TE OGH 1978/9/29 13Os108/78

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Veröffentlicht am 29.09.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 1978

unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pallin und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Friedrich, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schrammel als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A und Karl B wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach dem § 102 Abs. 1 StGB über die von beiden Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen und über die von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich beider Angeklagten erhobene Berufung gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21. März 1978, GZ. 20 b Vr 6029/77-133, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, der Ausführungen der Verteidiger Dr. Kollmann und Dr. Hartung und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Karl B wird Folge gegeben: der Wahrspruch der Geschwornen und das angefochtene Urteil, die im übrigen unberührt bleiben, werden in den diesen Angeklagten betreffenden Teilen aufgehoben; die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen; mit ihren Berufungen werden der genannte Angeklagte und ihn betreffend auch die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Josef A wird verworfen; seiner Berufung und der ihn betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Josef A auch die Kosten des ihn betreffenden Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurden Josef A und Karl B des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach dem § 102 Abs. 1 StGB schuldig erkannt; nach Inhalt des Schuldspruchs liegt ihnen zur Last, am 19. Juli 1977 in Wien im gemeinsamen Zusammenwirken Liane C, nachdem sie deren Einwilligung durch gefährliche Drohung erlangt hatten, indem sie die Genannte - und zwar Josef A dadurch, daß er ihr mit vorgehaltener Pistole drohte, er werde sie erschießen, wenn sie nicht mitkomme, und Karl B dadurch, daß er gleichzeitig ein geöffnetes Messer gegen sie gerichtet hielt - zwangen, in einen bereitgestellten PKW zu steigen, mit welchem sie in das 'Cafe 29' in Wien 15. gebracht wurde, entführt zu haben, um Kurt D zur übergabe eines Geldbetrages von 1.800 S an Josef A zu nötigen.

Die Geschwornen hatten die betreffenden (für jeden Angeklagten gesondert gestellten) anklagekonformen Hauptfragen (I und II) mit der Einschränkung bejaht, daß ein Teil der Geschwornen nicht davon überzeugt sei, daß Karl B die Liane C mit Messerbedrohung zum Verlassen der Wohnung und zum Einstieg ins Auto genötigt habe; die bezüglichen Zusatzfragen (VII und VIII), ob der jeweilige Angeklagte die Entführte freiwillig nach Verzicht auf die begehrte Leistung ohne ernstlichen Schaden in ihren Lebenskreis zurückgelangen ließ, hatten sie verneint.

Dieses Urteil bekämpfen die Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde und mit Berufung; die Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich beider Angeklagten Berufung ergriffen.

I. Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A:

Mit Bezug auf den § 345 Abs. 1 Z 3 StPO rügt der Beschwerdeführer die Verlesung des Protokolls vom 10. August 1977 über die damalige Aussage der Zeugin Liane C vor dem Untersuchungsrichter; eine Nichtigkeit nach Z 5 dieser Verfahrensbestimmung erblickt er in der Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines Sachverständigen für Psychologie (in der Beschwerde unrichtig: Psychiatrie) und Neurologie zum Beweis dafür, daß die genannte Zeugin bei der vorerwähnten Aussage nicht vernehmungsfähig gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Zu einer erfolgreichen Geltendmachung der bezeichneten Nichtigkeitsgründe fehlen dem Angeklagten A jedoch schon die prozessualen Voraussetzungen, da nicht er sich gegen die nunmehr bekämpfte Verlesung verwahrt und den relevierten Antrag gestellt hat, sondern der Angeklagte B.

