TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/21 B2037/99

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Veröffentlicht am 21.06.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG 1997 §109
BundesvergabeG 1997 §109 Abs8
EGVG ArtII Abs2
ZustellG §1

Leitsatz

Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Erlassung eines Feststellungsbescheides betreffend die Nichtigkeit einer Zuschlagserteilung innerhalb der Sperrfrist wegen Einleitung eines Schlichtungsverfahrens; keine behördliche Befehlsgewalt und keine Bescheidqualität der Erledigungen der Bundes-Vergabekontrollkommission sowie keine Anwendbarkeit von AVG und Zustellgesetz; vertretbare Annahme des Zukommens der Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens per Telefax durch das Bundesvergabeamt

Spruch

Der beschwerdeführende Abwasserverband ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der beschwerdeführende Abwasserverband hat mit Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - abgesandt am 15. Juli 1998 - Erd-, Baumeister- und Professionistenarbeiten, die maschinelle Ausrüstung sowie die elektrotechnische Ausrüstung zur Errichtung einer neuen Kläranlage ausgeschrieben. Planung, Ausschreibung und örtliche Bauaufsicht wurden einem Zivilingenieur übertragen. Schon während des Vergabeverfahrens bestanden zwischen diesem und sich beteiligenden Bietern Meinungsverschiedenheiten über die Gleichwertigkeit der von diesen eingereichten, auf einem bestimmten Verfahren ("C-Tech-Verfahren") beruhenden Alternativangeboten betreffend die Vergabe der Erd-, Baumeister- und Professionistenarbeiten sowie der maschinellen Ausrüstung. Ein durch die Bundes-Vergabekontrollkommission (B-VKK) ergangener und von den Parteien angenommener Schlichtungsvorschlag sah diesbezüglich vor, daß die in Rede stehenden Angebote in die Angebotsbewertung einbezogen werden sollten, wenn entsprechende Nachweise der Gleichwertigkeit des bezogenen zu dem in den Ausschreibungsunterlagen bezeichneten Verfahren durch die betreffenden Bieter gelegt werden würden.

In der Folge wurde zwischen dem ausschreibenden Zivilingenieur und jenen Bietern vereinbart, daß die Frage der Gleichwertigkeit mittels Gutachtens eines Sachverständigen geklärt werden sollte. Zusammenfassend wurde in diesem Gutachten festgehalten, daß unter Beachtung der betrieblichen Besonderheiten die Gleichwertigkeit besagten "C-Tech-Verfahrens" gegenüber einer konventionell betriebenen Anlage gegeben sei. Nach differenzierender Stellungnahme eines Amtssachverständigen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung wurde schließlich durch den vergebenden Zivilingenieur ein Vergabevorschlag erstattet, wonach der Zuschlag für die Erd-, Baumeister- und Professionistenarbeiten, jener für die maschinelle Ausrüstung und schließlich jener für die elektro-, meß- und steuerungstechnische Ausrüstung jeweils gesondert an andere Bieter erfolgen sollte.

b) Einer der nicht zum Zuge gekommenen Bieter beantragte daraufhin (erneut) die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor der B-VKK, die in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags (§109 Abs7 BVergG) die vergebende Stelle unverzüglich von der Aufnahme ihrer Tätigkeit verständigte: Diese Verständigung langte am 25. Februar 1999 um 17.58 Uhr bei jenem Fax-Gerät ein, dessen Nummer auf sämtlichen Geschäftspapieren des auftraggebenden Abwasserverbandes angegeben war und welches sich im Gemeindeamt von Sollenau befindet, von dem aus die kanzleimäßigen Geschäfte des Abwasserverbandes geführt werden. Um 18.00 Uhr desselben Tages begann dort eine Sitzung des Verbandes, in der der Beschluß gefaßt wurde, die vergabegegenständlichen Arbeiten an jene Bieter zu vergeben, die von dem mit der Abwicklung der Ausschreibung betrauten Zivilingenieur in dessen Vergabevorschlag für die Zuschlagserteilung empfohlen worden waren. Die Zuschlagsschreiben wurden unmittelbar nach der in dieser Sitzung erfolgten Zuschlagsentscheidung von einem anwesenden bevollmächtigten Vertreter jenes Unternehmens entgegengenommen, dem die Erd-, Baumeister- und Professionistenarbeiten zugeschlagen wurden. Dieser Vertreter war auch zur rechtsverbindlichen Entgegennahme des Zuschlagsschreibens an jenes Unternehmen bevollmächtigt, dem der Zuschlag hinsichtlich der Lieferung der maschinellen Ausstattung für das Bauvorhaben erteilt werden sollte.

