TE OGH 1974/11/21 2Ob269/74

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Veröffentlicht am 21.11.1974
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Norm

ABGB §754
ABGB §778

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SZ 47/134

Spruch

Das Inkrafttreten des neuen Unehelichenrechtes hat die Rechtswirksamkeit früherer letztwilliger Verfügungen der Väter unehelicher Kinder nicht berührt

OGH 21. November 1974, 2 Ob 269/74 (OLG Innsbruck 2 R 157/74 LG Feldkirch 4 Cg 3568/73)

Text

Die am 28. November 1934 geborene Klägerin ist eine uneheliche Tochter des am 21. August 1973 verstorbenen Ambros M, der die Vaterschaft zu diesem Kind am 24. Dezember 1934 vor dem Bezirksgericht B anerkannt hatte. Ambros M war ledig und hatte keine weiteren Kinder. In einem am 6. September 1961 errichteten Testament hatte er die Beklagten, die Kinder seines Bruders Gottlieb M, zu Erben seines gesamten Nachlasses eingesetzt. Die Klägerin, deren Vorhandensein ihm zur Zeit der Testamentserrichtung bekannt war, ist in dieser letztwilligen Verfügung nicht erwähnt.

Im Zuge des Abhandlungsverfahrens nach Ambros M gaben die Klägerin auf Grund des Gesetzes und die Beklagten auf Grund des Testamentes vom 6. September 1961 bedingte Erbserklärungen jeweils zum ganzen Nachlaß ab. Diese widersprechenden Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen. Zur Erhebung der Erbrechtsklage wurde die Klägerin angewiesen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, das Testament des Ambros M vom 6. September 1961 für ungültig zu erklären und ihr Erbrecht auf Grund des Gesetzes festzustellen. Sie beruft sich darauf, daß sie zufolge des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes vom 30. Oktober 1970, BGBl. 342/1970 die einzige Noterbin des Ambros M sei und daß das Testament vom 6 September 1961, in dem sie übergangen werde, nach § 778 ABGB gänzlich entkräftet worden sei. Da nach dieser Gesetzesstelle aufrecht bleibende Vermächtnisse nicht vorliegen, gebühre ihr der ganze Nachlaß.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten ein, § 778 ABGB greife nur im Falle einer irrtümlichen Übergehung des einzigen Noterben ein, der aber hier nicht gegeben sei, weil der Erblasser in dem Bewußtsein, ein uneheliches Kind zu haben, dieses übergangen und andere Personen als Erben eingesetzt habe. Es wäre widersinnig, unter Berufung auf § 778 ABGB, welche Bestimmung doch nur dem vermutlichen Willen des Erblassers zum Durchbruch verhelfen wolle, diesen Willen umzustoßen und in sein Gegenteil zu verkehren. Das Testament vom 6. September 1961 sei daher nach wie vor gültig.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Es vertrat (unter Berufung auf Weiß in Klang [2] III, 882) den Standpunkt, Ambros M sei zunächst als kinderlos im Sinne des § 778 ABGB anzusehen gewesen, weil er kein pflichtteilsberechtigtes Kind gehabt habe. Erst nach der Erklärung seines letzten Willens habe er durch das Bundesgesetz vom 30. Oktober 1970, BGBl. 342/1970, in der Person der Klägerin einen Noterben erhalten, für den "keine Vorsehung" getroffen worden sei. Es folgerte daraus (unter Berufung auf Meyer,

Das Recht des unehelichen Kindes, Juridica-Kurzkommentar, 140/141, und die Gesetzesmaterialien), daß die letztwillige Anordnung des Ambros M, in der keine begünstigten Vermächtnisse angeordnet werden, gänzlich entkräftet worden sei. Es habe daher die Klägerin als einzige gesetzliche Erbin Anspruch auf den ganzen Nachlaß.

Die dagegen erhobene Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es führte dazu im wesentlichen unter Berufung auf Entbesprechung des eben genannten Werkes von Meyer in ÖJZ 1972, 277, und Kralik, Das testamentum ruptum und das Pflichtteilsrecht des unehelichen Kindes, in JBl. 1973, 541, aus:

Das Gesetz verfolge in der Bestimmung des § 778 ABGB nicht den Zweck, dem übergangenen Noterben gegen den Willen des Erblassers einen vollen gesetzlichen Erbteil zu verschaffen, sondern es wolle dem wahren Willen des Erblassers zum Durchbruch verhelfen, der aus einem Irrtum einen Noterben übergehe oder ihn deshalb übergangen habe, weil er zur Zeit der Testamentserrichtung den Noterben noch nicht hatte, weil das Kindschaftsverhältnis durch Geburt, Adoption oder Legitimation erst später begrundet wurde. An den Fall, daß die Noterbenqualität eines bei Testamentserrichtung bereits vorhandenen und dem Erblasser bekannten unehelichen Kindes später durch den Gesetzgeber erst geschaffen werde, habe der Gesetzgeber des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches nicht denken können. Die Bestimmung des § 778 ABGB sei daher auf diesen Fall nicht anwendbar. Sei dem Testator zur Zeit der Testamentserrichtung die Existenz der Klägerin bekannt gewesen und habe er sie in Kenntnis seiner Vaterschaft dennoch übergangen, dann liege kein Anlaß für eine Ergänzung oder Berichtigung des Willens und der Willenserklärung des Testators vor. Es könne nicht gefolgert werden, daß der Erblasser der Klägerin seinen ganzen Nachlaß hinterlassen wollte, wenn er gewußt hätte, daß der Gesetzgeber dem unehelichen Kind im Jahr 1970 ein gesetzliches Erbrecht und damit ein Noterbrecht einräumen werde, zumal er diese Gesetzesänderung nicht zum Anlaß genommen habe, auch sein Testament zu ändern. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber des Jahres 1970 hätte beabsichtigt, alle letztwilligen Verfügungen lediger Männer, die ihre unehelichen Kinder im Testament bewußt übergangen haben, außer Kraft zu setzen und ihnen gegen den offenbaren Willen des Testators den ganzen Nachlaß zu verschaffen. Die dem Gesezteswortlaut entsprechende Überzeugung des Gesetzgebers, den Erbrechtsanspruch auch schon für die lebenden unehelichen Kinder ab sofort geschaffen zu haben, sage noch nichts über die Anwendung des § 778 ABGB und damit über die Entkräftigung letztwilliger Verfügungen durch die Neugestaltung des § 754 ABGB aus.

Auch der zweite Halbsatz des § 778 ABGB knüpfe offenbar an einen Irrtum des Testators an. Darunter könne aber nicht die Unwissenheit darüber verstanden werden, daß ein späterer Gesetzgeber bestimmten, zur Zeit der Testamentserrichtung bereits existenten Personen ohne jedes Zutun seitens des Erblassers ein Noterbrecht verleihen werde. Es sei also schon ein relevanter Irrtum nicht gegeben. Darüber hinaus wäre aber auch die Kausalität dieses Irrtumes für die Übergehung vom Anfechtenden zu beweisen. Der übergangene Pflichtteilsberechtigte könne demnach nur dann seinen gesetzlichen Erbteil erhalten, wenn aus den von ihm zu beweisenden Umständen anzunehmen sei, daß seine Übergehung im Testament nur daher rühre, daß dem Erblasser seine rechtliche Qualifikation als Pflichtteilsberechtigter damals noch unbekannt gewesen sei, daß der Erblasser ihm also unter Ausschluß der eingesetzten Erben den ganzen Nachlaß hinterlassen hätte, wenn er gewußt hätte, daß das Gesetz dem Übergangenen später ein Noterbrecht zuerkennen werde, sowie daß der Erblasser dies vor seinem Tode tatsächlich nicht gewußt habe. Ein Beweis in dieser Richtung sei aber weder angeboten noch erbracht worden. Die Klägerin könne somit nicht mehr als den ihr durch das Bundesgesetz vom 30. Oktober 1970, BGBl. 342/1970, eingeräumten Pflichtteil beanspruchen. Ihr Begehren, das Testament des Ambros M vom 6. September 1961 für ungültig zu erklären und ihr Erbrecht auf Grund des Gesetzes festzustellen, sei daher abzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der von der Revision vertretenen Ansicht, mit der Einführung eines gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechtes unehelicher Kinder durch das Bundesgesetz vom 30. Oktober 1970, BGBl. 342/1970, habe ein bis dahin kinderloser Testator im Sinne des § 778 ABGB einen Noterben erhalten und es sei damit ein von einem solchen Erblasser vorher erklärter letzter Wille, in dem für das uneheliche Kind keine Vorsorge getroffen worden sei, abgesehen von den im § 778 ABGB genannten Vermächtnissen gänzlich entkräftet worden, kann nicht beigepflichtet werden. Der Klägerin ist zuzugeben, daß bloß wörtliche Auslegung der angeführten Bestimmung zu einem solchen Ergebnis führen konnte, denn sie unterscheidet nicht zwischen den Möglichkeiten der Erlangung eines Noterben. Daß der historische Gesetzgeber dabei in erster Linie an die nachfolgende Geburt eines Kindes, aber auch an die Möglichkeit der Legitimierung und der Adoption gedacht hat und eine Schaffung einer Noterbenqualität durch bloße gesetzliche Anordnung nicht in Betracht gezogen hat, würde ebenfalls den Standpunkt der Beklagten nicht zu stärken vermögen, weil es - ja die Absicht des Gesetzgebers des Jahres 1970 gewesen sein könnte, den Inhalt des § 778 ABGB durch die Änderung des § 754 Abs. 2 ABGB zu erweitern. Daß dies aber nicht die Absicht des Gesetzgebers war, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt.

