Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 1978
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Liebetreu als Schriftführer in der Strafsache gegen Matthias A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den § 83 Abs. 2, 84 Abs. 1, 85 Z 2 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 25. August 1978, GZ. 7 Vr 161/78-20, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, die Tat habe (auch) für immer eine auffallende Verunstaltung des Geschädigten, nämlich den Verlust des linken Augapfels, zur Folge gehabt, ferner in der rechtlichen Beurteilung der Tat als das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen und ihrer Subsumtion (auch) unter die Bestimmung des § 85 Z 2 StGB sowie demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Die Berufung wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 4. November 1946 geborene Staplerfahrer Matthias A des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den § 83 Abs. 2, 84 Abs. 1, 85 Z 2 StGB schuldig erkannt, weil er am 24. Dezember 1977 in Moosdorf (OÖ) (seinen Bruder) Franz A durch Versetzen eines Faustschlages gegen das Gesicht am Körper mißhandelte und dadurch fahrlässig eine schwere Verletzung seines (bereits erblindet gewesenen) linken Auges bewirkte, wobei die Tat für immer eine auffallende Verunstaltung des Geschädigten, nämlich den Verlust des linken Augapfels, zur Folge hatte.
Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer ausdrücklich auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund bekämpft der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt eines formellen Begründungsmangels die Urteilsfeststellung, er habe durch einen Faustschlag ins Gesicht seines Bruders dessen Verletzung am linken Auge - einen Riß in der Hornhaut mit Vorfall der Regenbogenhaut, der infolge Eintritts einer Wundinfektion zur Entfernung des Augapfels führte - verursacht.
Rechtliche Beurteilung
Die Mängelrüge versagt.
Das Erstgericht stützte die bekämpfte Feststellung einerseits auf das Gutachten des dem Verfahren beigezogenen gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Werner B, der vom medizinischen Standpunkt zwar nicht mehr rekonstruieren konnte, durch welche Art der Gewalteinwirkung die schwere Augenverletzung des Franz A entstanden ist, die Herbeiführung einer solchen Verletzung durch eine bloße Ohrfeige, wie sie der Angeklagte inhaltlich seiner Verantwortung seinem Bruder versetzt haben will, aber als sehr ungewähnlich bezeichnete und einen Faustschlag als die wesentlich wahrscheinlichere Ursache erachtete (vgl. S. 75 ff d. A). Es ließ hiebei keineswegs unberücksichtigt, daß den Ausführungen dieses Sachverständigen zufolge ein Faustschlag gegen das Auge in der Regel zu einem Hämatom im Bereich der Augenlider führt, maß aber diesem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstand deshalb keine entscheidende Bedeutung bei, weil es die vom Sachverständigen auch aufgezeigte Möglichkeit des ausnahmsweisen Nichteintritts einer solchen Mißhandlungs(neben)folge in Betracht zog und es vor allem für denkbar hielt, daß eine Blutunterlaufung als bloße Randerscheinung der schweren Augenverletzung in den Aufzeichnungen der behandelnden örzte nicht ausdrücklich festgehalten wurde (vgl. S. 101 f d. A). Zum anderen schloß das Erstgericht jedoch - vor allem im Hinblick auf die der praktischen örztin Dr. Gertrude C gegenüber abgegebenen Erklärungen und auf den Umstand, daß Franz A im Bestreben, seinen Bruder zu decken, trotz heftiger Schmerzen erst zwei Tage nach dem Vorfall einen Arzt aufsuchte - eine andere Ursache der Verletzung als einen tätlichen Angriff des Angeklagten - insbesondere eien Arbeitsunfall des Verletzten - aus. Auf Grund dieser in den Urteilsgründen einzeln und in ihrem inneren Zusammenhang gewürdigten Verfahrensergebnisse konnte das Schöffengericht, ohne gegen die Denkgesetze oder die forensische Erfahrung zu verstossen, in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO) unter Ablehnung der gegenteiligen Verantwortung des Angeklagten, seinem Bruder lediglich eine leichte Ohrfeige mit der offenen Hand versetzt zu haben, die überzeugung gewinnen, daß die Verletzung des Franz A durch einen Faustschlag des Angeklagten verursacht worden ist.
Soweit der Beschwerdeführer demgegenüber die in den Urteilsgründen dargelegten Umstände für nicht genügend beweiskräftig hält und ausführt, daß seiner Auffassung nach aus den vom Erstgericht ermittelten Prämissen andere als die vom Gericht abgeleiteten - und zwar für ihn günstigere - Schlußfolgerungen hätten gezogen werden müssen, erschöpfen sich seine bezüglichen Ausführungen daher in einer im Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden unzulässigen und demnach unbeachtlichen Bekämpfung der (schlüssig und zureichend begründeten) Beweiswürdigung des Schöffengerichtes. In Ausführung seiner Rechtsrüge macht der Beschwerdeführer - der Sache nach aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 10 StPO - zunächst geltend, es seien bei Franz A schwere Dauerfolgen im Sinne des § 85 StGB nicht eingetreten, weil dieser, wie das Erstgericht feststellte, auf dem durch die Verletzung betroffenen linken Auge bereits praktisch blind gewesen sei und die durch eine operative Entfernung des Augapfels bewirkte Verunstaltung durch eine Augenprothese behoben werden könne.
