TE OGH 1978/9/27 10Os161/78

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Veröffentlicht am 27.09.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.September 1978

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Neutzler und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, Dr. Keller, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführers in der Strafsache gegen Rudolf A wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Lembach am 23.Juli 1976 (AZ. U 27/76) ein gerichtliches Zeugenprotokoll vorgelesen wurde, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Gehart, zu Recht erkannt:

Spruch

Dadurch, daß in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Lembach am 23.Juli 1976 zu AZ. U 27/76 das Protokoll über die gerichtliche Aussage des Zeugen Ferdinand B ohne Begründung oder Hinweis auf eine gesetzliche Bestimmung verlesen wurde, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 252 StPO verletzt.

Text

Gründe:

Im Verfahren U 27/76 des Bezirksgerichts Lembach stellte die Staatsanwaltschaft Linz am 15.April 1976 den Antrag auf Bestrafung des Werbekaufmanns Rudolf A wegen Vergehens des Betrugs nach dem § 146 StGB, weil er (auf Grund der Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Hofkirchen im Mühlkreis, ON. 2) verdächtig sei, im Sommer 1975 im Zusammenhang mit der Entgegennahme von Aufträgen (zur Herstellung von Werbetafeln) für die Firma Ferdinand B in Linz unbefugt Zahlungen in Empfang genommen und nicht abgeführt zu haben. Noch vor der Anordnung der Hauptverhandlung wurde Ferdinand B am 2.Juni 1976

vor dem (ersuchten) Bezirksgericht Linz als Zeuge vernommen (ON. 3). Am 23.Juli 1976 führte das Bezirksgericht Lembach die Hauptverhandlung gegen den ungeachtet gehöriger Vorladung ausgebliebenen Beschuldigten gemäß dem § 459 StPO in dessen Abwesenheit durch, wobei u.a. das Protokoll über die Vernehmung des Zeugen B vor dem Bezirksgericht Linz ohne Hinweis auf die hiezu berechtigende gesetzliche Bestimmung verlesen wurde (S. 46), und fällte sohin das Urteil ON. 10, mit dem Rudolf A des Vergehens des Betrugs nach dem § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde, weil er im Sommer 1975 im Gebiet Wesenufer-Kramesau-Niederranna in mehreren Fällen Geldbeträge in der Höhe von 4.140 S für die Aufstellung von Werbetafeln entgegengenommen hatte, obwohl er wußte oder sich doch damit abfand, daß diese Tafeln nicht errichtet würden. In den Entscheidungsgründen wird festgestellt, daß diese Inkassi trotz strikten Verbots des Firmeninhabers Ferdinand B vorgenommen worden sind.

Einspruch und Berufung des Beschuldigten gegen dieses Abwesenheitsurteil waren verspätet. Deshalb verwarf das Bezirksgericht Lembach mit Beschluß vom 4.November 1976 (ON. 15) den Einspruch; das Landesgericht Linz gab mit seinem Beschluß vom 22.Dezember 1976, AZ. 31 Bl 214, 215/76 (ON. 20), der dagegen vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde nicht Folge und wies die Berufung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Der aus dem § 252 Abs. 1 StPO abzuleitende Grundsatz der Unmittelbarkeit verlangt, daß Zeugen, sofern dies möglich und durchführbar ist, vom erkennenden Gericht selbst vernommen werden und dieses sich nicht mit der bloßen Verlesung ihrer im Vorverfahren abgelegten Aussage begnügen darf. Deshalb dürfen in der Hauptverhandlung Protokolle über die gerichtliche Vernehmung von Zeugen nur in den in Z. 1 bis 4 des § 252 Abs. 1 StPO angeführten Fällen vorgelesen werden.

Dadurch, daß das Bezirksgericht Lembach in der Hauptverhandlung am 23. Juli 1976 die im Rechtshilfeweg vom Bezirksgericht Linz niederschriftlich aufgenommene Aussage des Zeugen Ferdinand B vorlas, ohne dafür einen der im § 252 Abs. 1 StPO erschöpfend aufgezählten Gründe, sei es im Hauptverhandlungsprotokoll, sei es im Urteil, anzugeben - sodaß die Richtigkeit dieses Vorgangs nicht überprüft werden kann - hat es gegen die angeführte Prozeßvorschrift verstoßen. Diese Gesetzesverletzung war festzustellen. Darüber hinauszugehen und seinem Erkenntnis im Sinn des Schlußsatzes des § 292 StPO eine Wirkung zuzuerkennen, sah sich der Oberste Gerichtshof entgegen dem Antrag der Beschwerde nicht veranlaßt, weil die Verletzung des Gesetzes bei der hier gegebenen Sachlage nur formale Bedeutung hat und sich ersichtlich für den Beschuldigten

nicht nachteilig auswirken konnte (vgl. EvBl. 1965 Nr. 102 =

RiZ. 1964 S. 216, EvBl. 1967 Nr. 170 = RiZ. 1967 S. 34

und 11 Os 23, 24/65). Hat doch der Beschuldigte, von der Gendarmerie eingehend zur Sache vernommen, zugegeben, daß die Angaben der Anzeigerin Annemarie C der Wahrheit entsprechen, daß eine behördliche Genehmigung für die Aufstellung der Reklametafeln nicht vorhanden war (trotz seinem gegenteiligen Werbevorbringen: S. 17) und daß er die von ihm empfangenen Anzahlungen behalten und für seinen Lebensunterhalt verbraucht hat (S. 33). Insbesonders hat der Beschuldigte gar nicht behauptet, daß es ihm vom Firmeninhaber B erlaubt worden wäre, die Anzahlungen entgegenzunehmen und davon sofort seine Provision abzuziehen, geschweige denn die Anzahlungen restlos und ohne Abrechnung in die eigene Tasche fließen zu lassen. Der Zeuge Ferdinand B aber hat seinerseits mit Bestimmtheit deponiert, daß dem Beschuldigten strikt verboten war, Anzahlungen überhaupt entgegen zu nehmen (S. 35).

Bei der Ausübung des ihm im letzten Satz des § 292

StPO eingeräumten Ermessens hat der Oberste Gerichtshof stets die Belange der Rechtskraft und der Rechtsrichtigkeit gegeneinander abzuwägen (siehe abermals die oben angeführte grundsätzliche Judikatur). Eine konkrete Wirkung ist darum mit der Feststellung der Gesetzesverletzung nur insoweit zu verbinden, als es nötig ist, rechtswidrige Nachteile für den Beschuldigten (Angeklagten, Verurteilten) zu beseitigen (vgl. EvBl. 1967 Nr. 194). Im gegenständlichen Fall ist nicht zu ersehen, inwiefern Rudolf A durch die Vorlesung des Zeugenprotokolls benachteiligt worden wäre oder in welcher Beziehung der gerügte Vorgang die Rechtsrichtigkeit des gefällten Urteils hätte beeinflussen können. Es besteht daher kein rechtlich zureichender Grund, das Urteil des Bezirksgerichts Lembach zu kassieren.

Die aufgezeigte Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes war festzustellen.

In diesem Umfang war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben.

Anmerkung

E01530

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00161.78.0927.000

Dokumentnummer

JJT_19780927_OGH0002_0100OS00161_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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