Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1978
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter und des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Sefki A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1
und 2, zweiter Fall, StGB über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18.August 1978, GZ. 1 a Vr 1316/78-44, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, nach Verlesung der Rechtsmittelausführung der Staatsanwaltschaft, nach Anhörung und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Grois, zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das Urteil zur Gänze aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.Oktober 1933 geborene Hilfsarbeiter Sefki A - ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gegen den Anklage wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2, zweiter Fall, StGB erhoben worden war - des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § (§ 83 Abs. 1) 84 Abs. 2 Z. 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 16.Februar 1978 in Wien seinen Landsmann Elmas B dadurch, daß er ihm mit einem Messer mit einer 12 cm langen Klinge mehrere Stiche gegen den Körper versetzte, sohin mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzte. Hinsichtlich des Umstandes, daß B am 21.Februar 1978 seinen Verletzungen erlegen war, vertrat das Schöffengericht die Auffassung, der Angeklagte habe zwar den unbewaffneten Elmas B (zumindest mit bedingtem Vorsatz) verletzen wollen und es sei ihm auch bewußt gewesen, daß mit seiner Vorgangsweise (mehrfache Stichführung) und der Beschaffenheit der Tatwaffe in der Regel Lebensgefahr verbunden sei; dennoch sei ihm der Tod des Verletzten als Folge seiner (nicht in Notwehr erfolgten) Handlungsweise nach den näheren Tatumständen nicht erkennbar gewesen und daher nicht im Sinne des § 7 Abs. 2 StGB subjektiv vorwerfbar.
Denn der Angeklagte sei von B zu Boden gedrückt worden, habe, auf dem Bauch liegend, das in seiner Reichweite befindliche Messer ergriffen und mit diesem gegen den über ihm liegenden oder kauernden Elmas B gestoßen, ohne näher zu zielen und dabei erkennen zu können, an welchen Stellen er dessen Körper traf.
Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer nur auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der im wesentlichen geltend gemacht wird, daß dem Angeklagten die durch seine Tathandlungen bewirkte Todesfolge als fahrlässig herbeigeführt zuzurechnen und auf Grund der Urteilsfeststellungen ein Schuldspruch wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1, 86 StGB zu fällen gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde ist nun zwar darin beizupflichten, daß die Beurteilung, ob dem Täter eines Vorsatzdeliktes nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1, 86 StGB der Vorwurf der Fahrlässigkeit in bezug auf den von ihm verursachten (strafsatzqualifizierenden tödlichen) Erfolg trifft, im wesentlichen auf die Frage der (objektiven und der subjektiven) Vorhersehbarkeit und nicht auf die Frage der Sorgfaltsverletzung hinausläuft, weil schon die vorsätzliche Grundtat (§ 83 Abs. 1 StGB) einen Verstoß gegen die in bezug auf die Achtung von Leib und Leben allgemein gebotene und zumutbare Sorgfalt beinhaltet (vgl. ÖJZ-LSK. 1976/70, EvBl. 1976/203, Leukauf-Steininger, 87), wobei eine Vorhersehbarkeit des Erfolges auch dann anzunehmen ist, wenn zur Tathandlung eine weitere Ursache für den Erfolgseintritt hinzukommt, deren Hinzutreten zwar nicht schon nach dem natürlichen Verlauf der Dinge zu erwarten, aber doch nicht außergewöhnlich und deshalb außerhalb der menschlichen Erwartung gelegen war.
Angesichts dessen jedoch, daß ein Täter grundsätzlich nur im Rahmen der im Verhältnis zur Tathandlung 'adäquaten' Vorhersehbarkeit, nicht aber für einen solchen Erfolg seiner Tat einzustehen hat, der auf Grund eines völlig atypischen Kausalverlaufes eingetreten ist (vgl. SSt.
46/67 = LSK. 1976/ 39; Kienapfel, Grundriß des österr. Strafrechts, Besonderer Teil, Band I, RN. 148 f., 389; ZVR. 1976/178 mit Anmerkung Liebscher) und des Umstandes, daß § 84 Abs. 2 Z. 1 StGB (im Gegensatz zu § 155 lit. a StG. 1945) insofern ein Doppelerfordernis aufstellt, als der Täter ein in der Regel lebensgefährliches Mittel in konkret lebensgefährlicher Weise verwendet haben muß (EvBl. 1977/33), hat sich der Oberste Gerichtshof aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft davon überzeugt, daß das Ersturteil (zum Nachteil des Angeklagten) an Feststellungsmängeln leidet, die eine rechtliche Beurteilung des vom Angeklagten gesetzten Verhaltens derzeit nicht zulassen:
Denn das Erstgericht konstatierte zwar (vgl. S. 245) der Angeklagte habe mit dem Hirschfänger mehrmals auf B eingestochen (wobei er infolge seiner Lage nicht habe erkennen können, an welchen Stellen er den Körper des B tatsächlich traf), unterließ es aber - wiewohl das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Doz. Dr. D, dem das Erstgericht ausdrücklich folgte, insoweit hinreichende Anhaltspunkte bot, als es zum Schlusse gelangte, das (zweite am Tatort vorgefundene, ebenfalls mit Blut verunreinigte) Tafelmesser mit Kunststoffgriff sei sicher ungeeignet gewesen, um damit Rippen zu durchstoßen und die tiefen Verletzungen des Zwerchfelles und des Sförmigen Dickdarmes zu erzeugen (vgl. S. 111) - festzustellen, welche Körperteile des B von den Hirschfängerstichen des Angeklagten getroffen wurden. Dies wäre umso erforderlicher gewesen, als das Erstgericht Bedenken hegte, 'sämtliche bzw. einzelne Verletzungen des B dem Angeklagten zuzurechnen' (vgl. S. 245) und andererseits einige dieser Verletzungen (vor allem die unter 10, 11 und 13 vom Erstgericht auf S. 242 angeführten) dem Kriterium, das lebensgefährliche Mittel müsse in der Weise eingesetzt werden, daß mit ihm eine konkrete Lebensgefahr verbunden sei, sicherlich nicht zu entsprechen vermögen.
In amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO war daher gemäß § 290 Abs. 1
StPO spruchgemäß zu erkennen.
Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E01704European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1978:0090OS00181.78.1215.000Dokumentnummer
JJT_19781215_OGH0002_0090OS00181_7800000_000