Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16.November 1978
unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pallin, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, Dr. Müller, Dr. Friedrich und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Loesch als Schriftführers in der Strafsache gegen Wilhelm A wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach dem § 107 (Abs. 1 und) Abs. 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengerichts vom 18. April 1978, GZ. 10 Vr 3.239/77-42, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Hans Georg Mondel und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Stöger, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus Anlaß dieser Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil in seinem Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft dahin ergänzt, daß dem Angeklagten Wilhelm A gemäß dem § 38 Abs. 1 Z. 1 StGB auch die Vorhaft vom 21.November 1977, 16 Uhr 50, bis zum 28.November 1977, 15 Uhr 00, auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wilhelm A 1.) des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs. 1 StGB und 2.) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach dem § 107 (Abs. 1 und) Abs. 2 StGB schuldig erkannt, weil er am 20.November 1977 in Lemsitz (bei St. Stefan ob Stainz, Steiermark) die Brigitte B zu 1.): mit Gewalt und gefährlicher Drohung, indem er sie auf ein Bett warf, ihr den Rock gewaltsam herunterzog, ihre Hände festhielt, mit seinen Füßen ihre Beine auseinanderpreßte und sie hiebei mit dem Umbringen bedrohte, zum außerehelichen Beischlaf nötigte und zu 2.): durch die öußerung, sie komme heute nicht mehr nach Graz, jedenfalls nicht mehr lebend, er bringe sie um, wobei er ihr ein Messer vorerst an den Hals und anschließend mit der Spitze gegen die Herzgegend drückte, mehrmals mit dem Tod gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.
Gegen diese Schuldsprüche richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, mit der er die Nichtigkeitsgründe der Z. 5 und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO geltend macht.
Rechtliche Beurteilung
In seiner auf den erstgenannten Nichtigkeitsgrund gestützten Rüge behauptet der Beschwerdeführer zwar eine Undeutlichkeit des angefochtenen Urteils sowie eine offenbar unzureichende Begründung im Ausspruch über entscheidende Tatsachen, in Wahrheit betrifft sein Vorbringen zur Mängelrüge jedoch durchwegs außerhalb des vom Schuldspruch wegen Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf und Vergehens der gefährlichen Drohung erfaßten Tatgeschehens gelegene und demnach nicht entscheidungswesentliche Umstände. So ist es für den Schuldspruch wegen der vorgenannten Delikte, die sich nach den durch die Verfahrensergebnisse gedeckten Urteilsfeststellungen erst am Nachmittag des 20.November 1977 ereigneten (vgl. S. 182 d.A.), letztlich ohne Belang, aus welchen Motiven Brigitte B den Angeklagten am 19.November 1977 aufsuchte; desgleichen fallen widersprüchliche Angaben dieser Zeugin zur Frage der Freiwilligkeit des mit dem Angeklagten in der Nacht zum 20.November 1977 durchgeführten Geschlechtsverkehrs, der weder Gegenstand der Anklage noch des vorliegenden Schuldspruchs ist, nicht entscheidend ins Gewicht, zumal Brigitte B ihre ursprünglichen, von ihrer späteren Darstellung abweichenden Angaben vor der Gendarmerie über den Ablauf des Tatgeschehens schon vor dem Untersuchungsrichter und auch in der Hauptverhandlung mit dem Hinweis auf eine offensichtliche Verwechslung der Vorfälle in der Nacht zum 20.November 1977 mit denen am Nachmittag dieses Tages ausreichend klarstellen konnte und bei ihren gerichtlichen Einvernahmen bekundete, daß der Geschlechtsverkehr in der Nacht zum 20.November 1977 vom Angeklagten weder durch Gewaltanwendung noch durch Drohung erzwungen worden sei. Es erübrigte sich aber auch ein von der Beschwerde in den Urteilsgründen vermißtes näheres Eingehen auf die Frage, weshalb die Zeugin B den Angeklagten auf Grund seines vorangegangenen Verhaltens nicht schon am Vormittag des 20.November 1977 verlassen hatte. Denn von einem Begründungsmangel im Sinn der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO kann in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rede sein, weil das Erstgericht gemäß dem § 270 Abs. 2 Z. 5 StPO keineswegs verhalten ist, in den Entscheidungsgründen alle durch das Beweisverfahren hervorgekommenen Umstände zu erörtern;
