Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 1978
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neutzler in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Harbich, Dr. Bernardini, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Brachtel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alois A wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 16. August 1978, GZ. 29 Vr 4194/77-47, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Sugar und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:
510 Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem Punkt I des Schuldspruchs (wegen Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB) und im Freispruch unberührt bleibt, im Punkt II (Schuldspruch wegen Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB) und demgemäß auch im Ausspruch über die Strafe sowie im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 28-jährige Maurer Alois A des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB (Punkt I des Schuldspruches; ergangen in Erledigung der auf Verbrechen der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB lautenden Anklage) und des Vergehens der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB (Punkt II des Schuldspruchs) schuldig erkannt, weil er I. am 5. Dezember 1977 in Kundl die Ingrid B mit Gewalt, nämlich dadurch, daß er sie in seinem Zimmer einschloß, auf ein Bett warf, sie gewaltsam entkleidete, ihr den rechten Arm verdrehte, als sie schreien wollte den Mund zuhielt, sich auf sie legte und den Geschlechtsverkehr durchführte, zum außerehelichen Beischlaf genötigt hat und II. in der Zeit vom 25. April 1976 bis 11. Februar 1977 seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht durch Nichtzahlung der Unterhaltsbeiträge gröblich verletzt und dadurch bewirkt hat, daß der Unterhalt seines minderjährigen unehelichen Kindes Gerhard C, geboren am 23. Mai 1969 ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre. Der Angeklagte bekämpft diese Schuldsprüche mit Nichtigkeitsbeschwerde unter Geltendmachung der Ziffer 4, 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO Soweit sich dieses Rechtsmittel gegen den Punkt I des Schuldspruches wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB richtet, ist es nicht berechtigt, wohl aber bezüglich des Punkts II des Schuldspruchs wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen zum Faktum I des angefochtenen Schuldspruchs lernte der Angeklagte am 5. Dezember 1977 (zwei Tage, nachdem er nach Verbüßung einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf freien Fuß gesetzt worden war) im Rasthaus D die nach der Aktenlage zur Tatzeit 18 1/2 Jahre alte Serviererin Ingrid B kennen. Er lud sie, ihre Freundin Franziska E sowie das Ehepaar Ferdinand und Gisela F, in dessen Gesellschaft er sich befunden hatte, in sein Zimmer ein und bewirtete sie dort. Nach einiger Zeit verließen die Eheleute F das Zimmer und veranlaßten auch Franziska E zum Mitgehen, um dem Angeklagten ein Alleinsein mit Ingrid B zu ermöglichen. Dieser sperrte sodann die Tür des Zimmers ab. Franziska E, die Ingrid B nicht hatte allein lassen wollen, versuchte von außen durch heftiges Rütteln an der Türe und durch Rufen ihrer Freundin zu Hilfe zu kommen. Als diese Bemühungen erfolglos blieben, rief sie, daß sie Geld zum Telefonieren benötige, um unter diesem Vorwand in das Zimmer zu kommen. Der Angeklagte öffnete nun kurz die Türe und warf der E Geld zu, ohne ihr aber Gelegenheit zum Eintreten in das Zimmer zu geben. Daraufhin begab sich E zur Gendarmerie, wo sie aber niemanden antraf (S 37).
Im Zimmer hinderte der Angeklagte Ingrid B durch Zuhalten ihres Mundes am Schreien, warf sie auf den Diwan, entkleidete sie gegen ihren Widerstand, wobei er ihren rechten Arm, an welchem sie damals an einer Sehnenscheidenentzündung litt, zurückbog, sich auf ihren linken Arm kniete und ihre zusammengepreßten Schenkel gewaltsam auseinanderspreizte, um sodann trotz heftiger Gegenwehr den Geschlechtsverkehr an ihr zu vollziehen.
Diese Feststellungen gründete das Schöffengericht auf die als glaubwürdig angesehene Aussage der Zeugin Ingrid B, die es teilweise auch durch jene der Franziska E unterstützt erachtete. Weiters bezog sich das Erstgericht auf das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. G, bei dem Ingrid B den Vorfall gleichlautend wie vor Gericht geschildert hatte, worauf der Sachverständige zur Schlußfolgerung kam, daß die von der Zeugin B als Folge des erzwungenen Geschlechtsverkehrs angegebenen Erscheinungen in Form von Erbrechen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Angst und depressiver Reaktion, vom medizinischen Standpunkt glaubwürdig als eine schwere seelische Belastung anzusehen seien. Das Schöffengericht schenkte demnach der gegenteiligen Verantwortung des Angeklagten, der behauptet hatte, Ingrid B habe mit ihm freiwillig geschlechtlich verkehrt, keinen Glauben.