c) Auf Antrag zweier übergangener Bieter stellte das Bundesvergabeamt (BVA) mit Bescheid vom 29. Oktober 1999, Zlen. N-11/99-40, N-12/99-40 fest, "daß die Erteilung des Zuschlages vom 8. September 1999 (berichtigt mit Bescheid vom 16. Dezember 1999, Zlen. N-11/99-43, N-12/99-43, auf: "25. Februar 1999") wegen Verletzung des §109 Abs8 BVergG" nichtig sei.

In §109 Abs8 BVergG ist angeordnet, daß die vergebende Stelle innerhalb von vier Wochen ab der Verständigung von der Aufnahme einer Schlichtungstätigkeit durch die B-VKK (die zur unverzüglichen Verständigung der vergebenden Stelle verpflichtet ist) "bei sonstiger Nichtigkeit den Zuschlag nicht erteilen" darf. Seine Zuständigkeit zur Erlassung des Feststellungsbescheides begründet das BVA damit, daß "eine behördliche Nichtigerklärung mangels Anfechtungsgegenstandes nicht möglich" sei, es aber zur "Klarstellung der den Beteiligten offenbar unklaren Rechtsverhältnisse ... im öffentlichen Interesse einer gesetzeskonformen Privatwirtschaftsverwaltung von Amts wegen geboten (war), die Nichtigkeit der Zuschlagsentscheidungen vom 25. Feber 1999 bescheidmäßig durch die zur Nachprüfung öffentlicher Auftragsvergaben sachlich zuständige Behörde Bundesvergabeamt (deklarativ) festzustellen (vgl. BVA vom 30.11.1998, N-33/98-17 = wbl. 1999, 283)".

In der Sache ging das BVA von der Rechtsansicht aus, für die Verständigung der vergebenden Stelle sei nicht die Vorschrift des §26a ZustellG anzuwenden, vielmehr seien

"die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze über den Zugang von Erklärungen heranzuziehen, wonach eine solche als zugegangen gilt, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt, das ist bei Übermittlung durch Telefax der vollständige Signaleingang (Borus, RdW 1995, 131 f; Burghard AcP 1995, 134; BGH in BB 1995, 221 mit Anmerkung von Burghard). Den Empfänger trifft dann u.a. das Risiko der Kenntnisnahme (Apathy in Schwimann2 Rz 5 zu §862a ABGB).

Wie sich aus der Aktenlage und der mündlichen Verhandlung vom 8. September 1999 ergibt, führt der Auftraggeber auf sämtlichen Geschäftspapieren die Faxnummer des Gemeindeamtes der Marktgemeinde Sollenau. Somit sind Schriftstücke, welche bei diesem Gerät einlangen, als dem Auftraggeber zugegangen anzusehen. Dies gilt insbesondere für Schriftstücke, die vor oder während einer Sitzung des Auftraggebers in demselben Gebäude bei diesem Faxgerät einlangen.

Die Verständigung der Bundes-Vergabekontrollkommission von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens S-25/99 langte am 25. Februar 1999 um 17.58 Uhr bei obengenanntem Faxgerät ein, somit vor Beschlußfassung des Auftraggebers über die Vergabe und Ausfolgung der Auftragsschreiben an (den Bevollmächtigten der erfolgreichen Bieter). Daher ist davon auszugehen, daß die Verständigung der Bundes-Vergabekontrollkommission jedenfalls vor den Zuschlagsentscheidungen in den Machtbereich des Auftraggebers gelangt und damit wirksam zugegangen ist.

