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19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art6 Abs3 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde der AA in Wien, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. November 2004, Zl. UVS- 05/K/44/9578/2003/10, betreffend Übertretung des Wiener Parkometergesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 7. November 2003 wurde über die Beschwerdeführerin wegen Hinterziehung der Parkometerabgabe eine Geldstrafe von EUR 140,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens von EUR 14,-- verhängt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe am 18. November 2002 ein mehrspuriges Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt, ohne für seine Kennzeichnung mit einem richtig entwerteten Parkschein gesorgt zu haben. Im Fahrzeug habe sich ein Parkschein befunden, auf welchem die Entwertungen durch Auflegen von Kreuzen vorgenommen worden sei. Die Parkscheinnummer und alle mit freiem Auge ersichtlichen Spuren der Parkscheinmanipulation seien vom Kontrollorgan (Christian K) vor Ort in Augenschein genommen und sogleich schriftlich vor Ort festgehalten worden. Christian K habe bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme weiters erklärt, dass die Manipulation aus einigen Details eindeutig erkennbar gewesen sei (Abheben der aufgelegten Kreuze vom Parkschein, matter Glanz, Klebstoffreste in der Rubrik Tag, Kästchen 9, 10, 12, 17 und 21, sowie in Rubrik Stunden, Kästchen 12, 13 und 10, weiße Flecken auf den Kreuzen). Weiters habe er nach Vorlage des Parkscheines im Original angegeben, dass nunmehr die Entwertungen direkt am Parkschein mit einem schwarzen Stift durchgeführt wären und sich der Parkschein nicht mehr in dem Zustand wie bei der Beanstandung befinde. Zum Beanstandungszeitpunkt sei bei der Rubrik Jahr "02" aufgelegt worden, wobei die Null wie ein ausgemalter schwarzer Kreis ausgeschnitten gewesen sei. Jetzt aber wäre der Parkschein in der Rubrik mit "2002" entwertet und keine der Nullen sei von innen voll schwarz. Diese Sachverhaltsangaben seien widerspruchsfrei und schlüssig. Die Beschwerdeführerin habe die ihr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung zwar bestritten, aber keine geeigneten Beweismittel vorgelegt bzw. Zeugen genannt.
Die Beschwerdeführerin erhob mit Eingabe vom 29. November 2003 Berufung und rügte als Verfahrensmangel, bei der Einvernahme des Kontrollorgans Christian K am 10. September 2003 sei diesem zwar der von ihr der Behörde übermittelte Parkschein, nicht jedoch ihre Stellungnahme vom 18. Juli 2003, in welcher sie konkrete Einwendungen gegen seine Wahrnehmungen vorgebracht habe, vorgehalten worden. Dies habe sie bereits in ihrer Stellungnahme vom 26. September 2003 gerügt und weitere Ausführungen nachgereicht. Es könne keine Rede davon sein, dass die Sachverhaltsangaben des Kontrollorgans Christian K klar, widerspruchsfrei und schlüssig seien. Es sollte amtsbekannt sein, dass es sich bei "matten Glanz" um ein Oxymoron handle. Das Kontrollorgan Christian K habe sich beim Abschreiben vom Parkschein nachweislich bei der Uhrzeit verschrieben. Die Oberfläche eines Parkscheins sei so beschaffen, dass sie durch mechanische und chemische Einwirkungen zerstört werde. Die Oberfläche des vorgelegten Parkscheins sei auch an den angeblichen Klebstoffstellen neuwertig und ohne chemische oder mechanische Veränderungen. Dies bedeute, dass kein Klebstoff dort gewesen sein könne. Aus "eckigen Kanten der Beschriftung" könne nicht geschlossen werden, dass die Kreuze und die Jahreszahl auf den Parkschein aufgelegt worden seien. Weiters habe die Behörde im Straferkenntnis ausgeführt, das Kontrollorgan habe sogleich schriftlich vor Ort die Parkscheinnummer etc. festgehalten. Die Beschwerdeführerin könne jedoch den Satzteil "sogleich schriftlich vor Ort festgehalten" dem Akt nicht entnehmen. Sie stellte den Antrag auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens und in eventu auf Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat.