es genügt vielmehr, wenn das Gericht im Urteil in gedrängter Darstellung die für die Unterstellung unter ein bestimmtes Strafgesetz oder für den anzuwendenden Strafsatz entscheidenden Tatsachen bezeichnet, die es als erwiesen annimmt, und jene Gründe angibt, die zur überzeugung von der Richtigkeit dieser Annahme führten. Dieser Verpflichtung kam das Erstgericht im ausreichenden Maß nach. Soweit hingegen der Beschwerdeführer mit seiner Mängelrüge darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin B zu erschüttern, und darzutun sucht, das Erstgericht habe die von dieser Zeugin gegebene Darstellung des Tatgeschehens zu Unrecht als Feststellungsgrundlage herangezogen, bekämpft er - abgesehen davon, daß das Gericht die entscheidenden Tatsachenfeststellungen auch auf die Depositionen der Zeuginnen Christine C und Eveline A stützen konnte (vgl. S. 189 und 192 d.A.) - in einer im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen und daher unbeachtlichen Weise die freie Beweiswürdigung des Schöffengerichtes.
Die Mängelrüge des Beschwerdeführers erweist sich demnach als nicht stichhältig.
Es kommt aber auch seiner auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Rechtsrüge mit dem darin enthaltenen Vorwurf, das Erstgericht habe rechtsirrig Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11
StGB zur Tatzeit verneint, keine Berechtigung zu:
In den Urteilsgründen wurden mit eingehender Bezugnahme auf das eingeholte schriftliche und in der Hauptverhandlung auch mündlich vorgetragene Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Richard D (vgl. ON. 31 und S. 173, 174 d.A.) ausführlich und mängelfrei alle Erwägungen dargelegt, die das Erstgericht zur Annahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten zur Tatzeit bestimmten. Diese Erwägungen finden in dem vorerwähnten Gutachten hinlänglich Deckung. Darin wird der Angeklagte zwar als eine labile, zur polytropen Kriminalität neigende Persönlichkeit mit Anpassungsstörungen bezeichnet, der psychiatrische Sachverständige verneinte jedoch ausdrücklich eine Geisteskrankheit und bejahte vielmehr die generelle strafrechtliche Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Begehung der ihm zur Last fallenden Straftaten. Aus diesem Grund schlägt auch die Behauptung des Beschwerdeführers nicht durch, bei ihm sei zur Tatzeit eine andere (einer Geisteskrankheit, einem Schwachsinn oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung) gleichwertige schwere seelische Störung vorgelegen, die seine strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen habe. Denn der psychiatrische Sachverständige berücksichtigte in seinem vom Erstgericht als unbedenkliche Feststellungsgrundlage erachteten Gutachten in Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten ohnedies alle jene tatsächlichen Momente, insbesondere die Tendenz des Angeklagten zur Selbstbeschädigung und seine darauf zurückzuführenden wiederholten, mit zwangsweisen Anhaltungen in geschlossenen Anstalten verbundenen Selbstmordversuche, aus denen die Beschwerde nunmehr ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließendes, einer schweren seelischen Störung im Sinn des § 11 StGB entsprechendes krankhaftes Persönlichkeitsbild abzuleiten versucht. Hiebei läßt der Beschwerdeführer außer acht, daß nicht jede seelische Störung, somit auch nicht die von ihm in diesem Zusammenhang behauptete, vom psychiatrischen Sachverständigen als nicht eindeutig nachweisbar bezeichnete (S. 139 d.A.) psychopathische Verhaltensweise, Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB begründet, sondern nur jene, die infolge ihrer Schwere den in dieser Gesetzesstelle angeführten Zuständen einer Geisteskrankheit, eines Schwachsinns oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung (nicht nur annähernd, sondern) vollkommen gleichwertig ist und bewirkt, daß der Täter im Zeitpunkt der Tatausführung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. ÖJZ-LSK. 1975/132). Gerade die für die Annahme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit entscheidenden Momente der Diskretionsund Dispositionsfähigkeit bejahte aber der psychiatrische Sachverständige Dr. D in seinem Gutachten trotz der labilen, von der Norm abweichenden Persönlichkeit des Täters; er erkannte die in wiederholten Selbstmordversuchen zum Ausdruck gekommene Neigung zur Selbstgefährdung nicht als Ausfluß einer Geisteskrankheit, sondern im wesentlichen als Folge der Labilität und Anpassungsstörungen des Angeklagten (S. 142 d.A.).