Gemäß §109 Abs8 BVergG ist ein trotz einer Verständigung gemäß §109 Abs7 BVergG erfolgter Zuschlag nichtig. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages, d.h. der Vertrag entfaltet ex tunc keine Wirkung. Aus dem Verbotszweck der Norm folgt, daß sich jeder auf die Rechtsunwirksamkeit des Vertrages berufen kann. Eine besondere Geltendmachung der Nichtigkeit (zum Beispiel in Form einer Anfechtung) ist nicht erforderlich; die Nichtigkeit ist auch von Amts wegen wahrzunehmen (RV 323 BlG NR

20. GP 111 (100))."

2. a) Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

b) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift unter Verweis auf die Ausführungen im Bescheid aber abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der beschwerdeführende Abwasserverband hält es für gleichheitswidrig, daß das BVA die B-VKK nicht als Verwaltungsbehörde qualifiziert: Für eine solche Qualifikation genüge es, daß einem Organ durch Gesetz die Kompetenz übertragen werde, verbindliche Normen und/oder Verwaltungsakte einseitig zu setzen. Die mit der Verständigung gemäß §109 Abs8 BVergG verbundene Zuschlagssperre sowie die durch §115 Abs2 BVergG in bestimmten Fällen zwingend vorgeschriebene Anrufung der B-VKK zeige deren "behördliche Kompetenz", weshalb auf die Verständigung der vergebenden Stelle durch die B-VKK vom 25. Februar 1999 zwingend das ZustellG anzuwenden gewesen wäre; das ergebe sich auch aus ArtII Abs2 EGVG.

Weiters führt die Beschwerde aus:

"Nach §26a ZustellG ist uns die Verständigung der Bundes-Vergabekontrollkommission erst nach der Erteilung der Zuschläge wirksam zugegangen. Die Zustellung gilt nach dieser Bestimmung nämlich als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Genau das war auch der Fall. Da das Telefax-Gerät im Gemeindeamt nach dem Ende der Amtsstunden um 15.30 Uhr nicht mehr besetzt war und die Mitglieder unseres Verbands vom Einlangen der Verständigung keine Kenntnis erlangen konnten, wurde die Zustellung erst am nächsten Tag wirksam (vgl auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren² Anm 9 zu §1a ZustellG).

Auch §109 Abs7 und 8 BVergG stellen auf die tatsächliche Kenntnis der Verständigung ab. §109 Abs7 BVergG sieht vor, daß die Bundes-Vergabekontrollkommission die vergebende Stelle unverzüglich von der Aufnahme ihrer Tätigkeit 'verständigen' muß. Dementsprechend darf die vergebende Stelle gemäß §109 Abs8 BVergG 'ab der Verständigung' bei sonstiger Nichtigkeit keinen Zuschlag erteilen. Es kann hier nur auf den tatsächlichen Zugang und die Kenntnis der Verständigung zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zuschlag ankommen. Eine Zustellfiktion über den Zugang zu einem früheren Zeitpunkt wäre systemwidrig und sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Bestimmungen des §109 Abs7 und 8 BVergG würden den Gleichheitsgrundsatz verletzen, wenn die Zustellung von Verständigungen an die vergebende Stelle anderen Vorschriften unterliegen würde und andere Rechtsfolgen hätte als alle übrigen bzw gleichartigen Zustellungen durch Verwaltungsbehörden und Gerichte in vergleichbaren Fällen.

(...)

Nach den von der belangten Behörde vertretenen allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen über den Zugang von Erklärungen soll die Verständigung der Bundes-Vergabekontrollkommission von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens mit dem vollständigen Signaleingang bei dem Fax-Gerät des Gemeindeamtes wirksam zugestellt worden sein. Das ist aber auch aus zivilrechtlicher Sicht unrichtig.

Nach den zivilrechtlichen Regeln ist eine Erklärung zugegangen, wenn sie dem Empfänger in der Weise nahe gebracht wurde, daß nach den von ihm getroffenen Vorkehrungen oder nach der Gepflogenheit des Verkehrs seine Kenntnisnahme erwartet werden kann. Entscheidend ist also, ob nach den Umständen, mit denen der Absender rechnen konnte, die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, wobei diese Möglichkeit abstrakt zu sehen ist. Hindernde Umstände, mit denen der Absender nicht zu rechnen brauchte, bleiben unberücksichtigt (vgl. Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB I² Rz 2 zu §862a ABGB mwN).