Am 13. Oktober 2004 fand vor der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung statt, zu welcher die Beschwerdeführerin mit Ladungsbescheid vom 24. September 2004 geladen wurde. Dieser wurde nach zwei erfolglosen Zustellversuchen am 29. und 30. September 2004 am Postamt hinterlegt.
Die Beschwerdeführerin erschien nicht zur Berufungsverhandlung. Im Anschluss an die Beweisaufnahme - es wurde das Kontrollorgan Christian K als Zeuge vernommen - wurde mündlich der angefochtene Bescheid verkündet. Darin wurde der Berufung in der Schuldfrage keine Folge gegeben. Die Geldstrafe wurde auf EUR 70,-- herabgesetzt (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) und ein erstinstanzlicher Verfahrenskostenbeitrag von EUR 7,-- vorgeschrieben.
In der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges sowie der Rechtsgrundlagen begründend ausgeführt, den Angaben der Beschwerdeführerin habe kein Glauben geschenkt werden können. Der Zeuge Christian K habe persönlich glaubwürdig und überzeugend gewirkt. Er habe detailliert zu schildern vermocht, wie er zu der Feststellung gelangt sei, dass die Entwertung durch Auflegen von Kreuzen vorgenommen worden sei, und überzeugend dargelegt, dass die Kreuze nicht vollständig bemalt gewesen und daher weiße Flecken hervorgetreten seien. Auch seien die Kreuze nicht auf dem Parkschein angebracht gewesen, sondern hätten sich davon abgehoben. Eine kriminaltechnische Untersuchung des Parkscheines habe die vom Meldungsleger beschriebenen Klebstoffreste zwar nicht feststellen können. Es sei aber dadurch nachgewiesen worden, dass auf einem Parkschein aufgeklebte bemalte Selbstklebeetiketten nach deren Abnahme keinen Hinweis auf Kleberückstände erkennen ließen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich u.a. in ihrem Recht auf Parteiengehör sowie auf ordnungsgemäße rechtzeitige Ladung zur mündlichen Berufungsverhandlung und Gewährung ausreichender, mindestens zweiwöchiger Vorbereitungszeit sowie in ihrem Recht, nicht wegen einer Übertretung des § 1 Abs. 3 Wiener Parkometergesetz bestraft zu werden, verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 51f VStG (Abs. 3 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998) lautet:
"§ 51f. (1) Die Verhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Zeugen haben daraufhin das Verhandlungszimmer zu verlassen.
(2) Wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dann hindert dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses.
(3) Zu Beginn der Verhandlung ist der Gegenstand der Verhandlung zu bezeichnen und der bisherige Gang des Verfahrens zusammenzufassen. Sodann ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu äußern."
§ 51e Abs. 6 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"(6) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen."
§ 41 Abs. 3 VStG lautet:
"(3) Die Ladung kann auch die Androhung enthalten, dass das Strafverfahren, wenn der Beschuldigte der Ladung keine Folge leistet, ohne seine Anhörung durchgeführt werden kann. Diese Rechtsfolge kann nur eintreten, wenn sie in der Ladung angedroht und wenn die Ladung dem Beschuldigten zu eigenen Handen zugestellt worden ist."
§ 17 Abs. 1 und 3 Zustellgesetz lauten:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
...
(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."
Die Beschwerdeführerin rügt als Verletzung des Parteiengehörs, ihr sei die Ladung verspätet zugestellt worden, sodass ihr nur eine Frist von zwölf Tagen für die Vorbereitung zur mündlichen Verhandlung verblieben sei. Die belangte Behörde hätte mangels ordnungsgemäßer Ladung der Beschwerdeführerin weder eine mündliche Verhandlung durchführen noch im Anschluss daran die Berufungsentscheidung verkünden dürfen.
