TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/20 2003/08/0275

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Veröffentlicht am 20.04.2005
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Index

60/04 Arbeitsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §114;
ASVG §67 Abs10;
BUAG §26;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2004/08/0005 E 20. April 2005 2004/08/0004 E 20. April 2005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des RT in L, vertreten durch Dr. Helmut Kientzl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Rudolf Diesel Straße 26, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 17. November 2003, Zl. 6-SO-N1502/23-2003, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse in 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 2. Juni 1999 wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der P GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG i.V.m. § 83 ASVG verpflichtet, der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse die auf den Beitragskonten der Beitragsschuldnerin P GmbH rückständigen "Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 21.12.1998)" im Betrage von S 719.009,31 zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben und ausgesprochen, dass der Haftungsbetrag "EUR 17.318,35 zuzüglich der ab 29.3.2003 laufenden Verzugszinsen in der Höhe von 6,97 % p.a., gerechnet aus EUR 14.848,30," betrage.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass über das Vermögen der P GmbH, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer gewesen sei, mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom 21. Dezember 1998 der Ausgleich eröffnet worden sei. Dieser sei mit einer Quote von 40 % angenommen worden. Aus den Stellungnahmen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse ergebe sich, dass auf dem Beitragskonto der Primärschuldnerin Dienstnehmerbeitragsanteile in der Höhe von EUR 14.848,30 offen seien. Hiezu kämen Zinsen in Höhe von EUR 2.469,96, sodass sich der Haftungsbetrag mit EUR 17.318,26 zuzüglich der ab 29. März 2003 laufenden Verzugszinsen in der Höhe von 6,97 % p.a., gerechnet aus EUR 14.848,30, belaufe. Zu den Einwendungen des Beschwerdeführers bezüglich der Aufrechnung bei der Bauarbeiter-Urlaubskasse sei festzuhalten, dass Zahlungen für Urlaubsentgelt und Urlaubszuschuss nicht Gegenstand des vorliegenden Haftungsverfahrens seien. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe in ihrer Stellungnahme vom 31. März 2003 zu Recht darauf hingewiesen, dass sich aus den Rückstandsausweisen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 9. und vom 11. Dezember 1998 ergebe, dass bei ihr lediglich allgemeine Dienstnehmerbeiträge und keine Sonderbeiträge für die Beitragsmonate Juli 1998 bis Oktober 1998 offen seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, diesen kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften (u.a.) die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg. Nr. 15.528/A, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG in Ermangelung weiterer, in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG i.V.m. § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind.

Im vorliegenden Beschwerdefall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum Geschäftsführer der P GmbH war und dass die auf die P GmbH entfallenden Beitragsschulden auf Grund eines am 21. Dezember 1998 eröffneten Ausgleichs nur zu 40 % einbringlich waren.

Der Beschwerdeführer macht nun geltend, dass im Haftungsbetrag Dienstnehmeranteile enthalten seien, die Löhne und Gehälter beträfen, die nicht durch die P GmbH, sondern durch die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse an die Dienstnehmer ausbezahlt worden seien. Dadurch seien im Haftungsbescheid insoweit Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung enthalten, die nicht durch den Dienstgeber einbehalten oder von ihm übernommen worden seien. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach Sozialversicherungsbeiträge für die Zahlungen von Urlaubsentgelt und Urlaubszuschuss nicht Gegenstand des Haftungsverfahrens gewesen seien, sondern nur die allgemeinen Dienstnehmerbeitragsanteile für die Beitragsmonate Juli 1998 bis Oktober 1998, seien nicht richtig, da sowohl Urlaubszuschuss als auch Urlaubsentgelt mit der Beitragsnachweisung für die einzelnen Monate "unter der Beitragsgrundlage A1" gemeldet worden seien. Die Urlaubsentgelte würden an die Gebietskrankenkasse als laufende Entgelte und nicht als Sonderzahlungen gemeldet, sodass auch nicht durch die P GmbH ausgezahlte Löhne und darauf entfallende Dienstnehmerbeiträge im Haftungsbescheid enthalten seien.

Hiezu ist zunächst festzuhalten, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Juli 2003 aufgefordert hat, zur Stellungnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, in der unter Hinweis auf die den Haftungsbescheiden zu Grunde liegenden Rückstandsausweise gegenüber der P GmbH ausgeführt wurde, dass "nur mehr allgemeine Dienstnehmerbeiträge und keine Sonderbeiträge für die Beitragsmonate Juli 1998 bis Oktober 1998 offen" seien, eine schriftliche Gegenäußerung einzubringen, in der konkret das Vorbringen des Beschwerdeführers, im Haftungsbetrag wären auf Urlaubsentgelte und Urlaubszuschüsse entfallende Dienstnehmerbeitragsanteile enthalten, unter Beweis gestellt werde. In der daraufhin ergangenen Stellungnahme des (durch seinen Steuerberater vertretenen) Beschwerdeführers wird auf diesen Vorhalt nicht konkret eingegangen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass in den Monaten Juni bis November 1998 "Urlaubszuschüsse und Urlaubsentgelte (...) in beträchtlicher Höhe" ausbezahlt worden wären, wofür als Beleg ein "Dienstgeber-Lohnkonto" 1998 vorgelegt wird, in dem Urlaubsgeld bzw. Urlaubszuschüsse hervorgehoben wurden. Mit der Behauptung, dass Urlaubsgeld bzw. Urlaubszuschüsse bezahlt worden seien, wird allerdings nicht dargelegt, dass in dem von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse geforderten Haftungsbetrag auf diese Sonderzahlungen entfallende Dienstnehmerbeiträge enthalten sind. Es kann der belangten Behörde daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie dem schlüssigen Vorbringen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gefolgt ist, dass es sich bei den rückständigen Beiträgen nicht um Sonderbeiträge im Sinne des § 54 ASVG gehandelt hat.

