TE OGH 1978/6/7 1Ob625/78

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Veröffentlicht am 07.06.1978
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Norm

ABGB §26 Abs1
ABGB §1295 Abs1
ABGB §1313a Abs1
ABGB §1315 Abs1
ABGB §1319a Abs1
Straßenverkehrsordnung 1960 §93 Abs1
Straßenverkehrsordnung 1960 §93 Abs5

Kopf

SZ 51/80

Spruch

Die Gemeinde, die ohne gesetzliche Verpflichtung die Schneeräumung und Bestreuung der Gehsteige im Ortsbereich übernommen hat, haftet jedenfalls für das Verschulden desjenigen, der die grundsätzlichen organisatorischen Maßnahmen für den Einsatz des Personals und der Maschinen und die Überwachung des eingesetzten Personals zu treffen hat

OGH 7. Juni 1978, 1 Ob 625/78 (OLG Innsbruck 5 R 327/77; LG Innsbruck 8 Cg 865/74)

Text

Ohne ausdrückliches Übereinkommen mit den Liegenschaftseigentümern, deren Grundstücke an die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehewege angrenzen, übernahm es die beklagte Partei, die Stadtgemeinde K, im Ortsgebiet neben der Fahrbahn auch die Gehsteige und Gehwege im Winter von Schnee zu räumen und bei Schnee und Glatteis zu bestreuen. Im Jahre 1971 war für diese Räum- und Streutätigkeit in K der Stadtbaumeister Ing. Norbert C verantwortlich, der die genannten Agenden jedoch praktisch zur Gänze an den Stadtbaupolier Hans G übertragen hatte. Der Personalstand des Städtischen Bauhofes umfaßte damals etwa 35 Personen, von denen Hans G maximal 20 Leute für die Schneeräumung einsetzen konnte. Durchschnittlich waren für das 52 km lange Wegenetz, das die beklagte Partei zu betreuen hat, je nach dem Bedarf und nach den Verhältnissen fünf bis zwanzig Leute für den Räum- und Streudienst einsatzbereit. Zur Verfügung standen außerdem ein Unimog und ein LKW.

In der Nacht zum 20. November 1971 fielen bis längstens 9 Uhr morgens 9 cm Neuschnee. An diesem Tag begannen acht Mann der beklagten Partei um 6.30 Uhr mit dem Streuen und waren insgesamt 30 Stunden im Einsatz.

Am 20. November 1971 fuhr die Klägerin im PKW ihres Mannes von ihrer Wohnung in die Innenstadt von K. Sie trug Halbstiefel mit Gummisohle mit etwa fingernagelgroßen und etwa 2 mm tiefen Schuppen, die zur Ferse hin gerichtet und dachziegelartig versetzt waren. Bereits beim Autofahren stellte sie fest, daß die Straßen nicht bestreut waren; sie ging daher wegen der festgestellten starken Schneeglätte äußerst vorsichtig. Nachdem sie Einkäufe besorgt hatte, kam sie um etwa 10 Uhr unmittelbar vor dem Gebäude des Bezirksgerichtes K auf dem Gehsteig, der mit einer leichten Neuschneeauflage versehen und glatt war, zum Sturz; der Gehsteig war entweder nicht bestreut oder das Streugut war noch vor dem Ende des Schneefalles um spätestens 9 Uhr so mit Schnee bedeckt worden, daß es nicht mehr sichtbar und daher wirkungslos war. Die Klägerin wurde bei dem Unfall schwer verletzt, ein Behandlungsabschluß ist noch nicht erreicht. Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei ein Schmerzengeld von 120 000 S, 8400 S für die Aufnahme einer Haushaltshilfe sowie die Feststellung, daß die beklagte Partei ihr für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall vom 20. November 1971 hafte.