Wer seine Telefaxnummer bekanntgibt, bringt dadurch sein Interesse zum Ausdruck, alle Erklärungen unverzüglich empfangen zu wollen. Das kann aber selbstverständlich nur während der 'normalen Geschäftsstunden' gelten (so auch Wilhelm, Telefax: Zugang, Übermittlungsfehler und Formfragen, ecolex 1990, 208, 209). Telefaxe gehen daher in aller Regel unverzüglich nach Empfang zu, bei Empfang während der Nacht oder am Wochenende allerdings erst mit Betriebsbeginn am nächsten Arbeitstag (Wilhelm, ecolex 1990, 209; ebenso Rummel, Telefax und Schriftform, Ostheim-FS 215 und Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I, 95).

Niemand wird annehmen, daß ein Gemeindeamt oder das Büro eines Abwasserverbands ganztägig besetzt ist. Der Absender muß also in einem derartigen Fall davon ausgehen, daß ein knapp vor 18.00 Uhr abgeschicktes Telefax den Empfänger erst am nächsten Tag erreicht. Die richtige Anwendung der zivilrechtlichen Grundsätze über den Zugang von Erklärungen führt also zu demselben Ergebnis wie die Anwendung des ZustellG. Das unterstreicht nur, daß die belangte Behörde den von ihr behandelten gesetzlichen Vorschriften einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat."

Diese für verfassungswidrig erachtete Vorgangsweise des BVA verletze den beschwerdeführenden Abwasserverband - wie in der Beschwerde weiter ausgeführt wird - auch in seinen verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf Freiheit der Erwerbstätigkeit sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

2. Der beschwerdeführende Abwasserverband ist mit seinen Vorwürfen nicht im Recht:

a) Der Verfassungsgerichtshof hält es im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung des Grundrechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zunächst für erforderlich, zu klären, ob das BVA zur Erlassung des angefochtenen Feststellungsbescheides zuständig war. Denn nach seiner ständigen Rechtsprechung wird dieses Recht durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 9696/1983, 15.228/1998, VfGH 15.10.1998, B3104/97).

Gemäß §113 Abs2 BVergG ist das BVA zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hiezu ergangenen Verordnungen zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers zuständig. Gemäß Abs3 leg.cit. ist nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluß des Vergabeverfahrens das BVA zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist das BVA ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte.

Ein Antrag auf Nachprüfung vergaberechtlicher Entscheidungen vor Zuschlagserteilung ist u.a. nur dann zulässig, wenn - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - in derselben Sache ein Schlichtungsverfahren vor der B-VKK durchgeführt wurde. Die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens hat gemäß §109 Abs8 BVergG zur Folge, daß die vergebende Stelle innerhalb von vier Wochen ab der Verständigung vom Einlangen eines entsprechenden Antrags bei sonstiger Nichtigkeit den Zuschlag grundsätzlich nicht erteilen darf. Es ist ihr - wie sich aus einer systematischen und gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation der genannten Bestimmung ergibt - somit verwehrt, eine allenfalls intern getroffene Entscheidung, wem sie den Zuschlag zu erteilen beabsichtigt, als eine den Vertragsabschluß bewirkende Angebotsannahmeerklärung nach außen mitzuteilen, also innerhalb der Sperrfrist den Zuschlag zu erteilen. Eine andere Interpretation führte nämlich zum Ergebnis, daß es der Auftraggeber in der Hand hätte, durch Abschluß eines Vertrages innerhalb der Sperrfrist den vergabespezifischen Rechtsschutz zu unterlaufen, da schließlich nach Zuschlagserteilung eine Zuständigkeit des BVA zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Nichtigerklärung von Entscheidungen nicht mehr besteht. Dies widerspräche nicht nur dem System des geteilten Rechtsschutzes im Vergaberecht (vgl. VfSlg. 15.106/1998), sondern stünde auch in Widerspruch zu den Anforderungen, die sich nach der Entscheidung des EuGH vom 28. Oktober 1999, Rs. C-81/98, Alcatel Austria AG ua., Slg. 1999, I-7671 ff., aus der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG ergeben.

