Norm
ABGB §1315 Abs1Kopf
SZ 51/129
Spruch
§ 1319a ABGB - Halter eines Weges ist derjenige, der die Kosten für die Errichtung und Erhaltung trägt und die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen. Im Fall einer Übertragung der Verwaltung von Bundesvermögen (Bundesstraßenverwaltung) an den Landeshauptmann und die ihm unterstellten Behörden im Land gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG werden dieser und die ihm unterstellten Beamten bei Besorgung dieser Verwaltungsgeschäfte funktionell als Organe des Bundes tätig, wobei diese Privatwirtschaftsverwaltung nach denselben Grundsätzen wie die mittelbare Hoheitsverwaltung des Bundes geführt wird. Für den Ersatz der im § 1319a ABGB genannten Schäden, die der Landeshauptmann oder die ihm unterstellten Beamten bei Besorgung der Bundesstraßenverwaltung vorsätzlich oder grob fahrlässig verschulden, haftet der Bund (Reichsbrückeneinsturz)
OGH 21. September 1978, 6 Ob 694/78 (OLG Wien 5 R 8/78; LG f. ZRS Wien 39 f Cg 424/76)
Text
Die Klägerin ist die Mutter des im Jahre 1976 beim Einsturz der Reichsbrücke in Wien tödlich verunglückten X. Sie begehrte die Feststellung, daß ihr der Beklagten (Gemeinde Wien) gegenüber ab dem 1. Juli 1977 ein Anspruch auf Ersatz des ihr entgangenen gesetzlichen Unterhaltes nach X von monatlich 3000 S wertgesichert zusteht.
Die Beklagte bestritt die Behauptungen der Klägerin und wendete u.
a. ihre mangelnde Passivlegitimation ein. Hiezu brachte sie vor, daß die Reichsbrücke ein Teil der Angerner Straße sei; diese sei Bundesstraße. Halter sei somit die Republik Österreich.
Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Die Reichsbrücke ist eine Bundesstraße. Vor und nach der Brücke verläuft eine Bundesstraße, die sogenannte Angerner Bundesstraße. Seit 1. September 1971 wird die Brücke vom "Land Wien" (gemeint ist hier ganz offensichtlich: vom Landeshauptmann von Wien und den ihm unterstellten Behörden im Land) verwaltet und auch "erhalten". Die Übergabe von seiten des Bundesministeriums für Bauten und Technik erfolgte mit Erlaß vom 30. Dezember 1971. Sofern Sicherungsmaßnahmen bezüglich der Brücke erforderlich sind, muß das "Land Wien"(gemeint sind auch hier offensichtlich wieder der Landeshauptmann von Wien und die ihm unterstellten Behörden im Land) die entsprechenden Maßnahmen treffen. Der Landeshauptmann von Wien hat die Magistratsabteilung 29 mit der Führung der Agenden der Reichsbrücke betraut. Die Magistratsabteilung 29 ist in dieser Funktion das Amt der Wiener Landesregierung, da sie bundesunmittelbare Agenden zu erledigen hat. Die "örtliche" Voraussetzung für diese Tätigkeit des "Bundeslandes Wien" ergibt sich aus der Verordnung des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 27. Mai 1963, mit der die Besorgung der Geschäfte der Bundesstraßenverwaltung in den Bundesländern nach Maßgabe des Bundesstraßengesetzes dem Landeshauptmann und den ihm unterstellten Behörden im Land übertragen wird. Der gesamte Aufwand für die Reichsbrücke wird vom Bund getragen. Der Bund stellt ein Geldpauschale zur Verfügung, aus dem die Rechnungen für anfallende Reparaturen beglichen werden. Vom Bund werden niemals Dienstanweisungen an den Landeshauptmann behufs Pflege und Wartung der Reichsbrücke erlassen. Falls eine Sicherungsmaßnahme erforderlich ist, hat das Land Wien die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Während die Magistratsabteilung 29 als Amt der Wiener Landesregierung die Reichsbrücke selbst zu betreuen hat, verwaltet die Magistratsabteilung 28 als Amt der Wiener Landesregierung die über die Brücke führende Straße. Der Leiter der Magistratsabteilung 28 ist somit Verwalter der Bundesstraßenverwaltung Wien im Auftrag der Verwaltung des Bundes. Der Bund stellt einen gewissen Geldbetrag zur Verfügung, aus dem anfallende Reparaturkosten und Haltungskosten der Straße beglichen und erforderliche Neubauten durchgeführt werden.
Bei seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß nach § 1319a ABGB als Halter derjenige anzusehen ist, der eine Sache für eigene Rechnung gebrauche und die Verfügungsmacht habe, die ein solcher Gebrauch voraussetze. Halter eines Weges und einer Brücke sei somit derjenige, der die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trage und die Verfügungsmacht habe, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen. Nach den Feststellungen habe nicht die Gemeinde Wien für die Erhaltung der Brücke zu sorgen, sondern das Bundesland Wien. Dieses sei mit der Gemeinde Wien nicht ident. Die Beklagte sei daher passiv nicht klagelegitimiert. Überdies trage die finanzielle Last für die Erhaltung der Brücke der Bund und nicht die Gemeinde Wien, so daß die Klage auch aus diesem Grund mangels Passivlegitimation abzuweisen sei.
