TE OGH 1978/11/23 7Ob730/78

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Veröffentlicht am 23.11.1978
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Norm

ZPO §534 Abs2 Z4
ZPO §538

Kopf

SZ 51/165

Spruch

Keine Verfristung der Wiederaufnahmsklage vor hinreichender Kenntnis des Inhaltes der neuen Urkunde

Ob den Kläger an der nicht rechtzeitigen Kenntnis der neuen Beweismittel ein Verschulden trifft, ist nicht im Vorprüfungsverfahren zu untersuchen

OGH 23. November 1978, 7 Ob 730/78 (LG Innsbruck 3 R 298/78; BG Innsbruck 14 C 789/77)

Text

Die Streitteile sind Miteigentümer (Wohnungseigentümer) des Hauses I, A-Straße 29/2. An der Fassade dieses Hauses hatte die Klägerin eine Reklametafel montiert. Mit Urteil des Bezirksgerichtes I vom 6. September 1976, 15 C 1294/76-4, bestätigt durch Urteil des Landesgerichtes I vorn 27. Jänner 1977, 3 R 47/77-10, wurde die Klägerin als damalige Beklagte schuldig erkannt, das unmittelbar unter dem westlichen Fenster der Wohnungseigentumseinheit des Beklagten (damaligen Klägers) top 35 des Hauses angebrachte Leuchtsteckreklameschild zu entfernen. Es wurde damals nicht als erwiesen angenommen, daß der nunmehrige Beklagte der Anbringung bzw. Belassung dieses Schildes zugestimmt hätte.

Am 6. Mai 1977 brachte die Klägerin die vorliegende Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens 15 C 1294/76 des Bezirksgerichtes I mit der Begründung ein, sie habe am 7. April 1977 durch den Geschäftsführer der Firma E Ges. m. b. H. Einsicht in eine schriftliche Erklärung des Beklagten vom 26. Juli 1972 erhalten, derzufolge dieser der Anbringung des Reklameschildes zustimme. Dieser Umstand begrunde gemäß § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Hiebei ging es von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Zwar hatte die Klägerin bereits in der Berufung gegen das im Verfahren 15 C 1294/76 des Bezirksgerichtes I ergangene Ersturteil geltend gemacht, dem Beklagten sei schon vor Abschluß des Kaufvertrages, mit dem er seine Eigentumswohnung erworben hat, bekannt gewesen, daß die Klägerin das Schild anbringen werde, doch habe es sich hiebei um eine bloße Vermutung der Klägerin gehandelt. Tatsächlich hatte sich der Beklagte in der Urkunde vom 26. Juli 1972 gegenüber dem Wohnungseigentumsorganisator, der Firma E Ges. m. b. H., einverstanden erklärt, daß die in der entstehenden Anlage untergebrachten Gewerbebetriebe an der Fassadenseite zur A-Straße sowie auch an geeigneten Stellen im Hause entsprechende Reklametafeln oder Leuchtreklame anbringen können. Im Punkt III des entsprechenden Kaufvertrages wurde zwischen den Wohnungseigentumswerbern und der Firma E vereinbart, daß die zwischen letzterer und den Käufern abgeschlossenen Sondervereinbarungen durch den Kaufvertrag nicht berührt werden. Daß die Existenz dieser Zustimmungserklärung der Klägerin erst nach dem 6. April 1977 bekannt geworden wäre, konnte das Erstgericht nicht feststellen, wohl aber daß der Vertreter der Klägerin erst am 7. April 1977 mit dem Geschäftsführer der Firma E Kontakt aufgenommen hatte und ihm dort die vom Beklagten unterfertigte Urkunde übergeben worden war. Am 6. April 1977 fand ein Telefongespräch zwischen dem Landesdirektor der Klägerin und dem Klagevertreter statt, wobei der Landesdirektor mitteilte, der Geschäftsführer der Firma E habe angedeutet, daß Vereinbarungen zwischen dieser Firma und dem Beklagten über die Anbringung von Leuchtreklamen an der Fassade des Hauses bestunden.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Klägerin habe die Einhaltung der im § 534 Abs. 2 Z. 4 ZPO vorgesehenen Monatsfrist nicht beweisen können, weshalb die Klage gemäß § 543 ZPO zurückzuweisen sei.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem auf, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund eine mündliche Verhandlung über die Wiederaufnahmsklage anzuordnen. Es verrat den Standpunkt, eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verspätung komme nur bei erwiesener Verspätung, nicht aber bereits mangels Nachweises der Rechtzeitigkeitin Frage. Im übrigen beginne die im § 534 ZPO genannte Frist erst zu laufen, wenn der Wiederaufnahmskläger über die neuen Tatsachen oder Beweismittel so weit informiert sei, daß er die Erfolgsaussichten einer, allfälligen Wiederaufnahmsklage beurteilen könne. Dies sei im vorliegenden Fall so lange nicht möglich gewesen, als die Klägerin den, Inhalt der fraglichen Urkunde nicht gekannt habe. Deren Inhalt habe sie erst am 7. April 1977 erfahren.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da die Entscheidung des Rekursgerichtes in Wahrheit eine Abänderung darstellt, ist der Revisionsrekurs gegen diesen Beschluß zulässig (SZ 28/95 u. a.).

