TE OGH 1977/5/25 8Ob79/77

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Veröffentlicht am 25.05.1977
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Norm

Algemeines Sozialversicherungsgesetz §332

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SZ 50/76

Spruch

Dem Schädiger kann nicht zugebilligt werden, dem Geschädigten, dessen Leistungsanspruch gegen seinen Sozialversicherungsträger mit rechtskräftigem Bescheid verneint wurde und dem auch keine Leistungen ausgezahlt wurden, den Schadenersatz mit der Behauptung zu verweigern, es bestunde doch eine solche Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers, und solcherart für einen von ihm verschuldeten Schaden weder dem Geschädigten noch dem Sozialversicherungsträger Ersatz zu leisten

OGH 25. Mai 1977, 8 Ob 79/77 (OLG Wien 8 R 250/76; LG f. ZRS Wien 40 a Cg 199/73)

Text

Am 13. Juli 1970 ereignete sich in Wien 2, an der Kreuzung Handelskai-Kafkastraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker eines PKWs Marke Ford Anglia, und der Drittbeklagte als Lenker eines LKWS Marke Mercedes LD 1620/45 beteiligt waren. Die Erstbeklagte ist Haftpflichtversicherer, der Zweitbeklagte Halter des LKWs. Wegen dieses Unfalles wurde der Drittbeklagte mit Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 29. September 1970, GZ 11 U 1375/70-2, rechtskräftig wegen Übertretung nach § 335 StG verurteilt.

Der Kläger begehrte - nach Klagseinschränkung - schließlich als Schadenersatz restliche 104 421 S samt Anhang.

Das Erstgericht sprach ihm 101 281 S samt Anhang zu und wies sein Mehrbegehren von 3140 S samt Anhang ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt restliche 97 337.09 S samt Anhang zuerkannte und sein Mehrbegehren von 7083.91 S samt Anhang - unangefochten - abwies.

Der Oberste Gerichtshof gab der gegen die Zuerkennung eines Teilbetrages von 9400 S gerichteten Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Revisionsverfahren ist lediglich umstritten geblieben, ob der Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Verdienstentganges, den das Berufungsgericht in teilweiser Stattgebung der Berufung der Beklagten auf 34 056.09 S herabgesetzt hatte, um den weiteren Betrag von 9400 S zu kürzen sei.

Die Beklagten hatten diesbezüglich im Verfahren erster Instanz eingewendet, daß der Kläger eine Versehrtenrente von monatlich 700 S bis zur Erreichung seiner Arbeitsfähigkeit vom Sozialversicherungsträger bezogen habe bzw. hätte beziehen können, wenn er rechtzeitig, geklagt hätte.

Das Erstgericht stellte fest, daß eine solche Versehrtenrente vom Sozialversicherungsträger niemals ausbezahlt worden sei. Wohl sei dem Kläger mit Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich vom 26. April 1972, AZ 10 C 497 113, ab 27. Oktober 1970 eine Versehrtenrente von 20% der Vollrente gewährt und ab diesem Zeitpunkt eine monatliche vorläufige Zahlung von 700 S zuerkannt worden. Dieses Urteil sei aber mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Oktober 1972, 20 R 149/72, als nichtig aufgehoben und die Klage des Klägers als verspätet zurückgewiesen worden. Da im vorliegenden Fall der Sozialversicherungsträger keine Leistungen zu erbringen habe, weil das Urteil, das ihn zu solchen Leistungen verhalten hat, aufgehoben worden sei, greife die Legalzession nach § 332 ASVG nicht Platz, so daß der Verletzte selbst seine Schadenersatzansprüche geltend machen könne.

Das Berufungsgericht billigte das Ersturteil in diesem Belang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und führte ergänzend aus: Da im vorliegenden Fall feststehe, daß die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt im strittigen Zeitraum keine Leistungen zu erbringen hatte und auch tatsächlich keine Leistungen erbracht habe, bleibe der Kläger für den von ihm geltend gemachten Verdienstentgang aktiv legitimiert. Da sich bei Gewährung einer Versehrtenrente nur die Aktivlegitimation geändert hätte, könne auch nicht davon die Rede sein, daß der Kläger etwa durch schuldhafte Versäumnisse im Schiedsgerichtsverfahren seiner Verpflichtung zur Schadensminderung nicht nachgekommen wäre.

Demgegenüber steht die Revision der Beklagten weiterhin auf dem Standpunkt, daß der Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges um 9400 S zu kürzen sei. Ihre Argumente sind jedoch nicht stichhältig. Insoweit die Revision zunächst unterstellt, es sei dem Kläger tatsächlich ein derartiger Betrag zugekommen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den vorinstanzlichen Feststellungen,denen zufolge dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum keinerlei derartige Leistungen vom Sozialversicherungsträger zugekommen sind.

