TE OGH 1978/11/28 9Os169/78 (9Os170/78)

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Veröffentlicht am 28.11.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.November 1978

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Racek sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Faseth, Dr.Steininger und Dr.Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr.Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Matthias A wegen des Vergehens des schweren Betruges nach § 146, 147 Abs.2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen die im Zusammenhang mit der Anordnung des Vollzugs der über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe eingehaltene Vorgangsweise sowie insbesondere auch gegen die Strafvollzugsanordnung des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Juni 1978, GZ 29 Vr 2585/77-50, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes Dr.Racek, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Karollus, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Matthias A wegen der Vergehen des schweren Betruges und der Veruntreuung, AZ 29 Vr 2585/77 des Landesgerichtes Innsbruck, ist im Zusammenhang mit der Invollzugsetzung des Strafurteils durch den vom Landesgericht Innsbruck am 27.Jänner 1978

(durch die Erlassung einer 'vorläufigen Vollzugsanordnung', die allerdings keine Strafvollstreckung bewirkt hat) und am 20.April 1978 bzw. unmittelbar danach (durch die Säumnis bei der nunmehr gebotenen ungesäumten Anordnung des Vollzugs) jeweils eingehaltenen Vorgang sowie (demgemäß auch) durch die Erlassung einer Strafvollzugsanordnung erst am 16.Juni 1978 und durch die darin getroffene Feststellung des rückwirkend mit 18.April 1978, 12 Uhr, erfolgten Strafantritts das Gesetz in den Bestimmungen des § 397 StPO und der § 3 Abs.1, 20 StVG verletzt.

Diese Feststellung wird aufgehoben und (im Sinne der § 292, 288 Abs.2 Z 3 StPO) ausgesprochen, daß auch die von Matthias A vom 18. April 1978, 12 Uhr, bis einschließlich 16.Juni 1978, 12 Uhr, - lt. der angeführten Strafvollzugsanordnung - in 'Strafhaft' zugebrachte Zeit (gleich der durch das Landesgericht Innsbruck bereits so behandelten Haftzeit vom 29.Jänner 1978, 17 Uhr, bis 18. April 1978, 12 Uhr) als Vorhaft (§ 400 StPO - sogenannte Zwischenhaft) gilt.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 4. Jänner 1978, GZ 29 Vr 2585/77-35, wurde der am 14.Jänner 1950 geborene - im Zeitpunkt der Urteilsfällung zu einem anderen Verfahren in Strafhaft befindliche - Landarbeiter Matthias A der Vergehen des Betruges nach § 146 StGB und der Veruntreuung nach § 133 Abs.1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 28, 146 StGB zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft meldete am 5.Jänner 1978 gegen dieses Urteil die Nichtigkeitsbeschwerde an und beantragte am 9.Jänner 1978, über den Angeklagten Matthias A mit Ablauf der - im Vollzug befindlichen - Strafhaft (zum AZ 17 Vr 2653/75 des Landesgerichtes Innsbruck) gemäß § 180 Abs.2 Z 1 und 3 StPO die Untersuchungshaft zu verhängen. Demgegenüber erklärte sich der Angeklagte A, der selbst gegen das Urteil kein Rechtsmittel ergriffen hatte, mit der 'vorläufigen' Anordnung des Strafvollzugs einverstanden (S.115 d.A.). Daraufhin wurde am 27.Jänner 1978 vom Vorsitzenden eine 'vorläufige Vollzugsanordnung' erlassen, derzufolge die über Matthias A mit dem Urteil vom 4.Jänner 1978 verhängte sechsmonatige Freiheitsstrafe im Anschluß an die - am 29.Jänner 1978 um 17 Uhr endende - 'derzeitige' Strafhaft in Vollzug zu setzen war. Diese Vollzugsanordnung wurde am 27. Jänner 1978 dem Gefangenenhaus übergeben (S.117 d.A.). Am 3. Februar 1978 teilte der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft mit, daß Matthias A 'mit seiner Einwilligung sofort in vorläufige Strafhaft übernommen' worden sei (S.119 d.A.).