Die Berufung der Klägerin, die die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes unbekämpft ließ, blieb ohne Erfolg.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Schadenersatzanspruch der Klägerin, der keinen Amtshaftungsanspruch darstellt, weil die Herstellung und Instandhaltung von Straßen nicht in den Bereich der Hoheitsverwaltung, sondern in den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung fällt (s. außer der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SZ 27/256 etwa noch die die Bundesstraßenverwaltung betreffenden Entscheidungen EvBl. 1974/350, Nr. 158 und EvBl. 1975/491, Nr. 218), ist im Hinblick auf den Unfallszeitpunkt (l, August 1976) nach § 1319a ABGB zu beurteilen (s. das Bundesgesetz BGBl. 416/1975, wonach mit 1. Jänner 1976 die Bestimmung des § 1319a ABGB in Kraft getreten ist und die Bestimmung des § 5 Bundesstraßengesetz 1971 ihre Wirksamkeit verloren hat). Nach § 1319a ABGB haftet derjenige für den Ersatz des durch den mangelhaften Zustand eines Weges herbeigeführten Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Halter eines Weges ist derjenige, der die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt sowie die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (856 BlgNR, XIII. GP (RV) = 1678 BlgNR, XIII. GP (AB)).
Die Reichsbrücke, eine bauliche Anlage im Zuge des im Verzeichnis 3 zum Bundesstraßengesetz 1971 angeführten Straßenzuges der Angerner Straße B 8, gilt als Bestandteil der genannten Bundesstraße (§ 1 Abs. 1 und § 3 Bundesstraßengesetz 1971; s. auch die Begriffsbestimmung des Weges im § 1319a Abs. 2 ABGB, wonach zu einem Weg auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken usw., gehören).
Der Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen erfolgt grundsätzlich aus Bundesmitteln (§ 8 Abs. 1 Bundesstraßengesetz 1971). Diese werden nach den untergerichtlichen Feststellungen vom Bund in Form eines Geldpauschales zur Verfügung gestellt. Daß eine detaillierte Verrechnung des Erhaltungsaufwandes zwischen dem Bund und dem Landeshauptmann von Wien nicht stattfindet, liegt im Wesen der Pauschalabgeltung, hat aber entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zur Folge, daß deswegen die Beklagte als Trägerin des Aufwandes für die Brückenerhaltung und daher als Halterin der Brücke anzusehen wäre. Ob die Beklagte (Mit-)Halterin der Reichsbrücke im Sinne des § 1319a ABGB wäre, wenn sie in der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Bundesstraßengesetz 1971 über die Straßenbaulast in Ortsgebieten genannte Kosten zu tragen hätte, kann dahingestellt bleiben, weil der Bund nach den untergerichtlichen Feststellungen den gesamten Aufwand für die Reichsbrücke trägt (vgl. hiezu die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Bundesstraßengesetz 1971, 242 BlgNR, XII. GP, 25, wonach die im § 9 Abs. 1 lit. a bis e Bundesstraßengesetz 1971 angeführten Einrichtungen Bestandteile der Bundesstraßen sind, nur die Bundesstraßenverwaltung berechtigt ist, diese zu bauen und zu erhalten, und lediglich die Bezahlung der Kosten der Gemeinde obliegt; sowie Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 134, wonach vom Träger der Straßenbaulast derjenige zu unterscheiden ist, der - wie beispielsweise Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern gemäß § 6 Abs. 2 Bundesstraßengesetz 1948 - nur Beiträge zur Herstellung oder Erhaltung einer öffentlichen Straße zu leisten hat, ohne die sonstigen Rechte und Pflichten des Trägers der Straßenbaulast zu besitzen, und 152, wonach diese Gemeinden durch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen für die besondere bauliche Ausgestaltung von Durchzugsstrecken nicht zu Trägern der Straßenbaulast werden und der Bund für Schäden haftet, die durch den schlechten Zustand der Bundesstraße im Bereich der Ortsdurchfahrt hervorgerufen werden; vgl. auch ZVR 1977, 179, Nr. 128).