Die beklagte Partei bestritt ihre Passivlegitimation, da die Verpflichtung zu Schneeräumung die Eigentümer der Anrainerliegenschaft treffe und die beklagte Partei diese Verpflichtung nicht vertraglich übernommen habe; sie treffe aber auch kein Verschulden, da sie die Schneeräumung und Streuung allen Erfordernissen entsprechend organisiert habe und die damit beschäftigten Personen die erforderliche Befähigung und Eignung hätten. Bei starkem Schneefall komme es jedenfalls zu einem Großeinsatz, bei dem der einzelne Straßenwärter in der Innenstadt nur einige hundert Meter Wegstrecke zu betreuen habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die beklagte Partei habe die grundsätzlich dem Eigentümer von Liegenschaften im Ortsbereich obliegende Verpflichtung, die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige entlang ihrer Liegenschaften in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen zu säubern sowie bei Schnee und Glatteis zu bestreuen, übernommen. Eine derartige Übertragung der Verpflichtung bewirke nach § 93 Abs. 5 StVO, daß der Übernehmer dieser Verpflichtung an die Stelle des Eigentümers trete. Zur Unfallszeit habe es zumindest seit einer Stunde nicht mehr geschneit gehabt. Die Unfallsstelle sei trotzdem nicht von Schnee gesäubert und auch nicht bestreut gewesen. Damit sei die Schutznorm des § 93 Abs. 1 StVO übertreten worden. Für die Vernachlässigung der Streupflicht habe die beklagte Partei einzustehen. Daß die beklagte Partei am Unfallstag erst um 6.30 Uhr begonnen habe, mit acht Personen und zwei Fahrzeugen ein 52 km langes Wegenetz zu betreuen, stelle einen innerbetrieblichen Organisationsmangel dar. Wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechtes eine sonst den Bürgern ihres Ortes übertragene Verpflichtung auf sich nehme, habe sie auch dafür Sorge zu tragen, daß sie dieser Verpflichtung entsprechend nachkommen könne. Acht Mann seien aber nicht in der Lage, eine Länge von 52 km an Gehsteigen und Straßen entsprechend zu betreuen. Organisatorische Schwierigkeiten oder Personalmangel könnten gesetzliche Vorschriften nicht außer Kraft setzen oder einschränken.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Verpflichtung zur Schneeräumung habe gemäß § 93 Abs. 1 StVO sicher ursprünglich die Anrainer getroffen. Da diese aber offensichtlich nichts dagegen hatten, daß die beklagte Partei die Gehsteigreinigung besorgte könne davon ausgegangen werden, daß durch stillschweigende (§ 863 ABGB) Einigung diese Verpflichtung auf die beklagte Partei übertragen bzw. von dieser übernommen wurde (§ 93 Abs. 5 StVO). Damit sei die beklagte Partei an Stelle des Eigentümers getreten. Da zwischen den Streitteilen kein Schuldverständnis bestanden habe, komme § 1313a ABGB nicht zur Anwendung. Außerhalb der Gehilfenhaftung nach dieser Bestimmung hafte eine juristische Person nur für unerlaubte Handlungen derjenigen Vertreter, die unmittelbar durch die Verfassung zu ihrer Vertretung berufen seien; für den Schaden, der infolge eines Verschuldens eines Besorgungsgehilfen entstanden sei, hafte die juristische Person nur im Rahmen des § 1315 ABGB. Darüber hinaus komme eine Haftung der juristischen Personen auch bei einem ihrem verfassungsmäßigen Organ anzulastenden Überwachungsverschulden oder Organisationsmangel in Betracht. Die beklagte Partei würde für das Verschulden ihrer leitenden Funktionäre haften, wenn ihre Organisation unzureichend sei, um einen entsprechenden Schneeräumungs- und Streudienst sicherzustellen. Die Tatsache allein, daß die beklagte Partei am Unfallstag zur Betreuung eines 52 km langen Wegenetzes nur acht Personen mit zwei Fahrzeugen einsetzte, lasse aber nicht bereits auf einen innerbetrieblichen Organisationsmangel schließen. Es sei sicherlich nicht das gesamte Straßennetz von 52 km Länge in gleicher Intensität zu betreuen. Auch weise gewiß nicht die gesamte Strecke Gehsteige auf. Es komme darauf an, in welcher Weise die Bestreuung im Bereich der Unfallstelle organisiert gewesen sei. Die beklagte Partei habe behauptet, daß sich die Bestreuung nach der Verkehrsdichte richte und in der Innenstadt am intensivsten sei. Das Erstgericht habe sich mit diesem Fragenkomplex überhaupt nicht auseinandergesetzt und dazu auch keine Feststellungen getroffen. Zuberücksichtigen werde bei der neuerlichen Entscheidung sein, daß auch bei bestorganisiertem Streudienst nicht an allen Stellen gleichzeitig gestreut werden könne, sondern immer ein gewisser Zeitraum vergehen werde, bis das letzte Stück eines einem Arbeiter oder einer Arbeitergruppe zugewiesenen Bereiches bestreut sei; generell dürfe die Haftung im Zusammenhang mit der Streupflicht nicht überspannt werden.

