Norm
Allgemeine Rechtschutzversicherungsbedingungen Art6 Abs2Kopf
SZ 51/142
Spruch
Die Einschränkung der freien Anwaltswahl durch Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 4 ARB ist nicht sittenwidrig. Die durch die SRB gebotenen Mehrleistungen rechtfertigen eine weitergehende Einschränkung der Wahlmöglichkeiten des Versicherten, so daß in diesem Bereich durch die Namhaftmachung von vier Rechtsanwälten, gegen die sachlich nichts vorgebracht werden kann, eine ausreichende Wahlmöglichkeit eingeräumt wird
OGH 19. Oktober 1978, 7 Ob 59, 60/78 (OLG Wien 1 R 49/78; HG Wien 30 Cg 1567/75)
Text
Der Kläger hat mit der Beklagten eine Rechtschutzversicherung abgeschlossen, der die allgemeinen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung (ARB 1965), die Ergänzenden Bedingungen für die Rechtschutzversicherung (ERB 1965) und die Sonderbedingungen für die Rechtschutzversicherung (SRB) zugrunde gelegt wurden. Während nach Art. 1 der ARB Versicherungsschutz im zivilrechtlichen Bereich nur für Schadenersatzansprüche gegeben ist, besteht nach V Art. 1 lit. b der SRB Versicherungsschutz auch für die Kosten aus der gerichtlichen oder außergerichtlichen Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen u. a. aus Werkverträgen. Nach Art. 6 Abs. 2 ARB hat der Versicherte das Recht, bei der Anzeige des Versicherungsfalles einen Rechtsanwalt vorzuschlagen, den der Versicherer mit der Wahrung der Interessen des Versicherten beauftragen soll. Hat der Versicherte einen Anwalt vorgeschlagen, der seinen Sitz im Sprengel des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde hat, die für das durchzuführende Verfahren zuständig sind, so ist der Versicherer gemäß Art. 7 Abs. 4 ARB verpflichtet, diesem Vorschlag nachzukommen. Für den zusätzlichen Versicherungsschutz nach den SRB sehen diese in V Art. 5 jedoch vor, daß in Abänderung des Art. 6 Abs. 2 ARB die Bestimmung des Rechtsanwaltes dem Versicherer obliegt. Nach Art. 4 lit. g ARB entfällt der Versicherungsschutz, wenn sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche nicht eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedient.
Zu 24 Cg 32/75 des Landesgerichtes Innsbruck klagte Mag. Arch. Gerhard G gegen den Kläger einen Werklohn ein, nachdem diese behauptete Forderung bereits vorher Gegenstand außergerichtlicher Verhandlungen gewesen war. Der Kläger erteilte seinem nunmehrigen Vertreter, dem Innsbrucker Rechtsanwalt Dr. L, Vollmacht. Nachdem ihm die am 13. Jänner 1975 eingebrachte Klage und die Ladung zu der für den 4. Feber 1975 anberaumten ersten Tagsatzung am 18. Jänner 1975 zugestellt worden waren, teilte er dies mit Schreiben vom 28. Jänner 1975 unter kurzer Sachverhaltsdarstellung der Beklagten mit, wobei er um Rechtschutz und um Bestellung des von ihm bereits bevollmächtigten Dr. L ersuchte. Die Beklagte machte den Kläger darauf aufmerksam, daß das Recht, im Rahmen der Rechtschutzversicherung einen Anwalt zu bestimmen, ausschließlich ihr zustehe und daß eine Bestellung des Dr. L nicht in Frage komme. Sie schlug dem Kläger vier Innsbrucker Rechtsanwälte vor. Auf diesem Standpunkt beharrte sie auch gegenüber weiteren Versuchen des Klägers, die Bestellung des Dr. L zu erreichen. Als der Kläger schließlich den Lienzer Anwalt Dr. S vorschlug, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 11. Feber 1975 mit, sie habe Dr. S bestellt. Tatsächlich hatte der Kläger Dr. S Vollmacht erteilt, doch war bei der ersten Tagsatzung Dr. L mit Substitutionsvollmacht Dris. S eingeschritten. Anläßlich der Bestellung Dris. S durch die Beklagte hatte diese um die Unterlagen zur Einsicht gebeten, um die Prozeßaussichten beurteilen zu können. Da jedoch Dr. S in der Angelegenheit nicht informiert worden war, teilte er der Beklagten am 27. Feber 1975 mit, daß sich die Unterlagen bei Dr. L befänden und der Kläger die Angelegenheit mit diesem weiterführen wolle. Erst nach Absendung dieses Schreibens teilte der Kläger Dr. S mit, daß die Beklagte auch weiterhin die Bestellung Dris. L ablehne, weshalb Dr. S die Sache weiterführen solle. Allerdings wurde in einem Telefongespräch eine Informationsaufnahme durch Dr. S als unzweckmäßig bezeichnet und vereinbart, daß Dr. L die Sache in Innsbruck mit einer Substitutionsvollmacht Dris. S weiterführen solle.
