TE OGH 1977/9/22 2Ob556/77

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Veröffentlicht am 22.09.1977
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Norm

Gewerbeordnung §57
Gewerbeordnung §60

Kopf

SZ 50/122

Spruch

Zum Rücktrittsrecht nach § 60 GewO Unter Privatpersonen im Sinne des § 57 GewO sind Personen zu verstehen, die die betreffenden Waren nicht für die Ausübung seiner selbständigen Erwerbstätigkeit benötigen

OGH 22. September 1977, 2 Ob 556/77 (OLG Graz 3 R 63/77; LGZ Graz 19 Cg 450/76)

Text

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von 601 598 S samt 12% Zinsen seit 10. Feber 1976, und zwar Zug um Zug gegen Lieferung bestimmter Baumaterialien, die die Beklagte am 3. Dezember 1975 schriftlich bestellt habe; diese Bestellung habe die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Inhaberin einer konzessionierten Fremdenpension gegenüber einem durch telephonische Absprache zur schriftlichen Vertragsfertigung in ihr Haus eingeladenen Vertreter der Klägerin getätigt. Das bestellte Baumaterial, das Anfang Feber 1976 hätte geliefert werden sollen, sei zum Ausbau des Pensionsbetriebes der Beklagten und nicht etwa für ihren privaten Verbrauch bestimmt gewesen. Die schriftliche Bestellung habe zwar nur der Ehemann der Beklagten unterschrieben, doch habe die Beklagte ausdrücklich erklärt, daß diese Unterschrift auch für sie gelte. Die Beklagte habe am folgenden Tag ihren Rücktritt vom Vertrag offensichtlich unter Berufung auf § 60 GewO erklärt. Dieser Rücktritt sei unwirksam und die Klägerin habe ihn nicht zur Kenntnis genommen. Die Klagsforderung sei jedenfalls seit 10. Feber 1976 fällig. Da die Klägerin mit Bankkredit arbeite und 12% Zinsen zu zahlen habe, verlange sie auch von der Beklagten Zinsen in dieser Höhe aus dem Titel des Schadenersatzes.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein: Sie sei passiv nicht legitimiert, denn der Auftrag sei nicht von ihr, sondern von ihrem Ehemann ohne ihre Zustimmung unterschrieben worden, abgesehen davon sei sie zulässigerweise vom Vertrag zurückgetreten. Die Voraussetzungen nach § 60 GewO seien vorgelegen. Der Vertreter der Klägerin sei ohne Aufforderung zu ihr gekommen. Zur Zeit der Auftragerteilung sei sie nicht im Besitze einer Gewerbeberechtigung gewesen. Einen - dann am 29. Juni 1976 aufrecht erledigten - antrag auf Erteilung einer Konzession zur Führung einer Frühstückspension habe sie erst im Jänner 1976 gestellt. Zur Zeit der Auftragserteilung sei sie Privatperson im Sinne des § 57 Abs. 3 GewO gewesen. Es treffe auch nicht zu, daß die Baumaterialien schon im Feber 1976 hätten ausgeliefert werden sollen. Wegen der Nicht-Lieferung habe die Klägerin Bankkredit nicht in Anspruch nehmen müssen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Die Klägerin betreibt in W einen Großhandel mit Baustoffen und ein Baubedarfszentrum. Die Beklagte, Ehegattin eines Landesproduktenhändlers, beabsichtigte, spätestens im Herbst 1975 eine Frühstückspension mit dem Standort in P, zu errichten. Am 9. Dezember 1975 stellte sie bei der Bezirkshauptmannschaft H den Antrag auf Verleihung einer gewerberechtlichen Konzession zur Führung einer Frühstückspension.

Am 3. Dezember 1975 bestellten die Beklagte und ihr Ehemann Josef W bei Josef S als Bevollmächtigtem der Klägerin Baumaterialien zum Preis von 526 162.37 S zuzüglich Umsatzsteuer. Als Liefertermin wurde vereinbart: "auf Abruf im Feber 1976". Diese Bestellung erfolgte in P und wurde vom Ehemann der Beklagten unterfertigt.

Mit Schreiben vom 4. und 5. Dezember 1975 stornierten die Beklagte und ihr Ehemann diese Bestellung unter Berufung auf § 60 GewO.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft H vom 29. Juni 1976 wurde der Beklagten die Konzession für den Betrieb des Gastgewerbes in der Betriebsart einer Frühstückspension erteilt. Vor dem 29. Juni 1976 war die Beklagte nicht im Besitz einer Gewerbeberechtigung.

