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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FinStrG §77 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde des F in S, vertreten durch Mag. Konrad Winkler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Giselakai 45, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Salzburg (Finanzstrafsenat 2), vom 6. August 2004, GZ. FSRV/11-S/04, betreffend Abweisung eines Antrages auf Beigabe eines Verteidigers gemäß § 77 Abs. 3 FinStrG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Beigebung eines Verteidigers abgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, das Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz habe gegen den Beschwerdeführer wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a Finanzstrafgesetz eine Strafverfügung erlassen und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 2.000,-- verhängt. Der Beschwerdeführer habe Einspruch erhoben und die Entscheidung durch einen unabhängigen Spruchsenat beantragt.
Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag auf Beistellung eines Rechtsbeistandes damit begründet, dass er ein Einkommen als Pensionist von monatlich EUR 297,-- habe. Er sei nicht in der Lage, selbst zur Strafverfügung entsprechend Stellung zu nehmen. In der als Berufung bezeichneten Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des Finanzamtes habe er weiters vorgebracht, die Einleitung des Strafverfahrens sei vollkommen zu Unrecht geschehen. Um sich richtig zu verantworten und alle Argumente auch schriftlich festzuhalten, werde um einen Rechtsbeistand gebeten.
Im Erwägungsteil führte die belangte Behörde nach Gesetzeszitaten aus, die Beistellung eines Verteidigers sei vom Vorliegen mehrerer gesetzlicher Voraussetzungen abhängig. Da der Beschwerdeführer in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung die Entscheidung durch den Spruchsenat beantragt habe, sei die erste Voraussetzung für die Beistellung eines Pflichtverteidigers erfüllt. Ob die Verteidigungskosten den notwendigen Unterhalt gefährden würden, sei aus den Angaben des Beschwerdeführers und der Aktenlage nicht eindeutig zu klären. Dies könne aber dahingestellt bleiben, weil die Beistellung eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege nicht geboten sei. Bei dem anhängigen Finanzstrafverfahren handle es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt, nämlich die Nichtabfuhr bzw. Nichtbekanntgabe von Umsatzsteuervorauszahlungen. Nach den Gesetzesmaterialien solle die Beistellung eines Pflichtverteidigers auf gewichtige Straffälle beschränkt bleiben. Abgesehen von der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages und damit der drohenden Strafe sei ein Pflichtverteidiger dann beizustellen, wenn sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ein umfangreiches Beweis- und Ermittlungsverfahren ergebe oder wenn eine materiell-rechtliche Komplexität auf Grund schwieriger Rechtsfragen gegeben sei. Davon könne im vorliegenden Fall keine Rede sein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
§ 77 Abs. 3 Finanzstrafgesetz in der auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Oktober 1994, G 161/94, bereinigten Fassung lautet wie folgt:
"(3) Ist in Verfahren, in denen die Durchführung der möglichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses gemäß § 58 Abs. 2 einem Spruchsenat obliegt, der Beschuldigte außer Stande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat die Finanzstrafbehörde auf Antrag des Beschuldigten, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist, dem Beschuldigten für das gesamte Verfahren oder für einzelne Verfahrenshandlungen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht zu tragen hat."
Nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes gebietet das Interesse der Rechtspflege im Sinne des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK die Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bzw. einer verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Komplexität eines Falles etwa im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit eines umfangreichen Beweis- und Ermittlungsverfahrens oder beim Auftreten diffiziler Rechtsfragen. Als Gründe, welche die Beigabe einer unentgeltlichen Verteidigung im "Interesse der Rechtspflege" erforderlich machen, kommen somit neben in der Person des Beschuldigten liegenden Gründen auch mit der Tat verknüpfte und mit dem Verfahren verbundene in Betracht (Fellner, Finanzstrafgesetz, § 75-79, Tz. 27a).
Die belangte Behörde hat die Zuständigkeit des Strafsenates im Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer festgestellt. Ob die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers die kostenlose Beigabe der Verteidigung erforderlich macht, hat sie dahingestellt gelassen. Sie ist davon ausgegangen, dass die Beistellung eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege nicht geboten sei, weil es sich um einen "einfach gelagerten Sachverhalt, nämlich die Nichtabfuhr bzw. Nichtbekanntgabe von Umsatzsteuervorauszahlungen" handle.
Das Vorliegen der kumulativ geforderten Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 Finanzstrafgesetz ist an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Insbesondere das von der belangten Behörde verneinte Interesse der Rechtspflege kann nur an Hand der dem Strafverfahren zu Grunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt werden. Feststellungen zum dem Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer zu Grunde liegenden Sachverhalt hat die belangte Behörde nicht getroffen. Es kann in keiner Weise ausgeschlossen werden, dass etwa die dem Beschwerdeführer vorgeworfene "Nichtabfuhr bzw. Nichtbekanntgabe von Umsatzsteuervorauszahlungen" mit einer komplexen materiellrechtlichen Frage in Zusammenhang steht. Ihre wiedergegebenen Ausführungen stellen lediglich ihre Beurteilung der dem Bescheid und dem vorgelegten Akt nicht zu entnehmenden tatsächlichen Umstände des konkreten Finanzstrafverfahrens dar. Fehlen dem Bescheid aber notwendige Feststellungen, kann die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht vorgenommen werden. Angedeutete Hinweise in der Gegenschrift vermögen die fehlenden Feststellungen im Bescheid nicht zu ersetzen.
Die belangte Behörde belastete damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. April 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004150156.X00Im RIS seit
10.05.2005