Am 5. März 1975 schrieb die Beklagte dem Kläger, sie habe erfahren, daß er sich durch Dr. L vertreten lassen wolle, weshalb sie annehme, daß er an einem Versicherungsschutz nicht mehr interessiert sei. Nach längerer Korrespondenz, in der der Kläger den Standpunkt vertrat, Dr. S sei ohnehin sein Vertreter, erklärte die Beklagte dessen Beauftragung für erloschen, führte jedoch aus, sie sei bereit, im Falle des Zutreffens des Versicherungsschutzes dem Kläger einen Anwalt in Innsbruck zur Verfügung zu stellen. Dies wurde vom Kläger abgelehnt.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Gewährung des Versicherungsschutzes für den in Innsbruck geführten Prozeß, wobei er unter anderem Sittenwidrigkeit der Versicherungsbedingungen behauptet, da durch diese seine freie Anwaltswahl beschränkt werde. Denselben Einwand erhob die auf seiner Seite als Nebenintervenientin beigetretene Wirtschaftliche Organisation der Rechtsanwälte Österreichs (Österr. Rechtsanwaltsverein), die den Zwischenantrag stellt, es werde festgestellt, daß die Bestimmungen des Art. 4 lit. b der Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Rechtschutzversicherung (ARB 1965) und die Bestimmungen des Art. 5 des V Abschnittes der besonderen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung der Beklagten nichtig seien.
Während das Erstgericht sowohl dem Zwischenantrag auf Feststellung als auch dem Klagebegehren stattgab, änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung bezüglich des Klagebegehrens dahin ab, daß es dieses abwies. Die Entscheidung über den Zwischenantrag auf Feststellung hob es auf, wobei es diesen Antrag zurückwies. Es vertrat den Rechtsstandpunkt, ein Nebenintervenient sei nicht berechtigt, einen Zwischenantrag auf Feststellung zu stellen. Im übrigen sei nach den Behauptungen der Beklagten der Versicherungsvertrag bereits aufgelöst worden. Entsprechende Gegenbehauptungen, die ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung erkennen ließen, habe der Kläger nicht aufgestellt. Die Bestimmungen der in Frage kommenden Versicherungsbedingungen seien nicht sittenwidrig. Der Kläger habe dadurch, daß er auf seinem gewählten Anwalt beharrte und den von der Beklagten bestellten Anwalt nicht informierte, so daß dieser notgedrungen Dr. L substituieren habe müssen, wissentlich eine Obliegenheitsverletzung begangen. Die Beklagte sei daher ohne Rücksicht darauf, ob durch die Bestellung des Dr. L Mehrkosten verursacht worden sind, leistungsfrei.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen und Revisionen des Klägers und der Nebenintervenientin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
A. Zu den Rekursen:
Es erübrigt sich, auf die Fragen einzugehen, wer berechtigt ist, einen Zwischenantrag auf Feststellung zu stellen, wer ihn hier gestellt hat und wie weit ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung gegeben ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Antrages ist nämlich gemäß § 236 ZPO neben dem Erfordernis, daß die Rechtswirkungen der Entscheidung über diesen Antrag über den Rechtsstreit hinausgehen, auch seine Präjudizialität für das Verfahren, in dem er gestellt wird. Der Prüfung dieser Fragen ist die Rechtsauffassung der letzten Instanz zugrunde zu legen (SZ 40/28). Da nach Rechtskraft der Entscheidung über die Hauptsache eine noch offene Entscheidung über eine Vorfrage nicht mehr präjudiziell für die Hauptsache sein kann, muß nach der Entscheidung über die Hauptsache ein Zwischenantrag auf Feststellung, über den noch nicht entschieden worden ist, zurückgewiesen werden (Fasching III, 127, 133; EvBl. 1974/223, SZ 43/110; 1 Ob 638/78).
