Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 7.November 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Liebetreu als Schriftführer in der Strafsache gegen Martin A wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29.Juni 1978, GZ. 20 e Vr 8212/77-47, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Regner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 2 Jahre herabgesetzt. Gemäß dem § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 16.Oktober 1950 geborene beschäftigungslose jugoslawische Staatsangehörige Martin A wurde von der Staatsanwaltschaft Wien des am 1.Oktober 1977 in Klosterneuburg an Herbert B erfolgten Verbrechens des versuchten Raubs nach den § 15, 142 Abs. 1, 143 StGB. angeklagt. Die auf Grund dieser Anklage vom Schwurgerichtshof gestellte Hauptfrage, ob Martin A am 1.Oktober 1977 in Klosterneuburg durch Ansetzen einer Gaspistole und Abgabe von mindestens drei Schüssen, Versetzen von Schlägen mit der Hand und mit einem Pistolenknauf sowie Tritten und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben Herbert B eine Bockbüchsflinte mit dem Vorsatz abzunötigen versucht habe, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wurde von den Geschwornen im Stimmenverhältnis von 2 : 6 verneint.
Die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage gestellte erste 'Eventualfrage', ob Martin A zu dem genannten Zeitpunkt und am bezeichneten Ort irrtümlich einen gegenwärtigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich abwehrte, indem er gegen Herbert B die in der ersten Hauptfrage bezeichneten Gewaltakte setzte, wurde von den Geschwornen stimmeneinhellig verneint. Die weitere für den Fall der Bejahung der ersten 'Eventualfrage' gestellte zweite Eventualfrage, ob der Angeklagte durch das Verhalten gegenüber Herbert B diesen fahrlässig am Körper verletzt habe, blieb unbeantwortet. Schließlich bejahten die Geschwornen stimmeneinhellig die für den Fall der Verneinung der ersten 'Eventualfrage' gestellte dritte Eventualfrage, ob Martin A am 1.Oktober 1977 in Klosterneuburg Herbert B durch Abgabe von mindestens drei Schüssen mit einer Gaspistole, Versetzen von Schlägen mit der Hand und dem Pistolenknauf sowie durch Tritte vorsätzlich am Körper schwer verletzte. Auf Grund dieses Wahrspruchs der Geschwornen wurde der Angeklagte des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt.
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z. 5 und 6 des § 345 Abs. 1
StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht gerechtfertigt. Unter Berufung auf den erstgenannten Nichtigkeitsgrund bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung des von der Staatsanwaltschaft gestellten und von ihm unterstützten Antrags auf Durchführung eines Lokalaugenscheins zu gleichen Dämmerungszeiten sowie gleichen Beleuchtungs- und Sichtverhältnissen wie zum Tatzeitpunkt, weil es unmöglich erscheine, daß der Angeklagte den Lauf des Gewehrs des Försters nicht genau gesehen habe (S. 335 d.A.). Diesen Antrag wies der Schwurgerichtshof mit der Begründung ab, die Beleuchtungsverhältnisse seien nicht rekonstruierbar, weil sie nicht nur vom Grad des Tageslichts bzw. der Dämmerung, sondern auch vom Zustand der Belaubung und den Windverhältnissen abhängen. Im übrigen bestünde zwischen der Aussage des Angeklagten und jener des Zeugen B kein Widerspruch darüber, daß eine erhebliche Dämmerung geherrscht und daß auch der Zeuge den Angeklagten erst aus kürzester Distanz wahrgenommen habe. überdies könne die Verantwortung des Angeklagten, daß er nur auf den Lauf geblickt habe, nicht widerlegt werden (S. 335 d.A.).
Die Argumentation des Erstgerichts ist zutreffend.
Die Vielzahl der Einflüsse, denen der Zeuge B und der Angeklagte im Zeitpunkt ihrer Begegnung in bezug auf ihre Sichtmöglichkeiten ausgesetzt waren, lassen sich nicht mehr einwandfrei rekonstruieren. Selbst dann, wenn der Lokalaugenschein zu einer Zeit durchgeführt worden wäre, bei denen annähernd die gleichen Sichtverhältnisse wie zur Tatzeit geherrscht hätten, wäre nicht präzis klärbar gewesen, ob die Lichtverhältnisse zur Tatzeit dem Angeklagten besondere Umstände, wie z.B. die genaue Lage der Waffe des ihm entgegenkommenden Försters, in ebensolcher Weise erkennen ließen wie im Zeitpunkt des Lokalaugenscheins. Im übrigen konnten die Geschwornen ohnedies aus den diesbezüglich nicht divergierenden Aussagen der betroffenen Personen erkennen, daß zur Tatzeit eine starke Dämmerung herrschte, die den Angeklagten aber nicht hinderte, das Gewehr des Försters zu sehen. Durch die Abweisung des Beweisantrages konnte der Angeklagte daher in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt worden sein, weshalb der angeführte Nichtigkeitsgrund nicht vorliegt.
