Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Juli 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Müller, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Ernst A und andere sowie gegen Hayati B und andere wegen des Verbrechens nach § 6 Abs. 1 SuchtgiftG. und anderen strafbaren Handlungen über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16.Februar 1976, GZ. 6 b Vr 1829/73-275, sowie gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3.Dezember 1976 und 13.März 1978, GZ. 6 d Vr 383/73-340 und 347, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Friedrich, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren 6 d Vr 383/73 des Landesgerichts für Strafsachen Wien wurde das Gesetz verletzt, und zwar 1. durch die am 3.Dezember 1976 ohne vorherige Anhörung des Verurteilten zustandegekommene Beschlußfassung des Schöffengerichtsvorsitzenden über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der dem Alexander C mit dem Urteil vom 28.September 1973 bestimmten Probezeit - in den Bestimmungen des § 495 Abs. 1 und Abs. 3 StPO.; 2. durch die mit dem vorerwähnten Beschluß, ON. 340 d.A., angeordnete Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre - in der Bestimmung des § 55 Abs. 3 StGB.; und 3. durch die am 13.März 1978 erfolgte Beschlußfas- sung des Schöffengerichtsvorsitzenden über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf des dem Alexander C mit dem unter Punkt 1. bezeichneten Urteil gewährten bedingten Strafnachlasses - in der Bestimmung des § 495 Abs. 1 StPO.
Der unter Punkt 2. bezeichnete Beschluß, der im übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch der Probezeitverlängerung aufgehoben; gemäß dem § 292 StPO. wird in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
Die dem Alexander C mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28.September 1973, GZ. 6 d Vr 383/73-173, bestimmte Probezeit ist am 7.September 1977 abgelaufen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. September 1973, GZ. 6 d Vr 383/73-173, welches insoweit am selben Tag in Rechtskraft erwuchs, wurde Alexander C wegen zweier Delikte nach dem Suchtgiftgesetz (unter anderem) zur Strafe des schweren, verschärften Kerkers in der Dauer von drei Monaten, deren Vollziehung gemäß den § 1 und 2 BedVG. unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben wurde, sowie (unbedingt) zu 5.000 S Geldstrafe und zu weiteren 5.000 S Verfallsersatz-Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit jeweils ein Monat Arrest, verurteilt (erstes Urteil). In der Folge wurde der Genannte mit dem Urteil desselben Gerichts vom 4.September 1974, GZ. 6 b Vr 1829/73-206, welches drei Tage später rechtskräftig wurde, wegen einer im November 1972 begangenen Tat unter Bedacht auf das vorerwähnte Urteil (§ 265 StPO. a.F.) zusätzlich (unter anderem) zu sieben Monaten schweren Kerkers und zu einer Geldstrafe, die ihm (beide) abermals für eine Probezeit von jeweils drei Jahren bedingt nachgelassen wurden, sowie zu einer (unbedingten) Verfallsersatz-Geldstrafe in der Höhe von 20.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit zwei Monate Arrest, verurteilt (zweites Urteil). Mit Beschluß vom 16.Februar 1976, ON. 275 d.A., stellte das Gericht fest, daß die Verfallsersatzstrafe gemäß dem § 1 der Amnestie 1975 mit dem 27.April 1975 für eine Probezeit von drei Jahren (gleichfalls) bedingt nachgesehen sei.
Im eingangs bezeichneten Verfahren faßte sodann über Antrag der Staatsanwaltschaft, 'hins. Alexander C die Probezeit gem. § 55 (3) StGB. zu verlängern', der Schöffengerichtsvorsitzende am 3.Dezember 1976 ohne vorherige Anhörung des Verurteilten den Beschluß, GZ. 6 d Vr 383/73-340, die bedingte Nachsicht der mit dem ersten Urteil über den Genannten verhängten (Freiheits-) Strafe nicht zu widerrufen, jedoch die Probezeit, deren Ende damit auf den 28.September 1978 fiel, auf fünf Jahre zu verlängern. Am 13.März 1978 schließlich, neuerlich über Antrag der Staatsanwaltschaft, beschloß er, GZ. 6 d Vr 383/73-347, die bedingte Nachsicht der in Rede stehenden Freiheitsstrafe wegen einer mittlerweiligen dritten Verurteilung des Alexander C zu widerrufen und diese Strafe zu vollziehen; dessen dagegen erhobene Beschwerde ist noch unerledigt.
