Norm
ABGB §1295Kopf
SZ 50/73
Spruch
Zur Verkehrssicherungspflicht des Pistenerhalters
OGH 24. Mai 1977, 5 Ob 585/77 (OLG Innsbruck 5 R 181/76; LG Innsbruck 8 Cg 689/74)
Text
Der Kläger kam am 24. Jänner 1972 beim Schifahren im Bereich der S-Alm in K zu Sturz und erlitt dabei schwere Verletzungen.
Er begehrte deswegen mit der am 20. September 1974 eingebrachten Klage aus dem Titel des Schadenersatzes Zahlung von 409 923 S samt 4% Zinsen ab 23. Feber 1974, Zahlung einer monatlichen Rente von 1679 S beginnend ab September 1974 und die Feststellung, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche noch aus diesem Unfall entstehenden Schäden zu haften habe. Die beklagte Partei sei zur Unfallszeit für die Betreuung und Beaufsichtigung sämtlicher Pisten in K verantwortlich gewesen. Der Kläger sei, obwohl er ein ausgezeichneter Schifahrer war, an einer Stelle einer Familienabfahrt zu Sturz gekommen, an der sich ein nicht erkennbarer, von der Schneedecke verdeckter Geländeeinbruch befunden habe. Die beklagte Partei habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie diese Gefahrenstelle nicht durch ein Warnzeichen abgesichert habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.
Das Berufungsgericht bestätigte auf der Grundlage der als unbedenklich übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen dieses Urteil mit dem Ausspruch, daß der Wert des Streitgegenstandes 50 000 S übersteige.
Im Revisionsverfahren war demnach von folgenden Sachverhalt auszugehen:
Der Kläger fuhr am 24. Jänner 1972 auf der Verbindungsstrecke zwischen der Bergstation des Sesselliftes 1 und der Talstation des Sesselliftes 2 in K mit den Schiern talwärts. Diese Abfahrt war als präparierte Piste ausgebildet. Sie war naturbelassen und stark kupiert, allgemein hügelig und von Mulden durchzogen. Es lag wenig Schnee, so daß die natürlichen Bodenunebenheiten besonders hervortraten. Die Schneedecke war jedoch auf der Piste durchgehend geschlossen. Der Unfall ereignete sich im Bereich einer schräg quer über die dort zirka 30 m breite Piste verlaufenden Mulde, die dadurch zustandegekommen war, daß ein Bachgerinne mit Taxen aufgefüllt und darüber Schnee gewalzt worden war. Im präparierten Zustand war im Bereiche der Piste u sehen, sondern nur eine durchgehend präparierte, in voller Breite befahrbare Mulde, die talwärts gesehen rechts stärker ausgebildet war als links. Vor der Mulde hatte die Abfahrt ein Gefälle von zirka 25 Grad und in die Mulde hinein von einer Bodenkante ein Gefälle von zirka 30 Grad. Die Gesamttiefe von der die Versteilung einleitenden Bodenkante bis zu der etwa eine Schilänge langen waagrechten Muldensohle betrug etwa 4
m. Daran schloß sich eine Gegensteigung von etwa 30 Grad und einer senkrechten Höhe von zirka 1 bis 2 m über dem Sohlenniveau der Mulde an. Die Mulde war schon auf weite Entfernung zu sehen. Sie kam für abfahrende Schifahrer nicht etwa plötzlich und überraschend. Die ganze Geländeform im Bereiche der Mulde, also auch die Bodenwelle nach der Mulde, konnte von einem Schifahrer aus einer Entfernung von mindestens 10 m vor der Bodenkante, die die Versteilung in die Mulde einleitete, gehörig gesehen werden.
Der Kläger, seine Frau und seine Bekannten waren am Unfallstag schon einmal diese Abfahrt gefahren, wobei ihnen an der späteren Unfallsstelle nichts auffiel. Es war bewölkt. Die Sicht war aber nicht wesentlich durch Nebel oder anders behindert.
Unmittelbar vor dem Unfall fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von zirka 45 km/h in flachen langgezogenen Schwüngen der Pistenachse parallel folgend auf die Mulde zu, wobei er sich auf der rechten Seite der Piste, jedoch nicht unmittelbar am Rand hielt. Er kam am Gegenhang unmittelbar nach der Mulde zu Sturz und wurde dabei schwer verletzt.