Richtig hat das Rekursgericht erkannt, daß eine Wiederaufnahmsklage nur bei erwiesener Verspätung, nicht aber schon mangels Erweislichkeit der Rechtzeitigkeit zurückgewiesen werden darf. Im Zweifelsfall kann die urteilsmäßige Sachentscheidung nicht abgelehnt werden (JBl. 1957, 596; 3 Ob 366/59; 5 Ob 140/73 u. a.). Von einer erwiesenen Verspätung kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil das Erstgericht lediglich nicht als erwiesen angenommen hat, daß der Klägerin die Existenz jener Urkunde, auf die sie ihre Wiederaufnahmsklage stützt, erst nach dem 6. April 1977 zur Kenntnis gelangt wäre.

Ferner trifft es zu, daß die bloße Kenntnis von dem Vorhandensein einer Urkunde, die allenfalls zugunsten des eigenen Standpunktes sprechen könnte, noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage, bei sonstiger Verfristung, verpflichtet. Die Frist des § 534 Abs. 1 Z. 4 ZPO nimmt vielmehr erst ihren Anfang, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel so weit kennt, daß er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann. Daß derartiges hier vor dem 6. April 1977 der Fall gewesen wäre, kann den getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden. Richtig hat das Rekursgericht, ebenso wie auch schon das Erstgericht, ausgeführt, daß die entsprechenden Wendungen der Klägerin in ihrer Berufung gegen das Ersturteil im Vorverfahren bloße Vermutungen darstellten und daher noch nicht einen Schluß auf die Kenntnis neuer Beweismittel zuließen. Ferner steht nur fest, daß der Geschäftsführer der Firma E das Vorhandensein für die Klägerin nützlicher Urkunden angedeutet hat, nicht jedoch, daß er deren Inhalt genau wiedergeben konnte. Aus diesem Gründe konnte die Klägerin, bevor sie Einsicht in diese Urkunden genommen hat, deren Eignung für die Wiederaufnahme des Vorverfahrens nicht prüfen.

Ob die Urkunden, auf die sich die Klägerin beruft, letzten Endes zu einem anderen Ergebnis führen werden, ist im Vorverfahren nicht zu prüfen, weil die Wiederaufnahme des Verfahrens schon bewilligt werden muß, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel abstrakt geeignet sind, eine wesentliche Änderung der. Beweiswürdigung herbeizuführen (RZ 1978/97; EvBl. 1961/26 u. a.). Daß eine schriftliche Erklärung des Beklagten, in der die Zustimmung zu Reklameschildern - erteilt wird, abstrakt geeignet sein kann, eine andere Beweiswürdigung betreffend das Einverständnis zum Belassen solcher Schilder mit sich zu bringen, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Schließlich war hier nicht zu prüfen, ob die Klägerin ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Kenntnis der neuen Beweismittel trifft. Die diesbezügliche Verschuldensfrage ist nämlich ebenfalls nicht im Vorprüfungsverfahren zu klären (Fasching IV, 541; EvBl. 1957/223 u. a.).

Anmerkung

Z51165

Schlagworte

Vorprüfungsverfahren bei Wiederaufnahmsklage, Wiederaufnahmsklage, Verfristung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00730.78.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19781123_OGH0002_0070OB00730_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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