Daß der Besuch des Josef S bei der Beklagten am 3. Dezember 1975 auf schriftliche, auf bestimmte Waren lautende, von der Beklagten eigenhändig unterfertigte Bestellung erfolgt sei, wurde von keinem der Streitteile behauptet.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Beklagte zum Rücktritt nach § 60 GewO berechtigt gewesen sei. Sie sei am 3. Dezember 1975 Privatperson im Sinne des § 57 Abs. 3 GewO gewesen, die unter Bedachtnahme auf die Verschiedenheit des Standortes der Streitteile von der Klägerin zwecks Sammlung von Bestellungen auf Waren nur auf schriftliche, auf bestimmte Waren lautende, von der Beklagten eigenhändig gefertigte, ausdrücklich an die Klägerin gerichtete Aufforderung aufgesucht werden durfte. Sie habe die am 3. Dezember 1975 bestellten Baumaterialien nicht zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gebraucht. Die Bestellung von Baumaterialien für die zu errichtende Frühstückspension sollte der Beklagten erst die Voraussetzung für die Errichtung und den Betrieb einer Frühstückspension, sohin für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit schaffen. Am 3. Dezember 1975 habe nach menschlichem Ermessen noch nicht vorausgesehen werden können, ob es zu dem Betrieb der Frühstückspension überhaupt kommen werde. Die Beklagte habe demzufolge die gegenständliche Bestellung gar nicht zum Zweck der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit machen können. Für die Klägerin sei sie daher in Ansehung der bestellten Baumaterialien jedenfalls Endverbraucherin gewesen. Zur gewerbsmäßigen Weiterveräußerung seien die von der Klägerin bestellten Materialien jedenfalls nicht bestimmt gewesen. Die Bestellung dieser Materialien sei auch nicht etwa im Rahmen eines bereits bestehenden oder allenfalls unmittelbar darauf zu eröffnenden Gewerbebetriebes erfolgt.

Die Aufnahme der Bestellung vom 3. Dezember 1975 durch Josef S habe somit § 57 Abs. 3 GewO widersprochen, welche Bestimmung mit § 59 Abs. 1 Z. 3 GewO korrespondiere. Die Beklagte könne daher die Schutzbestimmung des § 60 GewO in Anspruch nehmen. Der rechtzeitig erklärte Widerruf führe zur Abweisung des Klagebegehrens.

Zur Frage der Passivlegitimation führte das Erstgericht aus, diese sei gegeben, weil die Beklagte im Stornoschreiben auf einen Mangel der Vertretungsmacht ihres Ehegatten nicht hingewiesen, sondern sich mit seinem Verhalten identifiziert habe. Dies genüge, um eine stillschweigende Bevollmächtigung anzunehmen.

Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, beurteilte das Verfahren als mangelfrei und folgte dem Erstgericht auch in der rechtlichen Beurteilung. In Erwiderung auf das Berufungsvorbringen führte es dazu noch aus, daß es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites unwesentlich sei, ob die Beklagte schon seit 1961 im Rahmen einer häuslichen Nebenbeschäftigung bis zu 10 Personen beherbergt habe. Nach § 2 Abs. 1 Z. 9 GewO seien die nach ihrer Eigenart und ihrer Betriebsweise in die Gruppe der häuslichen Nebenbeschäftigungen fallenden und durch die gewöhnlichen Mitglieder des eigenen Hausstandes betriebenen Erwerbszweige von der Anwendung der Gewerbeordnung ausgenommen. In diesem Zusammenhang bestimme die B-VG-Novelle 1974, BGBl. 444/1974, in ihrem Art. III, daß zu den Angelegenheiten des Gewerbes im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z. 8 B-VG nicht die Privatzimmervermietung, das ist die durch die gewöhnlichen Mitglieder des Hausstandes als häusliche Nebenbeschäftigung ausgeübte Vermietung von nicht mehr als 10 Fremdenbetten gehört. Als Person im Sinne des § 55 Abs. 1 GewO hätte die Beklagte nur qualifiziert werden können, wenn sie die von ihr bestellten Baumaterialien für die Ausübung einer bereits bestehenden selbständigen Erwerbstätigkeit benötigt hätte. Das sei aber, wie das Erstgericht richtig erkannt habe, nicht der Fall gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird ausgeführt, das Berufungsgericht sei auf Grund unrichtiger Rechtsansichten zu dem Ergebnis gelangt, daß die getroffenen Feststellungen für eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Streitsache ausreichen. Zur Klarstellung der Frage, ob die Beklagte die Bestellung von Baumaterialien am 3. Dezember 1975 als Person im Sinne des § 55 Abs. 1 GewO oder als Privatperson im Sinne des § 57 Abs. 1 GewO getätigt habe, seien die aus dem Gewerbeakt zu treffenden Feststellungen nicht ausreichend; dazu hätte es der Durchführung der in der Klage geführten Beweise bedurft. Damit aber werden Mängel des Berufungsverfahrens, also Verstöße gegen prozessuale Vorschriften nicht aufgezeigt, sondern es werden in Wahrheit auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhende Feststellungsmängel behauptet. Auf dieses Vorbringen wird daher im einzelnen im Zusammenhang mit der Rechtsrüge einzugehen sein.

Auch diese erweist sich als nicht gerechtfertigt. Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, hängt die Entscheidung dieses Rechtsstreites von der Beantwortung der Frage ab, ob die Beklagte am 3. Dezember 1975 bei der Bestellung des Baumateriales als Privatperson im Sinne des § 57 GewO anzusehen war. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle dürfen Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen auf andere Waren als die im Abs. 1 dieser Bestimmung angeführten - um die es sich hier handelt - von zum Verkauf dieser Waren berechtigten Gewerbetreibenden und ihren Bevollmächtigten (Handlungsreisenden) außerhalb der Gemeinde ihres Standortes nur in einzelnen Fällen auf ausdrückliche, schriftliche, auf bestimmte Waren lautende, an den Gewerbetreibenden gerichtete Aufforderung aufgesucht werden. Da einerseits feststeht, daß die Beklagte von dem Verkaufsberater der Klägerin außerhalb deren Standortes aufgesucht wurde, anderseits nach dem Vorbringen der Klägerin eine schriftliche Aufforderung seitens der Beklagten von der oben bezeichneten Art nicht erfolgte, hängt das Rücktrittsrecht der Beklagten nach § 60 GewO nur noch davon ab, ob sie die Bestellung als Privatperson im Sinne des § 57 GEwO getätigt hat. Nach dieser Gesetzesstelle sind unter Privatpersonen andere als die in den §§ 55 Abs. 1 und 56 Abs. 1 GEwO genannten Personen zu verstehen. Die Bestimmung des § 56 GewO betrifft das hier nicht in Betracht kommende Aufsuchen von Land- und Forstwirten. Dagegen hat § 55 GewO das Aufsuchen von Personen zum Gegenstand, die Waren der angebotenen Art für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit benötigen. Unter Privatpersonen im Sinne des § 57 GewO sind demzufolge Personen zu verstehen, die die betreffenden Waren nicht für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit benötigen. Dies kommt auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der GewO, 395 BlgNR, XIII. GP, zu den §§ 55 und 57 zum Ausdruck, wo unter anderem dargelegt wird, daß die betreffenden Waren, der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht nur dann dienen, wenn sie für die Ausübung der Erwerbstätigkeit benötigt werden, sondern auch dann, wenn sie als Hilfsmittel einer solchen Erwerbstätigkeit dienen. Wenn in diesem Zusammenhang die Anschaffung von Wasch- und Reinigungsmitteln im Rahmen eines Gast- und Schankgewerbes als Beispiel angeführt wird, dann zeigt dies, daß der Gesetzgeber hier offensichtlich Waren im Auge gehabt hat, die für die Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit selbst, wenn auch als Hilfsstoffe, notwendig sind. Die Bestellung von Baumaterial für die Errichtung eines Baues, in dem ein gastgewerblicher Betrieb eingerichtet werden soll, durch eine Person, die bis dahin nur in einer der Gewerbeordnung nicht unterliegenden Art Zimmer vermietet, fällt nicht darunter. Es ist daher dem Berufungsgericht beizupflichten, wenn es eine Qualifikation der Beklagten als Person im Sinne des § 55 Abs. 1 GewO davon abhängig macht, daß die bestellten Waren für die Ausübung einer bereits bestehenden selbständigen Erwerbstätigkeit benötigt werden. Ob die Beklagte eine selbständige Erwerbstätigkeit in Form von Zimmervermietungen in einer nicht der Gewerbeordnung unterliegenden Form ausübte, ist belanglos, denn die Bestellung von Baumaterial für den Bau eines gastgewerblichen Betriebes könnte auch unter der erwähnten Voraussetzung nicht als Tätigkeit im Rahmen des bisher ausgeübten Erwerbes angesehen werden und es könnte auch keine Rede davon sein, daß die Bestellung des Baumateriales für die Fortsetzung dieser Art von Erwerbstätigkeit notwendig gewesen wäre. Eine Einschränkung in der Weise, daß es sich dabei nur um für den persönlichen Bedarf benötigte Waren handeln dürfe, wie die Revision meint, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es bedurfte daher keiner Feststellung, daß die Beklagte Fremde beherbergte. Die Klagsbehauptung, die Beklagte sei am 3. Dezember 1975 Inhaberin einer Konzession für den Betrieb einer Fremdenpension gewesen, wurde im Verfahren widerfegt. Daß die Bestellung durch die Beklagte erfolgte, wurde von den Vorinstanzen ohnehin angenommen. Daß sich die Beklagte als Inhaberin einer gastgewerblichen Konzession ausgegeben habe, wurde gar nicht behauptet. Es wäre im übrigen auch unerheblich. Die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung der in der Klage über die Auftragserteilung geführten Zeugen konnte daher keinen Feststellungsmangel begrunden.

Die Voraussetzungen des Rücktrittsrechtes nach § 60 GewO waren daher gegeben.

Anmerkung

Z50122

Schlagworte

Privatpersonen im Sinne des § 57 GewO, Rücktritt nach § 60 GewO,

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00556.77.0922.000

Dokumentnummer

JJT_19770922_OGH0002_0020OB00556_7700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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