Das nunmehr dazu erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, die Urlaubsentgelte seien an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse als laufende Entgelte und nicht als Sonderzahlungen gemeldet worden, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unbeachtliche Neuerung dar.

Selbst die Annahme, die geltend gemachten Beitragsschulden der P GmbH würden Dienstnehmeranteile enthalten, die auf Urlaubsentgelte entfallen, würde an diesem Ergebnis nichts ändern.

Die Primärschuldnerin unterlag unstrittig den Bestimmungen des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes (BUAG). Der Beschwerdeführer führt aus, dass die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse im Fall der P-GmbH das Urlaubsgeld und den Urlaubszuschuss gemäß BUAG direkt den Arbeitnehmern ausbezahlt habe. Dies sei in der Form erfolgt, dass die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse den Nettobetrag an die Mitarbeiter des Unternehmens direkt überwiesen habe "und die Sozialversicherungsabgaben, sprich Dienstnehmeranteil und Dienstgeberanteil" direkt dem Konto der P GmbH bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse gutgeschrieben und mit dem Rückstand (der P GmbH gegenüber der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse) verrechnet habe. Der Beschwerdeführer vermeint, dass damit durch die P GmbH keine Zahlungen für Urlaubsentgelt und Urlaubszuschuss geleistet worden seien und dadurch kein Haftungstatbestand entstanden sein könne, zumal auch Sozialversicherungsbeiträge für Urlaubsgeld und Urlaubszuschüsse "von der Bauarbeiter-Urlaubskasse einbehalten" worden seien.

Gemäß § 8 BUAG ist das Urlaubsentgelt (Urlaubsgeld zuzüglich Urlaubszuschuss) grundsätzlich vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auszuzahlen; gemäß § 8 Abs. 8 BUAG kann die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse das Urlaubsentgelt dem Arbeitnehmer jedoch auch direkt auszahlen, u.a. wenn der Arbeitgeber mit der Entrichtung fälliger Zuschläge für mehr als zwei Zuschlagszeiträume im Rückstand ist. Gemäß § 26 BUAG steht dem Arbeitgeber "als Vergütung für die im Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge und gesetzlichen Abgaben (Nebenleistungen)" von der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse ein Pauschbetrag von 17 v.H. des überwiesenen Urlaubsentgeltes zu. Die Auszahlung dieses Pauschbetrags, der bei gleichzeitiger Überweisung mit dem Urlaubsentgelt getrennt auszuweisen ist, hat zur Voraussetzung, dass der Arbeitgeber alle fälligen Zuschläge entrichtet hat.

Im vorliegenden Beschwerdefall ist die P GmbH unstrittig (auch) mit den von ihr zu leistenden Zuschlägen an die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in Rückstand gekommen, sodass die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse von der Möglichkeit der Direktauszahlung gemäß § 8 Abs. 8 BUAG Gebrauch gemacht hat. Der auf das Urlaubsentgelt entfallende Pauschbetrag im Sinne des § 26 BUAG wurde jedoch nicht tatsächlich an die P GmbH ausbezahlt, sondern mit den Forderungen der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse gegenüber der P GmbH verrechnet. Auch nach dem System des BUAG ist - wie sich auch aus § 26 BUAG ergibt - der Arbeitgeber verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse abzuführen. Erfolgt diese Zahlung der Dienstnehmeranteile an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nicht, sondern werden die dafür vorgesehenen Beiträge vielmehr zur Abdeckung einer anderen Verbindlichkeit (im konkreten Fall gegenüber der BUAK) verwendet, so stellt dies im Sinne des § 114 ASVG dennoch eine Einbehaltung von Dienstnehmerbeiträgen durch den Dienstgeber dar, zumal es dazu nicht erforderlich ist, dass die Dienstnehmeranteile an Sozialversicherungsbeiträgen beim Dienstgeber bar verbleiben, sondern auch die rechnungsmäßige Kürzung der Löhne und Gehälter um den vom Dienstnehmer zu tragenden Sozialversicherungsbeitrag bei der Auszahlung der Nettolöhne hinreicht (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 2001/08/0075).

Die Beschwerde erweist sich jedoch aus einem nicht ausdrücklich geltend gemachten, aber im Rahmen des Beschwerdepunktes von Amts wegen aufzugreifenden Grund als begründet. Nach den von der belangten Behörde dem Haftungsbetrag zu Grunde gelegten Rückstandsausweisen bzw. Aufstellungen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sind im Haftungsbetrag auch Verzugszinsen sowie Nebengebühren enthalten, die der Primärschuldnerin vorgeschrieben worden waren. Die Haftung für derartige Zinsen und Verwaltungskosten im Sinne des § 83 ASVG könnte den Geschäftsführer nur im Rahmen des § 67 Abs. 10 ASVG treffen; für die Entrichtung dieser Nebengebühren fehlt es aber an einer spezifischen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung des Geschäftsführers im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2001/08/0061). Die Frage, ob der Beschwerdeführer wegen nicht rechtzeitiger Entrichtung des Haftungsbetrages selbst Verzugszinsen schuldet, ist davon zu unterscheiden.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. April 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080275.X00

Im RIS seit

31.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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