69 bis 73) sinngemäß gelten, und auch Art. 12 Abs. 4 AKHB 1967 nichts Gegenteiliges bestimmt. Die Frist des § 70 Abs. 2 VersVG zweiter Halbsatz wird somit mangels bestehender Erkündigungspflicht des Erwerbers durch die bloße Wahrscheinlichkeit, daß bei irgend einem namentlich nicht bekannten Versicherer eine Haftpflichtversicherung für das gekaufte Kraftfahrzeug bestehe, nicht in Gang gesetzt. Der angefochtenen Entscheidung haftet ein Rechtsirrtum nicht an, zumal es der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes der Verkäuferin Anna S bloß freistellte, eine allenfalls bestehende Versicherung selbst zu kundigen, ihr aber keinen Auftrag erteilte, sodaß er ihre Untätigkeit nicht zu vertreten hat.

Anmerkung

Z47056

Schlagworte

Frist des § 70 Abs. 2 VersVG. Beginn der - bei Kündigung des, Neuerungsverhältnisses durch Erwerber, Haftpflichtversicherung, Beginn der Frist des § 70 Abs. 2 VersVG zur, Kündigung durch Erwerber, Kündigungsrecht des Versicherungsverhältnisses des Erwerbers, Beginn, der Frist, Versicherungsverhältnis, Beginn der Frist zur Kündigung des - durch, Erwerber

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1974:0070OB00050.74.0425.000

Dokumentnummer

JJT_19740425_OGH0002_0070OB00050_7400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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