Norm
ABGB §778Kopf
SZ 47/77
Spruch
Der zweite Fall des § 778 ABGB setzt keinen Irrtum des Testators voraus; vielmehr genügt hier die Tatsache, daß ein kinderloser Erblasser erst nach der Erklärung seines letzten Willens - sei es auch durch Adoption - einen Noterben erhält, für den keine Vorsorge getroffen ist
OGH 20. Juni 1974, 6 Ob 95/74 (OLG Wien 5 R 22/74; LGZ Wien 37 d Cg 111/73)
Text
Der Kläger ist der Neffe der am 23. Feber 1972 verstorbenen Philomena B. Der Beklagte wurde von ihr mit Adoptionsvertrag vom 3. März 1971 an Kindesstatt angenommen. Das Bezirksgericht I St W bewilligte diese Annahme an Kindesstatt am 3. Mai 1971. Philomena B setzte in ihrem Testament vom 22. Jänner 1969 den Kläger zu ihrem Alleinerben ein. Sie hatte damals keinen Noterben. Mit Notariatsakt vom 22. Oktober 1970 schenkte sie den ihr als offene Handelsgesellschafterin zu einem Drittel zustehenden Gesellschaftsanteil an der offenen Handelsgesellschaft "Johann B & Co." und ihre Ein-Drittel-Anteile an den Liegenschaften EZ X und EZ Y, den Eltern des Beklagten, Emmerich und Klothilde S. Den Geschenknehmern wurde keine Verpflichtung auferlegt, aus der Schenkung dem Beklagten in irgendeiner Form Werte zukommen zu lassen.
Der Beklagte ist der einzige allenfalls pflichtteilsberechtigte Erbe nach Philomena B.
Der Kläger begehrte mit seiner am 8. April 1973 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung, daß die Testamente der Philomena B vom 11. Juli 1970 und vom 25. November 1970 ungültig seien und ihm auf Grund des Testamentes vom 22. Jänner 1969 das alleinige Erbrecht nach der am 25. Feber 1972 verstorbenen Philomena B zustehe. Er brachte im wesentlichen vor, die Testamente vom 11. Juli 1970 und 25. November 1970 seien mit Formmängeln behaftet, Philomena B habe sich bei Errichtung des Testamentes vom 25. November 1970 überdies in einem Zustand der Geistesschwäche und einer vom Vater des Beklagten hervorgerufenen Unruhe und Furcht befunden. Während des Verfahrens brachte der Kläger noch vor, Philomena B habe für den Beklagten im Sinne des § 778 ABGB "insofern genügend Vorsorge getroffen", als sie wesentliche für die Versorgung des Minderjährigen ausreichende Vermögensteile mit Notariatsakt den ehelichen Eltern des Beklagten geschenkt habe.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte im wesentlichen vor, wohl entspreche das Testament vom 11. Juli 1970 nicht den gesetzlichen Formvorschriften, doch seien dieses und das Testament vom 22. Jänner 1969 durch das gültig zustande gekommene Testament vom 25. November 1970 aufgehoben worden. Die im Testament vom 22. Jänner 1969 enthaltene Erbeinsetzung sei überdies gemäß § 778 ABGB "zur Gänze" entkräftet worden.
Das Erstgericht wies mit Beschluß den Antrag des Klägers auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des von ihm wegen Anfechtung des zwischen Philomena B und dem Beklagten abgeschlossenen Adoptionsvertrages anhängig gemachten Rechtsstreites und mit Urteil das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, durch den von Philomena B mit dem Beklagten abgeschlossenen Adoptionsvertrag sei "das vom Kläger angefochtene Testament vom 22. Jänner 1969" entkräftet worden. Philomena B habe keine Vorsehung zur Versorgung ihres Adoptivsohnes im Sinne des § 778 ABGB getroffen. Die Eltern des Beklagten seien auf Grund des Gesetzes verpflichtet, für den minderjährigen Beklagten bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit zu sorgen.