Im vorliegenden Fall beantragten die vor dem BVA antragstellenden Bieter die Feststellung, daß die Zuschlagsentscheidungen des vergebenden Abwasserverbandes "rechtswidrig und nichtig seien". Mit dem angefochtenen Bescheid hat das BVA diesem Antrag mit der oben wiedergegebenen Begründung (vgl. Pkt. I/1.c)) insofern stattgegeben, als "festgestellt" wird, daß die Erteilung des Zuschlages "wegen Verletzung des §109 Abs8 BVergG nichtig ist".

Zur Erlassung eines derartigen Feststellungsbescheides war das BVA zuständig: Zwar enthalten die wiedergegebenen Regelungen über die Zuständigkeit des BVA keine explizite gesetzliche Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Nichtigkeit eines entgegen dem Verbot des §109 Abs8 BVergG erteilten Zuschlags und §113 BVergG sieht Feststellungsbescheide nur als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage nach Erteilung des Zuschlags vor (§125 Abs2 leg.cit.). Die Zuständigkeit des BVA zur Erlassung eines Feststellungsbescheides nach §109 Abs8 BVergG ergibt sich aber aus folgender Überlegung: Diese Bestimmung ist eine im Hinblick auf die Effektivität des Vergaberechtsschutzes gemeinschaftsrechtlich gebotene Schutznorm für rechtsschutzsuchende Bieter im Vergabeverfahren. Sie soll einen effektiven Rechtsschutz vor Erteilung des Zuschlags sichern. In dieser Phase des Rechtsschutzes ist es - wie sich aus dem Rechtsschutzsystem des BVergG (vgl. VfSlg. 15.106/1998) in Verbindung mit der schon zitierten Entscheidung des EuGH in der Rs Alcatel Austria AG, in der dieser das Erfordernis der Anfechtbarkeit auch der Vergabeentscheidung festhielt, ergibt - Sache des BVA, über die Einhaltung oder Verletzung der Vergabevorschriften zu entscheiden.

Nach gesicherter Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. insb. VfSlg. 6050/1969) ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt (VfSlg. 5203/1966) oder für eine Partei ein notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung ist und insofern im Interesse einer Partei liegt (VfSlg. 2376/1952, 2653/1953, 3519/1956, 4197/1962, 4563/1963, 5130/1965). Zuständig für die Erlassung eines solchen Bescheides ist dann jene Behörde, die durch die Rechtsordnung zur Gestaltung des Rechtes oder Rechtsverhältnisses berufen ist (VfSlg. 4939/1965, 5203/1966), was - wie dargetan - in concreto eben das BVA ist.

Im vorliegenden Vergabeverfahren bestand offenkundig keine einheitliche Rechtsmeinung zwischen den Beteiligten darüber, ob in Anbetracht der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens und des oben geschilderten Vorgangs der Verständigung der vergebenden Stelle hievon ein vorläufiges Zuschlagsverbot (§109 Abs8 BVergG) bewirkt wurde. Im Interesse der Klarstellung der strittigen Rechtsfrage, ob die Zuschlagserteilung durch den auftraggebenden Abwasserverband zulässig war, lag die Erlassung eines Feststellungsbescheides daher im öffentlichen Interesse wie auch im Interesse der Parteien.

Das BVA war daher zuständig, mit seinem Bescheid deklarativ festzustellen, daß die Zuschlagserteilung innerhalb der vergabegesetzlichen Sperrfrist erfolgt und sohin ex lege nichtig ist.

b) Dem Bescheid ist aus verfassungsrechtlicher Sicht auch inhaltlich nicht entgegenzutreten:

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

Zunächst ist das Vorbringen des beschwerdeführenden Abwasserverbandes, daß es sich bei der B-VKK um eine Verwaltungsbehörde handle, verfehlt: Staatsorgane sind nur dann als Behörden zu qualifizieren, wenn sie nach den einschlägigen Rechtsvorschriften über Befehlsgewalt (imperium) verfügen, also einseitig verbindliche Normen erlassen oder Zwangsakte setzen können (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, Rz. 549). Das BVergG weist der B-VKK keinerlei behördliche Befehlsgewalt zu, sondern überträgt ihr vielmehr Aufgaben der Streitschlichtung sowie der Gutachtenserstellung. So ist gemäß §109 Abs1 BVergG die B-VKK bis zur Zuschlagserteilung zuständig zur Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten, die sich zwischen der vergebenden Stelle und einem oder mehreren Bewerbern oder Bietern bei der Vollziehung des BVergG ergeben; weiters obliegt der B-VKK die Erstellung von Gutachten über die Frage, ob ein Vorschlag für die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren mit den Regelungen des BVergG bzw. der hiezu ergangenen Verordnungen im Einklang steht, über Fragen des persönlichen Geltungsbereichs des BVergG sowie (nach Zuschlagserteilung) über die Durchführung des Auftragsvertrages. In ihrer Aufgabe als Schlichtungsstelle hat die B-VKK die Streitteile zu hören und den der Meinungsverschiedenheit zugrundeliegenden Sachverhalt zu ermitteln; ehestmöglich, längstens jedoch innerhalb von zwei Wochen, hat sie zwischen den Streitteilen zu vermitteln, Vorschläge zur Beilegung der Streitfragen zu erstatten und auf eine gütliche Einigung der Streitteile hinzuwirken (§110 Abs1 und 2 BVergG). Kommt eine gütliche Einigung nicht zustande, so hat der Schlichtungssenat eine begründete Empfehlung darüber abzugeben, wie die der Meinungsverschiedenheit zugrundeliegende Rechtsvorschrift angewendet werden solle. Von der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens hat die B-VKK die vergebende Stelle unverzüglich zu verständigen. Auch diese Verständigung hat - entgegen der Rechtsansicht des beschwerdeführenden Verbandes - keine normative Bedeutung. Sie informiert bloß von der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens, was ex lege zur Folge hat, daß gemäß §109 Abs8 BVergG innerhalb von vier Wochen ab dieser Verständigung bei sonstiger Nichtigkeit der Zuschlag - abgesehen von bestimmten Ausnahmen - nicht erteilt werden darf.

Angesichts dieser spezifischen Funktion der B-VKK und angesichts der mangelnden Bescheidqualität ihrer Erledigungen (vgl. Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl. 1993, 374 ff. (378)) kann das vor ihr abzuführende Verfahren nicht als behördliches Verfahren qualifiziert werden, weshalb die B-VKK (im Gegensatz zum BVA: vgl. ArtII Abs2 litC Z40 a EGVG) auch nicht gehalten ist, das AVG anzuwenden. Angesichts dessen kann dem BVA aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausging, daß es sich bei der Verständigung von der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens im Sinne des §109 Abs8 BVergG nicht um eine behördliche Mitteilung im Sinne des §1 Abs1 ZustellG handelte, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes den Parteien zu übermitteln gewesen wäre.

Ebensowenig ist dem BVA entgegenzutreten, wenn es von dieser Prämisse ausgehend hinsichtlich des Zukommens der Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens vor der B-VKK auf die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze über den Zugang von Erklärungen abstellte, und diese als zugegangen annahm, wenn sie in der Weise in den Machtbereich des Empfängers - also des beschwerdeführenden Abwasserverbandes - gelangt ist, daß dieser unter normalen Umständen (und nach vollständigem Signaleingang auf dem Telefaxgerät) von ihrem Inhalt Kenntnis erlangen konnte. Da die Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens unbestritten vor Beginn jener Sitzung des Auftraggebers, in der die gegenständlichen Zuschlagserteilungen beschlossen wurden, in dessen Verfügungsbereich gelangte, ist die Auffassung des BVA jedenfalls nicht unvertretbar, daß der beschwerdeführende Abwasserverband zur Entscheidung über den Zuschlag nicht mehr befugt war.

Da das BVA sohin in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise davon ausgegangen ist, daß die Zuschlagsentscheidung innerhalb der durch §109 Abs8 BVergG angeordneten "Sperrfrist" erfolgt ist, hat es in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Nichtigkeit der dennoch erteilten Zuschläge festgestellt.

c) Somit hat weder die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter noch eine Verletzung der anderen vom beschwerdeführenden Abwasserverband ins Treffen geführten Rechte stattgefunden.

Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der beschwerdeführende Abwasserverband in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Behördenbegriff, Behördenzuständigkeit, Feststellungsbescheid, EU-Recht, Rechtsschutz, Vergabewesen, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B2037.1999

Dokumentnummer

JFT_09989379_99B02037_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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