Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, Dr. Bernardini, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Jelinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Shaban A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Innsbruck vom 7. Dezember 1978, 20 Vr 1056/78-60, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Kreisgericht Ried im Innkreis verwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die vorstehende Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15.Jänner 1943 geborene Maurer Shaban A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 (Abs. 1), 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 24.März 1978 in Innsbruck I. Julius B durch mindestens fünf Stiche mit einem Messer, dessen Klinge wenigstens 12 cm lang war, in den Rücken und in die linke Flanke vorsätzlich tötete und II. Walter C dadurch, daß er ihm mit dem unter I) bezeichneten Messer je einen Stich in die linke Schulter und in den linken Oberarm versetzte und weitere Stiche gegen den Körper zu versetzen suchte, mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, vorsätzlich am Körper verletzte, wobei die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge hatte.
Dieser Schuldspruch erging auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen, welche jeweils stimmeneinhellig die auf Mord, begangen an Julius B, lautende Hauptfrage 1
bejaht, die für den Fall der Bejahung dieser Hauptfrage gestellte Zusatzfrage 4 betreffend Notwehr oder Putativnotwehr verneint und die auf versuchten Mord, begangen an Walter C, lautende Hauptfrage 6 sowie die für den Fall der Verneinung dieser Hauptfrage in Richtung versuchten Totschlags gestellte Eventualfrage 7 verneint, die für den Fall einer Verneinung der beiden letzten Fragen an sie gerichtete, auf schwere Körperverletzung, begangen an Walter C, lautende Eventualfrage 8 aber bejaht und die bezügliche Zusatzfrage 9 betreffend Notwehr oder Putativnotwehr verneint hatten, wobei die auf Totschlag, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang und fahrlässige Tötung, begangen an Julius B, lautenden Eventualfragen 2, 3 und 5 sowie die auf fahrlässige Körperverletzung, begangen an Walter C, lautende Eventualfrage 10 unbeantwortet geblieben sind. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Nichtigkeitsgründe der Ziffern 6, 8, 9
und 12 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Schon den auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten und der Sache nach auch im Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z. 9 des § 345 Abs. 1 StPO enthaltenen Beschwerdeausführungen betreffend Verletzung von Vorschriften über die Fragestellung kommt (im Ergebnis) Berechtigung zu.
Die vom Schwurgerichtshof - den Beweisergebnissen und insbesondere der eigenen Verantwortung des Angeklagten Rechnung tragend - sowohl zu der auf Mord, begangen an Julius B, lautenden Hauptfrage 1 und den bezüglichen Eventualfragen 2 und 3 wegen Totschlags bzw. Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, als auch zu der auf versuchten Mord, begangen an Walter C, lautenden Hauptfrage 6 und den bezüglichen Eventualfragen 7 und 8
wegen versuchten Totschlages bzw. schwerer Körperverletzung unter den fortlaufenden Zahlen 4 und 9 gestellten Zusatzfragen in Richtung Notwehr und Putativnotwehr sowie unter den fortlaufenden Zahlen 5 und 10 an die Geschwornen gerichteten Eventualfragen wegen fahrlässiger Tötung bzw. fahrlässiger Körperverletzung haben folgenden Wortlaut:
'4 Zusatzfrage: Notwehr oder Putativnotwehr (im Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 oder der Eventualfragen 2 oder 3 zu beantworten):
Hat sich Shaban A bei Begehung der Tat nur der Verteidigung bedient, die notwendig war oder von ihm irrtümlich als notwendig angenommen wurde, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit von sich abzuwehren, ohne daß es offensichtlich war, daß ihm bloß ein geringer Nachteil drohte und die Verteidigung unangemessen war?
