Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Mai 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Schneider und Dr. Steininger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Haindl als Schriftführer in der Strafsache gegen Leopold A wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den vom Einzelrichter des Kreisgerichtes St. Pölten im Verfahren 19 E Vr 1198/77
eingehaltenen Vorgang, nach Rechtskraft des die Wiederaufnahme bewilligenden Beschlusses sofort und ohne Vorliegen eines neuen Strafantrages eine Hauptverhandlung anzuberaumen, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache 19 E Vr 1198/77 des Kreisgerichtes St. Pölten gegen Leopold A wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB verletzt der vom Einzelrichter dieses Gerichtshofes eingehaltene Vorgang, nach Rechtskraft des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden Beschlusses vom 6. September 1977 nicht die Führung der Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter zu veranlassen (§ 93 Abs. 1 StPO), sondern sofort und ohne Vorliegen eines neuen Strafantrages eine Hauptverhandlung anzuberaumen, sie durchzuführen und ein Urteil zu fällen, das Gesetz in der Bestimmung des § 359 Abs. 1 StPO. Das genannte Strafverfahren wird daher ab der Rechtskraft des vorerwähnten, die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des Verurteilten Leopold A bewilligenden Beschlusses - sohin insbesondere auch in Ansehung des Urteiles vom 7.Oktober 1977, ON. 35 a - aufgehoben und es wird dem Kreisgericht St. Pölten aufgetragen, dem Gesetze gemäß vorzugehen.
Mit seiner als ' Nichtigkeitsbeschwerde' bezeichneten Berufung gegen das letztgenannte Urteil wird Leopold A auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Dem Akt 19 E Vr 1198/77 (früher 1448/75) des Kreisgerichtes St. Pölten ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
Auf Grund eines von der Staatsanwaltschaft St. Pölten zu 6 St 4931/75 am 30.Oktober 1975 gestellten Strafantrages (ON 3) wurde der am 17.März 1952 geborene Profilierer Leopold A mit Urteil des Einzelrichters des Kreisgerichtes St. Pölten vom 17.März 1976 (ON 10) des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt und (zu ergänzen: nach dem § 129 StGB) unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf drei Vorverurteilungen zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten verurteilt. Diese Strafe setzte das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 21.September 1976, 12 Bs 364/76 (ON 21) in Stattgebung der Strafberufung des Angeklagten - und damit gleichzeitig seiner Schuldberufung nicht Folge gebend - auf 5 Monate Freiheitsstrafe herab.
Mit zwei Schreiben, und zwar an den Bundespräsidenten vom 5.Dezember 1976 (ON 26) und an das Kreisgericht St. Pölten vom 20.Jänner 1977 (ON 27) brachte der Angeklagte sodann einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ein. Hiezu stellte die Staatsanwaltschaft St. Pölten am 2.Februar 1977 den Antrag auf Vornahme von Erhebungen gemäß dem § 357 Abs. 2 StPO durch Vernehmung der vom Verurteilten angeführten Zeugen und Hemmung des Strafvollzuges gemäß dem § 361 Abs. 1 StPO bis zur Erledigung des Wiederaufnahmeantrages. Nachdem in diesem Sinne, ohne daß formell die Hemmung des Strafvollzuges beschlossen worden wäre, vier vom Verurteilten namhaft gemachte Entlastungszeugen vom Untersuchungsrichter des Kreisgerichtes St. Pölten vernommen worden waren, beschloß der Einzelrichter dieses Gerichtes am 6.September 1977 - entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 2. September 1977, welche in Richtung einer Abweisung des Wiederaufnahmeantrages ergangen war -
die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (S 3 a). Nachdem die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel gegen diesen Beschluß verzichtet hatte (13.September 1977, S 3 a verso), ordnete der Einzelrichter am 19. September 1977 eine Hauptverhandlung für den 7.Oktober 1977 an (S 3 a verso). Hiezu verfügte er die Vorführung des in einer anderen Strafsache in Haft befindlichen Angeklagten und die Ladung von Zeugen, ohne daß seitens der Staatsanwaltschaft St. Pölten, welche nur bei Einsichtnahme eine neue St-Zahl setzte, ein neuer Strafantrag im vereinfachten Verfahren gestellt worden wäre (S 3 b). In der Hauptverhandlung vom 7.Oktober 1977 wurde vielmehr der ursprüngliche - am 30.Oktober 1975 gestellte Strafantrag verlesen (S 129) und Leopold A schließlich wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB neuerlich zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt, wobei abermals entgegen der Bestimmung des § 260 Abs. 1 Z 4 StPO die bei der Strafzumessung angewandete Bestimmung des § 129 Abs. 1 StGB nicht angeführt wurde (S 136). Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte noch in der Hauptverhandlung volle Berufung an, welche er - nach Urteilszustellung am 2.Dezember 1977 - am 12. Dezember 1977 in einem als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichneten Schriftsatz ausführte. Die Akten wurden am 12.Jänner 1978 dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheiung über dieses Rechtsmittel vorgelegt; eine Berufungsentscheidung ist bisher nicht ergangen.