Die vom Kläger erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsgericht traf auf Grund der Aktenlage noch folgende zusätzliche Feststellungen:
Im Verlassenschaftsverfahren nach Philomena B gab der Beklagte am 20. April 1972 auf Grund des Testamentes vom 11. Juli 1970 die bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab, welche zu Gericht angenommen wurde. Mit Eingabe vom 15. September 1972 teilte der Kläger dem Verlassenschaftsgericht mit, daß das Testament vom 11. Juli 1970 mangels Einhaltung der gesetzlichen Form rechtsunwirksam sei. Am 22. September 1972 gab er auf Grund des Testamentes vom 22. Jänner 1969 die bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab, welche zu Gericht angenommen wurde. Daraufhin legte der Beklagte das Testament der Philomena B vom 25. November 1970 vor, mit welchem diese sämtliche von ihr bisher errichteten letztwilligen Anordnungen widerrufen hatte, und er gab mit Rücksicht auf dieses Testament die bedingte Erbserklärung auf Grund des Gesetzes ab. Diese Erbserklärung ergänzte er in der Tagsatzung vom 13. Feber 1973 dahin, daß sie zum ganzen Nachlaß abgegeben werde. Zufolge der widersprechenden Erbserklärungen wies das Verlassenschaftsgericht mit Beschluß vom 13. Feber 1973 dem Kläger die Klägerrolle im Erbrechtsstreit zu und trug ihm auf, binnen vier Wochen ab Rechtskraft des Beschlusses die Einbringung der Erbrechtsklage nachzuweisen, widrigenfalls das Verlassenschaftsverfahren nur mit dem auf Grund des Gesetzes erbserklärten Adoptivsohn der Erblasserin fortgesetzt werden würde.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, zum Unterschied von dem ersten in § 778 ABGB geregelten Fall des Übergehens eines einzigen Noterben, welcher einen Irrtum des Erblassers im Beweggrund voraussetze, sei für den zweiten Fall, daß ein kinderloser Erblasser erst nach Erklärung seines letzten Willens einen Noterben erhalte, für den keine Vorsehung getroffen sei, bloß eine nach Errichtung des letzten Willens eingetretene Änderung der Verhältnisse erforderlich. Einen Noterben im Sinne dieser Gesetzesstelle erhalte der Erblasser auch dann, wenn er nach Erklärung seines letzten Willens ein Kind adoptiere. Der von der überwiegenden Lehre und Rechtsprechung abweichenden Ansicht Kraliks könne nicht beigepflichtet werden. Aber auch wenn man dieser Lehrmeinung folgen wollte, daß die Entkräftung des letzten Willens auch im zweiten Fall des § 778 ABGB nur dann eintrete, wenn der Erblasser über das künftige Vorhandensein eines Noterben irre, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Kralik führe zwar aus, das Gesetz verstehe unter dem Irrtum nur einen über das (physische) Dasein des Noterben, nicht aber einen solchen über die natürliche Abstammung vom Erblasser bzw. über die Noterbenqualität, rede jedoch einer analogen Anwendung des Gesetzes auch auf jene Fälle das Wort, in denen der Irrtum des Erblassers nach allgemeiner Lebenserfahrung mit der gleichen Stärke für seinen vermuteten Willen spreche wie der Irrtum über das Dasein des Noterben. Ein solcher Irrtum liege vor, wenn der Erblasser (richtig: Testator) nach Testamentserrichtung ein Kind adoptiere. Daß die Adoption einen Willensakt "des Erblassers " voraussetze, schließe das Vorliegen eines Irrtums im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht aus. Daß Philomena B bereits am 22. Jänner 1969 beabsichtigt hätte, den Beklagten zu adoptieren, habe der Kläger nicht behauptet. Zufolge der Entkräftung des Testamentes vom 22. Jänner 1969, aus welchem der Kläger sein Erbrecht ableite, erübrige sich eine Untersuchung der Frage, ob dieses Testament nicht auch durch das Testament vom 25. November 1970 widerrufen worden sei. Fehle dem Kläger das Erbrecht, dann sei er nicht berechtigt, auf Feststellung der Ungültigkeit der Testamente vom 11. Juli 1970 und vom 25. November 1970 zu klagen.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorweg ist festzuhalten, daß die Annahme des minderjährigen Beklagten durch Philomena B an Kindes statt zu keiner Änderung der gesetzlichen Vertretung des Beklagten durch seinen ehelichen Vater geführt hat. Wird ein unter väterlicher Gewalt stehendes Kind durch eine Wahlmutter an Kindes statt angenommen, erlöschen gemäß § 182 Abs. 2 Satz 2 ABGB die nicht bloß in der Verwandtschaft ansich bestehenden familienrechtlichen Beziehungen lediglich hinsichtlich der leiblichen Mutter, es sei denn, das Gericht hätte zufolge Einwilligung des ehelichen Vaters in das Erlöschen dieser Beziehungen auch ihm gegenüber dies ausgesprochen. Da eine solche Einwilligung und ein diesbezüglicher Ausspruch des Gerichtes nicht vorliegt, wurde die väterliche Gewalt des ehelichen Vaters über seinen minderjährigen Sohn durch die Annahme an Kindes statt nicht berührt (vgl. dazu 6 Ob 407/61 und die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage über das Bundesgesetz zur Neuordnung des Rechtes der Annahme an Kindes statt, 107 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. GP).
