TE OGH 1976/6/15 5Ob611/76

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Veröffentlicht am 15.06.1976
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Norm

ZPO §411

Kopf

SZ 49/81

Spruch

Eine im materiellen Recht begrundete selbständige Klage auf Beseitigung der durch die Erfüllung der urteilsmäßigen Leistungspflicht herbeigeführten Wirkungen unter Berufung auf einen Tatbestand des materiellen Rechtes (z. B. Sittenwidrigkeit, Wucher), der im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz der Schlüssigkeit des Klagebegehrens entgegenstand, ist ausgeschlossen. Die Rechtskraft eines Urteiles kann nur durch eines der erschöpfend von der Prozeßordnung vorgesehenen Mittel beseitigt werden

OGH 15. Juni 1976, 5 Ob 611/76 (OLG Innsbruck 2 R 31/76; LG Innsbruck 6 Cg 31/75)

Text

Mit dem Versäumungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. November 1970, GZ 5 Cg 590/70-3, wurde die nun klagende Partei schuldig erkannt, dem jetzt Beklagten den Betrag von 600 000 S samt 8% Zinsen und 12% Verzugszinsen seit 10. Juli 1969 bei sonstiger Exekution auf die verpfändeten Liegenschaften EZ 80 II und 377 II des Grundbuches über die KG S und weiters den Betrag von 13 892 S samt 4% Zinsen seit 15. Oktober 1970 zu bezahlen sowie 13 913.75 S an Prozeßkosten zu ersetzen.

Diesem Urteil lag die Klagebehauptung zugrunde, die nun klagende Partei schulde gemäß der Schuld- und Pfandbestellungsurkunde vom 11. Juli 1969 dem hier Beklagten ein auf den angeführten Liegenschaften sichergestellten Darlehen in der Höhe von 600 000 S samt vereinbarten Zinsen von jährlich 8% sowie 12% Verzugs- und Zinseszinsen, ferner 6 212 S als und 7 690 S als Eintragungsgebühr für die Einverleibung des Pfandrechtes im Grundbuch.

Das Urteil erwuchs mangels Anfechtung in Rechtskraft.

Zur Hereinbringung seiner Forderung aus diesem Urteil führte der nun Beklagte gegen die Verpflichtete zu E 79/70 des Bezirksgerichtes Silz Exekution.

Am 8. Jänner 1973 bezahlte die nun klagende Partei dem Vertreter des Gläubigers den Betrag von 1 002 835.70 S "zwecks Entschuldung" unter Vorbehalt des Anspruches auf teilweisen Rückersatz.

Die Verpflichtete begehrte nun als Klägerin von ihrem damaligen Gläubiger als Beklagten die Zurückzahlung des Betrages von 40 024 S samt 8% Zinsen seit 1. Jänner 1975 mit der Behauptung, der Beklagte habe zu Unrecht in dem angeführten Versäumungsurteil zusätzlich zu den Normalzinsen von 8% noch weitere 12% Verzugszinsen zugesprochen bekommen, obwohl er nach dem Vertrag der Parteien nur im Verzugsfall berechtigt gewesen wäre, anstatt 8% Normalzinsen 12% Verzugszinsen zu begehren. Der nun Beklagte habe 20% Zinsen p. a. entweder irrtümlich oder absichtlich in gesetz- und sittenwidriger Auslegung bzw. Anwendung einer Vertragsbestimmung begehrt. Ein solcher Zinsfuß sei wucherisch. Nur unter dem Druck der drohenden Versteigerung habe sie, die Klägerin, mit dem Vorbehalt der teilweisen Rückforderung den gesamten vom nun Beklagten damals geforderten Betrag bezahlt. Der an Zinsen zuviel bezahlte Betrag errechne sich mit 186 240 S. Durch Kompensation mit Darlehens- und Zinsenverbindlichkeiten ergebe sich der Klagebetrag von 40 024 S. Wegen grob fahrlässigen Zahlungsverzuges des Beklagten werde ein Verzugszinsensatz von 8% p.

a. geltend gemacht, denn die Klägerin arbeite mit einem gleich hoch verzinslichen Bankkredit.

