TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/20 2004/08/0195

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Veröffentlicht am 20.04.2005
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs1;
ASVG §5 Abs2 Z1;
ASVG §5 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der R in W, vertreten durch Mag. Michael Rebasso, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 26, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Mai 2004, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/1218/56/2004-3710, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

In einem mit 28. November 2003 datierten Schreiben wurde dem Arbeitsmarktservice S. unter anderem mitgeteilt, die Beschwerdeführerin sei seit ca. zwei Jahren als Kellnerin beschäftigt und beziehe nebenbei noch Arbeitslosenunterstützung. Die Beschäftigung sei der Sozialversicherung nicht gemeldet worden. Die Öffnungszeiten des Lokals, in dem die Beschwerdeführerin tätig sei (in der Folge: Espresso F. genannt), seien Mittwoch bis Samstag 17.00 Uhr bis 4.00 Uhr früh. Der Inhaber des Lokals stelle sich auf den Standpunkt, die Beschwerdeführerin sei seine Freundin und müsse nicht angemeldet werden.

Auf Grund dieses Schreibens hat ein Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice am 18. Dezember 2003 Erhebungen im Espresso F. durchgeführt und darüber in einem Bericht festgehalten, in dem fraglichen Lokal sei auf einem Foto, auf dem auch die Beschwerdeführerin abgebildet sei, eine Werbung für eine Veranstaltung am 28. Juni 2003 angekündigt, was den Schluss zulasse, dass die Beschwerdeführerin zumindest seit Anfang Juni 2003 in diesem Lokal tätig sei.

Bei einer weiteren Erhebung im Espresso F. am 12. Februar 2004 - so ein darüber verfasster Bericht - traf der Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice die Beschwerdeführerin an. Im Zuge eines mit ihr geführten Gespräches habe sie erzählt, dass sie im Winter/Frühjahr 2003 das Lokal renoviert habe. Weiter wird in dem Bericht zu einem an einer Wand des Lokals angebrachten Gedicht bemerkt:

"in der ersten Strophe schon eine nette Hommage an 'unsere liebe R.' (Vorname der Beschwerdeführerin), datiert mit Jänner 2003!

Somit ist der Zeitraum der Tätigkeit mit zumindest einem Jahr bereits geklärt. Um aber evtl. Schutzbehauptungen von vornherein nicht zuzulassen, wurde die Erhebung ohne Angabe der Identität abgebrochen".

Anlässlich einer weiteren Erhebung im Espresso F. am 18. Februar 2004 wurde in einem weiteren Bericht festgehalten, dass nur die Beschwerdeführerin hinter der Schank angetroffen worden sei. Sie sei niederschriftlich einvernommen worden, wozu im Bericht Folgendes festgehalten wurde:

"Zuerst kam die übliche Schutzbehauptung ... allerdings war durch die in der Vorwoche durchgeführte verdeckte Observation, noch dazu mit einer von der (Beschwerdeführerin) händisch ausgestellten Rechnung über EUR 4,30 die Beweislast erdrückend.

Auf Anraten, endlich reinen Tisch zu machen zeigte sich (die Beschwerdeführerin) einsichtig und bestätigte die Tätigkeit ab November 2002, dies deckt sich zwar nicht mit dem Anzeigeinhalt (das wäre eigentlich November 2001) das Gegenteil ist aber vor Ort nicht beweisbar. Es wäre nur noch durch Einvernahme eines oder mehrerer Zeugen möglich, den Zeitraum in Frage zu stellen.

Die Lebensgemeinschaft wurde bestritten steht mM nach aber ohnehin wegen der nicht gemeldeten Beschäftigung von zumindest 15 Monaten nicht mehr zur Diskussion."

Mit Bescheid vom 3. März 2004 hat das Arbeitsmarktservice S. den Bezug der Notstandshilfe durch die Beschwerdeführerin für den Zeitraum vom 1. November 2002 bis zum 25. Jänner 2004 widerrufen und ausgesprochen, dass sie zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in der Höhe von EUR 9.082,56 verpflichtet sei. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin während näher angeführter Zeiten in dem genannten zeitlichen Rahmen "lt. Niederschrift vom 18.02.2004 seit November 2002 beschäftigt" gewesen sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, die Beschäftigungszeiten seien dermaßen eingeschränkt gewesen, dass die laufende Entlohnung die Geringfügigkeitsgrenze nie überschritten habe. Die Geringfügigkeit der Beschäftigung ergebe sich auch dadurch, dass das Lokal nur eingeschränkte Öffnungszeiten gehabt habe und dass wegen längerer Krankheit des Inhabers öfters gänzlich geschlossen gewesen sei. Eine Beschäftigung über der Geringfügigkeitsgrenze sei nie zur Diskussion gestanden; dies wäre nicht anders vereinbart worden und für das Unternehmen wirtschaftlich nicht verkraftbar gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung gab sie den Gang des Verwaltungsverfahrens wieder und führte aus, die Beschwerdeführerin sei seit zumindest 1. November 2002 "arbeitslosenversicherungspflichtig im Lokal F. beschäftigt." Sie sei weder zur Sozialversicherung gemeldet gewesen, noch habe sie das Arbeitsmarktservice von ihrer Tätigkeit in Kenntnis gesetzt.