Rechtlich beurteilte das Gericht diesen Sachverhalt als Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1
StGB Es ging dabei von der Rechtsansicht aus, daß eine Frau nur dann widerstandsunfähig im Sinne des § 201 Abs. 1
StGB sei, wenn sie in den Zustand der Wehrlosigkeit versetzt werde. Ein solcher Zustand sei nur dann anzunehmen, wenn sich die angegriffene Person in einer extremen Lage der Hilflosigkeit befinde, in der ihre Willenstätigkeit aufgehoben, ihr Wille also gelähmt sei (S 237). Das Gericht vermeinte nun, die Verfahrensergebnisse ließen keineswegs erkennen, daß der Angeklagte etwas unternommen habe, um den außerehelichen Beischlaf an Ingrid B unter Ausnützung einer extremen Lage der Hilflosigkeit, in der ihr Wille gelähmt gewesen sei, vollziehen zu können (S 238). Es erblickte daher in dem von der Staatsanwaltschaft als Verbrechen der Notzucht nach § 201 Abs. 1
StGB unter Anklage gestellten Vorfall in objektiver und subjektiver Richtung das Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB, weil dieses Delikt derjenige begehe, dessen Absicht nicht auf überwältigung gerichtet sei, sondern der 'etwa durch eine, wenn auch gewaltsame, körperliche Berührung die Sinnlichkeit der betreffenden Frau erregen oder ihr von ihm vermutetes inneres Schwanken bezüglich der Bereitschaft zu einem Geschlechtsverkehr in die gewünschte Richtung lenken und dadurch zu einem letzten Endes doch freiwilligen Geschlechtsverkehr gelangen will' (S 237).
Aus dem Grunde der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung seiner vom Erstgericht gestellten Beweisanträge auf 1.) Vornahme eines Lokalaugenscheins zum Beweise dafür, daß die Bewohner des Hauses Hilferufe gehört hätten, wenn solche erfolgt wären und 2.) auf Vernehmung der Zeugen Julius D und Doris H darüber, daß der Angeklagte mit ihnen bereits am nächsten Tag von seiner geschlechtlichen Beziehung zu Ingrid B erzählt habe (S 227). Beide Beweisanträge wurden zu Recht abgewiesen; Verteidigungsrechte wurden nicht beeinträchtigt. Die Zeugin B war nach den Feststellungen des Erstgerichtes zunächst am Schreien gehindert und sodann derart eingeschüchtert, daß sie nur mehr weinte und zitterte (S 238). Ein Lokalaugenschein hätte zur weiteren Aufklärung nichts beitragen können.
Ähnliches gilt für die beantragte Vernehmung der Zeugen D und H. Diese waren, wie sich schon aus dem vom Beschwerdeführer in seinem Antrag angeführten Beweisthema ergibt, nicht Zeugen der Tat und somit auch nicht in der Lage, eigene Wahrnehmungen zu machen. Welche Mitteilungen der Angeklagte ihnen nachher über den gegenständlichen Vorfall machte, ist nicht entscheidend; wurde er doch vom Gericht als unglaubwürdig bezeichnet und als durch die Beweisergebnisse widerlegt erachtet, sodaß eine für ihn günstige Darstellung des inkriminierten Vorfalles die Urteilsfeststellung hierüber nicht ausschließt, zumal es auf der Hand liegt, daß er sich Dritten gegenüber nicht eines Verbrechens beschuldigt hat.
In seiner Mängelrüge wirft der Beschwerdeführer dem Erstgericht Unvollständigkeit der Urteilsbegründung vor und wiederholt seine eigene Verantwortung über die Freiwilligkeit des Verhaltens der Ingrid B. Diese Ausführungen stellen sich als ein im Nichtigkeitsverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung dar und müssen unbeachtet bleiben.
Das Erstgericht hat sich mit der Verantwortung des Angeklagten und den dieser entgegenstehenden Verfahrensergebnissen ausreichend auseinandergesetzt und ist damit seiner Begründungspflicht im Sinne des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO nachgekommen. Entgegen den Beschwerdeausführungen hat es die Feststellung, der Angeklagte habe der Ingrid B den Mund zugehalten, nicht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G gestützt, sondern zur Begründung, warum es der Aussage dieser Zeugin Glauben schenkte, darauf verwiesen, daß deren Angaben sowohl vor dem Gericht als auch beim Sachverständigen übereinstimmten und hat damit einen durchaus zulässigen Akt der ihm allein gemäß § 258 Abs. 2 StPO zustehenden freien Beweiswürdigung gesetzt. Nicht von entscheidender Bedeutung ist schließlich der Zeitpunkt der Strafanzeige über diesen inkriminierten Vorfall, weshalb sich das Erstgericht damit auch nicht gesondert auseinandersetzen mußte.
Rechtliche Beurteilung
Auch die Mängelrüge erweist sich somit als unberechtigt. In der auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO gestützten Rechtsrüge bekämpft der Angeklagte die Beurteilung, sein Verhalten sei tatbestandsmäßig im Sinne des § 202 Abs. 1 StGB, weil das Erstgericht festgestellt habe, er habe lediglich durch körperliche Berührung versucht, das Schwanken der Ingrid B in die Richtung eines freiwilligen Geschlechtsverkehrs zu lenken; mangels einer Nötigungshandlung hätte das Erstgericht mit einem Freispruch vorgehen sollen. Auch die Rechtsrüge ist im Ergebnis für den Angeklagten nicht zielführend.