Entgegen dem Beschwerdevorbringen ließ das Erstgericht schließlich auch die Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt nicht unberücksichtigt, es verneinte jedoch, gestützt auf das vorerwähnte Sachverständigengutachten (vgl. S. 142 und 174 d.A.) eine volle Berauschung, zumal selbst der Angeklagte eine solche in seiner Verantwortung ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge von der Annahme einer vollen Berauschung zur Tatzeit ausgeht, setzt er sich demnach über die entgegenstehende Urteilsfeststellung hinweg und bringt somit weder den von ihm bezeichneten noch einen anderen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund, dessen prozeßordnungsgemäße Ausführung einen Vergleich des festgestellten Sachverhaltes mit dem darauf angewendeten Gesetz voraussetzt, zur Darstellung.
Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war sohin zu verwerfen.
Aus Anlaß seiner Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen, daß das angefochtene Urteil zum Nachteil des Angeklagten mit einer nicht geltend gemachten Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z. 11 StPO behaftet ist. Der Angeklagte wurde nämlich über Anordnung der Staatsanwaltschaft bereits am 21.November 1977, 16 Uhr 50, von der Sicherheitsbehörde in Verwahrung genommen (vgl. S. 32 und 35 d.A.), in der Folge zunächst in der Nervenklinik des Landessonderkrankenhauses Graz angehalten und sodann am 28.November 1977 von dort in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes für Strafsachen Graz überstellt (S. 21 d.A.). Es war demnach auch diese weitere, im erstgerichtlichen Urteil unberücksichtigt gebliebene Vorhaft des Angeklagten vom 21.November 1977, 16 Uhr 50, bis zum 28.November 1977, 15 Uhr 00, in Ergänzung des Strafausspruches gemäß dem § 38 Abs. 1 Z. 1 StGB auf die ausgesprochene Freiheitsstrafe anzurechnen. Das Landesgericht verurteilte den Angeklagten Wilhelm A nach dem Strafsatz des § 202 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren. Bei der Strafbemessung waren erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, die einschlägige Vorstrafe und der relativ lange Zeitraum, den die gefährlichen Drohungen in Anspruch nahmen, mildernd hingegen das Teilgeständnis, die Labilität und Charakterschwäche des Angeklagten, ferner sein Alter unter einundzwanzig Jahren.
Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung des Strafausmaßes an.
Die Berufung ist unbegründet.
Abgesehen davon, daß hier die verhältnismäßig längere Dauer der gefährlichen Drohungen den Umständen nach nicht als gesonderter Strafschärfungsgrund in Betracht kommt, wurden die Strafzumessungsumstände in erster Instanz im wesentlichen richtig und vollzählig festgestellt, aber auch im Ergebnis zutreffend gewürdigt. Der Oberste Gerichtshof vertritt nach sorgfältiger Prüfung und Wägung der Strafzumessungsgründe die Auffassung, daß die vom Erstgericht ausgesprochene Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren sowohl dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen als auch dem Verschuldensgrad des empfindlich (einschlägig) vorbestraften Angeklagten entspricht, sodaß der eingebrachten Berufung kein Erfolg beschieden sein konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E01619European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0130OS00134.78.1116.000Dokumentnummer
JJT_19781116_OGH0002_0130OS00134_7800000_000