TE OGH 1979/1/11 7Ob779/78

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Veröffentlicht am 11.01.1979
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Norm

ABGB §364c
ABGB §372
ABGB §1295
ABGB §1311

Kopf

SZ 52/5

Spruch

Ein vom Nachbargrund her geschädigter Bestandnehmer hat keine Ersatzansprüche aus Nachbarrecht, wohl aber auf Schadenersatz für zerstörtes Eigentum und daraus entstandenen Verdienstentgang

OGH 11. Jänner 1979, 7 Ob 779/78 (OLG Linz 5 R 103/78; KG Wels 4 Cg 103/78)

Text

Die Klägerin betrieb als Mieterin eines Geschäftslokales im Hause F, M-Platz 21, eine Gemischtwarenhandlung. Auf der angrenzenden Liegenschaft ließ deren Eigentümerin, die Gesellschaft m. b. H., einen Neubau errichten. Mit der Durchführung des Bauvorhabens war der Beklagte als Baumeister beauftragt. Am 7. September 1977 stürzte aus Anlaß der Aushebung der Baugrube der Ostteil des Hauses, in dem sich das Geschäftslokal der Klägerin befand, ein.

Mit der Behauptung, der Beklagte habe bei Ausheben der Baugrube die notwendige Absicherung des Nachbargebäudes schuldhaft unterlassen, begehrt die Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes den Ersatz des zerstörten Warenlagers, der vernichteten Einrichtungsgegenstände sowie den für die Bergung erforderlichen Arbeitsaufwand, die ihrer Tochter gezahlte Lehrlingsentschädigung und den durch den Einsturz des Gebäudeteiles entstandenen Gewinnentgang, insgesamt 287 762.38 S samt Anhang.

Der Beklagte bestritt ein Verschulden an dem Einsturz des Gebäudes und wendete mangelnde aktive und passive Klagslegitimation mit der Begründung ein, es werde ein Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB geltend gemacht, den nur ein Liegenschaftseigentümer gegen den anderen durchsetzen könne. Im übrigen bestritt er das Klagebegehren auch der Höhe nach.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme ab, weil in Wahrheit ein Ausgleichsanspruch nach den §§ 364 ff. ABGB geltend gemacht werde. Zur Geltendmachung eines solchen Anspruches sei nur der Eigentümer der Nachbarliegenschaft, nicht aber dessen Mieter legitimiert.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat den Standpunkt, daß zwar ein Ausgleichsanspruch nach den §§ 364 ff. ABGB nur von Eigentümern der beeinträchtigten Liegenschaft erhoben werden könne, doch verlange die Klägerin den eingeklagten Betrag nicht auf Grund der genannten gesetzlichen Bestimmungen, sondern aus dem Titel des Schadenersatzes. Die Bestimmungen der §§ 364 ff. ABGB schließen einen Schadenersatzanspruch nicht aus. Demnach müsse geprüft werden, inwieweit der Schadenersatzanspruch tatsächlich bestehe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In der Sache selbst ist den Untergerichten darin beizupflichten, daß ein Ausgleichsanspruch nach den §§ 364 ff. ABGB nur vom Eigentümer der beeinträchtigten Liegenschaft, nicht aber von dessen Mieter erhoben werden kann (s. die insbesondere vom Berufungsgericht zitierte Literatur und Judikatur). In Wahrheit macht aber, wie das Berufungsgericht richtig erkennt, die Klägerin gar keinen solchen Ausgleichsanspruch geltend, sondern einen Schadenersatzanspruch. Demnach war lediglich zu prüfen, inwieweit ein solcher Schadenersatzanspruch auch dann zulässig ist, wenn zwischen den betreffenden Liegenschaftseigentümern Ansprüche nach den §§ 364 ff. ABGB bestehen. Entgegen den Ausführungen des Rekurses schließen die dort zitierten Entscheidungen (SZ 23/188 und SZ 47/140) derartige Schadenersatzansprüche nicht aus. Die erstgenannte der beiden Entscheidungen läßt Schadenersatzansprüche aus objektiv rechtswidrigen Handlungen, die jedermann zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ohne Rücksicht auf ein bestehendes Vertragsverhältnis berechtigen (etwa Übertretung bestehender Vorschriften oder Begehung einer strafbaren Handlung), außer Betracht. Die zweiterwähnte Entscheidung hatte eine Klage gegen den Eigentümer jener Liegenschaft zum Gegenstand, von der die Störung ausgegangen ist. Der eingetretene Schaden betraf ausschließlich einen solchen, der durch die Beeinträchtigung der Mietrechte der Klägerin entstanden war. Dementsprechend hat die genannte Entscheidung, im übrigen in Übereinstimmung mit der von ihr eingehend zitierten Literatur und Judikatur, ausgeführt, daß derartige Ansprüche aus Vertragsverletzungen nur gegen den Vertragspartner, nicht aber gegen einen Dritten geltend gemacht werden können. Sie beschäftigt sich im übrigen ausschließlich mit Ansprüchen gegen den Eigentümer der Liegenschaft, nicht aber mit Ansprüchen gegen einen von ihm verschiedenen Schädiger. Nur in diesem Sinne ist der Schlußsatz jener Entscheidung zu verstehen, demzufolge der Mieter Ansprüche, die nur nach §§ 364 ff. ABGB geltend gemacht werden können, nicht gegen den Eigentümer der Liegenschaft, von der die Schädigung ausgegangen ist, aus dem Titel des allgemeinen Schadenersatzrechtes durchsetzen kann .....

