TE Vwgh Erkenntnis 2005/4/26 2005/06/0047

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Veröffentlicht am 26.04.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
25/02 Strafvollzug;

Norm

StVG §107 Abs1 Z1;
StVG §107 Abs1 Z8;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2005/06/0048

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerden des GB in D, vertreten durch Dr. Thomas J. Ruza, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wiesingerstraße 6/13, gegen die Bescheide der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Wien 1. vom 17. Oktober 2002, Zl. 1 Vk 27/02 (hg. Zl. 2005/06/0047), und

2. vom 6. Dezember 2002, Zl. 1 Vk 28/02 (hg. Zl. 2005/06/0048), jeweils betreffend Angelegenheiten des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der erstangefochtene Bescheid vom 17. Oktober 2002 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid vom 6. Dezember 2002 wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer befand sich zwischen 22. Mai und 6. Dezember 2002 in verschiedenen Justizanstalten (kurz: JA) in Strafhaft.

Am 23. Mai 2002 beantragte die H. OEG, die nach Aussage des Beschwerdeführers vom 24. Juli 2002 von seinem Cousin geführt wird, die Einstellung des Beschwerdeführers als Pizzabäcker. Neben einer Aufstellung von Arbeitszeiten und Entlohnung werden in einem Anhang des Antrages die Arbeiten aufgelistet, die täglich vor der Öffnungszeit um 11 Uhr vormittags zu erledigen seien. Diese umfassen die Vorbereitung von 20 kg Pizzateig, 5 kg Kartoffeln, Fleisch- und Wurstwaren sowie Gemüse und anderen Beilagen.

Am 23. Juni 2002 schloss der Leiter der JA K. namens des Bundes mit der H. OEG einen vorläufigen Dienstverschaffungsvertrag ab, mit dem der Beschwerdeführer als Freigänger gemäß § 126 Abs. 3 StVG für den Arbeitseinsatz als Pizzabäcker zur Verfügung gestellt wurde. Der Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:

"... ARBEITSEINSATZ

a) Als Arbeitszeit (Nettoarbeitszeit ohne Einrechnung der Wegzeit) werden 40 Arbeitsstunden pro Woche vereinbart. Ab der 41. Stunde werden Überstunden verrechnet.

b) Erforderliche Überstunden dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Anstaltsleitung durchgeführt werden.

c) Kann der Arbeitgeber den ihm zur Arbeit zugesagten Gefangenen aus welchem Grund immer für kurze Zeit nicht beschäftigen, ist dies mindestens einen Tag vorher der Anstaltsleitung bekannt zu geben.

d) Eine Weitervergabe der Gefangenen an andere Arbeitgeber ist unstatthaft.

e) Eine Bewachung des Insassen auf dem Wege von und zur Arbeitsstelle und während der Arbeit findet nicht statt. Der Arbeitgeber erklärt sich jedoch mit einer Kontrolle des Insassen durch Justizwachebeamte im Betrieb bzw. am Arbeitsplatz einverstanden und hat den betreffenden Beamten den Zutritt zu ermöglichen . ..."

Mit "ab 01.07.2002" datierter Erledigung genehmigte der Leiter der JA K. den dargestellten Freigang des Beschwerdeführers. Als Arbeitszeit legte er Montag bis Freitag von 7 Uhr bis 16 Uhr abzüglich 60 Minuten Mittagspause fest und gab bekannt, dass nach vorheriger telefonischer Anmeldung fallweise auch Arbeiten über diesen Zeitraum möglich seien. Die Reisebewegungen zum und vom Dienstort in S. wurden im Detail festgehalten.

Anlässlich des Einrückens des Beschwerdeführers in die JA K. am 19. Juli 2002 wurden bei ihm ein in L. ausgestelltes Organstrafmandat und der Kassabon einer Gastwirtschaft in W., beide datiert mit "19.7.2002" vorgefunden. Bei einer am 23. Juli 2002 zwischen 9.15 Uhr und 10.20 Uhr durchgeführten Freigängerkontrolle konnte der Beschwerdeführer an seinem Arbeitsplatz in S. nicht angetroffen werden.