Der Beklagte hat die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und im wesentlichen eingewendet, daß die Klägerin mit ihrer Klage in unzulässiger Weise die Rechtskraft des Versäumungsurteiles durchbrechen wolle, das die Grundlage der Exekutionsführung gebildet habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil es nach durchgeführten Beweisverfahren zu dem Ergebnis gekommen war, es sei aus der Diktion der Zinsenvereinbarung der Parteien in der Schuld- und Pfandurkunde klar abzuleiten, daß die Verzugszinsen in der Höhe von 12% p. a. anstelle der normalen Zinsen von 8% p. a. Zinsen treten sollten, wenn die Darlehensnehmerin in Zahlungsverzug komme. Da das Versäumungsurteil nicht dem Vertragsinhalt entspreche, sei die Klägerin berechtigt, die von ihr bezahlte Nichtschuld zurückzufordern.

In Stattgebung der Berufung des Beklagten wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab.

Im wesentlichen führte das Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung aus:

Es sei davon auszugehen, daß die Klägerin mit dem rechtskräftigen Versäumungsurteil des Erstgerichtes u. a. zur Zahlung von 20% Zinsen p. a. ab 10. Juli 1969 von dem Kapitalsbetrag von 600 000 S verurteilt wurde.

Da die Rechtskraft prozessualen Ursprungs sei, könne sie nur mit den in der Prozeßordnung vorgesehenen Mitteln (Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage) beseitigt werden. Daraus ergebe sich, daß eine "ex causa judicati" geleistete Zahlung nicht mittels einer Kondiktion nach § 1431 oder § 1435 ABGB zurückgefordert werden könne.

Eine mit einem Schreib-, Rechenfehler oder einer sonstigen offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 419 ZPO behaftete Entscheidung, die jederzeit berichtigt werden könne, liege nicht vor, denn der Urteilsspruch stimme mit der Klageerzählung überein, so daß von einem Fehler des Gerichtes nicht gesprochen werden könne.

Die Klage stelle sich vielmehr als unzulässiger Versuch dar, die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung mit Mitteln des materiellen Rechtes aus den Angeln zu heben und die in der ZPO vorgesehenen Mittel zur Beseitigung der Rechtskraft zu umgehen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsmittelwerberin ist der Ansicht, bei richtiger Auslegung des Exekutionstitels ergebe sich keinesfalls, daß sie 20% Zinsen zu bezahlen gehabt habe.

Dieser Ansicht kann nicht beigestimmt werden.

Der Inhalt der vollsteckbaren Leistungsverpflichtung ist in erster Linie dem Exekutionstitel selbst zu entnehmen, bei ihm beginnt die Auslegung. Nicht der äußerlich von den Entscheidungsgründen gesonderte Spruch in der Ausfertigung allein ist dabei heranzuziehen, vielmehr ist zufolge der Zweigliedrigkeit des Streitgegenstandes (Klagegrund als Summe der anspruchserzeugenden Sachverhaltsbehauptungen und Klagsbegehren) der "Zuspruch" aus dem Gesamtakt zu ermitteln. Ebenso wie bei der Ermittlung des Rechtskraftgegenstandes geht es auch hier darum, daß der Inhalt der Entscheidung erfaßt wird. Dies wurde von Jelinek (Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Unterlassungen, 30 f.) ebenso richtig erkannt wie die Notwendigkeit, bei gekürzten Urteilsausfertigungen in Ermangelung von Entscheidungsgründen auf die Klage und allfällige, protokollierte Parteierklärungen zurückzugreifen (Jelinek, 31). Das Zinsenbegehren war in der dem Versäumungsurteil des Erstgerichtes zugrunde gelegenen Klage aus einer behaupteten Vereinbarung abgeleitet worden, daß "Zinsen in der Höhe von jährlich 8% sowie 12% Verzugs- und Zinseszinsen" von der Darlehensnehmerin zu bezahlen seien. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin, die das Wort "sowie" nicht als Bindewort anerkennen will und sich damit gegen den Sinn des Satzes nach dem allgemeinen Sprachgebrauch dieses Wortes wendet (vgl. Österreichisches Wörterbuch[23], 193 und Der große Duden, Rechtschreibung[17], 639), ist damit klargestellt, daß insgesamt 20% Zinsen vom Kapital zu bezahlen sind. Der Umfang der Leistungspflicht der mit dem angeführten Versäumungsurteil verurteilten nunmehrigen Klägerin steht demnach auf Grund der gekürzten Ausfertigung des Urteils und der diesem zugrunde liegenden Klageerzählung ohne Zweifel fest. Ein im Sinne des § 419 ZPO berichtungsfähiger Fehler des Prozeßgerichtes, der ohne Rücksicht auf die formelle Rechtskraft einer Entscheidung jederzeit über Antrag oder von Amts wegen zu einer Veränderung des (fehlerhaften) Inhaltes der vollstreckbaren Verpflichtung führen könnte, so daß irrtümlich vom Schuldner erbrachte Leistungen im Wege der Kondiktion rückforderbar wären, haftet dem Versäumungsurteil nicht an. Aus diesem Gründe kann, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, der Klage keine Berechtigung zukommen.

Keine Berücksichtigung kann jedoch ein materiellrechtlicher Tatbestand finden, der - sei es eine inhaltlich anders lautende Vereinbarung der Parteien, sei es eine wucherische Vereinbarung oder ein gegen die guten Sitten verstoßendes Klagebegehren - bereits im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung vor Fällung des Urteiles erster Instanz der Schlüssigkeit des Klagebegehrens entgegenstand, wenn nicht das rechtskräftige Urteil durch eines der erschöpfend von der Prozeßordnung vorgesehenen prozeßrechtlichen Mittel beseitigt worden ist, wie da sind: Nichtigkeitsklage (§ 529 ZPO), Wiederaufnahmsklage (§§ 530, 531 ZPO), Antrag nach § 42 Abs. 2 JN, Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes, Antrag nach § 12 Abs. 3 Ratengesetz und Wiedereinsetzungsantrag nach § 146 ZPO (Fasching III, 738 ff.). Eine im materiellen Recht begrundete selbständige Klage auf Beseitigung der durch die Erfüllung der urteilsmäßigen Leistungspflicht herbeigeführten Wirkungen unter Berufung auf einen Tatbestand materiellen Rechtes, der im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz der Schlüssigkeit des Klagebegehrens entgegenstand, ist ausgeschlossen. Da das Ergebnis des Vorprozesses unter Ausschluß der sachlichen Verhandlung und Prüfung des Gegenstandes dem neuen Urteil bei der Sachentscheidung über den neuen Anspruch zugrunde gelegt werden muß (SZ 44/14; Fasching III, 705), kann das Verfahren vor dem Berufungsgericht auch nicht deshalb mangelhaft geblieben sein, wie die Revisionswerberin meint, weil die Frage, ob für den Fall des Zahlungsverzuges zwischen den Parteien insgesamt 20% Zinsen p. a. vereinbart wurden, aus rechtlichen Erwägungen unerörtert geblieben ist.

Anmerkung

Z49081

Schlagworte

Rechtskraft des Urteiles, Beseitigung der - nur durch eines der, erschöpfend von der Prozeßordnung vorgesehenen Mittel, Urteilsmäßige Leistungspflicht, keine im materiellen Recht begrundete, selbständige Klage auf Beseitigung der durch die Erfüllung der -, herbeigeführten Wirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1976:0050OB00611.76.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19760615_OGH0002_0050OB00611_7600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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