Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des K in W (geboren 1974), vertreten durch Mag. Bernd Trappmaier, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 53, gegen den am 22. April 2002 verkündeten und am 27. Mai 2002 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 225.267/3- II/04/02, betreffend §§ 7, 8 AsylG, (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus dem Punjab stammender indischer Staatsangehöriger, reiste am 27. April 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 2. Mai 2001 Asyl. Bei seinen Einvernahmen durch das Bundesasylamt am 2. Mai 2001 und am 17. Oktober 2001 gab er im Wesentlichen an, er habe 1996 ein Geschäft eröffnet, in dem er von einem Bekannten namens Bhupinder Singh unterstützt worden sei. Der Beschwerdeführer habe diesen, einen Funktionär der Sikh-Student-Federation (SSF), hin und wieder zu Parteiveranstaltungen und Protestkundgebungen begleitet. Der Beschwerdeführer sei auch der SSF beigetreten. Bhupinder Singh sei von der Polizei im Februar 2001 ("im Jahre 2001 im 2. Monat") verhaftet worden und in der Haft umgekommen. Da die Polizei bei der Verhaftung des Bhupinder Singh im Geschäft des Beschwerdeführers Briefe und Plakate der SSF gefunden habe, bestehe gegen den Beschwerdeführer in Indien ein Haftbefehl, und es liege gegen ihn "eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes, Aufhetzung der Studenten und Mitgliedschaft bei einer separatistischen Bewegung" vor. In der Folge sei der Vater des Beschwerdeführers verhaftet und später gegen Kaution wieder entlassen worden, wobei er der Polizei bekannt geben habe müssen, dass der Beschwerdeführer "aus dem Familienverband ausgeschlossen" werde. Bereits früher sei er mit seinem Freund auf Parteiveranstaltungen und Kundgebungen gegangen. Im Rahmen eines Protestmarsches sei der Beschwerdeführer festgenommen und "einen Monat festgehalten" worden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 20. November 2001 gemäß § 7 AsylG ab, weil er die behaupteten Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht habe, und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei das erste Mal im März 2000 anlässlich eines Protestmarsches festgenommen, ein Monat lang festgehalten und von der Polizei mit Stöcken geschlagen worden; seither sei sein linker Arm fast vollständig taub, er könne nur die Finger ein wenig bewegen. Zur Feststellung dieser Verletzungsfolgen beantragte er die Einholung eines ärztlichen Gutachtens. In der Berufung trat er auch den Feststellungen der Erstbehörde über die Situation im Punjab im Einzelnen entgegen.
Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid und über sechs weitere Berufungen anderer indischer Asylwerber führte die belangte Behörde am 22. April 2002 eine gemeinsame mündliche Berufungsverhandlung durch. Der Beschwerdeführer ("BW V") brachte dabei vor, er fühle sich durch die Polizei gefährdet, und wiederholte im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Nach Vorhalt von Ausführungen des zur Berufungsverhandlung beigezogenen Sachverständigen Mag. Brüser über die Lage in Indien (im Wesentlichen: es seien nur "highprofile"-Verdächtige der Verfolgung durch staatliche Behörden ausgesetzt, nämlich in der Organisationshierarchie hoch stehende oder durch besondere Aktivitäten herausragende Führungspersonen bzw. Funktionäre militanter Organisationen; der Beschwerdeführer erfülle nicht die Kriterien eines "high-profile"-Verdächtigen und eine Verfolgung oder Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes sei im Zusammenhang mit einer bloßen Mitgliedschaft zur SSF unwahrscheinlich) gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, es gebe auch eine Gruppierung der "Sikh Student Federation", die ihre Ziele durch Gewalt erreichen wolle. (Dazu führte der Sachverständige aus, es seien ihm hinsichtlich der Sikh-Organisationen SSF und AISSF in den letzten Jahren keine terroristischen Aktivitäten oder sonstige Gewaltakte bekannt geworden.) Weiter führte der Beschwerdeführer an, dass eine landesweite Fahndung nicht nur - wie vom Sachverständigen ausgeführt - gegen knapp 200 militante Sikhs erfolge, sondern dass man "überall gefasst werden könne".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat nach Darstellung des Verfahrensganges und des wesentlichen Akteninhaltes einschließlich der maßgeblichen Teile der Berufungsverhandlung fallbezogen ausgeführt:
"Die Berufungsverhandlung, insbesondere der in deren Rahmen aufgenommene Sachverständigenbeweis hat nämlich ergeben, dass schon unter Zugrundelegung der inhaltlichen Richtigkeit des Vorbringens (auch) der Berufungswerber dieses Verfahrens nicht zur Kategorie der - nach den Darlegungen des Sachverständigen einzig noch gefährdeten - 'high-profile'- Verdächtigen zählt; er wird daher auch aus keinem der vorgebrachten Gründe auf einer 'unionsweiten Suchliste' stehen.
