TE OGH 1978/6/15 7Ob556/78

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.1978
beobachten
merken

Norm

ABGB §785
ABGB §869
ABGB §915
ABGB §938
ABGB §983
ZPO §503

Kopf

SZ 51/92

Spruch

§ 915 ABGB enthält keine Vermutung dafür oder dagegen, daß ein unentgeltlicher Vertrag geschlossen wurde; erst wenn der Abschluß eines solchen Vertrages feststeht, ist nach dem ersten Halbsatz der Gesetzesbestimmung die geringere Last zu vermuten. Spricht die Einseitigkeit einer Leistung für Schenkung, hingegen das Fehlen eines Rückzahlungsversprechens gegen ein Darlehen, so genügt es zur Widerlegung der Vermutung, daß der Empfänger Umstände des Einzelfalles nachweist, die für den Verzicht auf eine Gegenleistung wegen Erfüllung einer sittlichen oder Anstandspflicht sprechen. Dabei ist innerhalb einer Familie an die Bestimmtheit von Willenserklärungen kein strenger Maßstab anzulegen

OGH 15. Juni 1978, 7 Ob 556/78 (OLG Innsbruck, 1 R 2/78; LG Feldkirch, 7 Cg 4617/76)

Text

Die Klägerin ist Alleinerbin des vor dem 24. Jänner 1977 verstorbenen Rudolf B sen. (im folgenden kurz als Vater bezeichnet), die Beklagten die je zur Hälfte bedingt eingeantworteten Erben seines am 27. Oktober 1975 vorverstorbenen Sohnes Helmut B (der im folgenden kurz als Sohn bezeichnet wird). Im Revisionsverfahren ist strittig, ob und allenfalls in welchen Raten die Erben des Sohnes verpflichtet sind, den restlichen Klagsbetrag, den der Vater im Jahre 1965 dem Sohn in Form der Ansparsumme eines Bausparvertrages zum Kauf einer Eigentumswohnung zur Verfügung gestellt hat, an die Erbin des Vaters zurückzuzahlen.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren auf sofortige Zahlung ebenso wie das Eventualbegehren auf Zahlung innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist oder in vom Gericht festzusetzenden monatlichen Raten ab. Er konnte nicht feststellen, daß sich der Sohn gegenüber dem Vater verpflichtet habe, die ihm zur Verfügung gestellten Geldmittel zurückzuzahlen, daß er also die Beträge vom Vater als Darlehen erhalten habe. Erst als der Vater im Jahre 1974 einen Herzinfarkt erlitt und über seine allfällige Pensionierung gesprochen wurde, erklärte ihm der Sohn, daß er ihn in der Pension unterstützen und ihm einen Zuschuß zahlen werde. Auch der zweite Sohn, Rudolf B jun., wurde anläßlich des Erwerbes einer Eigentumswohnung vom Vater unterstützt, er hat ebenfalls Rückzahlungen bisher nicht geleistet. Nach dem Tode des Sohnes erklärte der Vater gegenüber einem Zeugen, er habe die Hilfe beim Erwerb der Wohnung sozusagen als Erbteil geleistet. Der Vater ist, wenige Tage nach dem Tod des Sohnes, am 1. November 1975 in den Ruhestand getreten und hat die Klage am 11. Mai 1976 erhoben.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters hat die Klägerin die rechtsbegrundende Tatsache nicht bewiesen, daß sich der Sohn verpflichtet habe, die Bausparsumme an seinen Vater zurückzuzahlen. Die spätere Zusage, den Vater seinerzeit in der Pension zu unterstützen, begrunde keinen klagbaren Anspruch auf Rückzahlung des Klagsbetrages.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenklich und trat dessen rechtlicher Beurteilung bei. Ein Darlehen mit Rückzahlungsverpflichtung sei nicht anzunehmen, zumal entgegen der Ansicht der Klägerin nicht die Beklagten das Vorliegen einer Schenkung beweisen müßten und am ehesten tatsächlich eine solche Schenkung, allenfalls in Anrechnung auf den Erbteil, in Betracht komme.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wohl enthält § 915 ABGB keine Vermutung dafür oder dagegen, daß ein unentgeltlicher Vertrag geschlossen wurde; erst wenn der Abschluß eines solchen Vertrages feststeht, ist nach dem ersten Satz der Gesetzesbestimmung die geringere Last zu vermuten (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 416). Auch spricht hier für die Unentgeltlichkeit des Geschäftes, daß der Leistung des Vaters keine Leistung des Sohnes gegenüberstand (Gschnitzer a. a. O., 416, 429, 434); das ließe nach § 915 erster Satz ABGB die Vermutung zu, daß die Zuwendung eher geliehen als geschenkt sei (Gschnitzer a. a. O., 416), so daß der Beklagte die Schenkungsabsicht beweisen müßte, wenn er seine Einwendungen darauf stützt (vgl. Stanzl in Klang a. a. O., 589). Andererseits ist jedoch für ein Darlehen das Versprechen der Rückzahlung essentiell (§ 983 ABGB; 5 Ob 101/75 u. a.), das nicht schlüssig schon aus der Hingabe folgen und bei deren Fehlen ein anderes Rechtsgeschäft vorliegen muß (Stanzl a. a. O., 699). Dahingestellt kann in diesem Zusammenhang bleiben, ob Unentgeltlichkeit schon dann ausgeschlossen ist und eine Schenkung nicht vorliegt, wenn auch nur eine sittliche oder Anstandspflicht erfüllt werden soll (Stanzl a. a. O., 588; SZ 38/227 u. a.; dagegen Bydlinski, JBl. 1971, 198). Auch eine "Schenkung" in Erfüllung einer solchen Pflicht (§ 785 Abs. 2 ABGB) schließt jedenfalls die Annahme eines Darlehens mit Rückzahlungspflicht aus. Zur Widerlegung der Vermutung des § 915 erster Satz ABGB muß es deshalb in Fällen wie dem vorliegenden genügen, daß der Empfänger Umstände des Einzelfalles nachweist, die für den Verzicht auf eine Gegenleistung wegen Erfüllung einer sittlichen oder Anstandspflicht sprechen. Dabei ist innerhalb der Familie nicht nur, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, das Erfordernis der Bestimmtheit von Willenserklärungen einzuschränken (MietSlg. 18 138 u. a,), sondern es kann bereits das Fehlen einer ausdrücklichen Rückzahlungsverpflichtung im Zusammenhang mit sonstigen nachgewiesenen Umständen gegen eine schlüssige Vereinbarung dieser Art sprechen. Im letzteren Sinn zitiert Stanzl (a. a. O., 699) die schweizerische BGE 83 II, 209 in einem gleich dem vorliegenden gelagerten Fall, in dem die Mutter dem Sohn Geld gegeben hatte und dessen Rückgabe zum ersten Mal nach seinem Tod von der Schwiegertochter forderte.

