Norm
ABGB §1286Kopf
SZ 51/139
Spruch
Bei der Bestellung von Schiedsgutachtern entfällt jede gerichtliche Hilfstätigkeit. Die Nichtdurchführung eines vereinbarten Schiedsgutachterverfahrens steht der Fälligkeit des Anspruches nicht entgegen, wenn das Gutachterkollegium im Vertrag nicht genügend bestimmt ist
Der Berechtigte kann die Geldablöse des Naturalausgedings im Unvergleichsfall auch für die Vergangenheit begehren
OGH 12. Oktober 1978, 7 Ob 657/78 (LG Klagenfurt 1 R 209/78; BG Klagenfurt 6 C 150/78)
Text
Die Klägerin hat gegen die Beklagte als Eigentümerin der Liegenschaft EZ 26, KG G, Anspruch auf Leistung eines grundbücherlich sichergestellten Ausgedinges im Sinne des Erbübereinkommens vom 5. September 1962, dessen für den gegenwärtigen Rechtsstreit wesentlichen Bestimmungen wie folgt lauten:
"1. ......
2. Die erbl. Witwe Barbara W, geboren 22. 11. 1900 (Klägerin), bedingt sich im Einverständnis mit dem Hofübernehmer in teilweiser Abänderung der testamentarischen Verfügungen auf ihre Lebensdauer folgendes unentgeltliche Ausgedinge:
a) zur Wohnung das südöstliche Zimmer im Erdgeschoß des Hauses Nr. 11 in R samt freier Beheizung und Beleuchtung, Reinigung und Instandhaltung,
b) die vollständige Verköstigung, ihrem jeweiligen Alter und Gesundheitszustande angemessen, gemeinsam am Tische des Hauses oder über ihren Wunsch in ihr Auszugszimmer gebracht, verbunden mit dem Rechte der freien Entnahme von allen am Hof vorhandenen Lebensmitteln und Getränken,
c) die notwendige Bekleidung, Wäsche und Schuhe sowie deren Reinigung und Instandhaltung,
d) die Kosten für Arzt, Medikamente und Spitalsaufenthalt, insoweit diese durch die bestehende Krankenversicherung nicht gedeckt werden,
e) nach dem Ableben ein ortsübliches und standesgemäßes Begräbnis,
f) für den Fall, als sich die Witwe selbst verköstigen wollte, an Stelle der Verköstigung am Hof folgende Lebensmittel von guter Beschaffenheit, und zwar täglich einen Liter frische Kuhvollmilch, wöchentlich ein Kilogramm Schwarzbrot, monatlich drei Kilogramm Weizenmehl, zwanzig frische Hühnereier, ein Kilogramm Schweinefett, drei Kilogramm Zucker, einen Liter Tafelöl, einen halben Kilogramm Bohnenkaffee und ein Kilogramm Kaffeersatz sowie alljährlich zu Weihnachten einen Brühling im Totgewichte von achtzig Kilogramm.
Sollte die Witwe in Hinkunft von dem Hofübernehmer, seinen Angehörigen, Hausgenossen oder Besitznachfolgern so schlecht behandelt werden, daß ihr ein weiteres Verbleiben am Hof nicht zugemutet werden kann oder sollte sie den vorstehenden Auszug nicht ordentlich und pünktlich erhalten, ist sie berechtigt,vom Hofe wegzuziehen und es ist in diesem Falle der Hofübernehmer oder sein Besitznachfolger verpflichtet, ihr den ganzen Auszug in Geld abzulösen. Über die Art und die Höhe dieser Geldablöse entscheidet in erster Linie ein bäuerliches Schiedsgericht, sollte vor demselben aber eine Einigung nicht zustandekommen, das zuständige Gericht.
Am 5. September 1974 verließ die Klägerin die vorgenannte Liegenschaft und wohnt jetzt bei ihrer Tochter Stefanie S. Seither erhält sie von der Beklagten 400 S und seit September 1977 550 S monatlich, die ihr auch jährlich ein Schwein im Totgewicht von 80 kg und eine Fuhre Holz zur Verfügung stellt.
Über Anfrage des Klagevertreters vom 28. Juli 1977 teilte die Kammer für Land- und Forstwirtschaft in K mit Schreiben vom 2. August 1977 mit, daß bei ihr ein bäuerliches Schiedsgericht nicht besteht, das die Art und die Höhe der Geldablöse für das Naturalausgedinge der Klägerin ermitteln könnte. Allerdings wäre die Kammer in der Lage, eine dementsprechende Berechnung vorzunehmen.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten mit der Behauptung, daß sie schlecht behandelt worden sei und ihr Ausgedinge unregelmäßig erhalten habe, die Zahlung von 39 979.60 S samt Anhang für rückständige Ausgedingsleistungen in der Zeit vom 1. Feber 1975 bis Jänner 1978. Die Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges sowie der Unzuständigkeit des Erstgerichtes und beantragte im übrigen Klagsabweisung. Der gerichtlichen Geltendmachung der Klagsansprüche stehe der im Erbübereinkommen vom 5. September 1962 vorgesehene Schiedsvertrag entgegen. Die Klägerin sei von der Beklagten auch nicht schlecht behandelt worden, sondern sei aus eigenem Antrieb zu ihrer Tochter gezogen. Die von der Beklagten bisher erbrachten Geldleistungen habe die Klägerin, die überdies Ausgedingsansprüche nicht für die Vergangenheit geltend machen könne, vorbehaltlos angenommen.
Das Erstgericht wies die von der Beklagten erhobene Einrede des Schiedsvertrages zurück. Die im Erbübereinkommen getroffene Vereinbarung über die Art und die Höhe der Geldablöse für das Ausgedinge stelle einen bloßen Schiedsgutachtervertrag dar, der nicht zur Erhebung der Einrede des Schiedsvertrages berechtige. Der von der Beklagten gegen die Zurückweisung der vorgenannten Einrede erhobene Rekurs blieb ohne Erfolg.
Das Klagebegehren wies das Erstgericht zur Gänze ab. Da das vereinbarte Schiedsverfahren bisher nicht durchgeführt worden sei, seien die Ausgedingsansprüche der Klägerin nicht fällig und daher das Klagebegehren schon aus diesem Gründe abzuweisen. Die Höhe der von der Klägerin geforderte Geldablöse für ihr Ausgedinge hänge überdies von der Entscheidung eines im Erbübereinkommen vom 5. September 1962 vereinbarten "bäuerlichen Schiedsgerichtes" ab und sei darum für die Beklagte unvorhersehbar und überraschend. Diese könne daher mangels Kenntnis des Umfanges der von ihr zu erbringenden Ausgedingsleistungen nicht in Verzug geraten sein. Deren rückwirkende Geltendmachung sei somit ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es teilte zwar die Meinung des Erstgerichtes, daß der Rechtssatz, wonach Alimente für die Vergangenheit nicht gefordert werden könnten, auch auf Verträge über Unterhaltsleistungen anzuwenden sei, wenn der Umfang der geschuldeten Leistung dem Schuldner in jedem Fälligkeitszeitpunkt noch nicht bekannt gewesen sein kann, war jedoch der Ansicht, daß die von der Beklagten zu erbringenden Ausgedingsleistungen im Erbübereinkommen vom 5. September 1962 genau umschrieben seien und sich daher der Ablösebetrag des vereinbarten Naturalausgedinges auf Grund der Richtsätze der Kammer für Land- und Forstwirtschaft und des Finanzamtes für Gebühren und Verkehrssteuern jederzeit ermitteln lasse. Die Beklagte hätte demnach die von der Klägerin begehrte Geldablöse für ihr Naturalausgedinge, die von ihr grundsätzlich akzeptiert worden sei, ohne weiteres errechnen können. Die Beklagte könne also nicht mit Grund behaupten, daß sie durch die Einforderung des von der Klägerin behaupteten Ausgedingsrückstandes überrascht worden wäre. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes könne die Klägerin auch für die Vergangenheit Ausgedingsansprüche erheben. Das Ersturteil enthalte jedoch keinerlei Feststellungen zur streitentscheidenden Frage, ob der von der Klägerin behauptete Unvergleichsfall eingetreten sei. Die Rechtssache sei somit nicht spruchreif. Das Erstgericht werde daher ergänzende Feststellungen in der vorgenannten Richtung zu treffen und dann neuerlich zu entscheiden haben.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Liegt wie die Rekurswerberin selbst vorbringt, eine Schiedsgutachtervereinbarung vor, dann sind, solange das Schiedsgutachterverfahren nicht eingeleitet und (wenn auch erfolglos) durchgeführt wurde, die unter dieses Übereinkommen fallenden Ansprüche nicht fällig. Eine dennoch erhobene Klage ist daher abzuweisen (Fasching IV, 714; SZ 34/171; u. a. m.). Die Beurteilung der Rechtswirksamkeit und der Gültigkeit eines Schiedsgutachtervertrages hat nach materiellem Recht zu erfolgen. Es entfällt daher jede gerichtliche Hilfstätigkeit bei der Bestellung der Schiedsgutachter und der Außerkraftsetzung des Schiedsgutachtervertrages (Fasching IV, 713; SZ 39/132; JBl. 1955, 503). Dem die Parteien bindenden Schiedsgutachtervertrag (des Erbübereinkommens des Bezirksgerichtes K vom 5. September 1962) kann nicht entnommen werden, wie das Gutachterkollegium, das im Streitfall über Art und Höhe der Geldablöse für das Naturalausgedinge der Klägerin zu entscheiden hat, zusammenzusetzen ist und welche Personen als Schiedsmänner zu fungieren haben. Da auch die Kammer für Land- und Forstwirtschaft in K erklärte, daß bei ihr ein Sachverständigenkollegium nicht bestehe, das die vereinbarte Schiedsgutachtertätigkeit ausüben könnte, hat sich die Durchführung des von der Klägerin mit Schreiben vom 28. Juli 1977 eingeleiteten Schiedsgutachterverfahrens als erfolglos erwiesen. Damit ist aber entgegen der Ansicht des Erstgerichtes die Fälligkeit der Klagsansprüche eingetreten.