In seiner Einvernahme vom 24. Juli 2002 verantwortete sich der Beschwerdeführer zu den daraus abgeleiteten Vorwürfen (zusammengefasst) dahin, dass er am 19. Juli 2002 gemeinsam mit seinem Dienstgeber unterwegs gewesen sei, "um Reifen zu besorgen". Am 23. Juli 2002 sei er ganztägig in W. mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen, um Erledigungen für Herrn H., den Eigentümer der vorgenannten Pizzabäckerei, zu machen.

Daraufhin erließ der Leiter der JA K. am 26. Juli 2002 folgenden Strafbescheid (Anonymisierung - in Kursivschrift - durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Der Beschuldigte ... hat sich vorsätzlich, entgegen den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes unerlaubt von seinem Arbeitsplatz entfernt und somit den Tatbestand der Flucht erfüllt.

Er hat dadurch eine Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 1 StVG begangen und wird hierfür gemäß § 109 Z. 5 StVG i.V. mit § 114 StVG mit der Ordnungsstrafe des strengen Hausarrestes mit Entzug der Arbeit in der Dauer von 14 Tagen und gem. § 109 Z. 4 StVG mit einer Geldbuße in der Höhe von EUR 20,-- diszipliniert. ...

Begründung:

     Durch die Meldungen des ... und der Beschuldigtenvernehmung

vom 24.07.2002, ist der strafbare Tatbestand einwandfrei erwiesen.

     Am 23.07.2002 wurde eine Freigängerkontrolle durchgeführt.

Der Strafgefangene ... konnte auf seinem Arbeitsplatz um 09.15 Uhr

... nicht vorgefunden werden. Der Beschwerdeführer, der um

06.15 Uhr in S. ankommt, hätte zu diesem Zeitpunkt (09.15 Uhr) laut Arbeitsvertrag, schon längst Vorbereitungsarbeiten machen sollen. Bei seiner Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass er am 23.07.2002 gar nicht in der Pizzeria war. Er sei angeblich den ganzen Tag über in W. gewesen, um verschiedene Besorgungen für seinen Chef ... zu machen.

Mit dem Eingeständnis des Strafgefangenen ..., am 23.07.2002 überhaupt nicht an seinem Arbeitsplatz gewesen zu sein, ergibt sich die Tatsache der Flucht (Entweichung bzw. Nichterscheinen am Arbeitsplatz) in der Zeit von 05.20 Uhr bis 17.25 Uhr am 19.07.2002 und von 05.20 Uhr bis 17.30 Uhr am 23.07.2002.

Am 19.07.2002, beim Einrücken des Strafgefangenen ..., wurde bei ihm ein Organstrafmandat, ausgestellt in L. und ein Kassabon eines A.-Stüberls, W., vorgefunden. Der Beschwerdeführer erklärte, dass er auch an diesem Tag Erledigungen für seinen Chef durchführte.

Bei einer fernmündlichen Befragung des Arbeitgebers ... gab dieser an, dass er von Besorgungen nichts wusste bzw. er den Strafgefangenen auch nicht dazu beauftragt hätte.

Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass der Beschwerdeführer ausschließlich als Pizzabäcker zu arbeiten hätte. Auf Grund der gepflogenen Erhebungen steht jedenfalls fest, dass der Strafgefangene ... an mindestens zwei Tagen unerlaubt seinen Arbeitsplatz verlassen und dadurch den Tatbestand der Flucht in zwei Fällen erfüllt hat.

Aus generalpräventiven Überlegungen war mit einer angemessenen Bestrafung vorzugehen.

Mildernd: wurde die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit gewertet

Erschwerend: der grobe Vertrauensmissbrauch und der mehrfache Tatbestand."

Mit dem erstangefochtenen Bescheid vom 17. Oktober 2002 gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Beschwerde nicht Folge.