Über den Rekurs der Klägerin hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 93 Abs. 1 StVO trifft die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten eine besondere Verpflichtung: Sie haben dafür zu sorgen, daß die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige entlang der ganzen Liegenschaft in der zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Inwieweit diese Bestimmung durch § 1319a ABGB geändert wurde (siehe dazu Hellbling in ZVR 1976, 166), muß im vorliegenden Fall nicht erörtert werden, da diese Bestimmung erst mit 1. Jänner 1976 in Kraft trat (BGBl. 416/1975), der Unfall der Klägerin sich aber am 20. November 1971 ereignete. Die Bestimmung des § 93 Abs. 1 StVO läßt keinen Zweifel darüber offen, daß die dort angeordnete Verpflichtung eine solche des Eigentümers selbst ist; sie verlangt auch nicht nur, daß er die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen trifft, sondern er hat dafür zu sorgen, daß die Gehsteige gesäubert bzw. bestreut sind, d. h. er ist auch dafür verantwortlich, daß die erforderlichen Maßnahmen tatsächlich getroffen und die Gehsteige in den dem Gesetz gemäßen Zustand gebracht wurden; ihn trifft also, wenn er die Säuberung nicht selbst durchführt, auch eine Überwachungspflicht. Er kann sich von dieser Verpflichtung nur dadurch befreien, daß er durch ein Rechtsgeschäft seine Verpflichtung auf einen anderen überträgt; in einem solchen Fall tritt der durch das Rechtsgeschäft Verpflichtete in jeder, insbesondere auch in zivilrechtlicher Hinsicht (Hellbling in ZVR 1976, 165; Dittrich - Veit Schuchlenz, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, 351 Anm. 10a) an die Stelle des Eigentümers (§ 93 Abs. 5 StVO). Der rechtsgeschäftlich Verpflichtete haftet also so, als ob er der Eigentümer wäre; er hat dann also dafür zu sorgen, daß die Gehsteige zwischen 6 und 22 Uhr gesäubert bzw. bestreut sind. Eine Vermindung der nach § 93 Abs. 1 StVO bestehenden Verpflichtungen tritt hiedurch, wie der Rekurs richtig darlegt, nicht ein, sie wird nur auf eine andere Person übertragen, die so haftet, wie der Liegenschaftseigentümer gehaftet hätte (SZ 44/187).

Im vorliegenden Fall hatte der Eigentümer der Liegenschaft, die entlang der Gehsteige, auf dem die Klägerin stürzte, verlief, die sich aus § 93 Abs. 1 StVO ergebenden Verpflichtungen, wie die Untergerichte richtig erkannten, im Sinne des § 93 Abs. 5 StVO an die beklagte Partei übertragen. Da es sich bei der beklagten Partei um eine juristische Person handelt, haftet sie jedenfalls für ein Verschulden der Straßenpflegeorgane nach § 1315 ABGB, das offenbar nicht gegeben ist, sowie für eigenes Verschulden ihrer leitenden Funktionäre, wenn die Organisation der beklagten Partei unzureichend gewesen sein sollte, um einen entsprechenden Schneeräumungs- und Streudienst sicherzustellen (SZ 44/187; in diesem Sinne auch EvBl. 1977/99). Die beklagte Partei hat im Sinne der obigen Ausführungen auch zu haften, wenn organisatorisch nicht dafür Sorge getragen worden wäre, daß auch tatsächlich die Gehsteige zeitgerecht geräumt bzw. bestreut waren, die Besorgungsgehilfen also auch beaufsichtigt wurden.