Die Bundesstraßenverwaltung wird als Teil der Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes grundsätzlich durch den hiefür jeweils zuständigen Bundesminister in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt, kann aber gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG gegen jederzeitigen Widerruf dem Landeshauptmann und den ihm unterstellten Behörden im Land übertragen werden. Letzteres geschah durch die Verordnung BGBl.131/1963 (s. EvBl. 1974/350, Nr. 158 und EvBl. 1975/491, Nr. 218), auf die auch in dem die Reichsbrücke betreffenden Erlaß des Bundesministers für Bauten und Technik vom 30. Dezember 1971, Z. 544 843-fl/13/71, Bezug genommen wird. Im Falle einer Übertragung der Verwaltung von Bundesvermögen an den Landeshauptmann und die ihm unterstellten Behörden im Land gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG werden der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Beamten bei Besorgung dieser Verwaltungsgeschäfte funktionell als Organe des Bundes tätig, wobei diese Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes nach denselben Grundsätzen wie die mittelbare Hoheitsverwaltung des Bundes geführt wird, der Landeshauptmann also an die Weisungen des zuständigen Bundesministers und die dem Landeshauptmann unterstellten Beamten an dessen Weisungen gebunden sind (s. EvBl, 1974/350, Nr. 158 mit weiteren Hinweisen; Walther - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundes- Verfassungsrechtes[2], 225; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, 333, Erl. zu Art. 104 B-VG), Dem Bund kommt daher auch die für die Haltereigenschaft nötige Verfügungsmacht zu. Ob und in welchem Ausmaß der zuständige Bundesminister seine Weisungsbefugnis tatsächlich ausübt, ist ohne rechtliche Bedeutung. Für den Ersatz der im 1319 a ABGB genannten Schäden, die der Landeshauptmann oder die ihm unterstellten Beamten bei Besorgung der Bundesstraßenverwaltung vorsätzlich oder grob fahrlässig verschulden, haftet daher der Bund (vgl. hiezu die zum Amtshaftungsgesetz ergangene, der Organtheorie folgende Rechtsprechung, etwa SZ 43/78). Die Auffassung der Klägerin, dadurch, daß der Landeshauptmann von Wien die Verwaltung der Bundesstraßen im Ortsbereich von Wien den Beamten der Magistratsabteilung 28 übertragen hat, deren Untüchtigkeit sich aus dem Klagevorbringen ergebe, sei die Beklagte Besorgungsgehilfin des Halters (damit ist offenbar der Bund gemeint) geworden, so daß sie der Klägerin als solche - unabhängig von einer daneben bestehenden Haftung des Halters wegen culpa in eligendo - nach §§ 1315 und 1319 a Abs. 3 ABGB hafte, ist mithin abzulehnen. Ganz abgesehen davon, daß schon wegen der dem zuständigen Bundesminister gegenüber dem Landeshauptmann zustehenden Weisungsbefugnis nicht gesagt werden könnte, der Bund habe die Aufgaben der Bundesstraßenverwaltung jemandem übertragen, der wie ein selbständiger Unternehmer nicht unter den Leutebegriff des § 1319a ABGB falle (s. die bereits vom Berufungsgericht zitierten Ausführungen in den Gesetzesmaterialien, wonach im Falle der Übertragung der Bundesstraßenverwaltung an den Landeshauptmann gemäß Art. 104 Abs. 2 B-VG angenommen werden könne, daß sich der Träger der Straßenverwaltung und damit die Verantwortlichkeit für die Instandhaltungsmaßnahmen durch eine solche Übertragung nicht ändern, und vergleiche demgegenüber die darin gemachten Ausführungen zum Leutebegriff), erfolgte diese Übertragung ja an den Landeshauptmann und nicht an die Beklagte. Wie die Frage der Verfügungsmacht im Sinne des § 1319a ABGB zu lösen wäre, wenn der Bund der Beklagten die Erhaltung der Reichsbrücke gemäß § 9 Abs. 4 Bundesstraßengesetz 1971 einvernehmlich, d. h. durch Vertrag (s. dazu die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Bundesstraßengesetz 1971, 242 BlgNR, XII. GP, 25), übertragen hätte, brauchte nicht untersucht zu werden, weil eine solche Übertragung weder von der Klägerin behauptet worden noch im Verfahren hervorgekommen ist (vgl. hiezu die Bestimmung des außer Kraft getretenen § 5 Bundesstraßengesetz 1971, wonach die für die Haftung des Bundes (Bundesstraßenverwaltung) getroffene Regelung auch für Gemeinden hinsichtlich der ihnen zur Erhaltung übertragenen Bundesstraßenstrecken gilt - ebenso schon vorher § 11 Bundesstraßengesetz 1948 -, und Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 169, wonach die Haftung für schadhafte Straßen hinsichtlich der ihr zur Erhaltung übergebenen Ortsdurchfahrt die Gemeinde trifft; vgl. ferner ZVR 1977, 179, Nr. 128).
Zusammenfassend gelangt daher auch der OGH zu dem Ergebnis, daß die Kriterien der Wegehaltereigenschaft (Tragung der Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges sowie Verfügungsmacht zur Setzung entsprechender Maßnahmen) nicht auf die Beklagte, sondern auf den Bund zutreffen. Das Berufungsgericht hat somit zu Recht die vom Erstgericht ausgesprochene Klageabweisung schon wegen der mangelnden Passivlegitimation der Beklagten bestätigt.
Anmerkung
Z51129Schlagworte
Reichsbrückeneinsturz, Wegehalter, BegriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0060OB00694.78.0921.000Dokumentnummer
JJT_19780921_OGH0002_0060OB00694_7800000_000