Demnach ist aber (auch) der Berufungswerber dieses Verfahrens von staatlicher Seite nicht gefährdet, schon nicht in seinem eigenen Bundesstaat Punjab, jedenfalls aber nicht außerhalb desselben, d.h. in einem anderen Bundesstaat der indischen Union.
Nachdem nun auch keineswegs in sämtlichen indischen
Bundesstaaten, und zwar auch nicht im Bundesstaat Punjab nach den
jüngsten Regionalwahlen im Februar 2000 ... eine allgemeine,
refoulementschutzrelevantes Niveau erreichende Gefährdungslage
herrscht, und zwar weder in Zusammenhang mit gewalttätigen
Ausschreitungen einzelner Gruppen noch mit Übergriffen der Polizei
(welche zwar vorkommen, jedoch nicht in einem Ausmaß, dass auch
Personen mit ähnlichem sozialem Hindergrund wie der
Berufungswerber dieses Verfahrens in steter Furcht davor leben
müssten) ... war schon deshalb die Berufung (auch) des
Berufungswerbers dieses Verfahrens spruchgemäß vollinhaltlich
abzuweisen.
Dabei ist jedoch noch zu ergänzen, dass es sich bei der SSF
... jedenfalls in dem vom Vorbringen erfassten Zeitraum längst
nicht mehr um eine terroristische Organisation, sondern um eine legale politische Organisation handelt.
Daher leidet das Vorbringen des Berufungswerbers dieses Verfahrens daran, dass nicht vorstellbar ist, dass sich das von ihm vorgebrachte, gegen ihn gerichtete staatliche Verhalten in Zusammenhang mit der Bekanntschaft des Berufungswerbers mit einem Angehörigen der SSF ereignet haben sollte; hätte sich dieses Verhalten aber in Zusammenhang mit einer anderen Gruppierung tatsächlich ereignet, so wäre anzunehmen gewesen, dass der Berufungswerber die gefährlichere Gruppierung tatsächlich genannt hätte.
Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass der Berufungswerber dieses Verfahrens tatsächlich niemals mit terroristischem Milieu Kontakt hatte und schon von daher nicht im behaupteten Sinne in seinem Herkunftsstaat gefährdet sein kann."
Die belangte Behörde ist im ersten Begründungsteil - obwohl sie vorgeblich die "inhaltliche Richtigkeit des Vorbringens" des Beschwerdeführers zugrundegelegt hat - insoweit nicht von dessen Vorbringen ausgegangen, als der Beschwerdeführer entgegen den Ausführungen des Sachverständigen behauptet hatte, es würden nicht nur die sogenannten "high-profile"-Verdächtigen gesucht, sondern auch gegen ihn sei schon mit einer Verhaftung und nachfolgender Misshandlung vorgegangen worden und auch nun bestehe ein Haftbefehl, aufgrund dessen er überall gefasst werden könne. Wollte man vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgehen, könnte daher jedenfalls nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer von staatlicher Seite weder im Punjab noch in einem anderen Bundesstaat Indiens gefährdet sei.
Im zweiten "ergänzenden" Begründungsteil führt die belangte Behörde aber auch aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers "leide" daran, dass das von ihm vorgebrachte, gegen ihn gerichtete staatliche Verhalten "nicht vorstellbar sei", weil es sich bei der SSF um eine legale politische Organisation handle, was den Schluss zulasse, dass der Beschwerdeführer niemals mit terroristischem Milieu Kontakt gehabt habe. Diese auf die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bezogene Beweiswürdigung könnte den angefochtenen Bescheid jedoch nur tragen, wenn sie schlüssig ist und die gewürdigten Beweise in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Dazu wäre es aber erforderlich gewesen, sich auch mit dem - mit einem Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens verbundenen - Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, er sei im Zusammenhang mit einer Kundgebung der SSF schon einmal für ein Monat inhaftiert und so stark misshandelt worden, dass er davon bleibende gesundheitliche Folgen davongetragen habe.
Die belangte Behörde hat somit einerseits die Ausführungen des Sachverständigen mit einer seinen Einschätzungen in wesentlichen Punkten nicht erkennbar zugrunde liegenden Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers kombiniert (vgl. zu einer solchen Konstellation etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. November 2003, Zl. 2001/20/0663, und vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0349) und andererseits, soweit der angefochtene Bescheid beweiswürdigende Ausführungen enthält, relevantes Vorbringen des Beschwerdeführers, bei dessen Erweislichkeit die belangte Behörde beweiswürdigend insgesamt zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, zur Gänze ausgeblendet. Die Begründung des angefochtenen Bescheides ist somit nicht schlüssig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. April 2005
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002200397.X00Im RIS seit
30.05.2005