Laut dem Amtsvermerk des Vorsitzenden vom 16.Juni 1978 hat sich jedoch Matthias A (dennoch) seit 29.Jänner 1978, 17 Uhr, zum gegenständlichen Verfahren (nicht in Straf- sondern) in Untersuchungshaft befunden, weil dem Gefangenenhaus vom Gericht mitgeteilt worden war, daß das Urteil noch nicht rechtskräftig sei (S.147 d.A.).

Am 6. Februar 1978 führte die Staatsanwaltschaft die gegen das Urteil vom 4.Jänner 1978 angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde aus. Diesem Rechtsmittel wurde vom Obersten Gerichtshof mit seiner Entscheidung vom 18.April 1978, GZ 9 Os 41/78-8, Folge gegeben, das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, daß Matthias A das Vergehen des schweren Betruges nach § 146, 147 Abs.2

StGB begangen hat und hiefür sowie für das ihm laut dem aufrecht gebliebenen Teil des Schuldspruches weiters zur Last fallende Vergehen der Veruntreuung nach § 133

Abs.1 StGB gemäß § 28, 147 Abs.2 StGB zu zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird.

Durch die am 20.April 1978 beim Landesgericht Innsbruck eingelangte 'Vorläufige Verständigung von der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde' (Form Nr.13 in Os - siehe S.127 d.A.) - und ebenso durch das Eintreffen des oberstgerichtlichen Erkenntnisses selbst (s.S.129 d. A.) - sah sich der Vorsitzende zu einer Amtshandlung nicht veranlaßt.

Erst nach - zwischenzeitigem - Rücklangen der Akten (am 6.Juni 1978 - S.145 d.A.) wurde mit Beschluß vom 16.Juni 1978 gemäß § 400 StPO dem Verurteilten Matthias A die Zwischenhaft vom 29.Jänner 1978, 17 Uhr, bis 18.April 1978, 12 Uhr, in die Strafe eingerechnet (ON 50 S.149 d.A.) und gleichzeitig vom Vorsitzenden eine Strafvollzugsanordnung erlassen, laut welcher die Strafe am 18.April 1978 um 12 Uhr angetreten worden war (s. den nicht einjournalisierten nach S.149 im Strafakt einliegenden - vom Vorsitzenden eigenhändig unterfertigten - Durchschlag der Strafvollzugsanordnung vom 16.Juni 1978). Dementsprechend scheint auch im Bericht (des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Innsbruck/Strafvollzug) über den Strafantritt (StVG-Form.Nr.21) und im Merkblatt für die bedingte Entlassung (StPOForm BedEntl.30) als Zeitpunkt des Strafantritts jeweils der 18.April 1978, 12 Uhr, auf (S.151 und im Strafakt erliegendes, nicht einjournalisiertes 'Merkblatt').

Die am 27.Jänner 1978 erfolgte 'vorläufige' Anordnung des Vollzuges der mit Urteil vom 4.Jänner 1978 über den Angeklagten A zunächst verhängten sechsmonatigen Freiheitsstrafe, das Unterbleiben einer Strafvollzugsanordnung am 20.4.1978 bzw. unmittelbar nachher, deren Erlassung dann erst am 16.Juni 1978 und die darin getroffene Feststellung des rückwirkend mit 18.April 1978, 12 Uhr, erfolgten Strafantritts stehen mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 3 Abs.1 StVG ist, wenn an einem Verurteilten eine Freiheitsstrafe zu vollziehen ist, der Strafvollzug anzuordnen und die zur Einleitung oder Durchführung des Vollzugs zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen.

Hinsichtlich des Zeitpunktes, in dem ein Strafurteil in Vollzug zu setzen ist, bestimmt § 397 StPO, daß dies - ungesäumt - zu geschehen hat, sobald feststeht, daß der Vollstreckung kein gesetzliches Hindernis und insbesondere kein rechtzeitig von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel entgegensteht, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimißt (§ 284 Abs.3, 294 Abs.1 und 344 StPO).

Um ein derartiges Rechtsmittel handelte es sich jedoch bei der von der Staatsanwaltschaft bereits am 5.Jänner 1978 ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde, deren Anmeldung § 284 Abs.3 StPO schlechthin aufschiebende Wirkung zuerkennt (SSt.46/46).

