Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Juli 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Keller, Dr. Müller, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Erna A wegen des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs. 1 StGB.
und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis als Jugendschöffengericht vom 24.Mai 1978, GZ. 9 Vr 660/77-15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Mayrhofer und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Stöger, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:
Erna A wird von der Anklage, sie habe am 8.September 1977 in Eggelsberg 1. den Beamten des Gendarmeriepostens Eggelsberg durch die Behauptung, sie sei am 27.August 1977 in dem von Anna B gelenkten Personenkraftwagen gesessen und habe, als Anna B von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum stieß, Verletzungen an der Unterlippe erlitten, die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung durch Anna B, nämlich des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB., wissentlich vorgetäuscht,
2. getrachtet, durch die zu 1 genannten Behauptungen Anton B, der eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 (Abs. 1) StGB. durch den zu 1 angeführten Verkehrsunfall begangen hatte, der Verfolgung absichtlich ganz zu entziehen, und habe hiedurch zu 1 das Vergehen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs. 1 StGB., zu 2 das Vergehen der versuchten Begünstigung nach den § 15, 299 Abs. 1 StGB.
begangen, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.Dezember 1960 - zur Tatzeit sohin jugendliche - kaufmännische Lehrling Erna A des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs. 1 StGB.
(Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Vergehens der versuchten Begünstigung nach den § 15, 299 Abs. 1 StGB. (Punkt 2 des Urteilssatzes) schuldig erkannt.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen verschuldete Anton B am 27. August 1977 mit seinem Personenkraftwagen, in dem die Angeklagte Erna A und zwei weitere Personen mitfuhren, einen Verkehrsunfall - der Wagen war durch starkes Bremsen auf einer abschüssigen Schotterstraße ins Schleudern geraten und an einen Baum gestoßen -, bei welchem (lediglich) die Angeklagte eine leichte Verletzung, nämlich eine ca. 4 cm lange Rißquetschwunde an der Unterlippe erlitt, die eine Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von weniger als drei Tagen zur Folge hatte. Da Anton B wegen des Unfalls sehr bestürzt war und Selbstmordabsichten äußerte, gab nun die Angeklagte über Aufforderung der Anna B, der Mutter des Lenkers, wowohl gegenüber dem Arzt des Krankenhauses Braunau am Inn, der ihre Wunde nähte, als auch bei ihrer Befragung am 8.September 1977 gegenüber Beamten des Gendarmeriepostens Eggelsberg an, daß Anna B den Wagen gelenkt habe und ihre Verletzung durch ein Bremsmanöver wegen eines die Straße überquerenden Rehs verursacht worden sei. Am 14. September 1977 gab sie jedoch gegenüber der Gendarmerie zu, ihre Angaben vom 8.September 1977 frei erfunden zu haben, um Anton B 'zu helfen'.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Angeklagte habe, wenn Anton B auch wegen seiner Tat mangels schweren Verschuldens aus dem Grunde des § 88 Abs. 2 (Z. 4) StGB. nicht bestraft werden könne, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen, weil auf der äußeren Tatseite ein tatbildmäßiges Unrecht vollständig hergestellt sei; die Frage des schweren Verschuldens, deren Verneinung dazu führe, daß die Tat des Anton B nicht strafbar sei, liege hingegen auf der inneren Tatseite, sodaß die Tat 'mit Strafe bedroht' bleibe.
Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte mit einer sachlich auf die Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie geltend macht, Anton B habe nicht tatbestandsmäßig im Sinn des § 88 StGB. gehandelt, mithin keine mit Strafe bedrohte Handlung begangen, sodaß ihr keine gerichtlich strafbare Handlung anzulasten sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist begründet.