Geht man von der Erwägung aus, daß die Bestimmungen der §§ 364 ff. ABGB keine Einschränkung sonstiger Ansprüche bringen sollten, sondern den aus seinem nachbarrechtlichen Verhältnis Geschädigten eine zusätzliche Handhabe bieten wollen, ist nicht einzusehen, warum daneben, falls die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, nicht auch Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Selbstverständlich kann die Klägerin vom Beklagten Schäden, die ihr aus der Verletzung eines Vertrages entstanden sind, nicht ersetzt verlangen, weil er nicht ihr Vertragspartner ist. Hat dagegen der Beklagte der Klägerin schuldhaft durch ein rechtswidriges Verhalten einen Schaden zugefügt, so haftet er ihr nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 1293 ff. ABGB. Der Beklagte hat durch das Ausheben einer Baugrube eine Gefahrenquelle für die Nachbarliegenschaft geschaffen. Wer eine solche Gefahrenquelle schafft, muß die notwendigen Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung nach Tunlichkeit abzuwenden (JBl. 1973, 35; EvBl. 1970/326; SZ 37/97 u. a.). Hiebei hat er die geltenden Bauvorschriften einzuhalten. Eine Verletzung der diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen würde ebenso eine objektive Rechtswidrigkeit, die jedermann zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ohne Rücksicht auf ein bestehendes Vertragsverhältnis berechtigt, darstellen wie ein Verstoß gegen die obengenannte Verkehrssicherungspflicht. Eine derartige schuldhafte Rechtswidrigkeit hat aber die Klägerin behauptet. Demnach ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, derzufolge ein Schadenersatzanspruch der Klägerin nicht von vornherein ausgeschlossen ist, zutreffend.

Was dagegen die Ansprüche im einzelnen anlangt, muß davon ausgegangen werden, daß bei objektiver Rechtswidrigkeit grundsätzlich nur für jene verursachten Schäden gehaftet wird, die vom Schutzzweck der betreffenden Norm erfaßt werden; die Norm muß den Schutz des Geschädigten bezwecken, aber auch die Art des Schadens muß vom Normzweck erfaßt sein (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I 115; Ehrenzweig[2] II/1, 72; Gschnitzer, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz, 167; SZ 47/140; SZ 34/112 u. a.). Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht soll, ebenso wie baubehördliche Schutzvorschriften, verhindern, daß Personen durch Verletzung dieser Normen in ihrem Eigentum zu Schaden kommen. Nicht aber sollen dadurch die vertraglichen Rechte von Personen gegen Dritte gesichert werden. Demnach kann zwischen der Verletzung derartiger Normen und der Nichterfüllung eines Mietvertrages durch den infolge der Verletzung der Normen geschädigten Vermieter kein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehen. Der Mieter hat vielmehr lediglich einen vertraglichen Erfüllungsanspruch gegen den Vermieter, kann aber die aus der Nichterfüllung des Vertrages erwachsenen Schäden im allgemeinen nicht gegen denjenigen geltend machen, der durch die Verletzung einer Schutznorm den Vermieter außer Stande gesetzt hat, den Mietvertrag zu erfüllen (auf die Frage absichtlicher Vereitelung der Vertragserfüllung muß hier nicht eingegangen werden).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Klägerin, falls ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten nachgewiesen wird, auf jeden Fall jene Schäden ersetzt verlangen kann, die ihr durch die Beschädigung oder Zerstörung ihr gehöriger Gegenstände entstanden sind. Hierher gehören zweifellos die unter 2. a und b der Klage geltend gemachten Ansprüche. Desgleichen wird sie den Arbeitsaufwand für die Beseitigung dieser Schäden ersetzt verlangen können. Dagegen stellen die ihrer Tochter geleisteten Zahlungen keinen unmittelbaren Schaden dar. Handelt es sich doch dabei um nutzlose Aufwendungen für eine Angestellte. Die Verkehrssicherungspflicht hat aber nicht die Sicherung des Erfolges der Beschäftigung eines Angestellten zum Ziele.

Was den Verdienstentgang anlangt, könnte ihn die Klägerin insoweit nicht begehren, als er aus der Nichteinhaltung des Mietvertrages durch den Vermieter entstanden ist, also jenen Verdienstentgang, der bloß auf die Stillegung des Geschäftes zurückgeführt werden kann. Diesbezüglich handelt es sich ausschließlich um Ansprüche auf Grund einer Nichterfüllung des Vertrages, die, wie oben ausgeführt wurde, mittelbare Schäden darstellen und bezüglich derer kein Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der behaupteten rechtswidrigen Handlung des Beklagten bestehen kann.

Soweit ein Verdienstentgang aber etwa dadurch entstanden sein sollte, daß die Klägerin zerstörte Waren nicht mit Gewinn veräußern konnte, wäre der Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben. Einen solchen Verdienstentgang könnte die Klägerin ersetzt verlangen, wenn die nach den §§ 1323 f. ABGB notwendigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinnes vorliegen.

Anmerkung

Z52005

Schlagworte

Bestandnehmer und Nachbarrecht, Nachbarrechtsschaden und Verdienstentgang, Nachbarrecht, Schadenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0070OB00779.78.0111.000

Dokumentnummer

JJT_19790111_OGH0002_0070OB00779_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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