Nach Darstellung des Verwaltungsverfahrens und der Rechtslage teilte sie die vom Leiter der JA K. vertretene Ansicht. Die weitwendige Argumentation des Beschwerdeführers unter anderem damit, dass er zulässigerweise seinem Arbeitsplatz hätte fernbleiben dürfen, verfüge in ihrer Gesamtheit über keinen einer sachgerechten Überprüfung zugänglichen Tatsachenhintergrund. Dadurch könnten keine Zweifel an der zweimaligen Abwesenheit von der zugewiesenen Arbeitsstelle hervorgerufen werden. Selbst wenn der Beschwerdeführer nachweise, "durch die 'Aufträge' seines Arbeitgebers gerechtfertigt gewesen zu sein", sei diese selbstherrliche Erweiterung des gewährten Freiganges als nicht durch die Anstaltsleitung sanktioniert und damit unzulässig anzusehen. Darüber hinaus sei es "in realitätskonformer Betrachtungsweise nicht nachvollziehbar, dass der Arbeitgeber ein im Hinblick auf die Bedingungen des Arbeitseinsatzes vereinbarungswidriges Verhalten setzen sollte". Gemäß den Bestimmungen des Dienstverschaffungsvertrages und der entsprechenden Anordnung des Leiters der JA K. sei der Aufgabenbereich des Beschwerdeführers als Pizzabäcker derart eng umrissen gewesen, dass für den Arbeitgeber keinerlei Möglichkeit bestanden habe, ohne separate Genehmigung der JA K. den Beschwerdeführer anderwärtig einzusetzen. Es habe daher für den Strafgefangenen keine Veranlassung bestanden, die Örtlichkeit der Pizzeria in S. zu verlassen. Auch die Strafzumessung sei nicht zu beanstanden (wird näher ausgeführt).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, hg. zur Zl. 2005/06/0047 protokollierte, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen zweitangefochtenen Bescheid vom 6. Dezember 2002 wurde einer Beschwerde gegen die Verfügung des Leiters der JA K. dagegen keine Folge gegeben, dass dem Beschwerdeführer Kugelschreiber und Schreibzeug in der Zeit vom 29. Juli bis 1. August 2002 (während der teilweisen Verbüßung des eingangs genannten Hausarrestes) entzogen worden wären.

Bereits aus der Stellungnahme des Anstaltsleiters vom 7. Oktober 2002 ergebe sich unzweifelhaft, dass der Beschwerdeführer während der Zeit seiner Anhaltung im Hausarrest jederzeit über Schreibmaterial verfügt habe. Seine entgegenstehende Behauptung erweise sich auch auf Grund der Vielzahl an aktenkundigen Eingaben als unglaubwürdig. Der Beschwerde habe somit ein Erfolg versagt bleiben müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, hg. zur Zl. 2005/06/0048 protokollierte, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat auch hiezu eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die beiden wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl. Nr. 144/1969, lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Pflichten der Strafgefangenen

§ 26. (1) Die Strafgefangenen haben den Anordnungen der im Strafvollzug tätigen Personen Folge zu leisten. Sie dürfen die Befolgung von Anordnungen nur ablehnen, wenn die Anordnung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt oder die Befolgung dagegen verstoßen oder offensichtlich die Menschenwürde verletzen würde.

(2) Die Strafgefangenen haben alles zu unterlassen, was die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt oder sonst die Verwirklichung der Grundsätze des Strafvollzuges gefährden könnte. Sie haben sich so zu benehmen, wie es der Anstand gebietet.

(3) Die Strafgefangenen dürfen nicht eigenmächtig die ihnen zum Aufenthalt angewiesenen Räume verlassen oder die ihnen bei der Arbeit, bei der Bewegung im Freien, im gemeinsamen Schlafraum oder sonst zugewiesenen Plätze wechseln. Sie haben sich an die Tageseinteilung zu halten.

...

Arbeitspflicht

§ 44. (1) Jeder arbeitsfähige Strafgefangene ist verpflichtet, Arbeit zu leisten.