Rechtliche Beurteilung
Die zuletzt erwähnten Beschlüsse entsprachen in prozessualer und zum Teil auch in materiellrechtlicher Hinsicht nicht dem Gesetz. Gemäß dem § 13 Abs. 3 StPO. entscheiden die Gerichtshöfe in allen Fällen, in denen außerhalb der Hauptverhandlung ein Beschluß zu fassen ist, wenn die Entscheidung nicht ausdrücklich dem Vorsitzenden allein anheimgegeben wird, durch einen Senat von drei Richtern. Eine funktionelle Zuständigkeit des Vorsitzenden zur Entscheidung über den Widerruf bedingter Strafnachsicht ist in der Prozeßordnung nicht vorgesehen; im § 495 Abs. 1 StPO. wird vielmehr angeordnet, daß das Gericht über den Widerruf der bedingten Nachsicht einer Strafe 'in nichtöffentlicher Sitzung', also durch ein Kollegialorgan, entscheidet. Die am 3.Dezember 1976 und am 13. März 1978 erfolgten Beschlußfassungen durch den Vorsitzenden über die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Probezeit und auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht widersprachen demnach der zuletzt angeführten Verfahrensbestimmung. Die erstbezeichnete Entscheidung verstieß zudem gegen den § 495 Abs. 3
StPO., wonach das Gericht vor der Beschlußfassung auch den Verurteilten hätte hören müssen; denn für die Annahme einer Undurchführbarkeit dieser Anhörung ohne unverhältnismäßigen Aufwand bot die Aktenlage keinen Anhaltspunkt.
Durch den Beschluß vom 3.Dezember 1976 schließlich wurde das Gesetz überdies in der Bestimmung des § 55 Abs. 3
StGB. verletzt. Darin ist für den (hier vorgelegenen) Fall des Nichtwiderrufs einer bedingten Strafnachsicht wegen einer nachträglichen Verurteilung (§ 31 StGB., vormals § 265 StPO. a.F.) bloß angeordnet, daß - ex lege - jede der zusammentreffenden Probezeiten bis zum Ablauf jener Probezeit dauert, die zuletzt endet, jedoch nicht länger als fünf Jahre. Eine - konstitutive - Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre dagegen, wie sie der Vorsitzende beschloß, ist nicht in dieser Gesetzesstelle, sondern nur (fakultativ) im § 53 Abs. 2 StGB., und zwar für den (hier nicht aktuellen) Fall des Absehens vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung vorgesehen. Anstatt der verfehlten Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre hätte daher festgestellt werden sollen, daß die dem Verurteilten Alexander C mit dem Urteil vom 28.September 1973, GZ. 6 d Vr 383/73-173, bestimmte Probezeit infolge seiner am 4. September 1974 erfolgten nachträglichen Verurteilung (§ 265 StPO. a. F.) bis zum Ablauf der ihm mit jenem Urteil, GZ. 6 b Vr 1829/73- 206, bestimmten Probezeit dauere.
In teilweiser Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen. Gemäß dem § 292 letzter Satz StPO. war die dem Verurteilten nachteilige Probezeitverlängerung im Beschluß vom 3.Dezember 1976 aufzuheben; statt dessen war festzustellen, daß die Probezeit inzwischen am 7. September 1977
abgelaufen ist. Zu einer konkreten Maßnahme in Ansehung des Beschlusses vom 13.März 1978 bestand dagegen im Hinblick auf das insoweit (über die Beschwerde des Verurteilten) noch anhängige ordentliche Rechtsmittelverfahren kein Anlaß.
