Norm
KO §7 Abs1Kopf
SZ 51/150
Spruch
Zu den Auswirkungen der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Kfz-Halters auf den gegen diesen und den Haftpflichtversicherer gemeinsam geführten Schadenersatzprozeß. Ein nach Unterbrechung des Rechtsstreites gefälltes Urteil ist nichtig
Der Grundsatz, daß das Gericht über ein während der Unterbrechung des Rechtsstreites eingebrachtes Rechtsmittel nicht zu entscheiden hat, gilt nicht, wenn eine Partei die Erlassung einer trotz Verfahrensunterbrechung gefällten Entscheidung bekämpft.
OGH 8. November 1978, 8 Ob 165/78 (OLG Innsbruck 2 R 234/77; LG Innsbruck 5 Cg 194/77)
Text
Am 10. Juni 1972 wurde in S Friedrich A als Lenker eines Motorrades bei einem Zusammenstoß mit dem von Wolfgang G gelenkten LKW getötet. Der erstbeklagte Gemeinschuldner Josef P ist Halter und die Zweitbeklagte Haftpflichtversicherer dieses LKW.
Mit der am 16. Mai 1977 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Pensionsversicherung gemäß § 332 ASVG vom Lenker Wolfgang G sowie von Josef P und von der Zweitbeklagten unter Einräumung eines Mitverschuldens ihres beim Unfall getöteten Versicherten zu einem Fünftel Ersatz der an die Witwe des Versicherten, Johanna A, erbrachten Pflichtleistungen von 56 679.60 S sowie Feststellung der Haftung der genannten Beklagten für künftige Pflichtleistungen der Klägerin an die Witwe ihres Versicherten im Rahmen des Deckungsfonds und der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Versicherten zu einem Fünftel.
Die Klage gegen den Lenker Wolfgang G konnte nicht zugestellt werden. Einen zur Fortführung des Verfahrens gegen den beklagten Lenker entsprechenden Antrag hat die Klägerin nicht gestellt.
Das Erstgericht gab der Klage gegen Josef P und gegen die Zweitbeklagte statt.
Noch vor Zustellung des Urteiles des Erstgerichtes wurde am 12. August 1977 über das Vermögen des Gemeinschuldners Josef P der Konkurs eröffnet.
Der Vertreter des Gemeinschuldners und der Zweitbeklagten erhob gegen das ihm am 16. August 1977 zugestellte Urteil des Erstgerichtes Berufung. In der Berufungsverhandlung erklärte er, die Berufung des Gemeinschuldners im Hinblick auf die Konkurseröffnung zurückzuziehen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes in Ansehung des gegen die Zweitbeklagte gerichteten Begehrens hinsichtlich des Zuspruches von 50 799.60 S sowie im Ausspruch über das Feststellungsbegehren und änderte es hinsichtlich des Teilzuspruches von 5880 S im Sinne der Abweisung der Klage ab.
Es führte zur Frage der möglichen Wirkungen der Konkurseröffnung über das Vermögen des erstbeklagten Josef P auf das Verfahren gegen die Zweitbeklagte aus, Haftpflichtversicherer und Halter bildeten nach neuerer Ansicht keine einheitliche Streitpartei, zumindest nicht insoweit, als dies die Wirkungen des § 63 Abs. 3 KFG erforderten. Daher wirke die Unterbrechung des Rechtsstreites gegen den erstbeklagten Gemeinschuldner durch die Konkurseröffnung nicht auf die Zweitbeklagte.
Die dagegen von der Zweitbeklagten erhobene Revision und die hiezu von der Klägerin erstattete Revisionsbeantwortung wies der OGH mit Beschluß vom 31. Jänner 1978, 8 Ob 211/77 (veröffentlicht in EvBl. 1978/123), zurück. Er führte darin im wesentlichen aus, der erstbeklagte Halter und die zweitbeklagte Haftpflichtversicherin bildeten im vorliegenden Haftpflichtprozeß eine einheitliche Streitpartei, so daß durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des erstbeklagten Gemeinschuldners der Haftpflichtprozeß nicht nur in Ansehung dieses Beklagten, sondern im Sinne des § 7 Abs. 1 zweiter Satz KO auch des mitbeklagten Haftpflichtversicherers, der Zweitbeklagten, unterbrochen worden sei. Die Rechtsmittelschriften seien zurückzuweisen, weil in deren Einbringung eine Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens nicht erblickt werden könne. Eine solche Aufnahme wäre nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 7 Abs. 2 und 3 KO und des § 164 ZPO möglich. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung EvBl. 1978/123 verwiesen.