5 Eventualfrage: fahrlässige Tötung (im Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 und der Eventualfragen 2
und 3 sowie im Fall der Bejahung einer dieser Fragen und der gleichzeitigen Bejahung der Zusatzfrage 4 zu beantworten):
Ist Shaban A schuldig, am 24.März 1978 in Innsbruck Julius B durch mindestens fünf Stiche mit dem unter 1 bezeichneten Messer in den Rücken und in die linke Flanke fahrlässig getötet zu haben? 9 Zusatzfrage: Notwehr oder Putativnotwehr (im Fall der Bejahung der Hauptfrage 6 oder der Eventualfragen 7 oder 8 zu beantworten):
Hat sich Shaban A bei Begehung der Tat nur der Verteidigung bedient, die notwendig war oder von ihm irrtümlich als notwendig angenommen wurde, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit von sich abzuwehren, ohne daß es offensichtlich war, daß ihm bloß ein geringer Nachteil drohte und die Verteidigung unangemessen war?
10 Eventualfrage: fahrlässige Körperverletzung (im Fall der Verneinung der Hauptfrage 6 und der Eventualfragen 7 und 8 sowie im Fall der Bejahung einer dieser Fragen und der gleichzeitigen Bejahung der Zusatzfrage 9 zu beantworten):
Ist Shaban A schuldig, am 24.März 1978 in Innsbruck Walter C dadurch fahrlässig am Körper verletzt zu haben, daß er ihm mit dem unter 1 bezeichneten Messer je einen Stich in die linke Schulter und in den linken Oberarm versetzte und ihm weitere Stiche gegen den Körper zu versetzen suchte, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge hatte.' Was die in den Zusatzfragen 4 und 9 genannten Rechtfertigungsgründe (Notwehr) und Schuldausschließungsgründe (Putativnotwehr: Irrtum über rechtfertigenden Sachverhalt) anlangt, so kommt rechtfertigende Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB) demjenigen zustatten, der sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren; die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist. Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (sogenanntem asthenischem Affekt) geschieht, nur strafbar, wenn die überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist (§ 3 Abs. 2 StGB).
Hingegen handelt es sich bei der sogenannten Putativnotwehr um einen Fall irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, also um einen Tatirrtum, der die Rechtswidrigkeit verhüllt (§ 8 StGB), unter dessen Eindruck der Täter an einen vermeintlichen Angriff glaubt und eine Notwehrsituation annimmt. Auch Putativnotwehr schließt eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Begehung aus, doch wäre der Täter, wenn der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Begehung mit Strafe bedroht ist, wegen fahrlässiger Begehung zu bestrafen (§ 8, zweiter Satz, StGB).
Ist eine Fragestellung in Richtung Notwehr indiziert, wird das sogenannte Dreifragenschema dem Auffassungsvermögen der Geschwornen am besten gerecht:
I. Hauptfrage (anklagekonform, vorliegend nach Mord bzw. versuchtem Mord);
II. Zusatzfrage alternativ nach Notwehr oder Notwehrexzeß aus asthenischem Affekt, wobei der Fall offensichtlich unangemessener Verteidigung (§ 3 Abs. 2, zweiter Fall, StGB) und jener der überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung (§ 3 Abs. 2, erster Fall, StGB) deutlich auseinanderzuhalten sind;
III. Eventualfrage nach fahrlässigem Notwehrexzeß aus asthenischem Affekt (vorliegend tatbildlich gemäß § 80 StGB bzw. § 88 StGB), welche im Fall der Bejahung der Hauptfrage und der Zusatzfrage, aber auch im Fall der Verneinung der Hauptfrage zu beantworten ist.
In bezug auf Putativnotwehr ist eine gesonderte Zusatzfrage nach den
Voraussetzungen eines dem Täter unterlaufenen Irrtums (§ 8 StGB) zu
stellen, die etwa 'wollte N. N. mit dem in ... bezeichneten
Verhalten einen vermeintlichen (gegenwärtigen oder unmittelbar
drohenden rechtswidrigen) Angriff ... abwehren?' zu lauten hätte.