Geht man auch davon aus, daß Kinderlosigkeit im Sinne des § 778 ABGB dann anzunehmen ist, wenn der Erblasser keine pflichtteilsberechtigten Kinder hat (so Weiß in Klang[2] III, 882), so gehen die daraus von Meyer, Zum Recht des unehelichen Kindes, Juridica-Kurzkommentar, 140, gezogenen Schlüsse, daß alle letztwilligen Verfügungen von Vätern unehelicher Kinder, in denen für das uneheliche Kind keine Vorsorge getroffen worden sei, ungültig werden, doch zu weit. Im Erbrecht herrscht der Grundsatz, daß der Wille des Erblassers im Rahmen des Gesetzes grundsätzlich Beachtung finden soll. In diesem Sinne legt auch Weiß, 881, die Bestimmung des § 778 ABGB dahin aus, daß sie zwar mehr sei als eine bloße Auslegungsregel, daß ihre Anwendung aber doch zu entfallen habe, wenn anzunehmen sei, daß der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die betreffende Verfügung getroffen hätte; dies gelte nicht nur für den Präteritions-, sondern auch für den Agnationsfall. Auch Bartsch, Erbrecht[2], 1944 Punkt 110, der die Bestimmung des § 778 ABGB als vom Gesetzgeber vorgenommene Korrektur eines Irrtums des Erblassers im Beweggrund auffaßt, geht davon aus, daß diese Korrektur im Sinne des vermuteten Willens des Erblassers erfolgen soll. Ebenso führt Kralik, Das testamentum ruptum und das Pflichtteilsrecht des unehelichen Kindes, JBl. 1973, 541, aus, es solle dem wahrscheinlichen Willen des Testators, der nur infolge eines Irrtums nicht entsprechend zum Ausdruck gekommen sei, zum Durchbruch verholfen werden. Für die Übergehung sei aber der Irrtum über die Noterbenqualität nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ursächlich, weshalb hier § 778 ABGB nicht anwendbar sei. Schließlich hat auch der Oberste Gerichtshof erst in jüngster Zeit ausgesprochen, daß die Bedachtnahme auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers auch im § 778 ABGB zutage trete und die Anwendung dieser Bestimmung dann entfallen müsse, wenn angenommen werden müsse, daß der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen hätte (7 Ob 75/73).

Nun hat Ent in der Besprechung zu dem oben angeführten Werk von Meyer, ÖJZ 1972, 277, richtig darauf verwiesen, daß der Grundgedanke der §§ 777 und 778 ABGB darauf beruhe, daß der Erblasser sein irrtümlich übergegangenes Kind seinen übrigen Kindern nicht nachgesetzt, sondern Dritten jedenfalls vorgezogen hätte und daß eine bewußte Benachteiligung, die keiner Abhilfe durch das Gesetz bedürfe, dann vorliege, wenn der Erblasser in dem Bewußtsein, ein uneheliches Kind zu haben, letztwillig jemand anderen zum Erben einsetze. Habe er das uneheliche Kind aber bewußt von der Erbfolge ausgeschlossen, dann wäre es widersinnig, diesen Willen unter Berufung auf § 778 ABGB umzustoßen. Dieser Ansicht hat sich das Berufungsgericht mit Recht angeschlossen, denn eine solche Absicht kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Es ist deshalb auch der von Ent und dem Berufungsgericht daraus gezogenen Folgerung beizupflichten, daß durch das Inkrafttreten des neuen Unehelichenrechtes die Rechtswirksamkeit früherer letztwilliger Verfügungen der Väter unehelicher Kinder unberührt bleibt.

Dieses Ergebnis kann auch durch den Einwand nicht entkräftet werden, der Wille des Gesetzgebers, den Erbrechtsanspruch auch den schon jetzt lebenden unehelichen Kindern zu verschaffen, komme in den Ausführungen des Abgeordneten zum Nationalrat X (16. Sitzung der XII. GP, 942 des stenographischen Protokolles) eindeutig zum Ausdruck. Abgesehen davon, daß diese Ausführungen - entgegen den Behauptungen der Revision - nicht als authentische Interpretation des Gesetzgebers aufzufassen sind (siehe § 8 ABGB), sagen sie - worauf schon das Berufungsgericht mit Recht hingewiesen hat - über die Anwendung des § 778 ABGB und im Zusammenhang damit über die Entkräftung letztwilliger Verfügungen durch die Änderung des § 754 Abs. 2 ABGB nichts aus.

Anmerkung

Z47134

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1974:0020OB00269.74.1121.000

Dokumentnummer

JJT_19741121_OGH0002_0020OB00269_7400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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