§ 51f Abs. 2 VStG sieht vor, dass auch in Abwesenheit einer Partei eine Verhandlung durchgeführt und ein Erkenntnis erlassen werden darf, wenn die Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist. Diese Regelung gilt für alle Parteien, also insbesondere auch für den Beschuldigten. Die Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist nur dann zulässig, wenn die Ladung ordnungsgemäß, d.h. fehlerfrei erfolgt ist. Fehlt auch nur eine Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Ladung, darf die Verhandlung in Abwesenheit der Partei nicht erfolgen (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 932/9).
Voraussetzung der ordnungsgemäßen Ladung ist u.a. deren Rechtzeitigkeit. Eine verspätete Ladung ist nicht als ordnungsgemäß anzusehen. Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. b MRK, wonach jeder Angeklagte über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen hat, hat der österreichische Gesetzgeber in § 51e Abs. 6 VStG verfügt, dass dem Beschuldigten von der Zustellung der Ladung an eine Vorbereitungszeit von mindestens zwei Wochen zur Verfügung zu stehen hat (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1090 BlgNR 17. GP). Das bedeutet, dass die Ladung verspätet ist, wenn zwischen ihrer Zustellung und dem Verhandlungstermin weniger als zwei Wochen liegen. Aus der ausdrücklichen Anordnung des § 51f Abs. 2 VStG, wonach die Verhandlung bzw. das Erkenntnis nur im Falle der ordnungsgemäßen Ladung zulässig ist, ist der Schluss zu ziehen, dass die Verhandlung nicht durchgeführt werden darf, wenn die Partei in diesem Fall nicht erscheint. Die Verhandlung ist vielmehr von Amts wegen zu vertagen (vgl. Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2, 294 f). Der Verwaltungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 98/03/0352, wonach als Folge einer verspäteten Ladung erst zwölf Tage vor der anberaumten Berufungsverhandlung der im Anschluss an diese erfolgten Verkündung des Berufungsbescheides gegenüber dem Beschuldigten keine Wirkung zukommt, weil diesfalls "keine ordnungsgemäße Ladung des Beschwerdeführers zur Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde und insofern auch keine für die Zulässigkeit der - im Anschluss an die Berufungsverhandlung (ohne gesonderte Ladung) erfolgt(en) - mündlichen Verkündung des Straferkenntnisses erforderliche ordnungsgemäße Ladung vorlag." Was die Art der Rechtswidrigkeit des im zitierten Beschwerdefall angefochtenen nach der Verkündung erlassenen schriftlichen Berufungsbescheides anlangt (§ 42 Abs. 2 VwGG), so gelangte der Gerichtshof fallbezogen zum Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die mittlerweile eingetretene Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs. 3 erster Satz VStG) "schon deshalb" nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Beschwerdeführerin wurde mit Ladungsbescheid vom 24. September 2004 zu der am 13. Oktober 2004 vor dem UVS stattfindenden Verhandlung geladen. Als Beginn der Abholfrist beim zuständigen Postamt wurde - laut Beschwerdevorbringen - auf der Hinterlegungsanzeige der 1. Oktober 2004 ausgewiesen. Dies entspricht auch dem Vermerk auf dem in den Akten einliegenden Rückschein. Die Ladung gilt daher gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG als am Freitag, 1. Oktober 2004, an die Beschwerdeführerin zugestellt. Die durch § 51e Abs. 6 VStG der - zu diesem Zeitpunkt unvertretenen - Beschwerdeführerin eingeräumte Mindestfrist von zwei Wochen ab der Zustellung der Ladung endete daher mit Ablauf des Freitag, 15. Oktober 2004. Die vor diesem Zeitpunkt angesetzte mündliche Verhandlung erweist sich somit als rechtswidrig, weil der Beschwerdeführerin zur Vorbereitung nicht mindestens zwei Wochen zur Verfügung gestanden sind. Dem steht auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, nicht entgegen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf die in der Beschwerde ebenfalls gerügte Beweiswürdigung durch die belangte Behörde einzugehen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 25. April 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005170004.X00Im RIS seit
17.06.2005Zuletzt aktualisiert am
15.03.2011