Mit einer solchen Zusatzfrage ist eine weitere Eventualfrage wegen des entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikts zu verbinden, die sowohl eine auf Fahrlässigkeit beruhende irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation (§ 8, zweiter Satz, StGB) als auch die fahrlässige überschreitung der vermeintlichen Notwehr (sog. Putativnotwehrexzeß) aus asthenischem Affekt zu erfassen hat. Zusammenfassend gesagt: Die Irrtumsmöglichkeiten sind in getrennten Fragen zu formulieren. Im vorliegenden Fall sind die Zusatzfragen 4 und 9
zwar ausdrücklich als solche in Richtung Notwehr oder Putativnotwehr bezeichnet worden, ihr Text beschränkt sich jedoch im wesentlichen auf den Wortlaut des § 3 Abs. 1 StGB und somit auf den Fall der den Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle entsprechenden rechtfertigenden Notwehr. Lediglich
zwischen den Worten 'die notwendig war' und 'um einen ... Angriff
... abzuwehren' ist der Passus 'oder von ihm irrtümlich als
notwendig angenommen wurde' eingefügt, welcher zwar eine irrtümliche überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung (§ 3 Abs. 2, erster Fall, StGB), nicht aber den Fall der Putativnotwehr infolge Annahme eines vermeintlichen Angriffs der im § 3 Abs. 1 StGB bezeichneten Art zum Ausdruck bringt.
Zudem ist eine Verbindung von Notwehr und Putativnotwehr (sowie Notwehr- und Putativnotwehrüberschreitung) in einer einzigen Frage schon an sich problematisch, weil die Verquickung eines Rechtfertigungsgrunds mit mehreren Schuldausschließungsgründen in einer Zusatzfrage im allgemeinen nicht der vom Gesetzgeber gewünschten Klarheit und leichten Faßlichkeit der Fragen entspricht (SSt. 6/74). Dies gilt hier umso mehr, als die Einbeziehung der Putativnotwehr in die Fragestellung im Text selbst nicht zum Ausdruck kommt und die Kriterien der Putativnotwehr und einer allfälligen Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt nur der Rechtsbelehrung zu entnehmen sind.
Zwar muß bei formalen Mängeln der Fragestellung nicht stets eine Nichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO gegeben sein und es kann eine solche in der Regel insbesondere dann nicht zum Vorteil des Angeklagten geltend gemacht werden (§ 345 Abs. 3 StPO), wenn die Geschwornen in der Rechtsbelehrung über die für die Beantwortung der Fragen maßgebenden Umstände aufgeklärt worden sind und sich aus der Niederschrift der Geschwornen ergibt, daß sie die Rechtsbelehrung verstanden und ihr bei der Beantwortung der Fragen Rechnung getragen haben (EvBl. 1955/165 und 234).
Im vorliegenden Fall kann jedoch trotz der an sich zutreffenden Rechtsbelehrung unter Berücksichtigung der Niederschrift der Geschwornen StPOForm. Prot. 16 nicht gesagt werden, die oben aufgezeigten Mängel der Fragestellung hätten auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben können (§ 345 Abs. 3 StPO). Den in der Niederschrift festgehaltenen, für die Verneinung der Zusatzfragen 4 und 9 maßgebenden Erwägungen ('reicht nicht für die Notwehr aus' bzw. 'Notwehr war nach unserer Meinung nicht gegeben') kann nämlich nicht entnommen werden, ob sich die Geschwornen überhaupt mit der Frage der Putativnotwehr befaßt haben. Wegen der oben aufgezeigten Verletzung der Vorschriften der § 313 und 317 StPO (§ 345 Abs. 1 Z. 6 StPO) waren der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil mit Zustimmung der Generalprokuratur schon in einer nichtöffentlichen Beratung (§ 285 e, 344 StPO) aufzuheben und es war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Kreisgericht Ried im Innkreis zu verweisen, wobei sich wegen des inneren Zusammenhangs der betreffenden Fragengruppen eine Aufhebung des gesamten Wahrspruchs und sohin auch des gesamten Urteils als unumgänglich erweist (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auf das übrige Beschwerdevorbringen brauchte darnach nicht mehr eingegangen werden.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die vorstehende Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E01792European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00015.79.0228.000Dokumentnummer
JJT_19790228_OGH0002_0100OS00015_7900000_000