Wie noch bei Behandlung der Revisionen auszuführen sein wird, ist die Hauptsache spruchreif, weshalb unter einem darüber eine Endentscheidung ergeht, die noch vor einer allfälligen Entscheidung über den Zwischenantrag auf Feststellung in Rechtskraft erwachsen muß. Der OGH könnte höchstens den Beschluß des Berufungsgerichtes aufheben und diesem eine neue Entscheidung über den Zwischenantrag auftragen. Da jedoch zum Zeitpunkt dieser neuen Entscheidung die Entscheidung in der Hauptsache bereits rechtskräftig sein muß, könnte das Berufungsgericht, unabhängig von der vom OGH geäußerten Rechtsansicht, den Zwischenantrag mangels Präjudizialität für die Hauptsache nur neuerlich zurückweisen. Aus diesem Gründe kommt eine Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichtes nicht in Frage, weshalb dieser, ohne weitere materielle Prüfung, zu bestätigen war.
B. Zu den Revisionen:
Das Berufungsgericht hat keine vom erstrichterlichen Urteilstatbestand abweichenden Feststellungen getroffen, sondern die Feststellungen des Erstgerichtes über die Vorgänge zwischen dem Kläger und Dr. S einer rechtlichen Würdigung unterzogen, indem es aus dem Verhalten des Klägers auf seine wahren Beziehungen zu Dr. S Schlüsse zog. Dies ist ein Akt der rechtlichen Beurteilung, der eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht begrunden kann.
Dem Kläger sei zugegeben, daß im Falle der Bevollmächtigung des von der Beklagten namhaft gemachten Anwaltes von letzterem vorgenommene Substitutionen im allgemeinen keine Obliegenheitsverletzung begrunden. Allerdings kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag erfüllt worden ist oder nicht, nicht nur auf die rein formellen äußerlichen Erfüllungshandlungen, sondern insbesondere auch darauf an, ob der dem Sinn des Vertrages entsprechende Zustand auch inhaltlich voll hergestellt wurde. Klarer Sinn der gegenständlichen Versicherungsbedingungen ist es, die Führung des Prozesses durch einen Anwalt zu gewährleisten, der auch eine entsprechende Kontrolle über den Prozeß hat. Substitutionen durch den Anwalt ändern an der Vertragsmäßigkeit des durch die Bevollmächtigung dieses Anwaltes, hergestellten Zustandes so lange nichts, als dieser Anwalt tatsächlich den Prozeß "führt", also Herr über die Vorgänge in ihm ist. Wird dagegen dem vom Versicherer namhaft gemachten Anwalt nur formell eine Vollmacht erteilt, wobei es Absicht des Versicherten ist, den Prozeß in Wahrheit durch einen anderen Anwalt zu führen, kann von einer materiellen Vertragserfüllung keine Rede sein.
Im vorliegenden Fall wurden Dr. S Wochen hindurch keine Informationen erteilt, obwohl er, im Gegensatz zu Dr. L, seinen Sitz am Wohnort des Klägers hat. Dr. S erhielt auch keine Unterlagen. Demgemäß wäre er gar nicht in der Lage gewesen, wirksam Einfluß auf das Prozeßgeschehen zu nehmen. Insbesondere konnte er keinerlei Informationen an die Beklagte weitergeben und auch nicht an der Prüfung der Frage, ob der Prozeß Aussicht auf Erfolg hat, mitwirken. Die Stellung Dris. L war daher nur formell die eines Substituten. In Wahrheit übte Dr. L die Funktion des Vertreters des Klägers aus. Der Kläger hat daher durch die Bevollmächtigung Dris. S seinen durch die Versicherungsbedingungen begrundeten vertraglichen Pflichten nicht entsprochen.
Richtig ist, daß der Versicherer, wenn er einmal einen Anwalt namhaft gemacht hat, im allgemeinen diese Wahl nicht ohne triftigen Grund und insbesondere nicht zum Nachteil des Versicherten ändern darf. Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte erwarten, daß der ihr vom Kläger vorgeschlagene Dr. S von diesem auch hinreichend informiert und daher auch in der Lage sein werde, dem Sinn der Namhaftmachung entsprechend zu wirken. Da sich diese Annahme infolge des Verhaltens des Klägers als irrig erwies, lag für die Beklagte ein wichtiger Grund für die Bestellung eines Anwaltes am Prozeßort vor, weil von einem derartigen Anwalt eher erwartet werden konnte, daß er sich ein Bild über die Situation machen werde. Interessen des Klägers konnten hiedurch nicht berührt werden, weil er Dr. S noch nicht einmal Information erteilt hatte und daher für ihn der Ersatz dieses Anwaltes durch einen anderen mit keinem Nachteil verbunden sein konnte.