Rechtliche Beurteilung
Die Vorgangsweise des Einzelrichters des Kreisgerichtes St. Pölten, nach Rechtskraft des Wiederaufnahmebeschlusses ohne Stellung eines neuen Strafantrages sogleich die Hauptverhandlung anzuberaumen und ein neues Urteil zu fällen, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 359 Abs. 1 StPO.
Denn nach dieser Gesetzesstelle tritt die Sache durch die Wiederaufnahme in der Regel - nämlich abgesehen vom hier nicht zutreffenden Fall des § 360 StPO, nämlich einer mit Zustimmung des Anklägers erfolgenden Erledigung im Sinne des Begehrens des Angeklagten - in den Stand der Voruntersuchung. Diese ist nach Maßgabe der die Wiederaufnahme bewilligenden Entscheidung und der neuen Beweise zu führen oder zu ergänzen und es sind die für die Einstellung der Voruntersuchung und die Versetzung in den Anklagestand geltenden Vorschriften auch hier anzuwenden. Gemäß dem § 490
StPO gelten diese Bestimmungen auch für das Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes.
Richtigerweise wären sohin vorliegend - nachdem zufolge Rechtskraft des die Wiederaufnahme bewilligenden Beschlusses das Verfahren in den Stand der Voruntersuchung getreten war - die Akten wieder dem Untersuchungsrichter zuzuleiten gewesen, der sie nach Durchführung ihm erforderlich erscheinender Untersuchungshandlungen gemäß d112 Abs. 1 StPO der Staatsanwaltschaft zur weiteren Antragstellung zu übermitteln gehabt hätte. Diese wäre sodann, falls er nicht etwa eine Ergänzung der Voruntersuchung beantragt (§ 112 Abs. 3 StPO) hätte, verpflichtet gewesen, entweder die Erklärung nach dem § 109 StPO abzugeben, oder einen neuen Strafantrag gegen Leopold A zu stellen. Im Zusammenhalt damit, daß der Einzelrichter des Kreisgerichtes St. Pölten eine Hauptverhandlung anberaumt und durchführte, ohne daß letzteres geschehen wäre, unterblieb im übrigen auch - unter Verletzung der Vorschrift des § 488 Z 1 StPO - der Anschluß einer Ausfertigung eines Strafantrages an die Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung.
Die aufgezeigte Gesetzesverletzung, welche darin bestand, daß der Einzelrichter unter Mißachtung des erfolgten Eintrittes der Sache in den Stand der Voruntersuchung sogleich eine Hauptverhandlung anberaumte und durchführte und in dieser ohne gesetzliche Grundlage den Strafantrag verlesen ließ (S 129), der dem durch die Bewilligung der Wiederaufnahme aufgehobenen Urteil zu Grunde gelegen war, den der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erst nach dem Schluß des Beweisverfahrens insoweit aus dem wiederaufgenommenen Verfahren übernahm, als er die 'Bestrafung des Beschuldigtem im Sinne des Strafantrages' beantragte (S 134) (weshalb zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auch nicht etwa die nach dem Gesetz erforderliche Anklage im Sinne der § 281 Abs. 1 Z 9 lit. c, 468 Abs. 1 Z 4, 489 Abs. 1 StPO fehlte), konnte dem seine Schuld bestreitenden Beschuldigten vorliegend insoweit zum Nachteil gereichen, als die Durchführung einer Voruntersuchung allenfalls zum Ergebnis der Einstellung des Strafverfahrens nach § 109 StPO oder auch - im Falle der Stellung eines neuen Strafantrages
- zu einem erfolgreichen Vorgehen des Einzelrichters nach dem § 485 Abs. 1 Z 5
StPO hätte führen können und es in diesem Falle gar nicht zu einer neuen Hauptverhandlung gekommen wäre.
Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und wie im Spruche zu entscheiden.
Anmerkung
E01301European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0120OS00075.78.0522.000Dokumentnummer
JJT_19780522_OGH0002_0120OS00075_7800000_000