Nach Zustellung des oben genannten Beschlusses des OGH stellte die Klägerin den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch Zustellung des Urteiles des Berufungsgerichtes an den Masseverwalter im Konkurse des erstbeklagten Gemeinschuldners.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes im stattgebenden Teil richtet sich nunmehr die Revision des erstbeklagten Masseverwalters aus den Anfechtungsgrunden des § 503 Z. 1 und 4 ZPO mit den Anträgen, das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben, oder es dahin abzuändern, daß die Klage zur Gänze abgewiesen, allenfalls der Klägerin nur 23 599.60 S zugesprochen werden, oder es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Masseverwalters Folge und hob das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als damit das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich der Feststellung der Haftung der Partei und der Verurteilung der zweitbeklagten Partei zur Zahlung von 50 799.60 S samt Anhang bestätigt wurde, sowie im Kostenanspruch und in diesem Umfange auch die dieser Entscheidung vorausgegangene Berufungsverhandlung als nichtig auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Legitimation des erstbeklagten Masseverwalters zur Revision ist zu bejahen, obwohl sie sich nur gegen ein gegen die zweitbeklagte Haftpflichtversicherin ergangenes Urteil der zweiten Instanz richtet. Wie bereits oben dargelegt wurde, bilden der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte im vorliegenden Verfahren eine einheitliche Streitpartei mit der Wirkung, daß das gegen sie anhängig gemachte Verfahren - ohne entsprechende Parteidisposition - nicht in einzelne Verfahren aufgelöst werden kann (vgl. EvBl. 1978/123 und die dort angeführte Rechtsprechung) und gegen sie eine einheitliche Entscheidung zu fällen ist (SZ 42/96). Jeder Streitgenosse ist insoweit auch zur Erhebung eines Rechtsmittels zu Gunsten des anderen Streitgenossen berechtigt und der Erfolg des Rechtsmittels des einen wirkt auch zu Gunsten des anderen Streitgenossen (vgl. Fasching II, 200).
Die Revision des erstbeklagten Masseverwalters ist auch rechtzeitig und insoweit zulässig, als sich dieser durch die trotz Verfahrensunterbrechung erfolgte gerichtliche Entscheidung beschwert erachtet. Nach § 163 Abs. 2 ZPO sind zwar die von einer Partei während der Unterbrechung des Verfahrens vorgenommenen Prozeßhandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung, was bedeutet, daß das Gericht solche Prozeßhandlungen schon zum Gegenstand seiner Verfügung machen muß; es muß sie zurückweisen oder als der Partei gegenüber unwirksam erklären. Das Gericht hat daher über ein nach Eintritt der Unterbrechung des Verfahrens eingebrachtes Rechtsmittel, solange das Verfahren nicht gehörig aufgenommen wurde, nicht sachlich zu entscheiden, sondern mit der Zurückweisung der erstatteten Rechtsmittelschriften vorzugehen (vgl. Fasching II, 793 ff.; SZ 41/93; SZ 43/158 u. a.).
Wie bereits in der Entscheidung EvBl. 1978/123 kurz hingewiesen wurde, erleidet dieser Grundsatz allerdings dort eine Durchbrechung, wo sich eine Partei durch eine trotz Verfahrensunterbrechung erfolgte gerichtliche Entscheidung beschwert erachtet. Dem erstbeklagten Masseverwalter kann nicht verwehrt werden, die ihm zugestellte Entscheidung der zweiten Instanz insoweit anzufechten, als er einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 KO geltend macht. Darin liegt nicht eine Weiterführung des unterbrochenen Verfahrens "in Ansehung der anhängigen Streitsache" im Sinne des § 163 Abs. 2 ZPO. Das eingebrachte Rechtsmittel strebt insoweit im Gegenteil die Beseitigung einer infolge ungerechtfertigter Weiterführung des unterbrochenen Verfahrens gefällte gerichtlichen Entscheidung an (vgl. Fasching II, 793 ff.; EvBl. 1962/73; EvBl. 1971/59; SZ 45/19). Da die Rechtswirkungen der ex lege eingetretenen Unterbrechung nur durch eine den Bestimmungen der §§ 7 Abs. 2 und 3 KO und § 164 ZPO entsprechenden Aufnahme des Verfahrens - Anmeldung der Forderung im Konkurs und Abschluß des Prüfungsverfahrens - hätte beseitigt werden können, eine derartige Aufnahme des Verfahrens aber nicht erfolgt ist, leidet das nach Eintritt der Unterbrechung des Rechtsstreites gefällte Urteil der zweiten Instanz und auch die dieser Entscheidung vorausgegangene Berufungsverhandlung an dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO (vgl. Fasching II, 793 Anm. 4; JBl. 1972, 578). Diese Nichtigkeit kann allerdings nur im Rahmen der Anfechtung wahrgenommen werden. Wenn die Klägerin in der Revisionsbeantwortung darauf verweist, daß diese Nichtigkeit vom OGH bereits in seiner Entscheidung 8 Ob 211/77, EvBl. 1978/123, hätte wahrgenommen werden müssen, wenn sie vorgelegen hätte, ist dem entgegenzuhalten, daß die Wahrnehmung der Nichtigkeit ein zulässiges Rechtsmittel zur Voraussetzung hat. Da die Zweitbeklagte mit der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Revision das Urteil des Berufungsgerichtes nicht wegen eines Verstoßes gegen die Verfahrensunterbrechungsbestimmungen des § 7 Abs. 1 KO angefochten hat, lag - wie in der angeführten Entscheidung ausgeführt wurde - ein zulässiges Rechtsmittel nicht vor.
Der auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z. 1 ZPO gestützten Revision war daher im Umfange der Anfechtung Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung
Z51150Schlagworte
Gerichtsentscheid trotz Verfahrensunterbrechung, Konkurseröffnung, Auswirkungen auf ProzeßEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0080OB00165.78.1108.000Dokumentnummer
JJT_19781108_OGH0002_0080OB00165_7800000_000