Sind daher die in Frage stehenden Bestimmungen der Versicherungsbedingungen wirksam, so hat der Kläger gegen sie verstoßen und daher eine Obliegenheitsverletzung begangen, die nach den getroffenen Feststellungen (mehrfacher Hinweis auf sie) absichtlich erfolgt ist. Dies würde gemäß § 6 Abs. 3 VersVG Leistungsfreiheit der Beklagten ohne Rücksicht darauf begrunden, ob die Obliegenheitsverletzung auf den Umfang der Leistung Einfluß hatte oder nicht.
Zu prüfen waren sohin die Einwände gegen die Versicherungsbedingungen.
Insbesondere die Nebenintervenientin erblickt in den fraglichen Bedingungen einen Eingriff in das Recht auf freie Anwaltswahl. Abgesehen davon, daß in der von der Nebenintervenientin zitierten Entscheidung (EvBl. 1975/182) ein Grundrecht auf unbeschränkte Anwaltswahl verneint wurde, könnte ein derartiges Recht nur dem Gesetzgeber und Behörden Beschränkungen auferlegen. Dagegen handelt es sich hiebei keinesfalls um ein Recht, das nicht in einem privatrechtlichen Vertrag beschränkt werden darf. Im vorliegenden Fall wurde die unbeschränkte Anwaltswahl des Klägers durch keinerlei gesetzliche oder behördliche Maßnahmen eingeschränkt. Der Kläger hat vielmehr freiwillig einen privatrechtlichen Vertrag abgeschlossen, dem Versicherungsbedingungen zugrunde lagen (ob er diese vorher eingehend studiert hat oder nicht, ist ohne Bedeutung). Eine solche freiwillige Beschränkung der freien Anwaltswahl durch Vertrag kann keine verbotene Beeinträchtigung eines Grundrechtes sein. Vielmehr ist lediglich zu prüfen, ob dem Vertrag Mängel anhaften, die im allgemeinen die gänzliche oder teilweise Nichtigkeit von Verträgen zur Folge haben, wie etwa die Sittenwidrigkeit einzelner Bedingungen.
Gegen die guten Sitten verstößt, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspricht (SZ 38/217, SZ 27/19 u. a.). Sittenwidrig ist, was zwar nicht einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz, aber gegen oberste Rechtsgrundsätze darstellt, was also nicht gesetz- aber grob rechtswidrig ist (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 181; EvBl. 1976/9; EvBl. 1970/115 u. a.). Grundlage für die Beurteilung, ob eine Vertragsbestimmung dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft widerspricht, können jedoch nicht bloß Äußerungen und Stellungnahmen einer Standesvertretung sein. Demnach ist es ohne Bedeutung, ob seitens der Nebenintervenientin oder einer ihr nahestehenden Standesvertretung Stellungnahmen gegen Versicherungsbedingungen abgegeben und Initiativen zu Gesetzen, die sich gegen solche Bedingungen richten, in die Wege geleitet worden sind. Der Hinweis der Nebenintervenientin auf die Materialien zum Versicherungsaufsichtsgesetz ist überhaupt unverständlich, weil diese im fraglichen Punkt der Aufsichtsbehörde lediglich die Prüfung der Gewährleistung des Interesses der Versicherten auferlegen. Die vorliegenden Versicherungsbedingungen sind aufsichtsbehördlich genehmigt worden, woraus sich ergibt, daß die Aufsichtsbehörde offenbar keine Bedenken bezüglich der Nichtgewährleistung der Interessen der Versicherten hatte.
Sittenwidrig könnte allenfalls die ungleiche Belastung von Vertragsparteien durch die Ausnützung eines Kontrahierungszwanges sein, wobei ein Kontrahierungszwang in diesem Sinne nicht nur besteht, wenn er gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern auch dann, wenn die Ausnützung einer Monopolstellung wegen der faktischen Übermacht eines Beteiligten diesem bei bloß formaler Parität die Möglichkeit der "Fremdbestimmung" über andere gäbe und darum gegen die guten Sitten verstieße (SZ 44/138; SZ 33/74 u. a.). Da Rechtschutzversicherungen nur von einigen Anstalten und nur zu denselben Bedingungen abgeschlossen werden, könnte dies einem Kontrahierungszwang der aufgezeigten Art nahekommen. Da jedoch die Bestimmung des § 879 ABGB dem Richter bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen die nötige Vorsicht und Zurückhaltung zu üben auferlegt, setzt im Falle des Fehlens eines gesetzlichen Verbotes die Sittenwidrigkeit offenbare Widerrechtlichkeit voraus, d. h. die Interessenabwägung muß eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung Verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergeben (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 182 f.; JBl. 1972, 200; JBl. 1966, 364 u. a.).