§ 201 Abs. 1 StGB setzt objektiv eine Gewaltanwendung (Drohung mit Gewalt trifft vorliegend nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht zu) in einem derartigen Ausmaß voraus, daß das Opfer dadurch widerstandsunfähig geworden, ihm dadurch ein weiterer Widerstand unmöglich oder unzumutbar ist, oder ihm aussichtslos erscheint. Es muß sich also um eine Lage extremer Hilflosigkeit handeln. Subjektiv ist ein Vorsatz erforderlich, der die Herbeiführung der Widerstandsunfähigkeit und die Vollziehung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs umfassen muß. Des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB macht sich hingegen schon schuldig, wer durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Frau zu einem von ihr nicht gewollten und nicht erwünschten Geschlechtsverkehr in einem vom Täter herbeigeführten Zustand nötigt, in dem sie noch nicht zur Gänze widerstandsunfähig ist. Es muß durch das Verhalten des Täters im Falle der Notzucht der Wille der Frau zum Widerstand somit gebrochen, im Falle der Nötigung zum Beischlaf hingegen nur gebeugt worden sein. Der Vorsatz (auch dolus eventualis genügt), muß sich auf alle Tatumstände beziehen.
Vorliegend hat das Erstgericht nun aber deutlich erkennbar festgestellt, daß der Angeklagte in der Absicht, mit Ingrid B geschlechtlich zu verkehren, diese auf den Diwan warf, ihr den Mund zuhielt, um sie am Schreien zu hindern, ihren durch eine Sehnenscheidenentzündung erkrankten rechten Arm zurückbog, sich auf ihren linken Arm kniete, ihr die über- und Unterhose herunterzog, ihr gewaltsam die zusammengepreßten Schenkel auseinanderspreizte und sodann an ihr trotz heftiger Gegenwehr den Geschlechtsverkehr vollzog.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das urteilsmäßig festgestellte Verhalten des Angeklagten sogar den Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB erfüllt; durch die Beurteilung seiner Tat nach § 202 Abs. 1 StGB ist er jedoch keinesfalls benachteiligt worden (§ 282 Abs. 1 StPO). Wenn auch das Erstgericht die Annahme eines Vorsatzes auf Notzucht - was nach den Feststellungen des objektiven Sachverhaltes und der angenommenen Unglaubwürdigkeit der Verantwortung des Angeklagten nahe gelegen wäre - ablehnte, so ging es doch erkennbar von einem Nötigungsvorsatz aus (S 238 oben). Die Rechtsrüge des Angeklagten, er habe lediglich durch körperliche Berührung versucht, Ingrid B nur zum freiwilligen Geschlechtsverkehr 'zu lenken', weicht daher von den Feststellungen des Erstgerichts ab und bringt den angezogenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.
Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Punkt I des Schuldspruchs war daher ein Erfolg zu versagen.
Mit Recht weist zum Faktum II des Schuldspruches der Beschwerdeführer aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO aber darauf hin, daß von einer Verletzung der Unterhaltspflicht im Sinne des § 198 Abs. 1
StGB nur dann gesprochen werden kann, wenn der Verpflichtete überhaupt in der Lage ist, dieser Pflicht wenigstens teilweise nachzukommen. In dieser Richtung enthält das Urteil aber keinerlei Konstatierungen. Das Erstgericht setzt sich lediglich mit der Verantwortung des Angeklagten auseinander, Unterhaltszahlungen deshalb unterlassen zu haben, weil das Kind angeblich gegen seinen Willen einen anderen Namen erhalten habe (S 239). Da der Beschwerdeführer aber darüber hinaus auch vorbrachte, nach seiner Haftentlassung keine Erwerbsmöglichkeiten gehabt und auch bei Schwarzarbeiten nicht viel verdient zu haben, um seiner Unterhaltspflicht nachkommen zu können (S 215), hätte es insbesondere auch Feststellungen darüber bedurft, welches Einkommen er im fraglichen Zeitraum erzielte und ob dieses seinen eigenen notwendigen Unterhalt überstieg (EvBl. 1967/ 169 u.a.). Sollte sich herausstellen, daß dies nicht der Fall war, wird das Erstgericht im zweiten Rechtsgang allerdings auch noch zu klären haben, ob der Angeklagte die vorhandenen Verdienstmöglichkeiten ausgenützt oder es allenfalls (vorsätzlich) unterlassen hat, einem (zumutbaren) Erwerb nachzugehen, der ihm die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ermöglicht hätte (§ 198 Abs. 1 zweiter Satz StGB).
Es waren daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Punkt II des Schuldspruchs, die Aussprüche über die Strafe und die Vorhaftanrechnung aufzuheben und dem Erstgericht insoweit die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E01876European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0100OS00164.78.1115.000Dokumentnummer
JJT_19781115_OGH0002_0100OS00164_7800000_000