Der Entscheidung EvBl. 1977/99 wurde der Vorwurf gemacht, sie habe nicht beachtet, daß es ein Verschulden einer juristischen Person als solcher nicht gebe, sondern ihr immer nur menschliches Wollen und Handeln zugerechnet werden könne, man aber wohl nicht annehmen dürfe, daß im Sinne der herrschenden Rechtsprechung (SZ 41/2 u. a.) der Bürgermeister oder ein anderes Mitglied des Stadtsenates als durch die Verfassung zur Vertretung der Gemeinde berufene Organe verpflichtet gewesen wären, die im konkreten Fall in Betracht kommende rechtzeitige Reinigung des Gehsteiges vor einem städtischen Schulgebäude auch für den Fall der Erkrankung des Schulwartes zu organisieren (Ostheim in JBl. 1978, 61). Ostheim (a. a. O., 61 f., und in Gedenkschrift Gschnitzer, 330 f.) empfiehlt, vom Begriff des Machthabers im § 337 ABGB auszugehen und darunter alle Personen zu begreifen, die in verantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion Tätigkeiten ausüben, die man der juristischen Person vor dem Hintergrund des sorgfältigen und verantwortungsbewußten Einzelunternehmers unmittelbar zurechnen könne; auch der Gesetzgeber des § 1315 ABGB habe als Leitbild den Inhaber eines Unternehmens geringerer Größe vor Augen gehabt, der die wesentlichen, leitenden und überwachenden Funktionen selbst auszuüben vermochte. In diesem Sinne wird gelehrt, daß Organe, für die die juristische Person zu haften habe, nicht nur die durch ihre Verfassung vorgesehenen sein sollen, sondern auch Sondervertreter und Personen mit gehobenem Wirkungskreis, die als Repräsentanten der juristischen Person auftreten (Gschnitzer, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz, 190) bzw. Repräsentanten, die eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungskreis innehaben (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II, 296). In ähnlicher Weise wird die Auffassung vertreten, daß die juristische Person für denjenigen haften müsse, der im Rahmen ihrer Organisation, wenn auch von der Satzung nur mittelbar berufen, effektiv und in entscheidender Weise an der Leitung des Verbandswillens teilnehme (Ertl in RZ 1972, 122). Ostheim (JBl. 1978.63) tritt dieser Auffassung insoweit bei, als der Personenkreis, für den die juristische Person zu haften habe, in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehat und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungs- und Weisungsbefugnis ausgestattet ist; es muß sich um einen relativ selbständigen Wirkungsbereich handeln (Bydlinski in ZAS 1966, 170). Reine Verschuldensfiktionen, die die Leitungs- und Überwachungspflichten der verfassungsgemäßen Organe von juristischen Personen in völlig unrealistischer Weise überspannen, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen, und den Entscheidungen des OGH JBl. 1977, 199, ZVR 1973/221 und SZ 44/45, zugrundegelegen sein sollen, lehnt Ostheim ab (JBl. 1978, 67).

Diese Darlegungen erscheinen dem erkennenden Senat weitgehend überzeugend und entsprechen wohl auch allein dem Grundsatz des § 26 ABGB, der die Gleichstellung der juristischen mit der natürlichen Person anordnet (vgl. Koziol - Welser[4] I, 63). Es ist im vorliegenden Fall nicht notwendig, die Haftung der beklagten Partei als juristische Person für leitende Bedienstete genauestens nach unten abzugrenzen. Wenn es sich bei der freiwillig übernommenen Schneeräumung und -streuung auch nicht gerade um den wesentlichsten Aufgabenbereich der beklagten Partei als Gemeinde handeln kann, was für die Entscheidung SZ 44/45 als besonders gewichtig angesehen worden war, so war doch eine Grundsatzentscheidung der verfassungsmäßig berufenen Organe der beklagten Partei erforderlich, um ohne gesetzliche Verpflichtung auch die Räumung und Bestreuung aller Gehsteige im Stadtbereich zu übernehmen. Die Durchführung dieser Entscheidung erforderte wiederum die Einstellung oder Beschaffung der erforderlichen Anzahl von Personen und Maschinen, um die Räumungs- und Streupflicht so, wie sie den Liegenschaftseigentümern nach § 93 Abs. 1 StVO obliegt, durchführen zu können, was die Bereitstellung der entsprechenden Budgetmittel voraussetzte. In diesem Zusammenhang waren aber auch die grundsätzlichen organisatorischen Maßnahmen für den praktischen Einsatz des Personals und der Maschinen sowie der Überwachung des eingesetzten Personals schon wegen ihrer Bedeutung, aber auch wegen der möglichen Haftungsfolgen durch einen Repräsentanten der beklagten Partei von solcher Entscheidungsmacht und Selbständigkeit zu treffen, daß er nicht mehr als bloßer Besorgungsgehilfe im Sinne des § 1315 ABGB angesehen werden kann. Dann sind seine Handlungen oder Unterlassungen aber der beklagten Partei zuzurechnen und deren Haftung für dessen Verschulden gerechtfertigt. Wäre man anderer Auffassung, wäre durch die Übertragung der Pflichten des § 93 Abs. 1 StVO auf die beklage Partei eine unzulässige Verminderung der Haftung für allfällige Schäden, wie sie zumindest einen privaten Eigentümer träfe, eingetreten.