Zu Unrecht beharrt die Rekurswerberin auf ihrem Standpunkt, die Klägerin könne von ihr eine rückwirkende Geldablöse für das ihr zustehende Naturalausgedinge nicht begehren. Richtig ist allerdings, daß der aus der Bestimmung des § 1418 ABGB abgeleitete Rechtssatz "nemo pro praeterito alitur" vom OGH auch auf die rückwirkend begehrte Aufwertung von Forderungen aus Unterhaltsverträgen dann angewendet wird, wenn dem Schuldner der Umfang der geschuldeten Leistung in jedem Fälligkeitstermin noch nicht bekannt sein konnte. Bei den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtssachen handelt es sich jedoch durchwegs um vertragliche Unterhaltsansprüche, die wegen Fehlens einer vereinbarten Wertsicherungsklausel vom Richter auf Grund der Unterhaltsverträgen innewohnenden Umstandsklausel (Stanzl in Klang[2] IV/1, 721) aufzuwerten waren (SZ 34/90; 36/101; EFSlg. 13 750). Hier begehrt jedoch die Klägerin nicht die Neufestsetzung ihres vertraglichen Unterhaltsanspruches, sondern die ihr im Unvergleichsfall zustehende Geldablöse für ihr Naturalausgedinge. Darunter ist jener Geldbetrag zu verstehen, der die Klägerin in die Lage versetzen würde, die ihr von der Rekurswerberin geschuldeten Naturalien käuflich zu erwerben. Die Höhe dieser Geldablösung kann allerdings der Unterhaltsvereinbarung selbst nicht entnommen werden, jedoch hätte diese von der Rekurswerberin, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, ohne Schwierigkeiten ermittelt werden können. Die Klägerin kann daher entgegen der Ansicht der Rekurswerberin die Geldablöse ihres Naturalausgedinges auch für die Vergangenheit begehren (JBl. 1956, 448). Die von der Rekurswerberin erhobene Verjährungseinrede ist schon deshalb nicht berechtigt, weil die Klägerin mit ihrer Klage länger als drei Jahre (ab Klagserhebung) zurückliegende Unterhaltsansprüche nicht geltend macht.
Die Klägerin kann allerdings eine Geldablöse für ihr Naturalausgedinge nur bei Vorliegen des von ihr behaupteten, von der Rekurswerberin verschuldeten Unvergleichsfalles begehren (SZ 47/54). Feststellungen in dieser Richtung fehlen jedoch im Ersturteil. Die Rechtssache ist somit nicht spruchreif. Das Erstgericht wird daher sein Verfahren in dem ihm vom Berufungsgericht aufgetragenen Umfang zu ergänzen und dann neuerlich zu entscheiden haben. Ein Auftrag an das Berufungsgericht, das erstgerichtliche Verfahren selbst nach § 496 Abs. 3 ZPO zur Verfahrensbeschleunigung zu ergänzen, kann vom Obersten Gerichtshof nicht erteilt werden, weil eine solche Verfahrensergänzung vom Gericht zweiter Instanz anzuordnen ist (Fasching IV, 214).
Anmerkung
Z51139Schlagworte
Naturalausgedinge, Geldablöse, SchiedsgutachterbestellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00657.78.1012.000Dokumentnummer
JJT_19781012_OGH0002_0070OB00657_7800000_000