In der Sache selbst sprechen nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanzen alle Umstände des Falles gegen die Annahme, daß auch nur einer der Vertragspartner seinerzeit an eine Verpflichtung des Sohnes zur Rückzahlung gedacht hätte. Der Vater hat in der von ihm noch selbst eingebrachten Klage eine Rückzahlungsverpflichtung erst für den Zeitpunkt seiner eigenen Pensionierung behauptet, wovon jedoch mindestens ursprünglich keine Rede war (beide Vorinstanzen bezeichnen die einzige Aussage der Klägerin in dieser Richtung für unglaubwürdig). Erst nach dem Herzinfarkt des Vaters im Jahre 1974 erklärte sich der Sohn bereit, den Vater nach seiner Pensionierung "zu unterstützen". Aus dieser unbestimmten Äußerung läßt sich kein Rückschluß auf eine ursprüngliche Rückzahlungsverpflichtung ziehen. Ins Gewicht fallen vielmehr das nahe Familienverhältnis des Zuwendenden zum Empfänger, die Tatsache einer gleichartigen und ebenfalls nicht zurückbezahlten Zuwendung an den zweiten Sohn und die lange Zeit von mehr als zehn Jahren, die ohne Rückforderung verging, bis der Vater den Anspruch erst nach dem Tod des Sohnes gegen dessen Erben erhob. Diese Umstände des Einzelfalles machen es hinreichend wahrscheinlich, daß der Vater mit der strittigen Leistung eine Schenkung oder wenigstens die Erfüllung einer Anstandspflicht beabsichtigte, und befreien die Beklagten dann auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes vom Beweis einer konkreten Vereinbarung der Unentgeltlichkeit oder des ausdrücklichen Verzichts auf Rückforderung.

Anmerkung

Z51092

Schlagworte

Bestimmtheit von Willenserklärungen innerhalb der Familie, Vermutung des § 915 ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00556.78.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19780615_OGH0002_0070OB00556_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten