Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Jänner 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Schneider und Dr. Steininger als Richter, sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schnattinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann A wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127 Abs 1, 128 Abs 1, Z 4 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 19. September 1978, GZ 11 d Vr 242/78-23, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. Alfons Adam, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 28. Dezember 1960 geborene Hilfsarbeiter Johann A der Vergehen des schweren Diebstahls nach § 127 Abs 1, 128 Abs 1, Z 4 StGB, der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4, 1. Fall, StGB und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Gegen diesen Schuldspruch wendet er sich mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Soweit der Angeklagte unter Anrufung des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes insoweit eine Verletzung der unter Nichtigkeitssanktion stehenden Vorschrift des § 221 Abs 1 StPO behauptet, als die ursprünglich nur auf das Vergehen des schweren Diebstahls gerichtet gewesene Anklage in der Hauptverhandlung vom 19. September 1978 'überraschend' auch in Richtung der Vergehen nach dem § 88 Abs 1 und 4, 1. Fall, StGB sowie dem § 94 Abs 1 StGB ausgedehnt worden sei, wodurch ihm die im Gesetz vorgesehene Vorbereitungsmöglichkeit genommen worden sei, geht er von Voraussetzungen aus, die aktenmäßig nicht vorliegen. Die erwähnte Anklageausdehnung erfolgte vielmehr bereits in der Hauptverhandlung vom 27. Juni 1978 (S 90).
In der Hauptverhandlung vom 19. September 1978 hingegen wurde die Anklage lediglich auf einen weiteren (vierten) Punkt, nämlich in Richtung des Vergehens der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB, ausgedehnt (S 142), das dann aber gar nicht Gegenstand des Schuldspruches war, sondern in Ansehung dessen der Staatsanwaltschaft im Urteil gemäß dem § 263 Abs 3 (richtig: Abs 2) StPO die selbständige Verfolgung vorbehalten wurde (S 148, 149).
Rechtliche Beurteilung
Der angezogene Nichtigkeitsgrund liegt daher schon aus diesen Erwägungen nicht vor.
In gemeinsamer Ausführung der ziffernmäßig angerufenen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO - damit aber der Sache nach primär Feststellungsmängel im Sinne des letztgenannten, materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes behauptend - macht der Beschwerdeführer dem Erstgericht weiters zum Vorwurf, es habe bezüglich des Vergehens nach dem § 94 Abs 1 StGB keine hinreichenden Feststellungen zur - bösen Vorsatz voraussetzenden - subjektiven Tatseite dieses Deliktes in Ansehung der Frage getroffen, ob sein Vorsatz die Tatsache der erfolgten Verletzung und Hilfebedürftigkeit der Fußgängerin Maria B umfaßte, welche er als Lenker eines Mopeds durch Einhalten eines zu geringen Seitenabstandes gestreift und schwer verletzt (Wadenbeinbruch, Blutergüsse am linken Unterarm, Handrücken und Unterschenkel mit Gesundheitsstörung von mehr als 24 Tagen) hatte. Schließlich bestreitet er in Ausführung seiner Rechtsrüge aber auch die objektive Erforderlichkeit einer Hilfeleistung gegenüber der Verletzten.
Hiezu ist dem Beschwerdeführer jedoch zu erwidern, daß er - soweit er das Vorliegen von Feststellungsmängeln releviert - den angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung bringt.
Denn das Jugendschöffengericht hat als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte gewußt hat, daß er die Frau streifte und es bewußt unterlassen hat, sich um 'die Verletzte' zu kümmern und ihr die erforderliche Hilfe zu leisten (S 151, 152). Damit hat es aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß die subjektive Tatseite - für welche bedingter böser Vorsatz, also das Bewußtsein der ernstlich möglichen Tatbildverwirklichung und das Abfinden damit (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB) genügt - alle objektiven Tatbildmerkmale umfaßte. Diese vom Beschwerdeführer mit Stillschweigen übergangenen Konstatierungen finden ihre denkfolgerichtige und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechende Deckung in den erstgerichtlichen Tatsachenannahmen in bezug auf den Hergang des Unfalles, den Umfang des eingetretenen Verletzungserfolges und das Motiv des Angeklagten für seine Unterlassung (Fahren mit einem gestohlenen Moped in alkoholisiertem Zustand) in Verbindung mit dem Umstand, daß der Angeklagte selbst nie behauptete, es habe sich etwa jemand anderer bereits angeschickt, seinem Unfallsopfer die erforderliche Hilfe zu leisten. Soweit der Beschwerdeführer diesbezüglich ins Treffen führt, das Erstgericht hätte auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens zu anders gearteten Feststellungen gelangen müssen, erschöpft sich sein Vorbringen demnach im bloßen Versuch, die Beweiswürdigung des Jugendschöffengerichtes in unzulässiger und daher auch unbeachtlicher Weise zu bekämpfen, weshalb auch die Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) nicht gesetzmäßig ausgeführt erscheint. Der Beschwerdeführer ist aber auch nicht im Recht, wenn er einer Hilfeleistung für die verletzte Fußgängerin von seiner Seite die vom Gesetz vorausgesetzte 'Erforderlichkeit' in objektiver Hinsicht abspricht. Daß für eine - nach der Aktenlage zur Tatzeit 74jährige - Frau, die sich nur in Begleitung ihrer 72jährigen Schwester befindet, Hilfe erforderlich ist, wenn sie abseits dichter befahrener oder begangener Verkehrswege (Unfallsort war die grasbewachsene Dammkrone des Donaugrabens in Langenzersdorf, auf der Fahrverbot herrscht; vgl S 66) neben mehrfachen Blutergüssen einen Wadenbeinbruch erleidet, bedarf keiner weiteren Erörterungen. Wenn der Beschwerdeführer aber vermeint, eine wirksame Hilfe sei ihm gar nicht möglich gewesen, da er im Hinblick auf die Art seines Fahrzeuges und seine Alkoholisierung die Verletzte gar nicht hätte abtransportieren können, dann verkennt er den Umfang der in § 94 StGB statuierten Hilfeleistungspflicht. Denn unter 'Hilfe' ist nicht bloß eine Maßnahme zu verstehen, die zur Rettung des Lebens des Verunglückten oder zur Heilung einer durch den Unfall entstandenen Körperverletzung erforderlich ist, sondern schlechthin jede Vorkehrung, die dem Verunglückten seine Lage erleichtert und seine Schmerzen lindert.
Dies kann aber - wenn der Verursacher des Unfalles nach Lage des Falles nicht fähig ist, den Verunglückten selbst an einen Ort zu bringen, wo ihm ärztliche Hilfe zuteil wird -
auch dadurch geschehen, daß er sachkundige Hilfe durch andere herbeiruft. Eine solche, dem Angeklagten durchaus mögliche Maßnahme hätte aber verhindert, daß die Verletzte den kilometerlangen Weg zu ihrer Wohnung unter Schmerzen zu Fuß, nur gestützt auf ihre ebenfalls betagte Schwester, zurücklegen mußte (vgl S 77, 141). Darauf, daß die Verletzte, welche ärztliche Hilfe erst am nächsten Tag in Anspruch nahm, eine Hilfeleistung durch ihn 'gar nicht wollte', kann sich der Angeklagte nicht mit Erfolg berufen, zumal er sie danach gar nicht gefragt hat, sondern ohne anzuhalten weiterfuhr.
Das Erstgericht hat daher den Tatbestand des Vergehens nach dem § 94 Abs 1 StGB ohne Rechtsirrtum sowohl in objektiver, als auch - wie bereits dargelegt - in subjektiver Hinsicht als erfüllt erachtet. Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagte war sohin zu verwerfen.
Der Jugenschöffensenat verhängte über den Angeklagten nach § 128 Abs 1 StGB, 11 Z 1 JGG und 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten. Bei der Strafbemessung wurde als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall und das Zusammentreffen von drei Vergehen, als mildernd das teilweise Geständnis gewertet. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Milderung der verhängten Strafe und die Anwendung der bedingten Strafnachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB an. Er macht geltend, daß das Gericht seinem Alter nicht genügend Rechnung getragen und daß er ein lückenloses Geständnis abgelegt habe, ferner daß er durch Alkohol enthemmt und von Helmut C zum Diebstahl des gegenständlichen Mopeds verleitet worden sei.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Das Erstgericht hat die Strafbemessungsgründe richtig und vollständig festgestellt und zutreffend gewürdigt. Mit Recht wurde nur ein teilweises Geständnis als mildernd angenommen, da der Angeklagte bestritt, den Unfall bemerkt zu haben. Seine Berauschung im Zeitpunkt des Unfalls stellt keinen Milderungsgrund dar, da die Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit durch den Vorwurf, daß der Angeklagte im alkoholisierten Zustand ein Moped gelenkt hat, bei weitem aufgewogen wird (§ 35 StGB). Die übrigen vom Berufungswerber noch angeführten Milderungsgründe wurden vom Erstgericht zu Recht nicht angenommen oder finden in der Aktenlage keine Deckung. Die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe erscheint somit schuld- und tatangemessen. Eine Anwendung des § 43 Abs 1 StGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Angeklagte erst im Jänner 1978 wegen des Verbrechens des Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Danach ist er bereits 2 1/2 Monate später neuerlich straffällig geworden. Es bedarf daher des Vollzuges einer Freiheitsstrafe, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die angeführte Gesetzesstelle.
Anmerkung
E01740European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0120OS00176.78.0117.000Dokumentnummer
JJT_19790117_OGH0002_0120OS00176_7800000_000