Aber auch der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer meint hiezu, der Grundfehler in der Fragestellung an die Geschwornen liege darin, daß die zweite Frage unrichtig als Eventualfrage statt als Zusatzfrage im Sinne des § 313 StPO.
bezeichnet worden sei. Denn mit Rücksicht auf die Verneinung der Hauptfrage nach versuchtem Raub hätte die Beantwortung der Zusatzfrage an dieser Stelle entfallen müssen.
Die als erste Eventualfrage (richtig Zusatzfrage) gestellte Frage wäre aber erst nach der nach Vorliegen des Vergehens der schweren Körperverletzung gestellten dritten Eventualfrage zu stellen gewesen, da diese Zusatzfrage nur für den Fall der Bejahung der Eventualfrage beantwortet werden konnte. Die verfehlte Fragestellung sei geeignet gewesen, den Geschwornen 'zusätzliche Schwierigkeiten' zu bereiten.
Zunächst bedeutet - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - die unrichtige Bezeichnung einer Frage genau so wenig eine Nichtigkeit wie die Stellung einer an sich richtigen Frage an einer falschen Stelle, wenn diese Vorgänge nicht geeignet sind, die Geschwornen zu verwirren.
Das trifft aber hier nicht zu. Die Geschwornen haben die an sie gestellte Frage, ob der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Handlungen irrtümlich in Notwehr begangen habe, stimmeneinhellig verneint, was sie übrigens in ihrer Niederschrift damit begründeten, daß der Zeuge B das Gewehr nicht in Anschlag gehabt habe. Das taten sie trotz der ihnen durch die Rechtsmittelbelehrung verschafften Kenntnis, daß ein Täter, der irrtümlich meint, er befinde sich in einer Notwehrsituation, dennoch strafbar ist, wenn er aus Fahrlässigkeit eine solche tatsächlich nicht vorliegende Notwehrsituation angenommen oder wenn er aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken ebenfalls fahrlässig das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient hat.
Wenn der Beschwerdeführer nunmehr ausführt, daß die Geschwornen die Frage nach dem Bestehen einer vermeintlichen Notwehrlage nur deshalb verneint haben könnten, weil diese Frage innerhalb des Fragenschemas unrichtig gereiht wurde, läßt er eben außer acht, daß die Geschwornen die erste 'Eventualfrage' verneinten, obwohl sie, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, wußten, daß auch im Falle der Bejahung der ersten Eventualfrage der Angeklagte nicht freigesprochen werden müßte. Sie haben mit ihrer Fragebeantwortung klar zum Ausdruck gebracht, daß ihrer Ansicht nach die Handlungen des Angeklagten auch nicht in einer vermeintlichen Notwehrsituation gesetzt wurden, d.h.
also, daß er sich ihrer Auffassung gemäß nicht angegriffen fühlte, sondern die von ihnen schließlich bejahte schwere Körperverletzung in dem Bewußtsein beging, hiezu in keiner Weise genötigt zu werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten gemäß dem § 84 Abs. 1 StGB. eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 1/2 Jahren. Es wertete als mildernd keinen Umstand, als erschwerend hingegen die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und die überaus schwere Verletzung des Tatopfers.
Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Sie ist gerechtfertigt.
Bei der Bemessung der Strafe ist dem Angeklagten der Umstand zugute zu halten, daß er bei der Tat infolge entsprechender Abwehrmaßnahmen des Angegriffenen selbst schwer verletzt wurde. Zuzugeben ist ihm auch, daß er bisher nur einmal und nicht, wie das Erstgericht angenommen hat, mehrmals einschlägig vorbestraft ist. Hingegen kann entgegen seiner Behauptung nicht angenommen werden, daß er die Tat nur aus Unbesonnenheit und unter Umständen begangen habe, die einem Schuldausschließungsgrund nahekamen. Ebenso kann der Erschwerungsgrund der Schwere der Verletzung nicht in Wegfall kommen, weil die zugefügte schwere Verletzung an sich strafsatzqualifizierend wirkte, die Tatsache aber, daß das Opfer eine Körperverletzung mit einer nicht zusätzlich nach dem § 85 StGB. qualifizierten Dauerfolge erlitten hat, einen gesonderten Erschwerungsumstand bildet.
So gesehen war die etwas überhöht ausgesprochene Freiheitsstrafe auf ein dem Unrechtsgehalt der Tat und dem Verschulden des Täters entsprechendes Maß herabzusetzen.
Der Kostenausspruch beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E01600European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0110OS00160.78.1107.000Dokumentnummer
JJT_19781107_OGH0002_0110OS00160_7800000_000