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Unter Berufung auf die Ausführungen von Kralik in JBl. 1973, 541 f., führt der Revisionswerber aus, "die Wirkung der Entkräftung der letzten Willenserklärung im Sinne des § 778 zweiter Fall ABGB" trete nur dann ein, wenn ein Irrtum des Erblassers vorliege, welcher für die Übergehung kausal gewesen sei. Lediglich in diesem Falle versuchten die Bestimmungen der §§ 777 ff. ABGB dem vermuteten erblasserischen Willen zum Durchbruch zu verhelfen. Ein solcher Irrtum könne sich nur auf "für den Erblasser" nicht vorhersehbare Umstände beziehen, wie etwa ein nachgeborenes Kind, mit welchem der Erblasser nach den Umständen des Falles nicht mehr habe rechnen können. Eine Adoption falle aber "nicht unter diesen Begriff des Irrtums, weil der Erblasser in diesem Fall selbst rechtssetzend" handle. In einem solchen Falle bedürfe es zur Entkräftung des vorangegangenen Testamentes einer ausdrücklichen auf diese Wirkung gerichteten Willenserklärung "des Erblassers", welche im vorliegenden Fall nicht erfolgt sei.
Mit Recht ist das Berufungsgericht mit dem Hinweis auf die vom Gesetzgeber für die beiden in § 778 ABGB angeführten Fälle aufgestellten verschiedenen Voraussetzungen der Lehrmeinung Kraliks nicht gefolgt. Der Oberste Gerichtshof sieht sich weder durch die vom Revisionswerber zitierten Ausführungen Kraliks noch durch die Revisionsausführungen veranlaßt, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen, daß für die in § 778 ABGB angeordnete Entkräftung der Anordnungen des letzten Willens, ausgenommen die in dieser Gesetzesstelle genannten Vermächtnisse, die Tatsache, daß ein kinderloser Erblasser erst nach der Erklärung dieses letzten Willens einen Noterben erhält, für den keine Vorsorge getroffen ist, genügt.
Der Hinweis Kraliks auf die "offenbare Anlehnung" der Regelung des ABGB "an das römische Soldatentestament" ist nicht überzeugend. Weiß hat in Klang[2] ausgeführt, daß die Bestimmung des § 778 ABGB ersichtlich auf dem römisch-rechtlichen Satz "testamentum agnatione postumi rumpitur" beruht, dieser Grundsatz nur einmal durch die Aufrechterhaltung gewisser Vermächtnisse abgeschwächt, andererseits der römisch-rechtliche Tatbestand erweitert ist, indem nicht bloß der Postumus, sondern überhaupt jeder später, d. h. nach der Testamentserrichtung erhaltene, Noterbe die Entkräftung herbeiführt und dem Agnitionsfall ein zweiter Fall (irrtümliche Übergehung des einzigen Noterben) gleichgehalten wird. Wenn Kralik weiter darauf hinweist, die von ihm vertretene Ansicht sei im Wortlaut des Gesetzes "freilich nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen", ist ihm entgegenzuhalten, daß gerade die Formulierung der beiden ersten Halbsätze des § 778 ABGB die Annahme mangelnder Deutlichkeit ausschließt. Während der Gesetzgeber im ersten Halbsatz des § 778 ABGB auf den in der vorangegangenen Bestimmung des § 777 ABGB angeführten Irrtum hinweist, wurde - wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat - im zweiten Halbsatz die Entkräftung des letzten Willens bloß von der nach Errichtung des letzten Willens eingetretenen Änderung der Verhältnisse abhängig gemacht, welche nur dann keine Bedeutung haben sollte, wenn für den (zukünftigen) Noterben etwa bereits eine Vorsehung getroffen wurde. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, der Umstand, daß der Fall des Postumus mit einem ausdrücklich vom Irrtum abhängigen Fall in einer Bestimmung und mit derselben Rechtsfolge zusammengefaßt worden sei, deute darauf hin, daß das Testament in beiden Fällen "aus dem gleichen Gründe entkräftet" werde.
Soweit Kralik sich mit der Frage des vermuteten Willens des Testators auseinandersetzt, braucht darauf schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil der Kläger in erster Instanz keine Behauptung in der Richtung aufgestellt hat, Philomena B hätte auch nach der Adoption des Beklagten ihren Willen kundgetan, ihr vorher errichtetes Testament vom 22. Jänner 1969 solle aufrecht bleiben.
Da entgegen der Annahme des Revisionswerbers für die Anwendung des § 778, zweiter Fall, ABGB ein Irrtum des Testators nicht Voraussetzung ist, haben die Vorinstanzen mit Recht die Entkräftung des Testamentes vom 22. Jänner 1969 durch die am 3. März 1971 erfolgte Adoption des Beklagten durch Philomena B angenommen und das Klagebegehren abgewiesen.
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen, ohne daß auf die in ihr enthaltenen Ausführungen zu der vom Berufungsgericht für den Fall der Beachtung der Lehrmeinung Kraliks gegebenen Begründung einzugehen war.
Anmerkung
Z47077Schlagworte
Adoption, testamentum ruptum, Noterbeneigenschaft durch -, Noterbe, testamentum ruptum, Testamentum ruptum, Irrtum des Testators keine Voraussetzung, sondern, das Vorhandensein eines Noterben, für den keine Vorsorge getroffen istEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1974:0060OB00095.74.0620.000Dokumentnummer
JJT_19740620_OGH0002_0060OB00095_7400000_000