(2) Zur Arbeit verpflichtete Strafgefangene haben die Arbeiten zu verrichten, die ihnen zugewiesen werden. Zu Arbeiten, die für die Strafgefangenen mit einer Lebensgefahr oder Gefahr schweren Schadens an ihrer Gesundheit verbunden sind, dürfen sie nicht herangezogen werden.

Arbeitsbeschaffung

§ 45. (1) Es ist Vorsorge dafür zu treffen, dass jeder Strafgefangene nützliche Arbeit verrichten kann.

(2) Alle im Betrieb der Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen anfallenden Arbeiten, die durch Strafgefangene verrichtet werden können, sind durch Strafgefangene zu besorgen. Im Übrigen sind die Strafgefangenen mit sonstigen Arbeiten für die öffentliche Verwaltung, mit gemeinnützigen Arbeiten oder mit der Erzeugung von Gegenständen zum Vertrieb sowie mit Arbeiten für Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft oder für andere private Auftraggeber zu beschäftigen.

Ordnungswidrigkeiten

Begriffsbestimmung

§ 107. (1) Eine Ordnungswidrigkeit begeht der Strafgefangene, der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes vorsätzlich

1. die Anstalt verlässt oder sonst flüchtet;

...

7.

trotz Abmahnung eine ihm zugewiesene Arbeit nicht verrichtet;

8.

die Strafe nach einer Unterbrechung der Freiheitsstrafe oder nach einem Ausgang nicht unverzüglich wieder antritt;

              9.              sich einer im Strafvollzuge oder sonst für die Anstalt tätigen Person, einem Bediensteten der öffentlichen Verwaltung, einem Unternehmer, anderen privaten Auftraggeber (§ 45 Abs. 2) oder einem seiner Bediensteten oder einem Besucher gegenüber ungebührlich benimmt; oder

              10.              sonst den allgemeinen Pflichten der Strafgefangenen nach § 26 zuwiderhandelt.

...

(4) Für Ordnungswidrigkeiten gelten im Verfahren erster Instanz die allgemeinen Bestimmungen sowie die §§ 31, 38, 44a Z 1 bis 3 und 5, 52 und 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, in der jeweils geltenden Fassung, soweit in diesem Unterabschnitt nicht anderes bestimmt ist. Der Versuch ist strafbar.

Strafvollzug in gelockerter Form

§ 126. (1) Strafgefangene, an denen zeitliche Freiheitsstrafen vollzogen werden, sind im Strafvollzug in gelockerter Form anzuhalten, soweit Einrichtungen für einen solchen Vollzug bestehen, diese Einrichtungen dadurch am besten genützt werden und zu erwarten ist, dass die Strafgefangenen die Lockerungen nicht missbrauchen werden.

(2) Im Strafvollzug in gelockerter Form sind den Strafgefangenen eine oder mehrere der folgenden Lockerungen zu gewähren:

1. Anhaltung ohne Verschließung der Aufenthaltsräume oder auch der Tore am Tage;

2. Beschränkung oder Entfall der Bewachung bei der Arbeit, auch außerhalb der Anstalt;

3. Verlassen der Anstalt zum Zweck der Berufsausbildung und - fortbildung oder der Inanspruchnahme ambulanter Behandlungsmaßnahmen;

4. ein oder zwei Ausgänge im Sinne des § 99a im Monat auch zu anderen als den dort genannten Zwecken.

(3) Die Anordnung, dass ein Strafgefangener Arbeiten ohne Bewachung außerhalb der Anstalt und nicht für einen zur Anstalt gehörenden Wirtschaftsbetrieb zu verrichten hat (Freigang), darf nur mit Zustimmung des Strafgefangenen getroffen werden. Hiebei sowie in den Fällen des Abs. 2 Z. 3 und 4 ist auch anzuordnen, wann der Strafgefangene in die Anstalt zurückzukehren hat.

..."

§ 44a StVG lautet auszugsweise:

"Der Spruch hat, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu

enthalten:

1.

die als erwiesen angenommene Tat;

2.

die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist; ..."

