Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Juli 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Keller, Dr. Müller, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Erna A wegen des Vergehens nach dem § 1 Abs. 1 lit. a und c PornG. über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 10.April 1978, GZ. 23 Vr 704/78-12, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Schicker und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Stöger, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:
Erna A wird von der Anklage, sie habe im Juni 1977
in Schwaz in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Gegenstände, nämlich die Hörspielkassetten Bestell Nr. 905 und 907 (mit den Titeln 'Das Liebesgasthaus' und 'Autostopbienen') öffentlich ausgestellt und anderen angeboten und habe hiedurch das Vergehen nach dem § 1 Abs. 1 lit. a und c des Bundesgesetzes vom 31.März 1950, BGBl. Nr. 97, begangen, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 19.Oktober 1955 geborene Verkäuferin Erna A des Vergehens nach dem § 1 Abs. 1 lit. a und c PornG. schuldig erkannt, weil sie im Juni 1977 in Schwaz in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Gegenstände, nämlich zwei Hörspielkassetten samt den Umschlägen mit den Bestellnummern 905 und 907
zum Zweck der Verbreitung vorrätig hielt, öffentlich ausstellte und anderen anbot.
Nach den Urteilsfeststellungen war die Angeklagte als kaufmännische Angestellte in eigenverantwortlicher Stellung in der Schallplattenabteilung des B in Schwaz tätig. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte auch die Bestellung von Schallplatten und Tonbandkassetten. Im Juni 1977 bot sie dort unter anderem die beiden aus einer von ihr getätigten Bestellung stammenden, jeweils ausdrücklich als 'Porno-Hörspiel' bezeichneten Tonbandkassetten, Bestellnummer 905, mit dem Titel 'Das Liebesgasthaus', und Bestellnummer 907, mit dem Titel 'Autostopbienen', zum Kauf an. Beide Tonbandkassetten sind auf der Vorderseite mit einer Abbildung versehen und enthalten auf der Rückseite eine kurze Angabe des Tonbandinhalts. Das Bild auf der Tonbandkassette mit dem Titel 'Das Liebesgasthaus' zeigt den nackten Oberkörper einer Frau und davor ein erigiertes männliches Glied, das eine andere Frau mit der Hand umfaßt hält, auf dem zur zweiten Tonbandkassette mit dem Titel 'Autostopbienen' gehörigen Bild ist die Vereinigung eines männlichen Geschlechtsteils mit einem weiblichen Geschlechtsteil zu sehen. Das in der erstgenannten Kassette enthaltene Tonband wurde aus der Schallplattenabteilung des B gestohlen, sodaß sein Inhalt des näheren nicht festgestellt werden konnte. Das zweite Tonband enthält die akustische Wiedergabe von Geschlechtsverkehrshandlungen, darunter auch eines - abstoßend geschilderten - Mundverkehrs. Den Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1
StPO. gestützten Rechtsrüge, mit der sie dem Erstgericht zum Vorwurf macht, ihr zu Unrecht einen schuldausschließenden Rechtsirrtum aberkannt und auch rechtsirrig die Bestimmung des § 42 StGB. nicht zur Anwendung gebracht zu haben.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde erweist sich als berechtigt.
Vorweg sei zwar bemerkt, daß schon die auf der Vorderseite der beiden Tonbandkassetten angebrachten Abbildungen geeignet sind, bei (ungewollter) Konfrontation auf einen Durchschnittsmenschen abstoßend und schockierend zu wirken.
Diese Erzeugnisse sind darum, wenn sie auch nicht zu der sogenannten 'harten' Pornographie gehören, nach der Art ihrer Präsentation, vor allem unter Bedachtnahme auf die Gefahr der Kenntnisnahme durch Kinder und Jugendliche, aber auch auf die durch die öffentliche Feilbietung in der allgemein zugänglichen Schallplattenabteilung des Kaufhauses bewirkte mögliche Behelligung des dort verkehrenden Kundenkreises, somit bei einer auf die Schutzzwecke des Pornographiegesetzes bezogenen Betrachtungsweise dem (relativen) Begriff der strafbaren Unzüchtigkeit gemäß § 1 dieses Gesetzes zu unterstellen (EvBl. 1977 Nr. 186, verstärkter Senat).