Die Generalprokuratur vertritt überdies die Ansicht, der Beschluß vom 16.Februar 1976, GZ. 6 b Vr 1829/73-275, verletze das Gesetz in der Bestimmung des § 1 Abs. 1 der Amnestie 1975, weil Alexander C mit dem darin bezogenen Urteil vom 4.September 1974 auch zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten und zudem noch zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei, die Wirksamkeit der Amnestie auf kumulativ verhängte Freiheits- und Geldstrafen aber voraussetze, daß die Summe der Freiheitsund Ersatzfreiheitsstrafen drei Monate nicht übersteige;
demgemäß sei die mit dem bezeichneten Beschluß festgestellte bedingte Strafnachsicht hinsichtlich der im selben Urteil ausgesprochenen Verfallsersatz-Geldstrafe in Wahrheit nach der zitierten Amnestiebestimmung nicht eingetreten. Dieser Auffassung vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizupflichten. Die Wirkung der Amnestie 1975, BGBl. 1975/200, bestand in der ex lege eingetretenen Gewährung bedingter Strafnachsicht in Ansehung bestimmter Strafen (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3), die an dem in Betracht gekommenen Stichtag (§ 1 Abs. 4) noch ganz oder teilweise zu vollziehen waren, vorausgesetzt, daß die urteilsgemäße Strafdauer drei Monate nicht überstieg. Waren über denselben Verurteilten in einem Urteil (kumulativ) oder in mehreren Urteilen mehrere Strafen verhängt worden, die am Stichtag noch wenigstens zum Teil zu vollziehen waren, dann war die Wirksamkeit der Amnestie dadurch bedingt, daß die (urteilsgemäße) Summe dieser, also der am Stichtag noch zu vollziehenden mehreren Strafen drei Monate nicht überstieg. Als 'noch zu vollziehende' Strafen sind aber dabei nur solche anzusehen, hinsichtlich deren bedingte Strafnachsicht nicht gewährt oder bereits widerrufen worden ist, nicht dagegen Strafen, die bedingt nachgesehen wurden und bei denen die Nachsicht noch nicht widerrufen wurde (in diesem Sinn ausdrücklich die Erl.Bem. zur RV. der Amnestie 1975, 1481 d. Beil. zu den sten. Prot. des NR., XIII. GP., S. 3).
Daß bei der Zusammenzählung mehrerer Strafen gemäß dem § 1 der Amnestie 1975 solche nicht mitzuzählen sind, in Ansehung deren bedingte Strafnachsicht gewährt und noch nicht widerrufen wurde, kann dann, wenn diese Strafen in verschiedenen Urteilen verhängt wurden, nach dem klaren Wortlaut des § 1 Abs. 3 Amn. 1975 (' ...
sind die ... -strafen zusammenzurechnen, sofern sie noch ... zu
vollziehen sind ...', '... Beträgt ihre Summe ...') nicht bezweifelt
werden (vgl.
nochmals die Erl.Bem., a.a.O.). Dasselbe muß jedoch - ungeachtet des insoweit mißverständlichen, erst durch den Justizausschuß (aus anderem Grund, vgl. den Bericht des JA. zur RV. der Amnestie 1975, 1514 d. Beil. a.a.O.) in diese Fassung gebrachten Wortlauts des § 1 Abs. 1 Amn. 1975, dessen rein grammatikalische Interpetation allerdings eine gegenteilige Beurteilung nahelegen würde - nach Sinn und Zweck des Gesetzes, mangels Erkennbarkeit irgendeiner sachlich gerechtfertigten Begründung für eine insoweit divergente Behandlung von Verurteilten in bezug auf ihre Amnestiewürdigkeit (vgl. Erl. Bem., a.a.O., S. 2), auch dann gelten, wenn die mehreren Strafen kumulativ in einem Urteil verhängt wurden. Die in der Rechtsprechung zu früheren Amnestiegesetzen, die einen endgültigen Strafnachlaß (auch bedingt nachgelassener Strafen) vorsahen, angestellten überlegungen zur Zusammenrechnungsfrage (vgl. Harbich, ÖJZ. 1965 S. 589 f.) sind auf die Amnestie 1975, die nur zu bedingter Strafnachsicht (für nicht ohnedies schon und noch bedingt nachgesehene Strafen) führte, bereits im Hinblick auf diese unterschiedliche Zielsetzung nicht übertragbar.
Da am Stichtag (27.April 1975) von den mit den Urteilen vom 28. September 1973 und vom 4.September 1974 über Alexander C verhängten Strafen mit Ausnahme der Verfallsersatz-Geldstrafe in der Höhe von 20.000 S, der eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Monaten entsprach, alle entweder bedingt nachgesehen oder bereits vollzogen waren, wurde diese Strafe entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Ansicht tatsächlich durch den § 1 Abs. 1 der Amnestie 1975 bedingt nachgesehen, sodaß dem Gericht bei der bezüglichen Feststellung mit dem Beschluß vom 16.Februar 1976 eine Gesetzesverletzung nicht unterlaufen ist.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde folglich zu verwerfen.
Anmerkung
E01417European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00117.78.0712.000Dokumentnummer
JJT_19780712_OGH0002_0100OS00117_7800000_000