Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15.März1978
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Neutzler, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini, Dr.Faseth, Dr.Friedrich und Dr.Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr.Waldstätten als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt A wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach dem § 287 Abs.1
(§ 15, 105) StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. Oktober 1977, GZ 5 e Vr 3982/77-19, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr.Cerny und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Nurscher, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die vom Erstgericht über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf drei Monate herabgesetzt.
Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.Oktober 1951 geborene Bauhilfsarbeiter Karl A in Abweichung von der auf das Verbrechen der versuchten Nötigung zum Beischlaf nach den § 15, 202 Abs.1 StGB lautenden Anklage des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach dem § 287 Abs.1 (§ 15, 105) StGB schuldig erkannt, weil er, wie der Spruch des Urteils lautet, 'am 20.2.1977 sich in Wien fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und im Rausch eine Handlung begangen hat, die ihm außer diesem Zustand (zu ergänzen: als) das Vergehen der versuchten Nötigung (§ 15, 105 StGB) zugerechnet würde' (S.112 d. A.).
In den Gründen der Entscheidung stellt das Schöffengericht hiezu fest, daß der Angeklagte am 20.Februar 1977
am Neubaugürtel in Wien die Prostituierte Sonja B ansprach, die von ihm für die Durchführung des Geschlechtsverkehrs 300,-- S und weitere 120,-- S für die Kosten des Hotelzimmers verlangte. Der Angeklagte wollte nun die Zeugin veranlassen, mit ihm zu diesem Zweck eine Baubaracke auf der Baustelle, an der er beschäftigt war, aufzusuchen, was Sonja B jedoch ablehnte.
Es kam deshalb zu einem Streit, bei dem der Angeklagte von Sonja B beschimpft wurde. Als er einige Zeit später - er hatte in der Zwischenzeit erhebliche Alkoholmengen konsumiert - auf seinem Heimweg wieder an Sonja B vorbeikam, packte er sie 'plötzlich von hinten bei den Haaren, beziehungsweise am Hals' (S.115; auch S.118 d.A.), wobei er sinngemäß etwa 'gehen wir' oder 'jetzt gehst mit' sagte. Dabei zog er sie (ca. 1 oder 2 Meter, S.100 d.A.) mit sich, allerdings nicht in Richtung der von ihm bewohnten Baubaracke. Sonja B befreite sich dadurch, daß sie ihm Fußtritte versetzte; der Angeklagte lief davon, Sonja B verständigte die Polizei, die den Angeklagten in kurzer Zeit ausforschen und festnehmen konnte. Das Gericht sprach weiter aus, daß der Angeklagte zur Tatzeit volltrunken gewesen sei und billigte ihm zu, daß er nicht die Absicht gehabt habe, Sonja B durch Gewalt zum außerehelichen Beischlaf zu zwingen, sondern sie nur zum Mitgehen in die von ihm gewünschte Richtung nötigen wollte, weshalb es zum eingangs bezeichneten Schuldspruch nach dem § 287 (§ 15, 105) StGB kam.
Diesen Schuldspruch bekämpft Karl A mit einer auf die Nichtigkeitsgründe nach dem § 281 Abs.1
Z 5 und 9 lit.a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund macht der Beschwerdeführer geltend, im Urteilstenor werde die Handlung nicht angeführt, die vom Schöffengericht als versuchte Nötigung beurteilt wurde. Auch aus den Urteilsgründen lasse sich hierüber kaum etwas entnehmen, weil die vom Erstgericht festgestellte Gewalt, die er gegen Sonja B angewendet habe, undeutlich umschrieben und nicht näher definiert werde. Das Erstgericht spreche nämlich nur aus, er habe die Zeugin bei den Haaren gepackt, 'beziehungsweise' am Hals.
Die Wahl des Wortes 'beziehungsweise' lasse nicht erkennen, ob ihm nun angelastet werde, daß er Sonja B an den Haaren, am Hals oder an beiden Stellen gepackt habe. überdies stehe die mehrdeutige Feststellung des Schöffengerichtes mit den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung im Widerspruch, wonach diese von ihm weder gewürgt noch an den Haaren gerissen worden, sondern bloß von hinten mit den Armen umschlungen worden und so mit ihm 1 bis 2 m 'nach rückwärts' gegangen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Mängelrüge geht jedoch fehl.
Soweit der Beschwerdeführer mangelnde Individualisierung der Tat im Urteilsspruch einwendet, macht er nicht den angerufenen, sondern den Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs.1 Z 3 StPO geltend. Hierauf ist ihm zu erwidern, daß das Erstgericht in Entsprechung des § 260 Abs.1 Z 1 StPO nicht nur die durch exzessiven Alkoholkonsum fahrlässig herbeigeführte volle Berauschung des Angeklagten, sondern auch das in diesem Rausch versuchte Nötigen der Sonja B (zum Mitgehen) bezeichnet hat, welches ihm außer diesem Zustand als Vergehen der versuchten Nötigung nach den § 15, 105 StGB zugerechnet würde. Die vom Erstgericht gewählte Spruchfassung genügt sohin dem § 260 Abs.1 Z 1 StPO, weil die Tat in hinreichender Weise durch Anführung von Tatzeit, Tatort und Tatgeschehen verwechslungssicher umschrieben (individualisiert) wurde und die in den Gründen gegebene Konkretisierung der Tat keinerlei Zweifel daran offenläßt, welches Verhalten dem Beschwerdeführer als im Rausch verübte strafbare Handlung angelastet wird.
Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht ist der Schuldspruch auch hinreichend begründet.
Vor allem ist das Vorbringen unrichtig, die als undeutlich gerügte Feststellung stehe im Widerspruch zur Aussage der Sonja B in der Hauptverhandlung.
Denn diese hat dort ihre im Vorverfahren gegebene Tatdarstellung, wonach sie vom Angeklagten von hinten bei den Haaren gerissen und beim Hals gepackt wurde, wiederholt und erst über detailliertes Befragen, nachdem sie vorerst noch erklärt hatte, das Anfassen am Hals hätte 'weh getan', sie sei zurückgezogen worden, dabei mehr oder weniger zurückgefallen und habe das Gleichgewicht verloren, nur dahin abgeschwächt, nicht mehr genau zu wissen, ob sie auch an den Haaren gerissen worden sei.
Das Erstgericht hat entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht etwa festgestellt, daß die Zeugin vom Angeklagten 'gewürgt' worden sei, noch hat die Zeugin angegeben, mit dem Angeklagten ein bis zwei Meter rückwärts 'gegangen' zu sein.
Die Feststellung, die Zeugin sei bei den Haaren 'beziehungsweise' am Hals gepackt worden, wird an sich im Hinblick auf die Mehrdeutigkeit des verwendeten Bindewortes zwar mit Recht als undeutlich gerügt. Dennoch wird hiedurch der Nichtigkeitsgrund einer Undeutlichkeit der Begründung im Sinne der Z 5 des § 281 Z 1 StPO nicht verwirklicht. Denn selbst wenn man das Bindewort - entgegen der Aktenlage - in der für den Angeklagten günstigsten Auslegung als 'oder' versteht, so würde dadurch nur eine im konkreten Fall zulässige Wahlfeststellung getroffen. Jede der Annahmen 'Reißen an den Haaren' oder 'Packen am Hals' wäre nämlich in gleicher Weise allein schon als 'Gewalt' im Sinne des § 105 Abs.1 StGB zu werten.
Von einer undeutlichen, unvollständigen, mangelhaften oder gar fehlenden Urteilsbegründung, wie dies der Beschwerdeführer weiter behauptet, die den Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs.1 Z 5 StPO darstellen würde, kann sohin nicht die Rede sein.
In seiner Rechtsrüge nach § 281 Abs.1 Z 9 lit.a StPO führt der Beschwerdeführer unter Berufung auf die Judikatur zu § 98 lit.b StG 1945 aus, daß für das Vergehen der Nötigung die Erzwingung einer rechtlich relevanten Leistung oder Unterlassung unter Verletzung eines konkreten Rechtes des Opfers erforderlich sei. Das vom Erstgericht festgestellte 'Mitsichziehen' der Zeugin durch den Beschwerdeführer sei offenbar nur über eine kurze Wegstrecke erfolgt und habe kein konkretes Recht der Zeugin verletzt, weil die Ortsveränderung viel zu gering gewesen sei, um eine Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung darstellen zu können.
Dem Beschwerdeführer kann auch hierin nicht gefolgt werden. Anders als beim Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch Erpressung nach dem § 98 StG 1945, auf welche Bestimmung sich die vom Beschwerdeführer zitierte Judikatur bezieht, muß nämlich für den Tatbestand des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs.1 StGB dem erzwungenen Verhalten gar keine besondere Relevanz zukommen. Dies wird durch die Ersetzung des nicht völlig klaren Wortes 'Leistung' (im § 98 StG 1945) durch das eindeutige Wort 'Handlung' im § 105
Abs.1 StGB sinnfällig (vgl. Dokumentation zum StGB S.144). Daß aber das Mitkommen an einen von der Genötigten nicht gewollten Ort, was der Beschwerdeführer zu erzwingen versucht hat, dem Begriff der Handlung nach dem § 105 Abs.1 StGB entsprach, konnte das Schöffengericht insbesondere schon mit Rücksicht auf die Lagerung des Falles (Tatzeit, Tatort, Angriff durch einen Betrunkenen) mit Recht bejahen. Dem Erstgericht ist sohin auch bei der rechtlichen Subsumtion des Grunddeliktes kein Irrtum unterlaufen, wenn es den Versuch des Beschwerdeführers, die Zeugin B gewaltsam zum Mitkommen - in welcher Richtung auch immer -
zu veranlassen, als Versuch der Nötigung zu einer Handlung und damit als versuchtes Vergehen nach den § 15, 105 Abs.1 StGB beurteilte und demnach das Gesamtverhalten des Angeklagten dem § 287 Abs.1 StGB in Verbindung mit den genannten Gesetzesstellen unterstellte. Die in jeder Richtung unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 287 Abs.1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten. Bei der Strafbemessung wertete es die einschlägigen Vorstrafen wegen Gewaltdelikten und den Umstand als erschwerend, daß dem Angeklagten auf Grund der Vorstrafen seine Neigung zu Aggressionshandlungen bei Alkoholkonsum bewußt war. Als mildernd wurden demgegenüber das Geständnis des Angeklagten, seine an der Grenze der Debilität liegende Verstandesschwäche und der Umstand angesehen, daß es beim Grunddelikt beim Versuch geblieben ist.
Mit seiner Berufung strebt Karl A eine Herabsetzung der Strafe und
deren bedingte Nachsicht an.
Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu.
Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe zwar im wesentlichen richtig erfaßt, jedoch ein etwas zu hohes Strafmaß gefunden. Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Gewichtes der Milderungsgründe trägt eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten der Schuld des Angeklagten und dem relativ geringfügigen Unrechtsgehalt seiner Tathandlung vollauf Rechnung. Der erstgerichtliche Strafausspruch war daher der Höhe nach zu korrigieren.
Die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht kam allerdings in Anbetracht der durch einschlägige Vorstrafen belasteten Täterpersönlichkeit des Berufungswerbers nicht in Betracht. Demnach war wie im Spruch zu erkennen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E01049European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00020.78.0316.000Dokumentnummer
JJT_19780316_OGH0002_0100OS00020_7800000_000