Die Unfallstelle war zur Unfallszeit weder der beklagten Partei noch sonst wem als neuralgischer Punkt der Piste, als gefährliche Stelle oder als Unfallsstelle bekannt. Sie war auch nicht abgesichert. Nach dem Unfall wurde die Stelle im Zuge einer allgemeinen Pistenverbesserung umgestaltet und planiert. Die Mulde war am Unfallstag von einem Schifahrer in kontrolliertem Tempo gefahrlos zu befahren. Gefährlich wurde die Stelle nur, wenn sie bei großer Geschwindigkeit und geradlinig überfahren wurde, weil der Gegenhang einen Stauchungseffekt herbeiführte. Der Kläger hätte bei Einhaltung besonderer Aufmerksamkeit, wie sie beim Befahren einer naturbelassenen, stark gegliederten Piste mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h erforderlich ist, diesen Stauchungseffekt durch einen Linksschwung über die Kante ausschalten können.
Die Streitteile standen zueinander in keinem Vertragsverhältnis.
Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt dahin, daß die Unfallsstelle keine atypische Gefahrenquelle dargestellt habe, die vom Pistenerhalter durch geeignete Vorkehrungen zu sichern gewesen wäre. Eine solche Sicherung sei auch nicht etwa wegen einer bekannten Unfallsanfälligkeit dieser Stelle erforderlich gewesen. Mit derartigen Stellen, die bei naturbelassenen Pisten immer wieder anzutreffen seien, habe grundsätzlich jeder Schifahrer zu rechnen und seine Fahrweise darnach zu richten. Der Unfall sei deshalb erfolgt, weil der Kläger entweder einen Beobachtungsfehler gemacht habe oder über seine Verhältnisse und nicht auf Sicht gefahren sei. Da ihn das Alleinverschulden an dem Unfall treffe und weder der beklagten Partei noch sonst einer dritten Person, sei es aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht oder aus einem anderen Grund ein Verschulden bei diesem Unfalle angelastet werden können, sei die Klage abzuweisen.
Das Berufungsgericht billigte diese rechtliche Beurteilung mit dem Hinweis darauf, daß zwar bezüglich der dem Massenschiverkehr eröffneten Pisten grundsätzlich eine Verkehrssicherungspflicht bestehe (Pichler, Pisten, Paragraphen, Schiunfälle, 72 f.; Reindl, ZVR 1975, 353 f.), eine vollkommene, jeden Unfall ausschließende Verkehrssicherheit aber unerreichbar sei. Sicherheit könne nur insoweit verlangt werden, als sie nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erwartet werden dürfe. Die Pistensicherungspflicht beinhalte also nicht die Verpflichtung, den Pistenschifahrer vor jeder möglichen ihm von der Piste her drohenden Gefahr zu schützen. Dies würde dem Pflichtigen unerträgliche Lasten aufbürden. Die Pistensicherungspflicht erfahre ihre Begrenzung durch die Zumutbarkeit (Pichler a. a. O., 82; Kleppe, Die Haftung bei Schiunfällen in den Alpenländern, 232). Es seien daher normalerweise nur jene Gefahrenquellen zu beseitigen, die die Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen und auf die sie sich nicht ohne weiteres einstellen könnten, sohin jene Gefahren, welche dem Pistenverlauf nicht adäquat seien, wobei es auf das gesamte Erscheinungsbild der Piste ankomme (Pichler a. a. O., 84; Reindl, Verkehrssicherungspflicht auf Schipisten, a. a. O., 361). Zu beseitigen seien also künstlich geschaffene Gefahrenquellen (etwa Betonsockel, Masten oder Zäune) und natürliche ungewöhnliche Hindernisse und Gefahrenquellen (Baumstümpfe, Äste, Wurzeln, umgestürzte Bäume, schlecht sichtbare ausgeaperte Felsblöcke und dergleichen). Der Schiläufer müsse aber mit häufig auf Pisten vorkommenden Geländehindernissen, wie Geländemulden, Buckel, sichtbehindernden Geländekanten, Bäumen und dergleichen und mit ungünstigen Schneeverhältnissen rechnen (Pichler a. a. O., 84, 85; Kleppe a. a. O.).
Da die vom Kläger befahrene Schipiste naturbelassen stark kupiert, allgemein hügelig und von Mulden durchzogen gewesen sei, habe mit Hindernissen der Art, wie sie die Unfallstelle dargestellt habe, gerechnet werden müssen. Diese Mulde habe daher kein gefährliches oder atypisches Hindernis dargestellt, das vom Pistenerhalter in irgend einer Weise abzusichern gewesen wäre.
