TE OGH 1978/7/19 10Os110/78

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Veröffentlicht am 19.07.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Juli 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Keller, Dr. Bernardini, Dr. Müller und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf P***** und Anton B***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Jugendgerichtshofs Wien als Schöffengericht vom 26.April 1978, GZ. 4 a Vr 1362/77-18, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung hinsichtlich beider Angeklagten nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, der Ausführungen der Verteidiger Dr. Oehlzand und Dr. Scheibner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem die beiden Angeklagten freisprechenden Teil und demgemäß auch in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 24.Februar 1960 geborene (sohin zur Tatzeit noch jugendliche) kaufmännische Lehrling Rudolf P***** und der am 7.August 1958 geborene Präsenzdiener des Österreichischen Bundesheeres Anton B***** des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 2 StGB. schuldig erkannt, weil sie am 7.Juni 1977 in Wien in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB.) den Michael L***** durch Fausthiebe und Fußtritte gegen Kopf und Körper mißhandelten und dadurch fahrlässig leicht verletzten, indem sie ihm eine Prellung des Schädels, der rechten Gesichtsseite und der rechten Jochbeingegend zufügten. Hingegen wurden sie von der weiteren Anklage, das Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs. 1 StGB. dadurch begangen zu haben, daß sie am 7.Juni 1977 in Wien - sodann - es unterließen, dem Michael L*****, dessen Verletzung am Körper sie verursacht hatten, die erforderliche Hilfe zu leisten, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Nach den Urteilsfeststellungen leisteten die Angeklagten dem Verletzten dadurch Hilfe, daß sie gemeinsam mit Walter Pe***** und Georg La***** dem Michael L*****, der aus der Nase blutete, sodaß sein Gesicht mit Blut verschmiert war, und ein geschwollenes Auge hatte, vom Boden aufhalfen und ihn auf eine Parkbank legten, wo einer von ihnen mit einem dem Angeklagten P***** gehörigen Taschentuch das Blut wegzuwischen begann. Sie entfernten sich erst, als Pe***** und La***** mit L*****, diesen auf beiden Seiten stützend, in Richtung eines nahegelegenen Gasthauses gingen, wo sie das Blut abwaschen wollten, in der Annahme, daß L***** keine ernste Verletzung erlitten habe, von seinen Freunden ohnedies betreut werde und daher keiner weiteren Hilfe durch sie benötigte. Das Erstgericht kommt sohin zum Ergebnis, daß Hilfebedürftigkeit des Verletzten - nach den Vorstellungen der Angeklagten, aber auch objektiv - nicht gegeben gewesen sei und die Angeklagten es folglich nicht vorsätzlich unterlassen hätten, dem Verletzten die erforderliche Hilfe zu leisten.

Während die Schuldsprüche wegen des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 2 StGB. unangefochten blieben, bekämpft die Staatsanwaltschaft den Freispruch der beiden Angeklagten mit einer auf den § 281 Abs. 1 Z. 5 und 9 lit. a StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund macht sie geltend, die Urteilsfeststellung, wonach die Angeklagten angenommen hätten, L***** benötige keine weitere - insbesondere ärztliche - Hilfe, sei mangelhaft begründet. Unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO. vertritt die Staatsanwaltschaft die Auffassung, die Angeklagten wären ihrer Hilfeleistungspflicht erst dann enthoben gewesen, wenn der Verletzte von anderer Seite sachkundige Hilfe tatsächlich erhalten hätte. Die Unterlassung einer weiteren Hilfeleistung durch die Angeklagten beruhe auf einem (unbeachtlichen Rechts-) Irrtum über den Umfang der durch die Verletzung des L***** für sie entstandenen Rechtspflicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Auszugehen ist davon, daß die Bestimmung des § 94 Abs. 1 StGB. nach nunmehr einheitlicher Rechtsprechung (vgl. ZVR. 1976/160; ZVR. 1976/306; LSK. 1978/185) den Verursacher einer Verletzung verpflichtet, dem Verletzten, dessen Hilfebedürftigkeit er erkennt oder doch für möglich hält und sich damit abfindet, grundsätzlich selbst die notwendige Hilfe zu leisten; er darf insbesondere unter der Annahme, daß von anderen Personen eine Hilfeleistung zu erwarten sei, nicht selbst untätig bleiben und wird seiner Hilfeleistungspflicht solang nicht entbunden, als der Verletzte nicht sachkundige Hilfe von anderer Seite tatsächlich erhalten hat.