Erst am 20. Februar 2004 sei sie rückwirkend ab 2. Jänner 2004 als geringfügig Beschäftigte bei der Sozialversicherung angemeldet worden.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Feststellungen "gründen sich auf den Leistungsakt, die chronologisch über EDV geführten Aufzeichnungen des Arbeitsmarktservice, die Ergebnisse der amtlichen Erhebung des Arbeitsmarktservice sowie Ihre eigenen Angaben".

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, dass es sich bei der Beschäftigung der Beschwerdeführerin um eine arbeitslosenversicherungspflichtige und nicht um eine geringfügige gehandelt habe.

"Dies vor allem deswegen, da sie von Erhebungsbeamten des Arbeitsmarktservice anlässlich jeder durchgeführten Erhebung allein im Lokal arbeitend angetroffen wurden.

Unter Berücksichtigung der Öffnungszeiten, Mi bis Sa von 17.00 bis 4.00 Uhr, was einer Wochenöffnungszeit von 44 Stunden entspricht, erscheint eine geringfügige Beschäftigung Ihrerseits lebensfern."

Auf Grund der Arbeitszeiten der Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - habe das ihr zustehende Entgelt jedenfalls die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Die Beschwerdeführerin gelte daher nicht als arbeitslos und habe keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Die Rückforderung begründete die belangte Behörde mit dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihre Beschäftigung nicht gemeldet und damit zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass sie Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu Unrecht beziehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Nach § 7 Abs. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer unter anderem der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf und arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist (Abs. 2 leg. cit.).

Arbeitslos ist nach § 12 Abs. 1 AlVG, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Als arbeitslos gilt jedoch gemäß § 12 Abs. 6 lit. a) AlVG, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, dass die in § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt.

Gemäß § 38 AlVG finden diese Bestimmungen auch auf die Notstandshilfe sinngemäß Anwendung.

Ein Beschäftigungsverhältnis gilt nach § 5 Abs. 2 Z 1 ASVG als geringfügig, wenn es für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als - zuletzt (BGBl. II Nr. 531/2004) - EUR 323,46 gebührt.

Die belangte Behörde hat den Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe auf eine Beschäftigung der Beschwerdeführerin, die das Ausmaß der Geringfügigkeit übersteige und deswegen keine Arbeitslosigkeit begründe, gestützt.

Die Beschwerdeführerin wendet in der Beschwerde ein, es fehlten im angefochtenen Bescheid Feststellungen, die diese rechtliche Beurteilung trügen. Weder das Ausmaß der Beschäftigung noch die Höhe des der Beschwerdeführerin gebührenden Entgelts seien festgestellt worden. Zu diesen Themen sei die Beschwerdeführerin nicht befragt worden; der Dienstgeber der Beschwerdeführerin sei überhaupt nicht einvernommen worden. Sowohl das Verfahren als auch die Entscheidung seien mangelhaft.

Diese Rüge ist begründet:

Zwar hat die belangte Behörde angenommen, dass das der Beschwerdeführerin zustehende Entgelt "auf Grund Ihrer Arbeitszeiten im Lokal" in jedem Fall die Geringfügigkeitsgrenze überstiegen habe. Feststellungen finden sich in diesem Zusammenhang jedoch nur zur "Wochenöffnungszeit" des Lokals; Feststellungen zu den Arbeitszeiten der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde ebenso wenig getroffen wie zur Entgelthöhe. Selbst wenn man unterstellt, die belangte Behörde habe die "Wochenöffnungszeit" des Lokals mit der Wochenarbeitszeit der Beschwerdeführerin gleichgesetzt, ist dadurch - abgesehen von dieser durch kein Beweisergebnis gedeckten Gleichsetzung - noch keine Aussage über die Höhe des Entgelts getroffen.

Ob ein Beschäftigungsverhältnis, das - wie im vorliegenden Fall unbestritten - auf unbestimmte Zeit vereinbart ist, als geringfügig im Sinne des § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG gilt, kann aber nur auf Grund der Höhe des Entgelts beurteilt werden. Hat die belangte Behörde dazu keine Feststellungen getroffen, durfte sie die Schlussfolgerung, die Beschwerdeführerin sei seit zumindest 1. November 2002 im Espresso F. arbeitslosenversicherungspflichtig - also mit einem über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Entgelt - beschäftigt, nicht ziehen.

Von der belangten Behörde wurden auch keine Ermittlungen zur wesentlichen Frage der Höhe des Entgelts der Beschwerdeführerin geführt, obwohl diese bereits in der Berufung vorgebracht hat, ihre Entlohnung habe die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten. Weder die Beschwerdeführerin noch ihr Dienstgeber wurden dazu befragt.

Nach dem Gesagten bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung und es wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Die aufgezeigten Mängel führen zu einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Der Antrag auf Ersatz der Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem pauschalierten Aufwandersatz bereits enthalten ist.

Wien, am 20. April 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004080195.X00

Im RIS seit

30.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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