Prüft man vorerst die Bestimmungen der Art. 6 Abs. 2 und 7 Abs. 4 ARB unter den aufgezeigten Gesichtspunkten, so muß ein berechtigtes Interesse des Versicherers an der dort erfolgten Einschränkung der freien Anwaltswahl bejaht werden. Immerhin wird dem Versicherten das Prozeßrisiko abgenommen. Demgegenüber soll Versicherungsschutz nur für die Führung von Prozessen gewährt werden, die objektiv ein Mindestmaß an Erfolgsaussicht aufweisen (Art. 7 Abs. 5 ARB). Außerdem soll die zweckmäßigste Art der Prozeßführung sichergestellt werden (Art. 6 Abs. 5 ARB), Es ist daher verständlich, daß die Führung der Prozesse durch Substituten auf ein Mindestmaß eingeschränkt wird, weil in der Regel eine Prozeßführung am zielstrebigsten und zweckmäßigsten durch einen am Prozeßort ansässigen Rechtsanwalt erfolgen wird. Diese Garantie wäre in vielen Fällen nicht gewährleistet, wenn ein außerhalb des Prozeßortes ansässiger Rechtsanwalt den Prozeß führt. Demgegenüber ist die hiemit für den Versicherten verbundene Einschränkung der Wahlmöglichkeit, insbesondere bei der Führung eines Prozesses an einem Ort, der eine genügende Anzahl von Rechtsanwälten aufweist, nicht so schwerwiegend, daß gegenüber den Interessen des Versicherers eine grobe Benachteiligung des Versicherten anzunehmen wäre. Was kleine Orte anlangt, so schließen die Versicherungsbedingungen nicht aus, daß der Versicherer auch die Bestellung eines auswärtigen Anwaltes genehmigt. Ob er sittenwidrig handeln würde, wenn er in einem solchen Fall auf dem einzigen Rechtsanwalt eines Ortes beharrt, hier nicht geprüft werden, weil ein derartiger Fall dem gegenständlichen Rechtsstreit nicht zugrunde liegt.
Wie bereits in der Entscheidung SZ 47/116 ausgeführt wurde, verstoßen die erwähnten Bestimmungen demnach nicht gegen die guten Sitten.
Im vorliegenden Fall wurde allerdings die Wahlmöglichkeit des Klägers durch die SRB darüber hinaus weitgehend eingeschränkt. Selbstverständlich wäre es kaum vertretbar, wenn der Versicherte gegen den vom Versicherer namhaft gemachten Anwalt stichhaltige Gründe vorbringt und der Versicherer trotzdem auf seiner Wahl beharrt. Der Kläger hat jedoch gegen die ihm namhaft gemachten Anwälte überhaupt nichts Sachliches vorgebracht, sondern immer wieder auf dem von ihm gewählten Anwalt beharrt.
Es war sohin zu prüfen, ob die durch die SRB gebotenen Mehrleistungen im Vergleich zu den ARB und ERB eine weitergehende Einschränkung der Wahlmöglichkeiten des Versicherten rechtfertigen. Dies muß bejaht werden.
Nach den ARB und ERB wird im wesentlichen Rechtsschutz nur für Schadenersatzansprüche und für Aktivprozesse gewährt. Schadenersatzansprüchen liegt in der Regel ein bestimmtes Ereignis mit nicht zu schwer überschaubarem Sachverhalt zugrunde. Die Prüfung der Erfolgsaussichten in einem solchen Prozeß ist daher im allgemeinen relativ leicht (natürlich bleibt immer ein gewisses Risiko offen, doch handelt es sich hier nur um die Feststellung offenbarer Aussichtslosigkeit). Aktivprozesse werden praktisch immer mit dem Ziel eines raschen Prozeßerfolges geführt. Wenn daher der Versicherte in derartigen Verfahren von einem frei gewählten Anwalt vertreten wird, kann der Versicherer in der Regel damit rechnen, daß eine offenbare Aussichtslosigkeit der Prozeßführung entweder auszuschließen ist oder bei wahrheitsgemäßer, wenn auch nur notdürftiger Information klar erkannt werden kann.