So gesehen kommt es im gegenständlichen Fall einerseits darauf an, ob der Verletzte objektiv hilfebedürftig war, d. h. ob bei ihm noch weitere Vorkehrungen zur Abwendung eines weiteren Schadens für Leib und Leben oder auch nur zur Erleichterung seiner Lage und zur Linderung von Schmerzen (vgl. abermals ZVR. 1976/160 und 306) erforderlich waren, oder ob es, wie das Erstgericht vermeint, derartiger Vorkehrungen, insbesondere einer ärztlichen Versorgung des Verletzten nach Art und Umfang seiner Verletzungen, nicht mehr bedurfte, weil die am Tatort bereits - u.a. auch von den Angeklagten - tatsächlich geleistete Hilfe nach Lage des Falles ausreichend war. Ohne Bedeutung ist hiebei, ob die Angeklagten eine entsprechende weitere Hilfeleistung seitens der Freunde des Verletzten mit Grund erwarten konnten. In subjektiver Hinsicht ist andererseits entscheidend, ob die Angeklagten - zumindest dolo eventuali - wußten, daß der Zeuge L***** zufolge der von ihnen verursachten Verletzungen im dargelegten Sinn hilfebedürftig war.

Mit Recht rügt die Anklagebehörde, daß sich das Erstgericht vorliegend nicht mit allen im gegebenen Zusammenhang wesentlichen Tatumständen auseinandergesetzt hat. Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen verlor Michael L*****, als er nach seiner Mißhandlung durch die beiden Angeklagten kurze Zeit auf dem Boden liegen blieb, das Bewußtsein (S. 20, 25, 27, 45, 95 und 97). In weiterer Folge war er bis zu seiner Einlieferung in ein Krankenhaus nicht ansprechbar und benommen und mußte deshalb von Pe***** und La***** gestützt bzw. geschleppt werden (S. 26, 27, 64, 94, 96 und 97). Mit Stillschweigen überging das Erstgericht ferner jene Verfahrensergebnisse, denen zufolge - im Widerspruch zur Darstellung der Angeklagten - beim Verletzten nicht nur Nasenbluten und ein geschwollenes Auge, sondern auch vielfache Hämatome und Platzwunden im Gesicht bzw. eine blutende Wunde oberhalb des linken Auges sichtbar waren (S. 20, 27, 31 und 33); diese machten ein Eingreifen der Rettung sowie eine Einlieferung des Verletzten in das Allgemeine Krankenhaus und (zumindest) eine - wenn auch nur ambulante - spitalsärztliche Wundversorgung erforderlich. Unerwähnt blieb schließlich, daß nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen bei Michael L*****, wenngleich das Vorliegen einer Gehirnerschütterung nicht mehr objektivierbar war, eine Prellung des Schädels, der rechten Gesichtshälfte und der rechten Jochbeingegend bestand (vgl. S. 67), die eine Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit von mehr als drei Tagen zur Folge hatte.

All diese im angefochtenen Urteil ungewürdigt gebliebenen Umstände weisen in ihrer Gesamtheit darauf hin, daß die erlittenen, schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach keineswegs unerheblichen Verletzungen den Zeugen L***** hilfebedürftig machten und eine sachkundige ärztliche Versorgung derselben dringend und unabweislich erforderten. Sie sind aber auch entscheidungswesentlich für die Beurteilung der vom Erstgericht mit unzureichender Begründung verneinten Frage, ob die Angeklagten auf Grund der von ihnen wahrgenommenen Verletzungsfolgen die Hilfebedürftigkeit des Zeugen L***** erkannt und es folglich - zumindest bedingt - vorsätzlich unterlassen haben, zweckentsprechende und sachkundige Hilfe herbeizuholen. Die Nichterörterung der angeführten Beweisergebnisse stellt demnach einen Begründungsmangel dar, der das angefochtene Urteil im Sinn der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. nichtig macht.

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war demnach Folge zu geben.

Die Aufhebung des Freispruchs hatte auch jene der Strafaussprüche zur Folge, weshalb die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen war.

Textnummer

E01411

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00110.78.0719.000

Im RIS seit

05.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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