Somit gelangte das Berufungsgericht gleichfalls unter Ausklammerung der offengebliebenen Frage der bestrittenen Passivlegitimation der beklagten Partei zur Bestätigung des erstgerichtlichen Urteiles.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der Erörterung der Revisionsausführungen ist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vollkommen zutreffenden Rechtsausführungen des angefochtenen Urteiles und die dort angeführte Literatur zu verweisen. Die durch den § 1319a ABGB i. d. F. des Bundesgesetzes BGBl. 416/1975, geschaffene neue Rechtslage kann außer Betracht bleiben, weil sie erst seit 1. Jänner 1976 wirksam ist. Die dem Pistenerhalter zukommende Verkehrssicherungspflicht muß unter ausgewogener Berücksichtigung der dem Pistenbenützer obliegenden Verpflichtung zu einer kontrollierten Fahrweise, die auf die genaue Beobachtung der Abfahrt und die Einhaltung einer den Geländeverhältnissen angepaßten Geschwindigkeit hinlänglich Bedacht nimmt (vgl. SZ 44/178) dort zu entsprechenden Schutzmaßnahmen führen, wo dem Schifahrer nicht oder nur schwer erkennbare Hindernisse und Gefahren drohen und daher eine entsprechende Warnung erforderlich ist. Die Untergerichte haben daher mit Recht eine besondere Verkehrssicherungspflicht beim Vorliegen atypischer Gefahrenquellen und Hindernisse angenommen, die insbesondere dann gegeben sind, wenn sie im Gegensatz zum sonstigen Charakter der Piste stehen und auch ein aufmerksamer Schifahrer damit nicht rechnen muß.
Der Revisionswerber weist nun im Sinne seiner Auffassung vom Vorliegen einer atypischen Gefahrenquelle an der Unfallstelle darauf hin, daß die Kennzeichnung und Widmung der Piste als "Familienabfahrt" dazu angetan gewesen sei, den Schiläufer bei einer Abfahrt auf einer solchen als leicht zu qualifizierenden Piste zu einer gewissen Sorglosigkeit zu verführen, bei der es umsomehr einer besonderen Warnung vor gefährlichen Stellen bedurft hätte. Dem Revisionswerber ist hier zunächst entgegenzuhalten, daß eine Feststellung über die Widmung und Bezeichnung der Piste als Familienabfahrt nicht getroffen wurde. Es steht vielmehr fest, daß die gesamte Piste stark kupiert, allgemein hügelig und von Mulden durchzogen war, so daß auch die Mulde an der Unfallstelle in den Charakter dieser Abfahrt hineinpaßte und das durchschnittene Gelände daher bei der Abfahrt eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine entsprechende Einstellung der Abfahrgeschwindigkeit erforderte. Daß gerade eine solche Abfahrt Stellen unterschiedlicher Schwierigkeiten aufzuweisen hat, war für den Kläger erkennbar, zumal er sie auch bereits durchfahren hatte. Wenn die Pistenerhalterin das vorhandene Bachgerinne mit Taxen ausgefüllt hat, um eine Präparierung der Schneedecke zu ermöglichen, so ist sie damit einer Verpflichtung nachgekommen, eine natürliche Gefahrenstelle zu entschärfen, bzw. zu beseitigen. Der Hinweis des Revisionswerbers, bei Belassung des ursprünglich vorhandenen Bachgerinnes wäre die Gefahrenstelle leichter zu erkennen gewesen und hätte mit größerer Wahrscheinlichkeit eine angepaßte Fahrweise bewirkt, läßt außer Betracht, daß durch die Verdeckung mit Schnee das Ergebnis nur dahin gegangen wäre, daß die Mulde eben dann tiefer und bei unvorsichtigem Passieren noch gefährlicher gewesen wäre.
Die Revisionsausführungen laufen letztlich aber nur darauf hinaus, die entscheidenden Feststellungen der Untergerichte in Frage zu stellen, wonach sich die Unfallstelle in den Gesamtcharakter der Piste einfügte und für den dieser Geländeform angepaßt fahrenden Schifahrer nicht plötzlich und überraschend kam. Damit ist auch der Schluß gerechtfertigt, daß von der Beschaffenheit der Unfallstelle her für den Pistenerhalter kein Grund für irgendwelche Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahmen bestand. Da die geltend gemachten Schadenersatzansprüche nur aus einer schuldhaften Unterlassung eines solchen pflichtgemäßen Verhaltens abgeleitet werden könnten, sind die Untergerichte zutreffend zur Abweisung des Klagebegehrens gelangt.
Anmerkung
Z50073Schlagworte
Pistenhalter, Verkehrssicherungspflicht, Verkehrssicherungspflicht des PistenerhaltersEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1977:0050OB00585.77.0524.000Dokumentnummer
JJT_19770524_OGH0002_0050OB00585_7700000_000