Entgegen der in den weiteren Beschwerdeausführungen zu den Nichtigkeitsgründen nach dem § 345 Abs. 1 Z 6, 8 und 12 StPO vertretenen Rechtsansicht ist zur Verwirklichung des Tatbestands der erpresserischen Entführung nach dem § 102 StGB gemäß dem klaren Wortlaut dieser Strafbestimmung, die demzufolge ungeachtet ihrer überschrift nicht den Sonderfall einer Erpressung (§ 144 StGB) pönalisiert, ein Bereicherungsvorsatz des Täters nicht erforderlich (vgl. EvBl. 1978/82; Leukauf-Steininger, S. 517); eine Geiselnahme wird daher (bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen) auch dann von dem in Rede stehenden Straftatbestand erfaßt, wenn dabei die Absicht des Täters darauf gerichtet ist, eine ihm zustehende geldwerte Leistung zu erlangen. Von einer unrichtigen Rechtsbelehrung oder von einer verfehlten Subsumtion der im Wahrspruch der Geschwornen festgestellten Tat kann folglich insoweit keine Rede sein; Gegenstand einer Zusatzfrage (§ 313, 316 StPO) aber hätte die Alternative, ob der Angeklagte A einen Rechtsanspruch auf die von Kurt D begehrten 1.800,-- S hatte oder nicht, von vornherein deshalb nicht sein können, weil bei einer Relevanz dieses Umstandes im Sinn der Beschwerdeauffassung darauf als Tatbestandsmerkmal schon in der Hauptfrage Bedacht zu nehmen gewesen wäre.

Daß als 'Entführen' gemäß dem § 102 StGB nur eine solche Ortsveränderung des Opfers in Betracht kommt, durch die es aus seinem bisherigen Lebenskreis gebracht wird, hat der Schwurgerichtshof durch die Erklärung, darunter sei das Verbringen des Opfers von einem Ort an einen anderen zu verstehen, wenn es dadurch dem überwiegenden Einfluß des Täters ausgesetzt werde, die Tat sei mit der Entrückung des Opfers aus dem bisherigen Bereich, in dem es sich befunden habe, vollendet, in der schriftlichen Rechtsbelehrung (Beilage ./D zu ON 132, S. 2) ohnedies unmißverständlich klargestellt; eine (Unrichtigkeit bewirkende) Ungenauigkeit liegt daher, dem Beschwerdevorbringen zuwider, auch insoweit nicht vor. Inwiefern der Schwurgerichtshof aber die - ausreichende und zutreffende - Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage VII (Beilage ./D zu ON. 132, S. 6) ausführlicher hätte gestalten sollen, ist dem betreffenden Beschwerdeeinwand nicht zu entnehmen. Soweit der Beschwerdeführer schließlich den Wahrspruch der Geschwornen zur vorerwähnten Zusatzfrage mit darin keinen Niederschlag findenden Tatsachenbehauptungen bekämpft, bringt er den damit geltendgemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 12

StPO, dessen Vorliegen nur durch einen Vergleich des im Verdikt festgestellten Sachverhalts mit dem darauf anzuwendenden Gesetz nachgewiesen werden kann, nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung, sodaß sich eine Erörterung der rechtlichen Relevanz dieses Vorbringens erübrigt.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A war daher zu verwerfen. Auf den von ihm selbst verfaßten 'Nachtrag zur Rechtsmittelausfertigung' konnte nicht Bedacht genommen werden, weil im Gesetz nur eine einzige Beschwerdeausführung vorgesehen ist (§ 344, 285

Abs. 1 StPO).

II. Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B.

Unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 345 Abs. 1 Z 9 StPO rügt dieser Beschwerdeführer mit Recht eine Undeutlichkeit des ihn betreffenden Wahrspruchs zur Hauptfrage II. Tatsächlich läßt der einschränkende Zusatz bei der mit 5 : 3 Stimmen erfolgten Bejahung dieser Hauptfrage, wonach ein Teil der Geschwornen nicht davon überzeugt sei, daß Karl B die Liane C mit Messerbedrohung zum Verlassen der Wohnung und zum Einstieg ins Auto genötigt habe, nicht erkennen, ob die Mehrheit der Laienrichter die bezeichnete Schuldfrage ohne die in Rede stehende Beschränkung, die dem Erfordernis einer ausreichenden Individualisierung der Tat des genannten Angeklagten entgegenstünde (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, Entscheidungen Nr. 27 ff zu § 312 StPO; SSt 41/38; Melnizky in JBl. 1973, 350), bejaht hat oder nicht. Der aufgezeigte Mangel, den der Schwurgerichtshof im Weg eines Moniturverfahrens hätte beseitigen müssen, macht die Aufhebung des Wahrspruchs und des darauf beruhenden Urteils in Ansehung des Angeklagten Karl B und insoweit die Zurückverweisung der Sache in die erste Instanz zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung unumgänglich, ohne daß es erforderlich wäre, auf sein weiteres Beschwerdevorbringen einzugehen.