Die Angeklagte, die eine Bildung von acht Klassen Volksschule und einem polytechnischen Lehrgang aufweist (ON. 6 S. 25), kannte den Inhalt der Kassetten (Geständnis S. 26, 41), die Umschlagbilder bezeichnete sie vor dem Untersuchungsrichter als unzüchtig (S. 26). Daraus leitet die Generalprokuratur ab, daß sich die Beschwerdeführerin jener Tatsachen bewußt gewesen sei, die das rechtliche Merkmal der Unzüchtigkeit dieser Objekte verkörpern, und darum in Wahrheit gar keinen Rechtsirrtum geltend mache. Allein diese Ansicht verkennt, daß, wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 13.Oktober 1977, EvBl. 1978 Nr. 46, ausgesprochen hat, die Einsicht in die moralische Unerlaubtheit eines Verhaltens nicht mit dem Wissen von dessen strafrechtlichen Relevanz ident ist. Die angeführte Entscheidung hatte zwar den Beischlaf eines Vierzehnjährigen mit einer Unmündigen zum Gegenstand, aber der allgemein gefaßte Rechtssatz ist ohne weiters auf die Einsichtsfähigkeit und die Beurteilungskapazität eines zur fraglichen Zeit erst einundzwanzigjährigen Mädchens mit bloßer Volksschulbildung (nebst polytechnischem Lehrgang) übertragbar; dies umso mehr, als die Angeklagte u.a. angegeben hat: 'Rein aus meiner persönlichen Einstellung habe ich die Kassetten und Platten dieser Art an Kinder nicht verkauft' (S. 12, in der Hauptverhandlung vorgelesen:
S. 42).
Im Urteil ist festgestellt, daß die Kassetten der Beschwerdeführerin vom Verkaufsleiter der Lieferfirma ('Musik 2000': S. 42 oben) mit der Erklärung übergeben worden waren, daß diese Kassetten straflos verkauft werden können (S. 46, 48). Es ist weiters konstatiert, daß sich die Angeklagte auf Grund dieser Auskunft in einem Rechtsirrtum befand (S. 48), den ihr das Erstgericht allerdings vorwirft. Nach diesen Urteilsfeststellungen spitzt sich die Entscheidung über die Rechtsrüge auf die einzige Frage zu, ob der Beschwerdeführerin der Schuldausschließungsgrund des § 9 Abs. 1 StGB. zustatten kommt. Gemäß § 9 Abs. 2 StGB. ist der Rechtsirrtum dann vorzuwerfen, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre. Daß das Unrecht des Verkaufs einer nicht zur sogenannten harten Pornographie gehörigen Sache dermalen in Österreich für jedermann leicht erkennbar wäre, kann angesichts der von der Judikatur auf diesem Gebiet getroffenen Unterscheidungen, für deren Kenntnis sich auch Juristen dem Studium der Rechtsprechung unterziehen müssen, nicht gesagt werden.
Schließlich zeigt ein Blick auf zahllose Geschäftsauslagen, Bücherläden, Zeitungsstände, Ankündigungen von Lichtspieltheatern usw. in den österreichischen Städten, daß punkto Erlaubtheit des Vertriebs von Pornographica (ausgenommen sogenannte harte Sachen) dem Laien eine Urteilsbildung schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann. Diese Lebenstatsachen müssen von den Gerichten zur Kenntnis genommen werden, wenn anders sich die Rechtspflege nicht in völliger Weltfremdheit verlieren will.
Damit verbleibt der untergerichtliche Vorwurf, die Angeklagte hätte sich als eigenverantwortliche Einkäuferin der betreffenden Kaufhausabteilung mit den einschlägigen Vorschriften bekannt machen müssen. Doch dieser Vorwurf besteht nicht zu Recht. Die Beschwerdeführerin war zur Zeit des Einkaufs der Kassetten erst 21 Jahre alt, sie hat, wie erwähnt, eine Bildung von acht Volksschulklassen und einem polytechnischen Lehrgang. Der Verkaufsleiter eines Unternehmens (der Lieferfirma) repräsentierte ihr gegenüber jedenfalls eine überlegene Intellektualität und Branchenkenntnis. Dieser Mann belehrte sie, daß der Verkauf der Kassetten nicht verboten, also rechtmäßig sei. Unter diesen Umständen kann eine Verpflichtung der Rechtsmittelwerberin, zusäztliche Erkundigungen einzuholen, bei zwangloser Auslegung des § 9 Abs. 2 StGB. nicht angenommen werden. Im gegebenen Zusammenhang kann letztlich nicht übersehen werden, daß der Leiter des B (der Vorgesetzte der Beschwerdeführerin) am 16.Juni 1977 den Diebstahl einer Porno-Hörspielkassette beim Gendarmerieposten Schwaz anzeigte (S. 11), erst von der Gendarmerie auf die Unzulässigkeit des Anbietens und Verkaufs dieses Artikels an Jugendliche unter sechzehn Jahren aufmerksam gemacht (S. 17) und sogleich selbst als Verdächtiger in der Richtung des § 1 PornG. vernommen wurde (S. 17). Zusammenfassend folgt aus dem Gesagten, daß der im angefochtenen Urteil konstatierte Rechtsirrtum der Angeklagten nicht vorzuwerfen ist.
Der Beschwerde war daher, ohne auf ihre weiteren Ausführungen eingehen zu müssen, stattzugeben und gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst sogleich auf Freispruch zu erkennen.
Anmerkung
E01432European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00107.78.0726.000Dokumentnummer
JJT_19780726_OGH0002_0100OS00107_7800000_000