Der Tatbestand nach dem § 298 Abs. 1 StGB. setzt die wissentliche Vortäuschung der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung gegenüber einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten voraus, jener der Begünstigung nach dem § 299 Abs. 1 StGB. - u.a -
die schon beendete Verübung einer mit Strafe bedrohten Handlung (auch Versuch) durch einen anderen, worunter in beiden Fällen, wie das Erstgericht richtig erkannt hat, nur eine gerichtlich strafbare Handlung verstanden werden kann (Leukauf-Steininger 1174, 1177). Beim Tatbestand nach dem § 298 Abs. 1 StGB. muß der Täter einen entweder überhaupt nicht stattgefundenen oder nicht von der der Behörde als Täter bezeichneten Person (vgl. EvBl. 1976/253) gesetzten Sachverhalt bewußt wahrheitswidrig behaupten, der, wäre er erwiesen, eine gerichtlich strafbare Handlung begründet. Begünstigung nach dem § 299 Abs. 1 StGB. erfordert hingegen, daß der Begünstigte tatsächlich ein Verhalten gesetzt hat, das alle objektiven und subjektiven Merkmale eines gerichtlich strafbaren Tatbestands erfüllt.
Der Auffassung des Erstgerichts zuwider genügt daher die Verwirklichung nur der äußeren Tatseite durch den Begünstigten nicht; die Tatbestandsmerkmale müssen vielmehr auch die jeweilige, für den betreffenden Deliktstypus erforderliche Schuldform - Vorsatz oder Fahrlässigkeit -
umfassen. Lediglich dann, wenn der Begünstigte nur wegen Vorliegens eines Schuldausschließungsgrunds, eines Strafaufhebungsgrunds oder eines Verfolgungshindernisses nicht bestraft werden kann, bleibt die Begünstigung strafbar (vgl. 13 Os 6/78).
In den Fällen der Straflosigkeit gemäß dem § 88 Abs. 2 StGB. handelt es sich hingegen um Strafausschließungsgründe (im engeren Sinn), bei deren Vorliegen ein sonst nach § 88 Abs. 1 StGB. tatbestandsmäßiges Verhalten aus dem Grund mangelnder Strafwürdigkeit (teils wegen des Angehörigenverhältnisses, teils wegen des Zusammenhangs mit gewissen Beschäftigungen, teils als Bagatellfolgenprivileg) von der Strafbarkeit ausgenommen wird (vgl. Kienapfel Grundriß I S. 69). Im Gegensatz zu den Schuldausschließungs- und Strafaufhebungsgründen, die bloß die Straflosigkeit des Täters im Einzelfall zur Folge haben, ist bei einem Strafausschließungsgrund die Strafbarkeit eines einem Deliktstypus entsprechenden Verhaltens bei Vorliegen bestimmter objektiver - persönlicher oder sachlicher - Voraussetzungen generell ausgeschlossen. Anders gesagt: Rechtsgrund für die Wirksamkeit eines Schuldausschließungsgrunds oder eines Strafaufhebungsgrunds ist jeweils eine individuelle Situation oder Leistung des Täters (Legitimation aus dem Individualbereich); Rechtsgrund für die Wirksamkeit eines (persönlichen oder sachlichen) Strafausschließungsgrunds ist eine generelle überlegung des Gesetzgebers im Bereich der Strafbarkeitsbedingungen (Legitimation aus der Rechtspolitik).
So gesehen stellt das nach § 88 Abs. 1 StGB. tatbildmäßige Verhalten des Anton B im Hinblick darauf, daß ein Fall der Straflosigkeit nach der Z. 4 des § 88 Abs. 2 StGB. vorliegt, weil aus dieser Tat, die ein schweres Verschulden nicht erkennen läßt, keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als dreitägiger Dauer hervorging, an und für sich keine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung dar.
Ebensowenig täuschte unter den gegebenen Umständen die Angeklagte durch die bewußt unrichtige Behauptung, Anna B habe das Fahrzeug gelenkt und den gegenständlichen Unfall verschuldet, vor, diese habe eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung begangen. Das Erstgericht hat sohin die Frage, ob die der Angeklagten zur Last fallende Tat, die nach den Verfahrensergebnissen auch nicht etwa als falsche Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde (§ 289 StGB.) beurteilt werden kann, eine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO.), unrichtig gelöst und das Verhalten der Angeklagten zu Unrecht den Tatbeständen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs. 1 StGB. und der versuchten Begünstigung nach den § 15, 299 Abs. 1
StGB. unterstellt.
Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sofort auf Freispruch der Angeklagten zu erkennen.
Anmerkung
E01413European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00113.78.0726.000Dokumentnummer
JJT_19780726_OGH0002_0100OS00113_7800000_000