Entgegen den Ausführungen der Rechtsrüge können sich die Beklagten auf den Rechtsübergang nach § 332 ASVG nicht mit Erfolg zu ihren Gunsten berufen. Zunächst ist der vorliegende Fall nicht, wie die Revision meint, dem Fall gleichzuhalten, in dem ein Geschädigter keinerlei Rentenantrag an den Sozialversicherungsträger richtete. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich, welche dem Kläger eine Versehrtenrente von 20% zuerkannte, vom Berufungsgericht als nichtig aufgehoben und die Klage des Klägers gegen die AUVA zurückgewiesen wurde. Damit aber ist der Bescheid der AUVA vom 7. April 1971, mit welchem der Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer 20%igen Versehrtenrente abgewiesen wurde, rechtswirksam und zwischen dem Geschädigten und seinem Sozialversicherungsvertrages endgültig und unanfechtbar klargestellt, daß die AUVA dem Kläger für den maßgeblichen Zeitraum keinerlei Versehrtenrente zu leisten hat. Tatsächlich ist nach den Feststellungen eine solche an den Kläger auch nicht ausgezahlt worden. Bei dieser Sachlage haben die Vorinstanzen mit Recht die Aktivlegitimation des Klägers zur Geltendmachung seines Verdienstentganges gegen den Schädiger und seine Mithaftenden bejaht.

Der erkennende Senat verkennt nicht, daß die Frage der Bindung der Zivilgerichte an rechtskräftige Bescheide der Sozialversicherungsträger und an Entscheidungen der Schiedsgerichte der Sozialversicherung in Lehre (vgl. Walter, Probleme der Bindung an sozialversicherungsrechtliche Entscheidungen im Zivilprozeß, in der Festschrift für Hans Schmitz Bd. I, S. 459; Selb, Besprechung der Entscheidung 2 Ob 19/66 in ZAS 1967, 146; Gschnitzer, Besprechung der Entscheidung 2 Ob 180/61 in JBl. 1962, 264) und Rechtsprechung (vgl. SZ 30/53; JBl. 1962, 262; JBl. 1962, 2 105 = SZ 42/174 u. a.) nicht einheitlich beantwortet wird (EvBl. 1973/55 u. a.). Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kommt aber der Verschiedenheit in der Auffassung über die Voraussetzungen und den Umfang einer Bindung der ordentlichen Gerichte an die im Leistungsverfahren der Sozialversicherungsträger ergangenen Entscheidungen keine ausschlaggebende Bedeutung zu. In Fällen - wie in dem vorliegenden -, in denen die Bescheide der Sozialversicherungsträger und eine ihnen entsprechende Leistungspflicht für den Schädiger nur insofern Bedeutung haben, als hievon abhängt, ob er an den Geschädigten selbst oder an dessen Sozialversicherungsträger als Legalzessionar zu leisten hat, hat der OGH eine Überprüfung der Voraussetzungen der Rentengewährung im Schadenersatzprozeß abgelehnt. So hat der OGH wiederholt ausgesprochen, daß es, solange eine Doppelbelastung des Schädigers in der Weise, daß er an den Sozialversicherungsträger und an den Geschädigten die gleiche Leistung zu erbringen hätte, nicht in Betracht kommt, dem Schädiger mangels eines entsprechenden rechtlichen Interesses verwehrt ist, gegenüber dem Sozialversicherungsträger, der von dem Geschädigten wegen Erbringung unfallsbedingter Leistungen in Anspruch genommen wurde und aus diesem Gründe solche erbringt, deren Ersatz er unter Berufung auf § 332 ASVG vom Schädiger begehrt, den Einwand zu erheben, es fehle an dem im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz für den Übergang des Anspruches auf den Sozialversicherungsträger geforderten Voraussetzungen (8 Ob 145/72, ähnlich wie JBl. 1962, 264; EvBl. 1973/55 und SZ 42/174 u. a.), was im Ergebnis vom neueren Schrifttum gebilligt wurde (Walter a. a. O., Selb a. a. O., Krejci, ZAS 1974, 123). Der Hauptzweck der Regelung des Rechtsüberganges nach § 332 ASVG besteht darin, zu verhindern, daß der Geschädigte seinen Schaden zweimal ersetzt bekäme, wenn nämlich der Schädiger dem Geschädigten gegenüber die Leistungen des Sozialversicherungsträgers an den Geschädigten nicht einwenden könnte, ferner darin, zu verhindern, daß der Ersatzpflichtige infolge der bestehenden Sozialversicherung weniger zu leisten hätte als in sonstigen Fällen (JBl. 1957, 479 u. v. a.). Der OGH hat daher ausgesprochen, es könne dem Geschädigten nicht zugebilligt werden, denselben Ersatz, den er vom Sozialversicherungsträger unter Geltendmachung der Voraussetzungen der Leistungspflicht des letzteren mit Erfolg begehrt hat, vom Schädiger mit der Behauptung nochmals zu verlangen, es fehle an den im § 332 ASVG geforderten Voraussetzungen für den Anspruchsübergang (EvBl. 1973/55; 8 Ob 179/72). Nach dem oben dargelegten Zweck der Regelung über den Rechtsübergang kann aber auch dem Schädiger nicht zugebilligt werden, dem Geschädigten, dessen Leistungsanspruch gegen seinen Sozialversicherungsträger mit rechtskräftigem Bescheid verneint wurde und dem auch keine Leistungen ausgezahlt wurden, den Schadenersatz mit der Behauptung zu verweigern, es bestunde doch eine solche Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers, und solcherart für einen von ihm verschuldeten Schaden weder dem Geschädigten noch dem Sozialversicherungsträger Ersatz zu leisten.

Aus den angeführten Erwägungen war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Z50076

Schlagworte

Mehrmaliger Ersatz, kein - bei § 332 ASVG, Rechtsübergang, Hauptzweck des - nach § 332 ASVG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1977:0080OB00079.77.0525.000

Dokumentnummer

JJT_19770525_OGH0002_0080OB00079_7700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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