Die Hauptargumentation des Beschwerdeführers gegen den erstangefochtenen Bescheid liegt darin, dass das als erwiesen erachtete Tatbild des § 107 Abs. 1 Z. 1 StVG nach dem festgestellten Sachverhalt nicht verwirklicht sei.

Schon damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:

§ 107 Abs. 1 Z. 1 StVG knüpft seine Strafdrohung daran, dass ein Strafgefangener "die Anstalt verlässt oder sonst flüchtet". Damit wird ein Vorsatzdelikt normiert, das darauf gerichtet sein muss, sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu entziehen. Aus dem gesondert vertypten Tatbild des § 107 Abs. 1 Z. 8 StVG (die Strafe nach Unterbrechung oder Ausgang nicht unverzüglich wieder anzutreten) und dem allgemeinen Verständnis des Ausdrucks "flüchten" in Z. 1 leg. cit. ist weiters zu folgern, dass die Flucht auf den Entzug der eigenen Person aus dem Strafvollzug (zumindest) nach dem Vorsatz des Täters ausgerichtet sein muss. Ein derartiger am 19. oder 23. Juli 2002 beim Beschwerdeführer erwiesener Vorsatz wurde allerdings weder für den Zeitpunkt des Verlassens der JA K. noch für einen späteren Zeitpunkt während der Ausübung des Freiganges (§ 126 Abs. 3 StVG) festgestellt. Der Sachverhalt reicht daher, zumal der Beschwerdeführer an beiden Tagen aus eigenem in die JA zurückgekehrt ist, zur schlüssigen Begründung der als erwiesen erachteten Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 1 StVG nicht aus.

Da somit entgegen § 107 Abs. 4 StVG iVm § 44a Z. 1 und 2 VStG die Voraussetzungen des von der belangten Behörde als erwiesen erachteten Straftatbestandes nicht geklärt waren, war der erstangefochtene Bescheid, ohne dass auf die weitere Argumentation der Beschwerde eingegangen werden musste, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die gegen den zweitangefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung der belangten Behörde beschränkt, erweist sich dagegen als unberechtigt:

Nach § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung zugänglich, als es sich um deren Schlüssigkeit - also die Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut - oder darum handelt, ob die gewürdigten Beweise in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Beweiswürdigung der Behörde ist schlüssig, wenn alle zum Beweis oder zur Widerlegung strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden und die Behörde bei der Würdigung dieser Umstände (bzw. bei Gewinnung ihrer Schlussfolgerungen) deren Gewicht (auch im Verhältnis untereinander) nicht verkannt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 99/20/0107, mit weiterem Nachweis der Vorjudikatur).

Die Unrichtigkeit des behaupteten Entzuges von Schreibmaterial im Zeitraum vom 29. Juli bis zum 1. August 2002 wurde überzeugend aus den übereinstimmenden Berichten des Major H. vom 27. August und vom 7. Oktober 2002 sowie aus der Sachverhaltsdarstellung des Oberst E. vom 6. August 2002 abgeleitet. Danach verfügte der Beschwerdeführer jederzeit über ausreichendes Schreibmaterial.

Weiters ist in diesem Zusammenhang auf die im Akt erliegenden vom Beschwerdeführer handschriftlich verfassten Eingaben vom 29. Juli 2002 (an den Leiter der JA K.) sowie vom 31. Juli und vom 1. August 2002 (jeweils an den Präsidenten des Landesgerichtes K.) zu verweisen. Dem in der Beschwerde gerügten Begründungsmangel, die behaupteten Eingaben seien datumsmäßig nicht konkretisiert worden, fehlt somit klar die Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

Der Beschwerde ist es daher nicht gelungen, die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit des zweitangefochtenen Bescheides darzutun, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 59 Abs. 3 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren zur Zl. 2005/06/0047 war abzuweisen, weil zufolge des § 48 Abs. 1 VwGG der Schriftsatzaufwand nur einmal zuerkannt werden kann.

Wien, am 26. April 2005

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005060047.X00

Im RIS seit

23.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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