III. Zu den Berufungen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten Josef A nach dem § 102 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 41 Abs. 1 Z 2 StGB zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Bei der Strafbemessung wertete es seine Erregung über das Verhalten des Kurt D, der Zahlung versprach, das Versprechen aber immer wieder nicht einhielt, und seinen Geldbedarf für eine dringend notwendige kieferchirurgische Behandlung als mildernd, hingegen seine einschlägigen Vorstrafen als erschwerend; die außerordentliche Strafmilderung hielt es im Hinblick auf das überwiegen der Milderungsgründe der Zahl und dem Gewicht nach sowie deshalb für gerechtfertigt, weil sich daraus, daß der Angeklagte einen Anspruch auf die Leistung hatte und sich durch die milieubedingten äußeren Umstände zur Tat hinreißen ließ, eine positive Prognose im Sinn des § 41 StGB ergebe.

Mit ihren Berufungen streben der genannte Angeklagte eine Herabsetzung der über ihn verhängten Strafe, die Staatsanwaltschaft dagegen deren Erhöhung an. Beiden Berufungen kommt keine Berechtigung zu.

Richtig ist zwar der Einwand des Angeklagten, daß ihm nur eine Vorstrafe, und zwar seine letzte, die er wegen schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung erlitt, als einschlägig anzulasten ist, weil das Verbrechen der erpresserischen Entführung nach dem § 102 Abs. 1 StGB nicht zu den strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen zählt;

von Unbesonnenheit, einer besonders verlockenden Gelegenheit zur Tat oder einer berücksichtigungswürdigen Notlage (vgl. hiezu S. 53/I) kann dagegen keine Rede sein. Daß sich der Angeklagte dem Verfahren nicht durch Flucht entzog, ist kein Milderungsgrund; sein dringender Geldbedarf für eine Operation aber wurde ihm ohnedies als mildernd zugutegehalten.

Der Staatsanwaltschaft hinwieder ist zwar einzuräumen, daß der Angeklagte schon knapp fünf Monate nach seiner letzten Haftentlassung wieder rückfällig wurde und daß die Annahme einer Arbeitsscheu bei ihm naheliegt. Nichtsdestoweniger darf aber doch nicht übersehen werden, daß die Tat sowohl in Ansehung des damit angestrebten Ziels, als auch in bezug auf die Intensität der Absonderung des Opfers gewiß außerhalb der Bandbreite der für den Tatbestand des § 102 Abs. 1 StGB typischen Regelfälle liegt, die durch die darauf abgestellte schwere Strafdrohung erfaßt werden sollen.

Bei zusammenfassender Würdigung aller maßgeblichen Aspekte erweist sich die außerordentliche Strafmilderung als gerechtfertigt und die vom Geschwornengericht über den Angeklagten A verhängte Freiheitsstrafe nach seiner tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) als angemessen, sodaß beiden erörterten Berufungen ein Erfolg versagt bleiben mußte.

Der Angeklagte Karl B und ihn betreffend auch die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf die in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstgenannten erfolgte Aufhebung des damit bekämpften Strafausspruchs zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E01511

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0130OS00108.78.0929.000

Dokumentnummer

JJT_19780929_OGH0002_0130OS00108_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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