Unbestritten ist nun, daß eine Stunde oder mehr nach dem Ende des Schneefalles in der Innenstadt von k zu einer zeit starken Fußgängerverkehrs der Gehsteig vor dem Bezirksgericht, auf dem auch nach den Angaben der beklagten Partei regelmäßig starker Verkehr herrschte, nicht geräumt oder bestreut war. Damit war die Vorschrift des § 93 Abs. 1 StVO verletzt. Wie der OGH bereits in seiner Entscheidung SZ 44/187 hervorgehoben hat, handelt es sich bei der Bestimmung des § 93 Abs. 1 StVO um eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB, so daß die Beweislast für das unverschuldete Übertreten dieser Schutznorm den Schädiger und damit die beklagte Partei trifft (vgl. zur Schutznormverletzung auch Welser in ZVR 1976, 1 ff.). Die beklagte Partei muß beweisen, daß sie nicht nur den Schneeräumungs- und Streudienst, sondern auch dessen Überwachung gehörig organisiert hatte. Die Ursache der Verletzung des § 93 Abs. 1 StVO kann darin liegen, daß die beklagte Partei, obwohl ihr 20 Personen zur Schneeräumung zur Verfügung standen, nur acht einsetzte und auch diese entweder insgesamt bei zusammen nur dreißigstundigem Einsatz ab 6.30 Uhr bereits um 10.15 Uhr einzog oder einen Teil nicht einmal bis dahin arbeiten ließ, oder aber darin, daß die erforderliche Organisation fehlte, um den Einsatz schwerpunktmäßig richtig zu regeln und auch zu überwachen, aber auch in einem Umstand, den die beklagte Partei nicht als Verschulden zu verantworten hätte. Ein solcher Umstand liegt jedenfalls nicht nahe, denn bei einem insgesamt nur dreißigstundigen Einsatz im dargestellten Sinn müßte man bei Bedachtnahme darauf, daß die stark frequentierte Innenstadt zuerst zu räumen wäre, wohl annehmen, daß der Gehsteig, auf dem die Klägerin stürzte, nicht erst gegen Ende des Einsatzes geräumt bzw. bestreut wurde. Die Prozeßbehauptungen der beklagten Partei reichen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht aus, um selbst bei Richtigkeit ihres gesamten Vorbringens sie von ihrer Haftung befreien zu können. Die beklagte Partei hat insbesondere nicht einmal behauptet, daß von ihr auch die gehörige Überwachung der erforderlichen Schneeräumung bzw. Bestreuung organisiert gewesen sei. Die der beklagten Partei obliegende Beweispflicht kann aber nicht allein damit als erfüllt angesehen werden, daß sie an sich den Schneeräumungs- und Streudienst organisiert hatte, zumal es offenbar zu dem Großeinsatz, bei dem allein nach ihren Behauptungen der einzelne Straßenwärter in der Innenstadt nur einige hundert Meter Wegstrecke zu bestreuen hätte, nicht gekommen war. Durch eine Ergänzung des Verfahrens allein im sinne der Beweisanträge der beklagten Partei und der entsprechenden Aufträge des Berufungsgerichtes kann damit für den Standpunkt der klagenden Partei nicht Entscheidendes gewonnen werden. Die Sach- und Rechtslage ist insbesondere anders als in der ebenfalls die beklagte Partei betreffenden Rechtssache 2 Ob 172/74, als sich der Unfall nicht in der Innenstadt und dazu noch zwischen der Schneeräumung und der längstens eine halbe Stunde später erfolgenden Bestreuung ereignet, die beklagte Partei mindestens 20 Leute eingesetzt und außerdem behauptet und bewiesen hatte, daß deren Tätigkeit durch mehrere Vorgesetzte überwacht worden war; unter diesen Umständen konnte ein Organisationsmangel nicht angenommen werden. Im vorliegenden Fall ist die Sache hingegen, wie der Rekurs mit Recht geltend macht, im Sinne einer Bestätigung des erstgerichtlichen Urteils entscheidungsreif.

Anmerkung

Z51080

Schlagworte

Schneeräumung, Haftung der Gemeinde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0010OB00625.78.0607.000

Dokumentnummer

JJT_19780607_OGH0002_0010OB00625_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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