Insoweit kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu. Denn wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, können nach Abschluß der medizinischen Heilbehandlung unternommene Eingriffe zur Wiederherstellung des Aussehens des Verletzten den (auch) in der Richtung des § 85 Z 2
StGB bereits eingetretenen tatbestandsmäßigen Erfolg nicht wieder beheben. Die zufolge des heutigen Standes der Wissenschaft bestehende Möglichkeit einer - weitgehenden, jedoch nicht restlosen - Beseitigung der durch die (medizinisch geboten gewesene) Entfernung des Augapfels bewirkten auffallenden Verunstaltung des Franz A kann dem Angeklagten sohin nicht im Sinne eines Wegfalls des in Rede stehenden (qualifizierenden) Tatbestandsmerkmals zustatten kommen (vgl. SSt. 43/34, LSK 1978/265).
Wegen Vorliegens eines bezüglichen Feststellungsmangels im Ergebnis begründet ist die Rechtsrüge hingegen, soweit darin ausgeführt wird, der Eintritt einer mit schweren Dauerfolgen verbundenen Verletzungsfolge sei dem Beschwerdeführer nicht als fahrlässig herbeigeführt (§ 7 Abs. 2 StGB) zuzurechnen, da er nach dem gewähnlichen Lauf der Dinge mit derartigen Folgen nicht habe rechnen müssen.
Es ist davon auszugehen, daß ein Täter, der einen anderen mißhandelt, grundsätzlich nicht für einen auf Grund eines völlig atypischen Kausalverlaufes eingetretenen qualifizierenden Verletzungserfolg einzustehen hat, sondern nur im Rahmen der im Verhältnis zur Tathandlung 'adäquaten' (objektiven und subjektiven) Vorhersehbarkeit strafrechtlich haftet. Demnach können dem Täter aus seiner Handlungsweise resultierende schwere Dauerfolgen nur dann als fahrlässig verschuldet zugerechnet werden, wenn er nach den konkreten Umständen des Falles und gemessen an den Fähigkeiten eines Durchschnittsmenschen in der Lage gewesen wäre, auch einen solchen Verlauf als mögliche Konsequenz seines Verhaltens zu erkennen, der letztlich zu einer derartigen Folge führen kann (vgl. ZVR 1976/115, 1976/178 u.a.m.). Von einer Vorhersehbarkeit des Erfolges kann hiebei allerdings auch dann gesprochen werden, wenn zur Tathandlung eine weitere Ursache für den Schaden hinzukommt, deren Hinzutreten zwar nicht schon nach dem gewähnlichen Verlauf der Dinge zu erwarten, aber doch nicht ganz außergewähnlich und deswegen außerhalb der menschlichen Erwartung gelegen war (vgl. SSt. 46/67; EvBl. 1977/103
u. a.m.).
Im vorliegenden Fall nahm das Erstgericht zwar an, der Angeklagte hätte vorhersehen können, daß es durch das Versetzen eines Faustschlages zu einer schweren, d.h. mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit verbundenen Verletzung des Auges seines Bruders kommen könnte (vgl. S. 101, 103 d. A). Es stützte sich dabei ersichtlich auf das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Werner B, der einen Riß der Hornhaut als Folge einer Ohrfeige, nicht aber auch als Folge einer erheblichen Gewalteinwirkung, wie es das Versetzen eines Faustschlages gegen das Auge darstellt, als atypisch bezeichnete (vgl. S. 76 d. A), sowie auf den Umstand, daß das erblindet gewesene linke Auge des Franz A schon vor dem gegenständlichen Vorfall von einer Erkrankung der Hornhaut betroffen war (vgl. S. 100 d. A). Keine zureichenden Feststellungen traf das Schöffengericht hingegen darüber, ob der Eintritt einer schweren Dauerfolge im Sinne der Z 2 des § 85 StGB (objektiv und subjektiv) vorhersehbar war, d. h. ob der Beschwerdeführer bei der gegebenen Sachlage erkennen konnte, daß die im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB schwere - und insoweit von ihm jedenfalls auch fahrlässig herbeigeführte - (Augen-)Verletzung des Franz A eine Entfernung des bereits erblindeten Auges und damit eine auffallende Verunstaltung (§ 85 Z 2 StGB) zur Folge haben konnte. Konstatierungen in dieser Richtung waren schon deshalb geboten, weil hier nur eine solche schwere Dauerfolge, nicht aber auch ein Verlust oder eine schwere Schädigung des Sehvermögens als (mögliche und für den Angeklagten vorhersehbare) Folge einer erheblichen Gewalteinwirkung auf ein der Sehkraft (fast) völlig beraubtes Auge in Betracht kam.
Da dem angefochtenen Urteil sohin ein Nichtigkeit im Sinne der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO bewirkender Feststellungsmangel anhaftet, der eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung in erster Instanz unvermeidlich macht, war in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu erkennen.
Im erneuerten Verfahren wird ein gerichtsmedizinischer Sachverständiger auch darüber zu hören sein, ob nach ärztlicher Erfahrung die operative Entfernung eines Auges als atypische Folge eines Risses der Hornhaut (eines bereits erkrankt gewesenen und erblindet gewesenen Auges) und der sich daraus ergebenden möglichen Komplikationen anzusprechen ist.
Die Berufung war zurückzuweisen, da eine Ausführung dieses Rechtsmittels unterblieb und der Angeklagte auch bei dessen Anmeldung unterlassen hat zu erklären, durch welche Punkte des Erkenntnisses er sich beschwert findet (§ 294 Abs. 2 StPO).
Anmerkung
E01926European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0110OS00161.78.1128.000Dokumentnummer
JJT_19781128_OGH0002_0110OS00161_7800000_000