Die SRB gewähren nun auch einen Betriebsrechtschutz für Passivprozesse betreffend die Vertagserfüllung im geschäftlichen Betrieb. Mit derartigen Passivprozessen wird aber bekanntlich nur allzu oft ein außerhalb derselben liegendes Ziel (etwa Zeitgewinn) angestrebt. In nicht zu unterschätzender Anzahl werden demnach solche Prozesse in der mehr oder minder sicheren Erwartung ihres Verlustes geführt. Gerade für eine solche Prozeßführung soll aber die Rechtschutzversicherung nicht eintreten. Hier wäre dem Versicherer eine wirksame Kontrolle nicht möglich, wenn er nicht einen Anwalt seines Vertrauens einschalten könnte. Natürlich bleibt auch dieser Anwalt Bevollmächtigter des Versicherten, weshalb ihn im Verhältnis zu diesem alle Pflichten eines Rechtsanwaltes gegenüber seinem Mandanten treffen. Für den Versicherer macht es aber doch einen erheblichen Unterschied, ob der Anwalt des Versicherten nur zu diesem Kontakt hat und daher, allenfalls im Zusammenwirken mit ihm, eine prozessuale Verzögerungstaktik einschlägt oder ob der Anwalt auch Vertrauensmann des Versicherers ist. Allenfalls könnte ein derartiger Anwalt, ohne gegen Standespflichten zu verstoßen, bei Aussichtslosigkeit der Prozeßführung das Vollmachtsverhältnis auflösen. Hiedurch wird der Versicherte in seinen Rechten nicht beeinträchtigt, weil dann nur der durch den Versicherungsvertrag gewollte Zustand eintritt, daß der Versicherte einen aussichtslosen Prozeß ohne Inanspruchnahme der Rechtschutzversicherung führen muß. Die Finanzierung nur zur Verzögerung aussichtsloser Prozesse durch eine Rechtschutzversicherung würde keinesfalls dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft entsprechen, weshalb Maßnahmen zu ihrer Unterbindung nicht sittenwidrig sein können.
Im übrigen ergibt sich bei einem bloßen Hinweis auf die Einschränkung der Rechte des Versicherten, wie dies durch die Revisionen geschieht, ein verzerrtes Bild. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die Rechtschutzversicherung den Versicherten vor dem Kostenrisiko eines Prozesses bewahrt, sohin sehr wesentliche Interessen des Versicherten durch die Versicherung geschützt werden. Demnach kann eine gewisse Einschränkung der freien Anwaltswahl nur im Verhältnis zu den dem Versicherten durch die Rechtschutzversicherung erwachsenden Vorteilen beurteilt werden. Stellt man die beiderseitigen Vorteile gegenüber, so steht die Beeinträchtigung der unbeschränkten Anwaltswahl in keinem groben Mißverhältnis zu den durch den Versicherungsvertrag geförderten Interessen des Versicherten.
Ob die Interessen des Versicherten durch die Namhaftmachung eines einzigen Anwaltes über Gebühr beeinträchtigt würden, muß hier nicht untersucht werden, weil die Beklagte dem Kläger durch die Namhaftmachung von vier Rechtsanwälten eine ausreichende Wahlmöglichkeit eingeräumt hat. Der Kläger hat nichts vorgebracht, woraus geschlossen werden könnte, daß im Hinblick auf die Person eines oder mehrerer dieser Anwälte in Wahrheit keine hinreichende Auswahlmöglichkeit bestanden hätte. Die Art, wie die Beklagte die Versicherungsbedingungen angewandt hat, indem sie nämlich dem Kläger eine ausreichende Wahlmöglichkeit gewährleistete, kann nicht als eine Beeinträchtigung der Interessen des Klägers angesehen werden, weshalb in diesem Umfang eine Sittenwidrigkeit nicht vorliegt.
Mangels Sittenwidrigkeit der Versicherungsbedingungen muß von der Obliegenheitsverletzung des Klägers ausgegangen werden, was zur Leistungsfreiheit der Beklagten führt.
Anmerkung
Z51142Schlagworte
Anwaltswahl, EinschränkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00059.78.1019.000Dokumentnummer
JJT_19781019_OGH0002_0070OB00059_7800000_000