Der Vollstreckung des Strafurteils vom 4.Jänner 1978 stand somit ein gesetzliches Hindernis entgegen. Matthias A durfte darum nach Verbüßung der über ihn im Verfahren 17 Vr 2653/75 des Landesgerichtes Innsbruck verhängten Freiheitsstrafe zum vorliegenden Verfahren im Sinne des Antrages der Staatsanwaltschaft vom 9.Jänner 1978 zunächst nur in Untersuchungshaft angehalten werden (vgl. auch Foregger-Kunst, StVG, Anmerkung 4 zu § 3 Abs.1 auf S.7). Die im Ersturteil festgesetzte sechsmonatige Freiheitsstrafe war noch nicht zu vollziehen. Die 'vorläufige Vollzugsanordnung' vom 27.Jänner 1978 verstößt deshalb gegen die Vorschriften des § 397 StPO und des § 3 Abs.1 StVG. Ihnen läuft aber auch umgekehrt wieder das Untätigbleiben des Vorsitzenden nach Einlangen der Vorläufigen Verständigung von der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde zuwider. Denn der Vollstreckung der hienach über den Angeklagten rechtskräftig verhängten zehnmonatigen Freiheitsstrafe stand (nunmehr) kein gesetzliches Hindernis entgegen; sie war daher entsprechend dem Gesetzesbefehl des § 397 StPO wirklich 'ungesäumt' zu vollziehen sowie demgemäß der Strafvollzug unverzüglich anzuordnen, und nicht erst, wie es - auch insoweit (zwangsläufig) unter gleicher Mißachtung des Gesetzes - geschah, erst fast 2 Monate später (am 16. Juni 1978).

Von den beiden erörterten Verstößen gegen dieselben Normen hat sich der erstere, weil sich Matthias A - trotz der 'vorläufigen Vollzugsanordnung' - tatsächlich weiterhin in Untersuchungshaft befand, nicht zu seinen Ungunsten, der letztere im Ergebnis sogar zu seinen Gunsten ausgewirkt.

Der ihm insoferne wie noch näher aufgezeigt werden wird, aus der - wenngleich gesetzwidrigen - längeren Anhaltung in Untersuchungshaft anstatt bereits in Strafhaft erwachsende Vorteil konnte und durfte keinesfalls durch die - nicht minder gesetzesverletztende - in der Strafvollzugsanordnung vom 16.Juni 1978 getroffene Feststellung des rückwirkend mit 18.April 1978, 12 Uhr, erfolgten Strafantritts aufgehoben werden.

Denn einerseits folgt schon formell aus der Bestimmung des § 3 Abs.1 StVG, daß dem Strafvollzug stets eine entsprechende Anordnung desselben vorauszugehen hat und andererseits ist eine als Untersuchungshaft vollzogene Anhaltung materiell weder den Vollzugsmodalitäten noch ihrer Zielsetzung nach einer Strafhaft gleichzusetzen, die nach dem Gesetz den Verurteilten durch besondere Maßnahmen zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen und ihn abhalten soll, schädlichen Neigungen nachzugehen, wobei der Vollzug aber außerdem (auch) den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzeigen soll (§ 20 Abs.1 und 2 StVG).

Die gesetzwidrige Vorverlegung des Zeitpunktes des Strafantritts gereicht dem Angeklagten A insofern zum Nachteil, als die dadurch bewirkte Verlängerung der in Strafhaft zugebrachten Zeit in Anbetracht der Verhängung einer Freiheitsstrafe in der Dauer von mehr als sechs Monaten (in zweiter Instanz) in Verbindung mit einer weiteren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechsmonatiger Dauer zum Eintritt der in § 23

Abs.1 Z 2 StGB normierten Voraussetzung der Verbüßung von mindestens achtzehn Monaten Strafhaft für eine (künftige) Unterbringung des Matthias A in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter führen könnte.

Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs.2 StPO erhobenen begründeten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Sinne des letzten Satzes des § 292 StPO spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E01696

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0090OS00169.78.1128.000

Dokumentnummer

JJT_19781128_OGH0002_0090OS00169_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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